vonSchröder & Kalender 23.10.2008

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Es ist dunkel, wir sehen also nicht, wie der Bär flattert.
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Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag, lieber Jörg. Bleibe Deinem Wahlspruch treu: Immer radikal, niemals konsequent!

Feiern möchte der Jubilar nicht. Das wäre im übrigen auch gar nicht möglich, denn er hat eine Erkältung von der Buchmesse mitgebracht. Da und dort wird es Elogen geben, z. B. in der taz von Mathias Bröckers, Tagesspiegel, FAZ von Jan-Frederik Bandel, in der Süddeutschen Zeitung von Alex Rühle, in Spex von Wolfgang Müller, im von H.P. Daniels und in der jungen Welt von Jamal Tuschik (Fortsetzung am Samstag). Christian von Zittwitz hat im BuchMarkt gratuliert.
Radio Z  bringt heute im ›magazin stoffwechsel‹ zwischen 16 und 18 Uhr einen Beitrag von Bernd Distler und Hans Plesch.

Ad multos annos
Deine Barbara

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Und vergeßt nicht unsere Kolumne heute in der jungen Welt:

Ein vornehmer Schnorrer

Von fliegenden Kasselerknochen

Heureka! Nach einer langen juristischen Auseinandersetzung mit dem Vertrieb Zweitausendeins hatten wir alle März-Rechte wieder und konnten nun mit Mail Order Kaiser über eine Kooperation nachdenken. Um darüber zu sprechen, kamen im Mai 1982 Hans-Jürgen Kaiser und sein Verkaufsleiter Wolfgang Melzer mit dem roten Porsche aus München in den Vogelsberg. Kaiser trug wie immer eine bayerische Trachtenjacke, obwohl er ein Württemberger Schwabe ist, Melzer war in Zivil. Barbara hatte Kasseler in Fulda gekauft, der Metzgerladen war berühmt für seine Qualität, aber auch teuer. Das mußte so sein, Metzger und Köche können nicht zaubern, gutes Material kostet eben. Für den Besuch gab es ein großes Stück, das gerade so in die Röhre paßte und mit knuspriger Fettschicht herauskam, dazu Sauerkraut in Wein geschmort und Kartoffelpüree. Kaiser und Melzer aßen heißhungrig, neben ihnen bettelte Marron, unser französischer Vorstehhund aus den Pyrenäen. Er war uns im Urlaub zugelaufen, ein Jagdhund, man hätte ihn also perfekt erziehen können, aber meine Mutter machte alle Dressurversuche zunichte. So war der Hund eben perfekt verzogen, bettelte aber stilvoll und steinerweichend.

Besonders von dieser mitleidheischenden Tour kann Barbara ein Lied singen. Sie saß einst in Berlin in einem Frühstückscafé am Paul-Lincke-Ufer und las Zeitung, Marron hatte sich abgelegt, wie sie meinte. Nach einer Weile sprach sie ein Mann vom Nebentisch an: »Hör ma’, Kleene, wenn de dir ’ne Töle anschaffst, mußte die ooch fittan. Der hat jetzt bei alle Tische jebettelt, und von mir hat er ooch wat jekricht. Also, weeßte nee, der muß ja total vahungert jewesen sind!« Marron hatte eine gute Verdauung, war nicht fett, sondern drahtig, solange er jung war. Soviel er auch fraß, es bekam nichts auf die Rippen, und sein kurzes Fell glänzte wie eingeölt. Nur wenn er sich richtig überfressen hatte, war sein Bauch eine Weile angeschwollen. Dann, zack, hetzte er wieder durch Wald und Flur und verbrauchte so die Kalorien. Doch bei aller Gier blieb dieser Hund ein vornehmer Schnorrer, er bettelte nicht kratzend, japsend, jaulend, sondern setzte sich in einiger Distanz edel auf sein Hinterteil, guckte mit seinen sprechenden Augen und seufzte. Selbst die schlimmsten Hundehasser fütterten das Tier, weil es eben so bescheiden wartete.

In dieser Manier harrte Marron auch neben dem Stuhl des Versandbuchhändlers Kaiser aus, der bereits ein zweites Stück Kasseler auf dem Teller hatte. Er saß neben mir am ovalen Tisch, links und rechts hinter uns hing ein Paar barocker Spiegel mit Sopraporte-Porträts irgendwelcher Löw-von-und-zu Steinfurth-Vorfahren, das ich aus dem Florstädter Herrenhaus gerettet hatte. Und nun nahm ich das sonderbarste Flugobjekt wahr, das jemals bei einer Vertragsverhandlung durch die Lüfte rotierte. Ich sah, wie die Hand meiner Mutter mit dem Kasselerknochen ausholte, wie ihr Arm noch vorn schwang – »Hier, Marron!« –, und wie ein Aborigine den Bumerang schleudert, genau so semmelte sie den Kasselerknochen in Richtung Barockspiegel. Wenn der Hund nicht so gut hätte springen können und ihn nicht aus der Luft geschnappt hätte, wäre der Spiegel kaputt gewesen. Ich konnte nur noch denken: Die Frau hat sie doch nich’ alle! Jetzt ist der Deal mit dem Kaiser gelaufen! Denn der Knochen flog nur zwei Millimeter an Kaisers Nasenspitze vorbei, und die Münchner Versandbuchhändler folgten ihm verdutzt mit den Augen. Der Porschefahrer im Trachtenanzug war für ein paar Sekunden perplex und die Atmosphäre von peinlicher Stille geschwängert. So was kann passieren, wenn alte Frauen jugendlich burschikos und salopp sein wollen. Ja, meine Mutter hatte zuweilen solche Ausfälle, wenn »junge Männer« am Tisch saßen. Denen wollte sie beweisen, was für eine sportliche Frau sie noch sei. Tatsächlich war natürlich nur der Hund sportlich.

Um das betretene Schweigen zu brechen, fragte Barbara die Gäste, obwohl diese noch mit ihrem zweiten Kasseler beschäftigt waren: »Möchten Sie noch eine Scheibe Fleisch?« Sie waren nicht abgeneigt, ein drittes Stück zu vertilgen. Also ging Barbara in die Küche, um es zu holen, doch der Teller auf der Wärmeplatte war leer. Zurück am Tisch sagte sie: »Ich kann Ihnen leider nichts mehr geben, das Kasseler ist verschwunden. Wo ist der Hund?!« Marron lag mucksmäuschenstill auf dem großen Teppich im Wohnzimmer mit einem Ranzen, wie man ihn sich im Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein vorstellt, die langen Läufe weit von sich gestreckt. Er hatte nicht nur alle Knochen, sondern dazu noch den Rest des Kasselers vom Küchentisch gefressen. So schnell wie ein Krokodil muß er es reingeschlungen haben! Diese Schandtat löste bei unseren Partnern in spe große Heiterkeit aus, und die Verhandlungen nahmen in entspannter Atmosphäre ihren Lauf.

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