vonChristian Ihle & Horst Motor 13.06.2007

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Manic Street Preachers – Send Away The Tigers

Hätte man 1991 in England eine Umfrage gestartet, welche von den heißen Newcomerbands wohl in 16 Jahren immer noch unbeirrt weitermarschieren würde, keiner hätte auf die Manic Street Preachers gesetzt. Zu sehr jetzt, jung, wild, destruktiv, nihilistisch und prätentiös waren die vier Waliser, als dass man ihnen eine Karriere jenseits der 30 hätte prophezeien können.

Viel Wasser ist unter allen Selbstmordbrücken geflossen seit die vier als Clash-Wannabes für erstes Aufsehen (1991) sorgten. Danach waren sie eine britisch-intellektuelle Guns’n’Roses-Kopie (1992), eine Joy Division Wiederkehr (1994), die stolzesten Trauernden der Welt (1996), Brit-Pops elder statesmen (1998) und Punks in der midlifecrisis (2001). Ihr komtemplatives, aber schwächstes Album „Lifeblood“ veröffentlichten sie vor drei Jahren, im vergangen Jahr traten sowohl Sänger James Dean Bradfield als auch Bassist und Texter Nicky Wire mit Soloalben vor die Musikwelt: eines davon war gut (Bradfield), eines versponnen, aber fantastisch (Wire).

Dass überhaupt noch ein neues Manic Street Preachers Album kommt, verwundert zunächst. Aber dass sie mit derart viel Unbekümmertheit und Wucht zurückkehren, ist beeindruckend. Die Keyboardwände, die sie noch auf „Lifeblood“ einzogen, sind wieder verschwunden, der commercial suicide der rauen Punkproduktion von „Know Your Enemy“ aber ebenso. Übrig bleibt ein hervorragendes, durchaus radiotaugliches, aber eben in jedem Moment auch wildes Rockalbum, das man so kaum noch erwartet hätte. Walisische Hunde, wollt ihr ewig leben? Ich hoffe: ja. (Christian Ihle)

Anhören!
*Imperial Bodybags
*Autumn Song (hier)
*Winterlovers

Im Netz:
*Indiepedia
*Homepage
*MySpace

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The Pigeon Detectives – Wait For Me

Das Debütalbum der Pigeon Detectives ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, das Libertines-Erbe für die Massen zu domestizieren. Aber das meint man ja gar nicht mal negativ: die jingle-jangle-Gitarren sind da, die Melodieseligkeit, der flotte Punkstil und alles macht auch ungemein Spaß – es erinnert an die Fratellis und The View, teilt aber auch das gleiche Problem mit den beiden anderen Newcomerbands: textlich ist das zum Großteil unter aller Sau.
Trotzdem: die Kaiser Chiefs hört ja auch keiner, weil ihre Lyrics nobelpreisverdächtig wären und der Masse wars auch bei den Libertines immer egal, ob da Huysmans, Morrissey oder Blake zitiert wurde – also warum sollte sich Matt Bowman, der pudelfrisierte Sänger der Pigeon Detectives einen Kopf darum machen. Er weiß: live sind sie derzeit eine der tollsten Popbands der Insel, die Hälfte der Songs auf diesem Album sind potentielle Singles und der Erfolg, ja, der Erfolg, der wird kommen. Wem Larrikin Love in diesem Monat textlich zu komplex und musikalisch zu versponnen sind, der ist mit den Pigeon Detectives bestens bedient. (Christian Ihle)

Anhören:
*I Found Out
*I’m Not Sorry (hier)
*I’m Always Right

Im Netz:
*Indiepedia
*Homepage
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The Audience – Celluloid

Will man die neue Platte einer Hersbrucker Indierockband besprechen, die deine Füße nicht ruhig stehen lässt und Tanzbodenbefehle en masse ausspricht, fällt es schwer, nicht Robocop Kraus zu erwähnen. Auch wenn wir den lazy journalism der einfachen Schublade vermeiden wollen, schimmert doch immer wieder Ähnlichkeit zwischen den beiden Hersbrucker Bands durch.
The Audience, die sich dank beeindruckender Liveauftritte einen guten Ruf erspielt haben (auch das eine Ähnlichkeit…), legen nun ihr Debütalbum vor, das alles in allem den Erwartungen gerecht werden kann. Im Vergleich zu ihrer ersten EP sind jedoch die an die Strokes erinnernden Rock’n’Roll-Stücke wie „John McEnroe“ weggefallen, was das Klangbild auf Albumlänge manchmal etwas eintönig wirken lässt.
Trotzdem: die nächste bemerkenswerte Hersbrucker Band. Man darf gespannt sein, was die weiteren Nachbarn in der Schlange, die von The Rapture beeinflussten „Plane Is On Fire“, vorlegen werden. (Christian Ihle)

Anhören!
* JFK hier

Im Netz:
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* MySpace

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Von Südenfed – Tromatic Reflexxions

Wenn man sich eine Kooperation zweier Künstler aus dem Nicht-Mainstream-Bereich wünschen dürfte, fielen einem bestimmt viele seltsame Kombinationen und Quasi-Super-Groups ein. Aber ein gemeinsames Album von Mark E. Smith (aka „Derjenige, der bei jedem The-Fall-Album dabei ist“) und den Elektronikern von Mouse On Mars käme wohl auch dem abenteuerlichsten Phantasten nicht sofort in den Sinn. Ist auch nicht mehr nötig, denn genau diese Zusammenarbeit hat nun unter dem Projektnamen Von Südenfed und in Form des Albums „Tromatic Reflexxions“ bereits stattgefunden.

Und bei genauerem Nachdenken taucht dann auch die Frage auf: „Warum denn eigentlich nicht?“ Produzieren doch beide Seiten seit Jahren/-zehnten konsequent an jedem Massenmarkt vorbei und könnten oberflächlich zwar Genres wie Post-Punk auf der einen, Electronica auf der anderen Seite zugeordnet werden – aber ehrlich betrachtet, haben sie schon lange ihre jeweils eigene Schublade komplett ausgefüllt, die konsequenterweise „The Fall“- bzw. „Mouse On Mars“-Musik heißen müsste. Hinzu kommt noch das Faible für Wortspiele, das beide eint und ihren Niederschlag in Konstrukten wie „Saturday Night Worldcup Fieber“, „Schlecktron“ (Mouse On Mars), „Bremen Nacht Run Out“ oder „Early Days Of Channel Führer“ (The Fall) findet.

Geliefert bekommt der Hörer 12 Stücke, die über „MoM machen Lärm und Mark nölt darüber“ hinausgehen. Von mantrahaften Zeilen wie in „Fledermaus Can’t Get Enough“ bis zum immer wieder wiederholten „I am the DJ tonight / I am the disc jockey tonight“ (wohl die Horror-Vorstellung eines jeden Club-Besitzers, Mark E. Smith einen kompletten Abend an den Plattentellern zu wissen) in „Flooded“ bis zu komplett im Sound ersäuften Vocals („Seriuos Breakdown“) wird eine breite Palette geboten.
Mit „Speech Contamination/German Fear Of Osterreich“ wird theoretisch sogar ein deutsches Stück präsentiert, allerdings sind die Lyrics in einem Quatsch-Deutsch verfasst, das an den von John Cleese verkörperten „Mr. Hilter“ erinnert, der für die „National Bocalist Party“ in Meinhead / Nordengland kandidiert (Monty Python’s Flying Circus, Episode Twelve).
In „That Sound Wiped“ remixen sich Mouse On Mars schließlich quasi selbst (Der Song erschien in anderer Form als „Wipe That Sound“ bereits auf „Radical Connector“).

Gerade im zuletzt genannten Track, der neben dem Opener „Fledermaus Can’t Get Enough“ am eingängigsten ist, profitiert die Musik der Kölner Elektroniker unheimlich von Mark E. Smiths Stimme. Auf ihren eigenen Alben bewegten sie sich zuletzt weg vom rein instrumentalen Song und experimentieren mit Vocals, die allerdings durch etliche Verzerrer geschickt werden und dabei eher als zusätzliches Instrument oder Sound wirken, als als dominierendes Element. Hier funktioniert die deutsch-britische Symbiose jedenfalls hervorragend.

Bei allem Lob sei natürlich gesagt, dass die Platte im Großen und Ganzen schon sehr weit draußen ist und weit entfernt davon, dass man einzelne Stücke in der Indie-Ballermann-Disko auflegen könnte, ohne fragende Blicke zu ernten. Als Fazit heißt das: Für Fans – aber die werden es lieben! Horst Motor

Anhören!
* That Sound Wiped (hier)
* Fledermaus Can’t Get Enough (hier)

Auf der Bühne:
13.07.2007 melt!-Festival, Gräfenhainichen / Ferropolis

Im Netz:
Video zu „Fledermaus Can’t Get Enough“
mySpace-Seite mit 3 Tracks zum Anhören

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