vonlottmann 05.12.2008

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Ja, die Reaktion von Stuckrad-Barre, den ich ab hier wieder Benjamin nennen werde (Nachnamen ohne Zusatz sind immer so lieblos, zum Beispiel: ‘der Lottmann’), diese Reaktion von ihm in Form eines Leserbriefs heute früh, nachzulesen hier im blog, hat mich nach langer Zeit wieder einmal an ihn, an Stucki, denken lassen. Nämlich hier in München, im Kämmerlein im Dach des Hauses Hohenzollernstraße 99, wo ich gerade wohne (siehe Foto… das dritte Haus von links, nicht das gelbe ganz rechts, und dann das mittlere leicht gerundete Fenster im dritten Stock: da sitze ich gerade und schreibe, in DIESEM Moment). Also, ein guter Stilist war er ja nie, das wußte er auch, das war fast sein Geheimnis, und er zog sich gut aus der Affäre. Indem er dem Literarischen auswich wie einer Pfütze. Und so elegant, daß es niemand merkte. Er ging also dorthin, wo die Schriftsteller nicht waren, in den verrotteten Boulevard. Von dort aus berichtete er, wie ein Brückenkopf hinter der Front, wie ein Heimatsender im Niemandsland. Das war einfach phantastisch. Ich habe das oft gewürdigt.
Doch nun wird es, Entschuldigung, erstmals biblisch bei mir. Der Fall Stucki geriet nämlich zur Tragödie, und niemand wußte warum. Der junge Mann kam um in dem Schlamm, in den er mutig geritten war. Und den Grund erkennt man nur, wenn man die wenigen vergleichbaren Geschichten verfolgt, etwa die Wallraffs. Bei dem war das Heroische und Ehrenwerte seines Tuns noch deutlicher, aber bezahlt hat er genauso. All die Orden, Ehrungen, Fanbriefe, all die Liebe seines Lagers nutzte ihm nichts: Ende der 80er Jahre war Wallraff gesundheitlich ruiniert, klinisch tot. Ein Thema für sich, wie er nochmal zurück kam, Jahrzehnte später… ich merke, daß ich das alles nicht alles mit leichter Hand aufschreiben sollte, deswegen fasse ich zusammen:
Offenbar kann man heute so wenig wie vor 2000 Jahren den Mächten der Finsternis ein Schnippchen schlagen. Wer in die Unterwelt geht, kommt darin um. Interessant beim Benjamin von heute morgen ist nun, daß er in einer verzweifelten, absurden Drehung diesen Dreck, durch den er watete und der ihm die Seele vergiftete, rechtfertigt und lobpreist. Er erinnert mich an dabei fatal an meinen Onkel Herrmann, ein Mann aus dem Umkreis des 20. Juli, der strafversetzt wurde und in einem Himmelfahrtkommando beide Beine und einen Arm verlor, und der, als alles vorbei war, die ganze Familie mit euphorischen Hitlerreden nervte. Es war eine Abart des Stockholm Syndroms. Er identifizierte sich mit seinen Peinigern. Und so jetzt auch Benjamin, wenn er Sarah Connor preist, die Scorpions für eine geile Rockband hält, Preisverleihungen anrührend und so weiter findet. Da ist er eben einfach wahnsinnig geworden. Udo Lindenberg hält er heute allen Ernstes für seinen besten Freund. Marcel Reich-Ranickis Philippika gegen das Fernsehen (“Abscheulicher Blödsinn!”) findet er unangemessen, und und er geht soweit zu sagen – er ist wie gesagt kein Stilist – diese Kritik würde sich nicht einmal eine Klotür gefallen lassen.
Natürlich stehen wir trotzdem alle weiter hinter Benjamin. Schon wegen der eben angeführten Verdienste. Und natürlich werden wir weiter so tun, als meinte er seine Vorliebe für Hansi Hinterseer, Dieter Bohlen, Uschi Glas und Friedrich Merz nicht wirklich ernst, sondern sozusagen ‘gebrochen’, so wie Oliver Pocher, ironisch also.
Aber so ist es nicht. Es ist wie bei Onkel Herrmann.

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