vonhöchst sensibel 08.12.2021

Infrakulturen

Texte mit der Sprache von Kulturen unter der Schallfrequenz des Kanons.

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„Der Mensch ist Mensch nur durch Sprache“, meinte einst Johann Gottfried von Herder. Sprache ist kulturelle Identität und Persönlichkeitsausdruck. Sie ist Mittel der Kommunikation und der Selbstrepräsentation. Sie ist Herrschaftsausdruck und Rebellion. Sie prägt Milieus, Regionen und  Generationen. Und kaum eine andere Generation hat Sprache bislang so sehr umgekrempelt, wie die GenY, no cap – das hat Gründe.

GenY has entered the chat

Ich kann mich noch genau an die ersten Male erinnern, als ich mich in dieses Internet eingewählt  habe. Ja, liebe Kinder, wir mussten uns früher ins Internet einwählen und dachten ganz kurz auch, das Internet wäre auf einer CD von AOL, es waren andere Zeiten, ok? Wir sind die erste  Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist und das hat neben unserem Sozial- auch unser  Sprachverhalten nachhaltig geprägt. Zunächst einmal hat es uns mehr für die englische Sprache begeistern können, als es jedes Green-Line-Buch jemals geschafft hätte. Nichts lässt dich schneller Englisch lernen, als wenn du auf Limewire nach brauchbaren Downloads für deine Songs suchst oder auf einer Spice-Girls-Fanpage herausfinden willst, wo es die Fanartikel gibt. Wir sind zudem die Generation, die dank Torrentservern und Netflix Serien und Filme bevorzugt im englischen Originalton konsumiert. So haben wir das Denglische ganz natürlich verinnerlicht, es ist unsere eigentliche Muttersprache. Neben den englischen Begriffen haben wir aber auch noch etwas anderes von der Online- in die Offlinewelt transportiert: Internetslang. lol, rofl, imho, fyi, idk – was ursprünglich in den dunklen Tiefen von Chaträumen und WoW-Foren versteckt war, hat in unserer Generation Einzug in die Alltagssprache gehalten. Überhaupt sind Abkürzungen so ein Kink der GenY, k.A. wir verschwenden einfach ungern Zeit mit langen Ausführungen, für uns muss Sprache effizient und kompakt sein. Gegen Formalien und Floskeln, die bei Boomern noch Konjunktur haben, sind wir regelrecht allergisch. Ein stetiger Kampf vor allem im Arbeitsleben.

One does not simply use Tränenlachsmileys

Und manchmal brauchen wir nicht mal Worte, um eine komplette Konversation aufrechtzuerhalten, denn dank des Internets haben wir ein weiteres Kommunikationsmittel für uns entdeckt: Memes. Memes sind so etwas wie unsere love language, wir schicken sie einfach gern an Freunde, Familienmitglieder und Partner, entwickeln daraus manchmal sogar unseren eigenen Mikro-Soziolekt. Das erste analoge Meme unserer Generation war wahrscheinlich das sagenumwobene „S“, das wir alle in unser Matheheft gekritzelt haben (kein echter Millennial wer nicht weiß, wovon ich spreche). Digital hat das Ganze dann ganz neue Dimensionen angenommen. Wenn ich folgende Begriffe sage, wird jeder Millennial wissen, was ich meine: Arson Girl, Boromir, Distracted Boyfriend, Crazy Girlfriend, Grumpy Cat. Memes sind unsere Schriftzeichen, unser Esperanto, sie funktionieren über Sprach- und Milieugrenzen hinaus. Flankiert wird diese Art der non-verbalen Kommunikation mit einem weiteren Phänomen aus der digitalen Schriftsprache, den Emojis. Früher haben wir :), : ( und :* in unsere SMS getippt, um unseren unbändigen Teeniegefühlen Ausdruck zu verleihen. Oder uns bei Skype den FUBAR-Smiley oder das Mooning-Emoticon geschickt, bis Microsoft sie aus Jugendschutzgründen verbannt hat. Interessanterweise ist mit Aufkommen der Messengerdienste insbesondere die Boomer-Generation verrückt nach Emojis und deswegen müssen wir jetzt die sieben Tränenlachsmileys von Tante Renate auf Whatsapp ertragen. Bisschen cringe, Renate.

Zwischen Humboldt und HuSo

Sprache ist für uns Millennials etwas fluides, grenz- und medienüberschreitendes, verbal wie visuell. Auch Schichtunterschiede und Milieugrenzen verschwimmen sprachlich in meiner Generation, wir schmeißen munter akademische Hochsprache mit unflätigem Straßenslang zusammen. In meiner Generation ist es geradezu schick, sich auch in der gebildeten Schicht maximal vulgär auszudrücken, teilweise gilt sogar: je höher der Status desto räudiger die Ausdrucksweise. Ich erkläre mir diese Tendenz mit unserer standhaften Weigerung, langweilige Erwachsene zu werden, vielleicht verharren wir deswegen so gern in derber Jugendsprache, es ist unsere Abgrenzungsgeste gegen GenX und Boomer. Aber die älteren Generationen nerven wir nicht nur mit Denglisch, Gossensprache und Internetslang, sondern auch mit unserer penetranten Art, Sprache inklusiver und weniger diskrimierend zu gestalten.

Kampf den -ismen

Woke ist das Stichwort: Unsere Generation hat in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, jahrzehntealte Rassismen, Sexismen und Ableismen aus der Sprache zu verbannen. Zumindest die Älteren von uns sind in Zeiten aufgewachsen, in denen das N-Wort über praktisch jeden Schulhof gerufen wurde, unsere Kindheit war noch geprägt von den sexistischen Stereotypen der 80er und 90er. Auch hier nehmen wir eine Schwellenposition ein. In den frühen 2000ern, als wir anfingen erwachsen zu werden, haben wir uns dann zunehmend Gedanken gemacht über die Sprache die wir benutzen, und die Realität die sie schafft. Und zumindest ein großer Teil von uns hat aufgehört, sexistische Begriffe, behindertenfeindliche Ausdrücke und racial slurs zu verwenden. Wir haben uns im Netz, an Universitäten, im Arbeitsumfeld dafür eingesetzt, dass Sprache geschlechtliche Vielfalt abbildet – und Friedrich Merz damit furchtbar aufgeregt. Nice. Im Fahrwasser großer gesellschaftlicher Bewegungen und Debatten wie Black Lives Matter und #metoo haben vor allem die Millennials alte Sprachmuster aufgebrochen und sprachlicher Diskriminierung den Kampf angesagt. Wir waren alt genug um es besser zu wissen und jung genug, um es noch anders zu wollen.

How do you do, fellow kids?

Millennialsprache ist offen, sie ist chaotisch, sie ist Identifikator und Kampfansage (#OkBoomer) sie verwischt Grenzen zwischen Schichten und Stilen, analoger und digitaler Welt (was in der GenZ noch viel stärker zum Ausdruck kommen wird). Dadurch dass wir die jüngste Generation in den Anfängen des Web 2.0 waren und die wichtigste Zielgruppe für facebook, Instagram, Youtube und Reddit haben wir unsere sprachlichen Muster rhizomatisch über den ganzen Globus verteilen können, das WWW war unser Duden. Ich ertappe mich seit einer Weile auch dabei, Worte wie lit, fam oder drip zu benutzen und mich dabei zu fühlen wie das Steve-Buscemi-Meme. Die GenZ hat das Neologismen-Zepter übernommen und trägt es würdig weiter, TikTok wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Vielleicht schaffen sie es auch, Sprache noch inklusiver zu gestalten. Und damit hoffentlich weiterhin alte, heterosexuelle Cis-Männer zu nerven. Das wäre wirklich gucci.

höchst sensibel ist ein Nachbarblog.

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