vonPaul Wrusch 10.05.2011

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Ein taz.de-Leserkommantar zu unserem Artikel „Das dürfen die“ (http://www.taz.de/1/politik/schwerpunkt-ueberwachung/artikel/1/das-duerfen-die/) lautete:

“Ist das, was wir hier vorhaben, ethisch korrekt? Darf man für eine Recherche lügen? Aber wie sollen wir anders herausfinden, wie die Leute reagieren?” Antwort dazu? Egal. Wenn ich was raus finden will dann darf ich alles, wenn ich keine andere Möglichkeit sehe. Und ich muss jetzt was machen. Regt sich ja keiner richtig auf. Was soll der Mist? War es nun ethisch korrekt? P. WRUSCH / A. SEUBERT, ich erwarte eine Antwort.

Hier also die geforderte Antwort.

Ist das ethisch korrekt?

Wir haben uns die Frage vor, während und nach der Recherche gestellt. Unter strengen ethischen Gesichtspunkten muss sie mit „Nein“ beantwortet werden. Lügen – und das haben wir ja getan – ist nicht ethisch korrekt. Bei jeder verdeckten Recherche muss man aber erneut abwägen, ob der zu erwartende Erkenntnisgewinn die Vorgehensweise rechtfertigt. In unserem Fall sagen wir: Ja, das hat er.

Wir wollten wissen, weshalb es bei dem diesjährigen Zensus kaum Protest gibt. Ob sich in Zeiten von Facebook und Co. Die Sensibilität bezüglich der Privatssphäre geändert hat. Ob Bürger bereit sind, dem Staat auch Intimstes zu verraten. Aber auch, ob die Menschen überhaupt ausreichend vom Staat über die Volkszählung informiert wurden. Wenn das so wäre, wir hätten wohl kaum Erfolg gehabt – immerhin waren wir Samstag, zwei Tage vor dem offiziellen Start des Zensus in Berlin unterwegs. All diese Fragen hätten wir nicht anders beantworten können als eben durch den Weg, den wir gegangen sind. Insofern rechtfertigt das Ergebnis der Recherche die Vorgehensweise.

Darf man deswegen Alles?

Nein, natürlich nicht. Es ging aber nicht darum, irgendwen vorzuführen. Zu zeigen, wie leicht man auf falsche Interviewer hereinfällt. Wir haben alle unsere Protagonisten nach der Recherche darüber aufgeklärt, dass wir Journalisten sind. Wir haben sie soweit anonymisiert, dass sie nicht mehr erkennbar sind.

Wir können von uns selbst nicht behaupten, dass es uns nicht ähnlich gegangen wäre. Das kann wohl niemand.

Ein weiterer Leservorwurf lautete, wir hätten doch sicher „Freudentänze aufgeführt“, nachdem wir die Wohnungen verlassen haben. Nein, haben wir nicht. Im Gegenteil. Wir waren meist sprachlos und irritiert. Wir hätten uns ein anderes Ergebnis der Recherche gewünscht – mehr Misstrauen, einen besseren Informationsstand, mehr Sinn für Privatsspähre (auch wenn es sich natürlich nicht um eine repräsentative Stichprobe, sondern um eine kleine Zufallsauswahl aus einem Bezirk Berlins handelt).

Damit mögen nicht alle (ethischen) Zweifel an der Aktion aus dem Weg geräumt sein. Gerne können wir das hier ausführlicher diskutieren. Die überwiegend positiven Leserreaktionen haben uns jedenfalls in unserer Annahme bestärkt, dass die Recherche zulässig war.

Paul Wrusch & Annabelle Seubert

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