Inspiration
Mit langen Beinen hüpft der Komponist aus der Haustür
und geht direkt zum Hühnerstall, der hinter einem
kleinen Baum nur wenige Meter vom Haus entfernt steht.
Auf dem untersten Ast des Baumes hockt ein Huhn.
Unmittelbar unterhalb des Astes wölbt sich ein grauer, roher
Betonhügel, den der Komponist selbst angefertigt hat.
Er dient dem Huhn zum Auf und Abstieg zu seinem Ast.
Traurig schaut das Huhn auf den heran springenden Mann.
Dieser begrüßt das Tier mit zärtlichen Worten.
„Hattest du eine gute Nacht, Goldi? Konntest du schlafen? Wie geht es
dir meine Kleine?“
Vorsichtig greift der Mann mit seinen langen und dünnen Fingern nach
dem Huhn und nimmt es wie ein Baby in seine Arme.
„Goldi, gutes Tierchen, braves Tierchen.“
Es ist das letzte lebende Huhn von fünf Hühnern, vier sind an
Altersschwäche gestorben.
Das Huhn wird vom Hausherrn mit besonderer Zuwendung bedacht.
Er trägt das Huhn in das Badezimmer, holt einen Lappen aus einem
Schrank und geht in die Küche.
Dort sitzt seine Frau im Morgenmantel und trinkt eine Tasse Tee.
Der Komponist reicht ihr wortlos den Lappen und streicht dabei zärtlich mit
einer Hand dem Huhn über die Federn des Kopfes. Dann dreht er das
Hinterteil des Tieres seiner Frau zu, so dass der kleine dunkle
Ausgang direkt zu sehen ist.
Seine Frau wischt mit dem Lappen langsam den Rand des
Löchleins und führt dann den Lappen ein wenig tiefer in das Innere des Körpers.
Bei diesem Vorgang drückt der Komponist das Huhn eng an seinen Körper.
Nach dieser Reinigung gehen Komponist und Huhn in die Küche.
Heute gibt es eine einfache Kartoffelsuppe mit kleinen Speckstückchen.
Das Frühstück wurde am Abend von der Frau des Hauses zubereitet und reicht
für beide, den Komponisten und das Huhn.
Die kleine Schüssel steht auf dem Tisch und ab und zu pickt das Tier
mit dem Schnabel in die Flüssigkeit, in die auch der
Komponist seinen Holzlöffel taucht.
„Morgen gibt es wieder Eierschaumsuppe für dich, Goldi.“
Die Blicke des Huhnes und des Komponisten begegnen sich.
Das Tier verharrt, hebt den Kopf ein wenig in die Höhe, öffnet
den Schnabel. Der Komponist beugt seinen Körper über den Tisch
und hält sein Ohr ganz nah an den Schnabel.
„Taktaktak taaak, Taktaaak, taktaktaktaaak.“
„Ja, ja, Goldi, ja, ja, taktaaak. Wunderbar.“
Mit einem Satz springt der lange und dürre Mann
auf den Hocker seines Klaviers und streicht über die
Tasten.
„Taktaktak taaak, Taktaaak, taktaktaktaaak.“ singt er.
„Ja, das wird ein Hit, Goldi, mein bestes Goldi, mein Schatz.“