vonChristopher Suss 11.02.2022

Infrakulturen

Texte mit der Sprache von Kulturen unter der Schallfrequenz des Kanons.

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Kaum eine Freizeitbeschäftigung steht so sinnbildlich für eine gelebte Form des Turbokapitalismus wie das Kreuzfahren: die Verachtung der ökologischen Imperative und häppchenweiser Kolonialismus per Tagesausflug all inclusive. Das hat David Foster Wallace bereits 1996 voller Gonzo-Poesie in seinem Bericht „Shipping Out – On the (nearly lethal) comforts of a luxury cruise“ im Harpers Magazine festgehalten. Der Schriftsteller oppositionierte seinerzeit einem „vast lapis lazuli sky“ als Sprache seines Kollegen Frank Conroys und der vollständigen Überstimulation einer „Celebrity Cruises“ Luxuskreuzfahrt. Unverändert kann dieser werbliche Euphemismus bis heute für das Versprechen der großen Kreuzfahrtunternehmen stehen, eine singuläre und ultimative Erfahrung zu bieten.

Folgt man den gesellschaftlichen und politischen Lehren der Klimakrise und der Corona-Pandemie 25 Jahre nach Wallaces Bericht, scheint eine wirtschaftliche Erholung der Kreuzfahrtindustrie nach ihren letzten Einbußen nur schwer vorstellbar. Liest man einschlägige Blogs, Erfahrungsberichte und Foren, wird aber auch deutlich, dass es einen passionierten Stamm an „cruise crazy“ Kunden zu geben scheint, die nicht bereit sind, das regelmäßige und systematische Kreuzfahren aufzugeben.

Every Day is Monday

Die Kreuzfahrtökomie lebt von ihren zuletzt weltweit vor der Pandemie über 30 Millionen urlaubsreisenden Kunden.¹ Gleichsam leben aber auch zahlreiche Mitarbeiter an Land und auf See von ihr. Besonders die Arbeit der Bordcrew findet unter ungewöhnlichen Bedingungen statt: Mehrmonatige Einsätze nach internationalem Seearbeitsrecht, das eine Höchstarbeitszeit von 72 Stunden pro Woche zulässt („Every Day is Monday“), Mehrpersonenkabinen mit Hochbetten und regelmäßige Sicherheitsdrills sind die Norm. Während der spezifische Jargon der nautischen Besatzung eines Schiffs teils so weit zurückgeht wie die Anfänge der Seefahrt, hat sich unter dem „Staff“ an Bord – Crewmitglieder im Entertainment, in der Küche, in der Hotelerie – ebenfalls eine jüngere Lingo entwickelt.

Für den Kreuzfahrtgast beginnt jede Route mit dem, was die Crew einen Pax Muster Drill nennt. Eine Sicherheitsübung an Bord, bei der Jede und Jeder seine Safety Duty wahrnimmt und jeder Gast– Pax oder im eingedeutschten Plural Paxe genannt – von seiner Kabine (nie: Zimmer) an die Beiboote geführt und gezählt (mustered) wird. Die Duties der Crew reichen vom Stairway Guide, dessen Aufgabe sich darin erschöpft, den richtigen Weg im Treppenhaus (immer: runter) mitzuteilen, über die Offizierin, die einen Sammelpunkt mit hunderten zugeordneten Kabinen überwacht, und von ihrem Assistenten Sätze wie „Cabin 1194 present“ zugerufen bekommt, bis zum (fast immer: männlichen) Kapitän, der bis heute das übungsweise sinkende Schiff zuletzt zu verlassen hat.

Companykonform

Das Sicherheitsprotokoll endet am Lifeboat und läuft genau so schnell ab wie sein langsamstes Glied. Unvermeidlicherweise fällt dieser erste Drill mit den für „Paxe“ verständlicherweise aufregenden ersten Stunden an Bord und oft den ersten Stunden ihres Urlaubs zusammen. So ist es nicht verwunderlich, dass es dabei zu Verwerfungen kommen kann: Ehemalige Crewmitglieder berichten von treppenstürzenden Kreuzfahrern mit Sektflöten in beiden Händen, regelmäßigen Kreislaufkollapsen und kreativen Versuchen, sich in der Kabine versteckt vor dem Drill zu drücken.

Ab dem Auslaufen des Schiffs und der gerne mit unternehmenseigenen Cover-Versionen etwa von Enyas 80er-Jahre Hitsingle Orinoco Flow unterlegten Sail-Away-Party geht es zumeist nur noch für Crew Member straff organisiert zu, die nun ihre Duties wahrnehmen. Je nach Department bedeutet das, in Stellung möglichst gewinnbringend zu agieren (Shops, Stores, Restaurants), möglichst effektreich (Shows, Veranstaltungen, Sport) oder möglichst unsichtbar (Housekeeping). Im Zweifel alles nach der SMILE-Regel: „Smile & greet, Make the difference, Involve yourself, Lead by example, Enhance guests’ experience“. Die Fäden laufen beim General Manager zusammen, dem zahlreiche Department Manager unterstehen, dem widerum zahlreiche Offiziere unterstehen. Außerhalb der Dienstwege zu handeln, zieht disziplinarische Maßnahmen nach sich. Unabgeklärte Zusammenarbeit zwischen Departments, etwa um rechtzeitig zur Vorführung ein Bühnenbild zu reparieren oder noch einen Landgang erledigen zu können, wird deswegen als Monkey Business bezeichnet.

Auf Nachfrage in crew-internen Gruppen von großen deutschen Kreuzfahrtunternehmen in den sozialen Medien gibt es rege Zusendungen an spezieller Lingo. Einige Mitgliederinnen und Mitglieder verweisen darauf, sie würden etwas „lieber nicht posten, da hier auch mal ‚externe Augen‘ in der Gruppe“ seien, oder bitten andere, etwas „company-konform zu erklären“. Aus den Postings scheint durch, warum diese Selbstzensur nötig ist: Vieles ist Abfällig und im gebrochenen Englisch der Philippinos gehalten, die hauptsächlich im Housekeeping tätig sind. Anderes ist mit ebenso anstößigen Humor glasiert, wie wenn ein „Restaurant Heile Welt“ zum „Restaurant Dritte Welt“ umgedichtet wird.

Next way gangway

Die von den Phillippinen angeheuerten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die fast jedes dritte Crew-Mitglied weltweit ausmachen, werden anders als etwa europäischer Staff in Bar und Dollar bezahlt. Während am „Pay Day“ für die einen ein Blick auf die Banking-App reicht, stehen die anderen Schlange. Die Gehälter fallen ebenso unterschiedlich aus. Und für die 70-Stunden-Woche gibt es im Housekeeping zumeist nur rund 800 Dollar im Monat. Weil aber die wenigsten Crew-Mitglieder während ihres Vertrags auf See größere Mengen an Geld ausgeben und die Fixkosten auf ein Minimum sinken, kehren die Meisten mit einer höheren Summe an Geld nach Hause. Zumeist wird dieses auch investiert, um die darauffolgende Form der quasi-saisonalen Arbeitslosigkeit bis zum nächsten Vertrag zu kompensieren.

Crewmitglieder berichten, dass ein gewisser Alltagsrassismus gegenüber dem phillipinischen Personal, der sich auch im Sprachgebrauch äußert, immer wieder toleriert wird. Gleichzeitig gäbe es seitens der Führungskräfte eine niedrige Hemmschwelle, gegenüber vermeintlich Leistungsschwächeren deutlich zu werden: „Next way: gangway“ oder „Next port: airport“ sind Phrase zur Drohung mit Kündigung.

Vor der Corona-Pandemie waren Kreuzfahrten der Mittelklasse ein straff organisiertes und lukratives Geschäft, das nicht zuletzt auf den Schultern der nicht-nautischen Crew ruhte. Was David Foster Wallace seinerzeit in seinem Essay beobachtete – das unnachgiebige Streben nach Perfektion, der allumfassende Service-Gedanke und das trotzdem stets anhaltende SMILE der Crew – sind noch heute gültige Bilder. Ob sich ihre Sprache erhalten wird ist mit der ungewissen Zukunft des Kreuzfahrtgeschäfts an sich verknüpft.

 

¹ Statista Research Department, 2020. Demnach sank die Zahl der Passagiere auf dem weltweiten Kreuzfahrtmarkt im Folgejahr 2020 auf 5,8 Millionen.

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