vonWolfgang Koch 03.12.2007

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Geboren in Köln, aufgewachsen in den einfachsten Verhältnissen in Berlin, bis zu ihrem 26. Lebenjahr auf elenden Provinzbühnen durch Deutschland tingelnd, stieg sie am Wiener Burgtheater auf zur gefeierten Tragödin. Wenn es in dieser Stadt je einen Star gegeben hat, der diesen Namen verdient, das ist es sie: Charlotte Wolter (1834-97).

Im Archiv des Theatermuseums liegen noch ganze Schachteln von Fanpost: fein säuberlich in Goldschrift verfasste Liebesgeständnisse, Papierblumen, Schattenrisse vom Haupt der Schaupielerin,… Die Wolter hat mit ihrer Leidenschaftlichkeit, ihren Gefühlsekstasen auf der Bühne, den Wiener Theaterenthusiasmus angeheizt wie keine andere Schauspielerin.

Den Durchbruch schaffte mit sie mit 30 in der Rolle der Maria Stuart. Bald wurden »Wolter-Stücke« für sie geschrieben. Durch die Heirat mit einem Industriellen zur Gräfin O’Sullivan de Gras aufgestiegen, wuchs ihr ohnehin schon enormes Selbstbewusstsein ins Unermessliche. Sie setze die Malerei Markarts besser fort, als er es gekonnt hätte, sagten die Zeitgenossen über diese Frau.

Die Wolter führte ein Showleben erster Güte, wie später dann die Opernheilige Lotto Leymann oder die Lugners in den letzten Jahren. Sommers residierte man am hofburgnahen Lobkowitzplatz, winters mit Garten in Hietzing. Und am Feriensitz in Weissenbach am Attersee pflegte die Tragödin zur Erholung ihre eigenen »Wolter-Schwäne«.

Von all dem erzählt das schöne Grabmal von Victor Tilgner. Das helle Relief ist der griechischen Antike nachempfunden. Im Vordergrund die Wolter in einem tatsächlichen Portrait. Ihr Gesicht – edel geformt wie eine Kamée – hält jedem Vergleich mit Abbildungen in den Zeitungen stand. Die Schauspielerin blickt mit Wehmut auf die vor ihr aufgerichtete efeubewachsene Herme mit dem Portrait des verstorbenen Mannes. Auch Charles Graf von O’Sullivan wird mit grosser Portraitähnlichkeit gezeigt. Er sass bei jedem Wolterabend, wie er hier zu sehen ist, auf seinem Ecksitz in der 1. Reihe.

Der linken Hand der Verstorbenen entgleitet ein Blumenstrauss. Dazu braucht nichts weiter gesagt zu werden – dieses Symbol für schwindendes Leben versteht sich von selbst. Und doch will ich eine Anekdote der Leserschaft nicht vorenthalten. Charlotte Wolter hat Blumen in ihrem Krankenzimmer mit den Worten verboten: »Geht mir mit den Blumen weg – ich werde bald Blumen genug haben«.

Der springende Punkt ist, dass sich bei Charlotte Wolter zum Showleben ein Showsterben gesellt hat. Darin war sich das Bürgertum der Jahrhundertwende noch ganz mit dem Hochadel einig. Die Todesursache lautete Marasmus, worunter eine Nierenfellentzündung in Kombination mit Wassersucht und Herzbeutelentzündung verstanden wurde.

Der Tod tritt uns bei Wolter als Ereignis, als Geschehen entgegen. Bei ihr verdeckt kein Jubel über die Traszendenz mehr das Grauen und die Schrechen des Sterbens. Die Dame lag monatelang im Siechtum, magerte ab bis zum Skelett.

Die Tageszeitungen veröffentlichten – wie heute nur noch bei einem Papsttod – Stundenprotokolle über den Todeskampf; sie berichteten, ob die Sterbende einen Schluck Eismilch, einen Bissen Kaviersemmel, Champagner oder noch einmal Austern zu sich genommen hatte. Und die Bevölkerung nahm regen Anteil an diesem Kampf. Man war bestens unterrichtet über Wolters fortwährende Angstempfindungen, wusste, dass sie geträumt hatte, an einem Karfreitag zu sterben.

Wir haben es hier mit dem Höhepunkt einer Entwicklung zu tun, die so um 1400 eingesetzt hat: nicht mehr der Tod, das Sterben rückte in den Mittelpunkt des Lebensendes. »Sterben ist so natürlich wie geboren werden«, soll Francis Bacon einmal gesagt haben. Wenn man das so kühl sehen konnte, rückte unweigerlich das Individuum an die Stelle der Jenseitserwartung. Das hiess: Man setzte sich am Markt seiner Möglichkeiten autonom und wurde am Ende im ganzen Reichtum seiner Bildung und deiner Freiheiten durch den Tod vernichtet.

Auch wenn der Vorgang als grausam anzusehen war – durchs das Ende bestätigte sich Individualität. Der Tod vernichtete nicht mehr deinen Körper oder deine Seele, er vernichtete deine Einzigartigkeit. Das Sterben, das kann man am Beispiel Charlotte Wolters gut sehen, konstituiert gerade ihre Besonderheit, macht sie als Individuum unwiderholbar.

Das öffentliche Verscheiden unter lebhafter Anteilnahme der Hinterbliebenen – das stand am Höhepunkt des historischen Wiener Totenkultes: Die Menschen richteten sich an der Einzigartigkeit ihres Verlöschens auf. Die Wolter etwa verbot, dass ihr Sterbezimmer schwarz dekoriert werde. Sie wurde im weissen und goldverzierten Kostum der Iphigenie, ihrer Lieblingsrolle, beigesetzt.

Man könnte auch sagen: Die Wolter verlosch als Person, als Rolle verlosch sie nie.

© Wolfgang Koch 2007
next: DO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/ist-der-tod-eine-wienerin/

aktuell auf taz.de

kommentare