vonKarim El-Gawhary 05.07.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

Ein einfacher Satz, der gleichzeitig so viel in Frage stellt. Er stammt von einem der größten zeitgenössischen Islam-Reform-Denker, dem ägyptischen Linguistikprofessor Nasr Hamid Abu Zeid. Er konnte es auch noch simpler ausdrücken: „Warum hat uns Gott ein Hirn gegeben, wenn wir es nicht benutzen“, hat er einmal gesagt. Diesen Montag ist dieser großartige, lebenslustige und gleichzeitig so mutige Mann nach längerer Krankheit mit 67 Jahren in Kairo verstorben.

Abu Zeid bei Verleihung des Ibn Rushd-Preises für freies Denken 2005

Ein riesiger Verlust, nicht nur für Ägypten, sondern auch für Europa, wo er zuletzt gelehrt hatte. Denn er hatte in den 1990er Jahren etwas gewagt, was sich nur sehr wenige muslimische Gelehrte trauten: den Koran und die heiligen islamischen Texte mit den Methoden der kritischen Linguistik zu analysieren. Er wusste, dass er sich damit nicht viele Freunde schafft, aber er hat wohl nicht erwartet, wie scharf seine islamistischen Gegner darauf reagieren würden, jene für die jeder Buchstabe im Koran heilig und damit unangreifbar ist.

Schnell hatten sie seine Universitätskarriere in Kairo zerstört und als sie dann auch noch 1995 vor Gericht gingen, um zu erreichen, dass Abu Zeid von seiner Frau Ibtihal Yunis zwangsgeschieden wird, da zeigten sie, dass ihnen nichts mehr heilig ist. Sie bedienten sich  eines juristischen Winkelzuges. Da es im ägyptischen Gesetz keinen Apostasie-Paragraphen gibt, stellten sie einfach Abu Zeids Ehe in Frage. Ein vom Islam abtrünniger Muslim, könne nicht mit einer Muslimin verheiratet sein, argumentierten sie. Und der Gipfel war: Das Gericht gab ihnen recht. Es folgten Morddrohungen von militanten islamistischen Gruppierungen.

Das Paar floh nach Europa, zuerst nach Spanien, dann nach Holland, wo Abu Zeid zuletzt an der Universität von Utrecht lehrte. Der Koran ist eine Offenbarung, die aber mit menschlicher Sprache vermittelt wird, die nicht göttlich ist, war sein Argument. Damit kann er linguistisch untersucht und eingeordnet werden, in die Begriffe, Konzepte und Werte der damaligen Gesellschaft. Das war in der islamischen Welt eine revolutionäre Aussage.

Eines der Hauptprobleme war für ihn das katastrophale Bildungsniveau in der arabischen Welt. Ich erinnere mich daran, wie wir einmal nach seiner Flucht in Europa zusammen in der Küche saßen und darüber diskutierten, ob eine ägyptische Zeitung, Auszüge aus dem Werk des ägyptischen Literaturnobelpreisträges Naguib Mahfuz, „Die Kinder unserer Gasse“ drucken solle, obwohl es in Ägypten verboten war, weil in dem Buch die Propheten allegorisch dargestellt sind. Abu Zeid dachte lange nach. Dann sagte er: „Das Problem ist, dass die meisten Menschen in Ägypten nie gelernt haben, was der Unterschied zwischen der Nacherzählung der Wirklichkeit und einer Allegorie ist“. Dann machte er erneut eine lange traurige Pause. Er wusste, dass das schlechte Bildungsniveau in seinem Heimatland einer der Gründe ist, warum islamistische Rattenfänger so erfolgreich sind.

Die letzten fünf Jahre hatte er dann wieder begonnen sporadisch seine Heimat zu besuchen. Vielleicht hätte irgendwann er sich mit ihr und sie sich wieder mit ihm versöhnt. Vielleicht hätte man diesem großartigen Vordenker dann dort den Platz gegeben, den er eigentlich verdient hätte. Aber das hat Nasr Hamid Abu Zeid leider nicht mehr erlebt.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/ich_denke_also_bin_ich_muslim/

aktuell auf taz.de

kommentare