Hiermit nehme ich Titelschutz für eine neue Herrschaftsform in Anspruch:
Ipsokratie ist diejenige Regierungsform einer Gesellschaft, in der jeder sich selbst beherrscht.
Sie unterscheidet sich von der Demokratie dadurch, dass sie (weitgehend) ohne das Repräsentativitätsprinzip auskommt: Das Volk wählt nicht seine Vertreter, jeder vertritt sich selbst.
Sie unterscheidet sich von der Anarchie dadurch, dass sie nicht die libertäre Freiheit von jeglicher Herrschaft anstrebt. Die Menschen sind nicht frei, sondern selbstbeherrscht – das Recht auf Selbstherrschaft und die Pflicht zur Selbstbeherrschung bilden eine Einheit.
Sie unterscheidet sich von der Autokratie dadurch, dass eine Person nicht über viele andere herrscht, sondern nur über sich selbst. Autokratie (griechisch für Alleinherrschaft) ist in der Politikwissenschaft bisher der Oberbegriff für die Regierungsformen der Monarchie und der Diktatur, allerdings ist dieser Oberbegriff reichlich missverständlich, weil er Alleinherrschaft und Selbstherrschaft synonym verwendet.
Um die Selbstherrschaft begrifflich von der Alleinherrschaft zu trennen, kombiniert die Ipsokratie das lateinische ipse (=selbst) mit dem griechischen kratein (=herrschen). Derartige griechisch-römische Begriffskombinationen sind zwar selten, aber für moderne Konzepte durchaus verwendbar – das bislang berühmteste Beispiel hierfür ist das Automobil.
Und die Ipsokratie ist in der Tat ein modernes Konzept – weil sie auf die wachsende Komplexität der Gesellschaft keine kollektivistische, sondern eine individualistische Antwort gibt. Im 19. und 20. Jahrhundert waren es die neu entstehenden Massenorganisationen wie Parteien oder Gewerkschaften, die in wachsenden Staaten und Wirtschaften, in komplexeren Systemen und neuen Widersprüchen die möglichen Antworten der Gesellschaft bündelten. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kam dieses System an seine Grenzen, insbesondere durch die Kommunikationsrevolutionen von PC, Handy, Internet und Vernetzung. Die Institutionen des 20. Jahrhunderts versuchen verzweifelt, der neuen Vielfalt Herr zu werden, während die Individuen immer häufiger feststellen, dass sie sich davon nicht mehr vertreten fühlen. Ihre Antwort darauf werden keine neuen Institutionen sein, sondern neue Technologien und neue Infrastrukturen – die es jedem einzelnen ermöglichen bzw. ermöglichen werden, sich selbst zu vertreten, für sich selbst Sorge zu tragen.
Wie das genau aussehen wird? Im Moment bin ich da auch noch überfragt. Mir geht es jetzt erst einmal darum, diesen gerade frisch auf einen neuen Begriff gebrachten Gedanken mitzuteilen; um ihn dann weiter zu entwickeln, aber auch ihn sich alleine bzw. von anderen weiter entwickeln zu lassen.
Und bevor ich es vergesse (und falls das mal wichtig werden sollte, hätte ich es dann garantiert vergessen), hier noch kurz die Geschichte, wie ich auf die Ipsokratie gekommen bin. Es war heute morgen (11.9. 2011) gegen acht Uhr, kurz nach dem Aufwachen und kurz vor dem Aufstehen, als ich durch die nächtlichen Meldungen meiner Facefreunde blätterte. Da stand bei Efthimios Tsiliopoulos, einem griechischen Radiojournalisten:
i know everyone thinks that democracy is sancrosanct. It is not this way. What si necessary is the good of the people. In the Roman/Napoleonic code of lasw. Revolution creates a novel prrecedent. What is revolution? Anything that suits us!
Ich wollte das gerade mit dem klassischen Churchill-Zitat kommentieren, wonach Demokratie natürlich die schlechteste Herrschaftsform ist, ausser allen anderen, aber dann schien mir das zu flau und selbstgerecht: Den Griechen in ihrer jetzigen Situation zu antworten, dass alles andere schlechter ist als das, was sie gerade haben, ist erstens zynisch und dürfte sie zweitens nicht davon abhalten, das, was sie gerade haben, loswerden zu wollen. Es muss also darum gehen, entweder die Demokratie zu verbessern oder eine neue Regierungsform zu finden, die besser als die Demokratie ist.
Und da war die Ipsokratie plötzlich geboren.