Madre mía! Was die Provinz Alicante mit dem bekanntesten Gastrokritiker des Landes, Rafael García Santos, da auf die Beine gestellt hat, schlägt die Ausgabe des Kongresses „Lo Mejor de la Gastronomía“ (Das Beste aus der Gastronomie) vom Vorjahr um Längen: Die Messehalle IFA beim Alicantiner Flughafen El Altet platzte bei ihrem 12. Event zwischen dem 6. und 9. November buchstäblich aus allen Nähten. Auf 25 Prozent mehr Fläche tummelten sich 108.000 Besucher, die Zahl der Kongressteilnehmer erhöhte sich um mehr als das Doppelte, ebenso die der Aussteller, Workshops und Köche. Jeder wollte dabei sein, sogar die Kaufhauskette El Corte Inglés war vertreten und warb – da noch siegessicher – für Fernando Alonsos Weltmeistertitel. Pech gehabt.
Etliches wurde zwar verbessert. Das Verkehrschaos vom vergangenen Jahr blieb aus, unzählige Helfer wiesen die richtige Richtung, doch mit Stöckelschuhen war der lange Weg bis zum Eingang trotzdem eine Tortur. „Sand oder Asphalt?“ lautete denn auch die Frage des Personals nach dem Standplatz des Autos, was einen gleich als kleines Würstchen outete; das gemeine Volk parkte auf Sand, der durch eine kräftige Brise aufgewirbelt wurde und das schicke Outfit durcheinanderbrachte.
Es gab dieses Mal sogar einen Lageplan, und auch eine extra Buslinie war eingesetzt worden – doch einmal drinnen in der Messehalle, war es um die Orientierung geschehen: Es war schlicht und einfach zu voll. Kinderwagen, die anderen Leuten in die Hacken fuhren, Menschentrauben und kein Durchkommen an die interessanten Stände. Die Restaurants waren bis auf den letzten Platz besetzt und vor den „Points“, an denen man sich das Ticket für eine Tapa kaufen musste, bildeten sich lange Schlangen. Auch wenn es nur um ein Hotdog von der Biermarke Cruzcampo ging – wieder einer der Hauptsponsoren –, umsonst gab es nichts, und das war schon über der Eingangstür zu lesen. Wenn man hungrig war und nicht stundenlang anstehen wollte, blieb nur der Weg in die Cafetería, den viele aus der Not heraus wählten. Das Personal dort war hoffnungslos überfordert, das Stückchen Schweinefilet mit Foie kalt wie das Schälchen Arroz a banda, und die Langostinos am Spieß waren hart und knochentrocken.
Berühmte Küchenchefs aus – erstmals – Kroatien sowie Italien, Japan, Frankreich und natürlich vor allem Spanien präsentierten „das Beste aus der Gastronomie“. Doch neben all den avantgardistischen Kreationen kam auch Traditionelles beileibe nicht zu kurz, schließlich sollen mehr Touristen an die Costa Blanca gelockt werden, wozu sicherlich die Auszeichnung der mediterranen Küche als Weltkulturerbe durch die Unesco, die gerade stattfand, mit dazu beitragen wird.
Und damit die Gastrobars und Restaurants der umliegenden alicantinischen Gemeinden ebenfalls von dem Event profitierten, wurden in derselben Woche in 26 Orten Degustationen, Tapas und Salazones (eingesalzene, getrockenete Fischspezialitäten) angeboten.
Vieles wurde beibehalten, aber auch Neues kam hinzu. Eine Art Wettkochen: arabische gegen christliche Küche. Rund 80 Prozent der spanischen Gastronomie hat arabische Wurzeln: Reis, Orangen, Artischocken, Mandeln, Safran, Kapern und viel mehr. Vier Chefs aus dem Libanon, der Türkei und Syrien maßen sich mit Köchen aus der Palmenstadt Elche. Eine Schlacht der Aromen, bei der Granatäpfel, Honig, Datteln, Hummus oder Olivenöl nicht fehlten. Dass man die „Moros“ bei der sogenannten christlichen Rückeroberung rauswarf, wird bei jeder Gelegenheit und in jedem noch so winzigen Dorf gefeiert… Und jetzt auch noch „Moros y Cristianos“ auf dem Gastronomiekongress.
Das Hauptaugenmerk lag auf einheimischen Produkten. So ging es etwa um den Granatapfel, die Küche der Vega Baja mit ihren Artischocken, den Einsatz von Safran, Nísperos (Mispeln) aus Callosa d’En Sarrià, Kakis, valencianischen Käse, eingetütete Trauben von Vinalopó, Salazones (getrockneter, eingesalzener Fisch), Olivenöl aus dem Hinterland und Schokolade von Valor aus Villajoyosa – ganz zu schweigen vom fantastischen Alicantiner Wein. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Und wieder gab es jede Menge Wettbewerbe und Preise. Den Preis für die besten Pinchos und Tapas beispielsweise gewann Rafa Soler vom Joël in Dénia mit Leber vom Seeteufel, einer Stockfischcreme, Makrele mit Avocado und Hühnchen in all i pebre. Die Adresse sollte man sich auf jeden Fall merken.
Senén González vom Sagartaki in Rioja Álava gewann nach zehn Jahren Teilnahme endlich den Tortilla-Wettbewerb. Wie er sagte, legt er die Kartoffeln zuerst in den Ofen, damit sie ein bisschen Wasser verlieren, dabei wendet er sie alle zehn Minuten, dann brennen sie nicht an. Wenn sie bei 100 Grad karamellisieren, röstet er sie in der Pfanne, bevor sie mit dem rohen Ei vermischt werden.
Die Qualität aller Tortillas, die bei dem Konkurs gefertigt wurden, sei laut Organisator Rafael García Santos dieses Jahr so hoch gewesen, dass man sich kaum hatte entscheiden können.
Interessant waren die Mikropflanzen (Microvegetales) des Holländers Rob Baan, Salat und Sprossen en miniature, die mit besonders intensivem Geschmack und Aroma aufwarten. Oder die neuen Produkte für die Molekulare Küche.
Enorm auch, dass eine spanische Mannschaft den internationalen Eis-Wettbewerb – gegen die Italiener – gewann. Zum Beispiel mit einer Kreation aus Olivenöl mit Räucherlachs oder einem Veilcheneis mit Mandelkuchen und einer Creme aus Rosen.
Algen wurden ebenso vorgestellt. Die Nachfrage der Restaurants nach dem Meeresgemüse hat die Produktion in zehn Jahren von 200 Kilo auf 160 Tonnen hochschnellen lassen.
„Highlights“ waren der Jamón Ibérico des angeblich weltbesten Schinkenherstellers Joselito mit 82 Monaten Reife; der Behälter dafür wurde von einem prestigereichen Architekten kreiert. Und dann gab es da noch einen Wein der Bodega Selección Esteban de la Rosa für 1.800 Euro die Flasche, die auch eine Verkostung von drei Barriques des berühmten Alicantiner Weins Fondillón bot. Der pure Hohn, wenn man weiß, wie es den Spaniern derzeit geht.
Zwei Tendenzen ließen sich seit der vergangenen Ausgabe von Lo Mejor de la Gastronomía feststellen, bemerkte Veranstalter Rafael García Santos: einmal der Hang zu ursprünglicheren, bürgernahen Rezepten. Und zum anderen die neue Generation von Köchen zwischen 30 und 40, die sich mit kreativen Ideen immer mehr an die Spitze kochten und damit die Qualität der gehobenen Gastronomie in der Zukunft sicherten. Das sei gut so in einer Zeit, in der sich Größen wie Ferran Adrià zurückzögen, der mit seinen Ideen und Konzepten die Jungen inspirierte. Ferran Adrià wurde denn auch besonders für sein Lebenswerk geehrt, ebenso wie Joël Robuchon, während Jahren weltbester Koch und in dieser Zeit ausgezeichnet mit 25 Michelinsternen. Was die Zukunft wirklich bringt, wird man sehen.
Bon profit!