vonBlogwart 18.09.2010

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An diesem Samstag erscheint in der taz ein Text über Gigaliner. Hier weitere Informationen zum Thema.

+++ Warum nimmt der Güterverkehr ständig zu und was wird da eigentlich transportiert? +++

Güterverkehr ist eine notwendige Voraussetzung für eine arbeitsteilige Wirtschaft – er sichert die Versorgung mit vielen Produkten, die heute für uns alltäglich geworden sind und sorgt für Beschäftigung in den Branchen, die auf Güterverkehr angewiesen sind. Im Jahr 2009 haben Lkws rund 3,1 Milliarden Tonnen Güter über Deutschlands Straßen transportiert. Bei einem Ladegewicht von durchschnittlich 13 Tonnen wäre dies eine Kette von rund 240 Millionen Fahrzeugen, die aneinandergereiht etwa 60-mal um die Erde reichen würde. Der Lkw-Verkehr nimmt 86 Prozent des Güterverkehrs in Deutschland ein. Weitere 8 Prozent werden auf der Schiene transportiert, 6 Prozent auf Binnenschiffen. Befördert werden besonders häufig: Steine, Erde, Heizöl, Kraftstoffe, Eisen, Stahl. Auch der Transport von Fahrzeugen, Maschinen sowie sonstigen teilweise oder ganz fertigproduzierten Waren nimmt an Bedeutung zu.

In den zehn Jahren zwischen 1995 und 2004 stieg die Transportleistung in Deutschland um 28 Prozent. Im Jahr 2009 ging der Gütertransport im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent zurück. Grund dafür war die Wirtschaftskrise, die die Industrie überproportional stark getroffen hatte. Das Bundesverkehrsministerium spricht allerdings von „vorübergehenden Rückgängen“. Auf lange Sicht gelte: „Der Trend zu zunehmender Globalisierung und internationaler Arbeitsteilung wird sich nicht umkehren.“ Die zunehmend Globalisierung wird in einer Prognose für das Verkehrsministerium auch als Hauptgrund für den weiter rasant steigenden Verkehr gesehen. Die Deutschen kaufen also erstens mehr Produkte aus dem Ausland ein (und umgekehrt). Zweitens gibt es aber auch höhere Transportwege für die Herstellung eines einzelnen Produktes: Die Standorte für die Produktion einzelner Teile wird ins Ausland verlegt, Lagerstandorte werden zentralisiert. Dadurch steigen zwar die Transportkosten für ein Produkt – aber durch günstigere Lohnkosten in Billiglohnländern wird das Produkt unter dem Strich dennoch billiger. Laut der Prognose wird der Güterverkehr von 2005 bis 2025 um 70 Prozent zunehmen.

Quellen und weiterführende Informationen:

Statistisches Bundesamt: Güterverkehr 2009

Statistisches Bundesamt: Verkehr in Deutschland 2006

Bundesverkehrsministerium: Erster Statusbericht zum Stand der Umsetzung der Einzelmaßnahmen des Masterplans Güterverkehr und Logistik (PDF)

ITP Intraplan Consult GmbH & BVU Beratergruppe Verkehr und Umwelt: Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen 2025 (PDF)

+++ Was kosten die ganzen Straßen und wie viel bringt die Lkw-Maut? +++

Die Einnahmen aus der Lkw-Maut liegen bei bei 2,1 Milliarden Euro. Die Kosten des Lkw-Verkehrs für die Straßen kann man dagegen nicht genau abschätzen, weil die Straßen ja auch von Pkw genutzt werden. Es gibt auch viel mehr Pkw (46 Millionen im Jahr 2005) als Lkw (2,8 Millionen). Aber ein Lkw schädigt eine Straße deutlich mehr, denn die Schädigung steigt in der vierten Potenz zur Achslast. Das bedeutet: Ein 40-Tonner, der voll beladen einmal über eine Straße führt, schädigt sie genau so stark wie 60.000 leichte Pkw mit einem Gewicht 1,4 Tonnen. Der Pkw-Verkehr ist daher nur zu einem einstelligen Prozentanteil an den Schäden beteiligt.

Der Erhalt und Ausbau allein der Bundesfernstraßen (Autobahnen und Bundesstraßen) kostet jährlich 5,8 Milliarden Euro. Der Wert aller Straßen und Brücken liegt bei 478 Milliarden Euro – so viel würde es kosten, sie neu zu errichten. 690.000 Kilometer Straße führen durch die Republik – das würde 17-mal um die Erde reichen. 4,4 Prozent der Fläche in Deutschland ist mit Straßen, Wegen und Plätzen bedeckt.

Die Lkw-Maut auf der Autobahn sorgt allerdings nicht nur für erwünschte Einnahmen, sondern hat auch einen Nachteil: Um der Maut auszuweichen, hat in vielen Orten der Ausweichverkehrt über Land- und Bundesstraßen zugenommen. Um dem etwas entgegenzuwirken, werden einige dieser Straßen mautpflichtig gemacht, andere werden für den Lkw-Durchgangsverkehr gesperrt.

Quellen und weiterführende Informationen:

Bundesanstalt für Straßenwesen: Auswirkungen von neuen Fahrzeugkonzepten auf die Infrastruktur des Bundesfernstraßennetzes (PDF)

Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Verlagerungen von schwerem Lkw-Verkehr auf das nachgeordnete Straßennetz infolge der Einführung der Lkw-Maut (PDF)

VIFG Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft: Mautverwendung

Statistisches Bundesamt: Verkehr in Deutschland 2006

Foto: Allianz pro Schiene/Kraufmann
Foto: Allianz pro Schiene/Kraufmann

+++ Was bringt der Gigaliner? +++

Bei den Gigalinern (auch Eurocombi, Longliner, Europäisches Modulares System [EMS], Lang-Lkw, Ökoliner oder Monstertruck genannt), die derzeit in Deutschland in der Diskussion sind, wird ein Lkw mit Anhänger auf bis zu 25,25 Meter verlängert. Derzeit darf ein Lkw 16,5 Meter lang sein, wenn er einen Anhänger hat 18,75 Meter. In einen konventionellen Sattelzug passen 33 Paletten, in einen Gigaliner 52. Über den Daumen gepeilt kann man sagen: Zwei Gigaliner-Fahrten ersetzen drei Fahrten mit konventionellen Lkw.

Das Gesamtgewicht eines Gigaliner bleibt bei 40 Tonnen. Da das Fahrzeug selbst aber schwerer ist als ein herkömmlicher Lkw, sinkt das zuladbare Gewicht der Ladung. Gigaliner eignen sich also vor allem für Volumenladung, die besonders groß, aber nicht sehr schwer ist. Bei einem Feldversuch in Thüringen hat ein Gigaliner etwa Zwieback der Firma Brandt vom Unternehmenssitz in Ohrdruf über eine gut 100 Kilometer lange Route bis zur Niederlassung der Spedition Rigtering in Hermsdorf transportiert. Nach einer Untersuchung der Fachhochschule Erfurt sparte die Verwendung des Gigaliner 35 Prozent der Fahrten sowie 18 Prozent Dieselkraftstoff und damit auch CO2-Ausstoß.

Beim Gigaliner liegt der Anhänger auf einem so genannten Dolly, die Achse steuert also mit. Der Gigaliner schafft daher den gleichen Wendekreis, der auch für herkömmliche Lkw vorgeschrieben ist. Er soll dadurch alle bestehenden Kurven und Kreisverkehre befahren können.

Das Gewicht von bis zu 40 Tonnen verteilt sich beim Gigaliner auf acht Achsen. Im Vergleich zu einem voll beladenen herkömmlichen 40-Tonner mit fünf Achsen ist das Gewicht pro Achse und damit die Belastung für die Straße geringer.

Die flächendeckende Einführung des Gigaliner würde nach einer Prognose für das Bundesverkehrsministerium die Zahl der Lkw-Fahrten um 1,4 Prozent senken. Der CO2-Ausstoß würde um 1,1 Prozent sinken. In dieser Prognose sind auch bereits die Verlagerungen vom Bahnverkehr auf die Gigaliner enthalten: 7,7 Prozent des Gütertransports, der derzeit auf der Schiene stattfindet, würde auf die Straße verlagert.

Die Einführung der Gigaliner würde auch zu zusätzlichen Investitionen der Speditionen in neue Fahrzeuge führen. Davon würde auch die deutsche Nutzfahrzeug- und Zulieferindustrie profitieren. Andreas Scheuer (CSU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und Koordinator der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik, erwartet insbesondere auch viele Aufträge für die Zulieferindustrie in Ostbayern – dort hat Scheuer auch seinen Wahlkreis.

Quellen und weiterführende Informationen:

K+P Transport Consultants: Verkehrswirtschaftliche Auswirkungen von innovativen Nutzfahrzeugkonzepten II (PDF)

Prof. Dr. Uwe Adler, Fachhochschule Erfurt: 40t-EuroCombi – Eine mögliche Alternative im Volumentransportbereich? (PDF)

Andreas Scheuer in der Passauer Neuen Presse vom 30. Juli 2010: „Es geht um die nächste Lkw-Generation“

+++ Was sind die Risiken? +++

Der Gigaliner macht Volumentransporte billiger, damit trägt er noch zusätzlich dazu bei, dass es immer mehr solcher Transporte geben wird. Dies gilt allerdings nur bei ansonsten unveränderten Rahmenbedingungen. Eine starke Erhöhung der Lkw-Maut könnte diesem Effekt entgegenwirken. Mit einer allgemein höheren Besteuerung aller Gütertransportarten könnte man auch allgemein Güterverkehr unattraktiver machen.

Wenn mit der Einführung von Gigalinern der Güterverkehr auf der Schiene schrumpft, könnte der verbleibende Schienenverkehr so unprofitabel wird, dass die Bahn ihn ganz einstellt. Dann würde ein erheblicher Anteil des Schienengüterverkehrs auf die Straße kommen. Dieses Risiko besteht nach Ansicht der „Allianz pro Schiene“ (in der sich Umweltschutzverbände und Bahnunternehmen zusammengeschlossen haben) insbesondere für den Einzelwagenverkehr. Dabei lässt ein Unternehmen nicht einen gesamten Güterzug transportieren, sondern nur einzelne Güterwaggons, die von der Bahn mit anderen Güterwaggons zu einem Güterzug zusammengestellt werden. Laut einer bereits oben erwähnten Prognose für das Bundesverkehrsministerium würde der Einzelwagenverkehr um 12,5 Prozent sinken (der Ganzzugverkehr dagegen nur um 1,3 Prozent). Als die Prognose im Jahr 2007 veröffentlicht wurde, wies die „Allianz pro Schiene“ auf das Risiko hin, dass die Bahn den Einzelwagenverkehr wegen Unprofitabilität ganz einstellen könnte. Vom Jahr 2008 bis 2009 ist der Einzelwagenverkehr allerdings deutlich stärker geschrumpft – nicht durch die Gigaliner, sondern durch die Wirtschaftskrise um rund ein Viertel. Alexander Hedderich, Chef der Schienengüterverkehr-Sparte bei der Bahn, bezeichnet den Einzelwagenverkehr dennoch als „Rückgrat unseres Geschäfts“, das man weiter ausbauen müsse. Natürlich ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Bahn den Einzelwagenverkehr bei weiteren Umsatzeinbußen ganz einstellt oder zumindest verteuert und damit unattraktiver macht.

Die größte Sorge der „Allianz pro Schiene“ ist, dass der Gigaliner nur ein erster Schritt ist und im zweiten Schritt auch das zulässige Gesamtgewicht auf 60 Tonnen erhöht werden soll. Dies sei gefährlich für den Straßenverkehr, umweltschädlich dank noch mehr Verlagerungen von der Schiene auf die Bahn und teuer für dei Allgemeinheit wegen der notwendigen Investitionen in die Infrastruktur. Andreas Scheuer, Staatssekretär im Verkehrsministerium, behauptet dagegen, eine Erhöhung des Gewicht komme „nicht infrage“. Auch der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP heißt es: „Die Einführung des 60-Tonner-Lkw lehnen wir ab.“

Quellen und weiterführende Informationen:

Allianz pro Schiene: Allianz pro Schiene warnt vor bundesweitem Pilotversuch

Alexander Hedderich: Interview

Kampagne „No Mega Trucks“: Gefährlich, umweltschädlich, teuer – Alles spricht gegen Monstertrucks

Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP: Wachstum, Bildung, Zusammenhalt

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Feldversuch „Lang-Lkw“ nimmt Formen an

+++ Wo fahren Gigaliner? +++

Eine Reihe von Bundesländern hat in den vergangenen Jahren einen Testbetrieb von Gigalinern zugelassen. Einzelne Speditionen erhielten dazu Ausnahmegenehmigungen nach § 70 StVZO und Erlaubnisse nach § 29 StVO. Die Ausnahmegenehmigung gilt dabei jeweils für eine genau festgelegte Strecke. In Schleswig-Holstein zum Beispiel darf die dänische Spedition Andreas Andresen, die direkt hinter der Grenze im dänischen Padborg ihren Sitz hat, von der Grenzübergangsstelle Ellund über die A7 und die B433/L320 bis nach Nützen-Kampen und zurück fahren. Transportiert werden Blumen. Die Spedition Voigt darf die Strecke von der Firmenzentrale in Neumünster bis nach Stapelfeld zur Logistikzentrale der Firma Lekkerland fahren sowie nach Büdelsdorf zum Unternehmen ACO. In Thüringen wurde der oben erwähnte Feldversuch nicht verlängert, da die SPD sich dagegen aussprach. In anderen Bundesländern laufen noch Feldversuche.

Die Bundesregierung plant für das kommende Jahr einen bundesweiten Feldversuch. Somit wolle man „immense Erleichterungen für den Güterverkehr schaffen“, meint Andreas Scheuer, Staatssekretär im Verkehrsministerium. Seiner Ansicht nach soll dabei auch vorgeschrieben werden, dass nur Gigaliner mit neuesten Spurhalte-, Dämpfer- und Bremssystemen zugelassen werden. Sie sollen nicht in die Innenstädte, über enge Kreisverkehre oder Bahnübergänge fahren. Nach seinen Angaben wollen weit über 200 Firmen an dem Feldversuch teilnehmen. Grenzüberschreitenden Gigaliner-Verkehr soll es nicht geben.

Die Verkehrsministerkonferenz hatte Gigaliner im Jahr 2007 noch mehrheitlich mit 10 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Derzeit befürworten lediglich Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein den Feldversuch. Die Bundesländer Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen wollen in ihren Ländern keinen Gigaliner-Verkehr zulassen. Brandenburg, Hamburg und Hessen sind unentschlossen.

Quellen und weiterführende Informationen:

Verkehrsministerkonferenz am 9./10. Oktober 2007 in Merseburg: Beschluss Modulare Nutzfahrzeuge

Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein: Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Björn Thoroe (Die Linke)

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Feldversuch „Lang-Lkw“ nimmt Formen an

Andreas Scheuer in der Passauer Neuen Presse vom 30. Juli 2010: „Es geht um die nächste Lkw-Generation“

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