vonErnst Volland 07.07.2009

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Hut ab

H. wohnte in der Nähe eines Tennisplatzes. Dort verkehrten die Boulevardgrößen Berlins.

Die einzelnen Tennisplätze waren fast immer ausgebucht, so dass H. schon um sieben Uhr morgens für eine Stunde mit einem Tennispartner spielte. Wir arbeiteten an einem gemeinsamen Projekt, für das ich H. als Co- Autor zu gewinnen konnte.

Eine Zusammenarbeit bedeutete, Geduld zu bewahren in Sachen Pünktlichkeit und Termineinhaltung. Diesmal bat mich H. ihn nach dem Tennis abzuholen und ein gemeinsames Frühstück in einem Restaurant einzunehmen. Bei einem solchen Treffen war es nicht sicher, ob es ein Arbeitstermin war oder nur eine vergnügliche Begegnung, bei der er nie auf das eigentliche Thema des Projektes kam, sondern über Gott und die Welt redete.

Als ich am Ausgang des Tennisplatzes stand, hatte er wie immer sommers eine kurze Hose an, jedoch einen Hut auf dem Kopf. Es war ein ungewöhnlicher Hut aus den Alpen und niemand im Umkreis von zweihundert Kilometer trug eine ähnliche Kopfbedeckung. An einer Seite des Hutes prangte ein breites und langes Büschel Haare. H. erklärte mir, dass es sich um die Haare eines Gamsbartes handelte und diese schmale Form des Büschels als eine besonders gelungene Verzierung gilt. Es gäbe etliche unterschiedliche Varianten eines solchen Gamsbarthutes bis hin zu dreißig Zentimeter langen Büscheln, die senkrecht wie ein Fächer am derben Stoff des Hutes angebracht sind.

Wir gingen die Straße entlang zu einem Frühstückscafe.

H. begrüßte einen vorbeikommenden und mir fremden Mann, nahm dabei in einer kunstvollen Geste den Hut vom Kopf und sagte

„Grüß Gott der Herr“.

Der angesprochene Mann blieb stehen. Das überraschte uns und wir blieben ebenfalls stehen.

„Das ist aber ein besonders schöner Hut“, sagte der Mann zu H.

„Ja, das ist ein altes Erbstück, noch vor dem Ersten Weltkrieg, mein Urgroßvatter hatte das Hütle scho oa.“

Der Mann starrte wie gebannt auf den Hut, den H. auf dem Kopf trug.

Die drei waren sich noch nie begegnet, der Mann, der Hut und Horst.

„Fei, der gefällt ihn?“

Der Mann antwortete nicht, er blieb einfach stehen und schaute den Hut an.

„Wolln siehn ham? Hier iss er.“

H. nahm den Hut vom Kopf und setzte ihn auf den Kopf des Mannes.

„Schaut gut aus, passt. Vergellts Gott. Habe die Ehre.“

Schon waren wir ein paar Schritte weiter gelaufen.

Ich drehte mich um. Der Mann hatte inzwischen den Hut abgenommen. Er blickte abwechselnd auf den Hut und auf uns, dann wieder auf den Hut und wieder in unsere Richtung.

Wir bogen um die Ecke und betraten das Frühstückscafe.

„Der Hut liegt schon fünf Tage herrenlos in der Umkleidekabine des Tennisvereins herum. Endlich hat er einen neuen Besitzer,“ sagte H. und köpfte mit einem Schwung sein Frühstücksei.

Die Tür ging auf. Der Mann kam an unseren Tisch, ohne den Hut abzusetzen.

„Danke, Sie hatten recht, es ist ein Familienstück und schon hundert Jahre alt.

Ich hab’ ihn gesucht wie eine Stecknadel. Nochmals Dankschön, vergellts Gott und habe die Ehre.“

Der Mann stand auf und ging zur Tür. Der Gamsbüschel wippte in der Luft.

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