vonElisabeth Wirth 24.09.2010

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In New York war „alles“ so einfach. Abgesehen vielleicht von der Nahrungsmittelbeschaffung, denn essen gehen wird in New York ganz schön teuer, wenn man keine Möglichkeit hat, auch mal selber zu kochen.

Aber in New York war das Wetter schön, mein Tagesausflug nach Long Beach hatte sich auf jeden Fall gelohnt. Eine Stunde fährt man mit dem Long Island Rail Road von Manhattan zu dem weiten, weißen Sandstrand. Vor mir lag der Atlantik, die Sonne schien von einem wolkenfreien Himmel, ein laues Lüftchen wehte am Meer und am Abend ging es mit einem Sonnenbrand zurück.

Coney Island ist ein wunderbares, buntes Panoptikum mit Riesenrad und Kettenkarussell, mit Freak Show und Geisterbahn, mit alten Reklametafeln anno 1950 und Menschen aus dem Jahr 2010, mit staunenden Kindern und Jugendlichen mit leerem Blick und Erwachsenen, die fertig mit der Welt schienen. Ein Paradies zum Fotografieren.

Das Guggenheim Museum ist schön, das Metropolitan Museum of Art – eine Lebensaufgabe, der Central Park der einzige Ort, an dem der Lärm der Stadt nicht zu hören ist und die Subway ist immer gut für Überraschungen. In New York läuft man mal eben des Abends bei Dämmerung an einer Filmpremiere vorbei und findet sich zwischen einigen Fans und brüllenden Pressefotografen wieder, die den besten Shot von Tom Cruise und Katie Holmes bekommen wollen. Dabei holt man natürlich ganz investigativ zur Dokumentation die Kamera raus, weil man denkt, das glaubt einem ja sonst keiner. In New York ist alles so einfach, weil jeder Tag ein neues Abenteuer ist, weil es jeden Tag neues zu sehen gibt und ist man bis zur Erschöpfung rumgerannt und völlig fertig von den Millionen Eindrücken und sitzt man dann weinend am Broadway, ist man selbst dann nicht alleine. Denn die New Yorker geben Acht und bleiben stehen, reichen einem ein Taschentuch und fragen, ob man Hilfe braucht. Und sitzt man dann am Freitagabend im Kino, freut man sich, dass man endlich mal was „Normales“ macht. Geht man abends weg, gibt es doch tatsächlich Rockkneipen, in denen man zu seinem Bier eine Pizza bekommt und in denen man Punkbands sieht, die schrammelige 2-Minüter spielen und man kommt sich garantiert wie Tattoobambi vor, weil fast alle um einen herum mehr Tattoos haben.

In New York war alles so einfach, weil ich selbst so aufgeregt war, egal wie viel man gesehen hat, man hat nicht genug gesehen. In New York war ein Stück Zitronenkuchen ein Ereignis.

Jetzt bin ich wieder in Berlin und ich frage mich ernsthaft, warum mache ich das hier nicht? Aufgeregt sein, jeden Tag als neues Abenteuer empfinden, in die Museen rennen, die Welt durch die Linse meiner Kamera sehen? Da bin ich wieder hier und mir fällt auf, dass ich die Sonderausstellung „Helden, Freaks und Superrabbies – die jüdische Farbe des Comics“ im Jüdischen Museum verpasst habe, die ich eigentlich unbedingt sehen wollte. Ich frage mich, warum ich seltener ins Kino gehe, als ich Filme eigentlich sehen will? Warum freue ich mich, nach einem anstrengenden Tag, an dem ich wieder auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten für die Projekte war, nicht abends im Kinosessel, endlich mal was Normales zu machen?

So sehr ich Berlin liebe und so sehr Berlin mein zu Hause ist, stelle ich doch fest, dass wir uns kennen, unsere Beziehung ist nicht frisch und neu, alles hat den Beigeschmack, des schon einmal gemachten und erlebten. Eben hatte ich noch diese Affäre, 6500 km weit entfernt und hier wieder nur, hat man dass Jetlag hinter sich gelassen, alte Routine. Der gleiche Blick aus dem Küchenfenster, die gleichen Auftragsprobleme, Müdigkeit.

Es ist meine Herausforderung, meine Stadt mit neuen Augen zu sehen. Warum nicht die Schuhe anziehen und mit der Kamera loszuziehen, warum nicht in die Sonderausstellung gehen, denn auch wenn die um die Ecke zu sehen ist, sie wartet nicht und warum die Vorstellung des interessanten Filmes vor mich her schieben, weil man müsste, könnte ja noch, morgen früh hab ich ja nen Termin und überhaupt? Es ist gar nicht so einfach, sich, auf das was man kennt, wieder neu einzulassen. Es ist ein bisschen Arbeit, es ist nicht immer so offensichtlich. Warum aber nicht mal wieder vom Fernsehturm auf Berlin herunter blicken, warum nicht mal wieder die Museumsinsel erkunden, warum nicht mal zum stillgelegten Vergnügungspark an der Spree gehen und warum sich nicht auch mal Stralau angucken?

Ab heute kicke ich der Routine in ihren eingefahrenen Arsch. Erkennen ist der Beginn, damit sich etwas ändern kann. Heute mache ich mal was Normales und gehe ins Kino.

Und wer weiß, vielleicht sehe ich morgen bei der Vernissage im ORi meinen Kiez mal wieder anders. Da werden Fotos von Neukölln „2x um den Block“ von den Friends of Farbfoto ausgestellt.

Liebes Berlin, lass uns wieder Funken spüren.

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