vonHelmut Höge 16.03.2011

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„Zur Lage der Detonation – ein Explosé“

(So hieß einst ein Punk-Text von Padeluun aus Bielefeld, in dem er sich mit der aktuellen Situation in der Bundesrepublik vor dem Mauerfall befaßte, heute träfe ein solcher Titel, der eine Empfindung ausdrückt, nur noch für andere – in weit entfernten sozialen Gruppen und Ländern zu. Und in den neoliberalen – d.h. sich atomisierenden – „nachgesellschaftlichen Projektwelten“ ist ja ein metaphorischer Meter oft schon fast unüberbrückbar!)

„Die Hysterie steht am Anfang jeder Wissenschaft,“ meint Jacques Lacan. So war es auch bei der Anti-AKW-Bewegung, die sich dann anderen Dingen zuwandte und nun quasi wiederauferstanden ist. „Wer jetzt ‚Panikmache‘ ruft, ist vielleicht bloß nicht genug informiert,“ heißt es fettgedruckt im Leitkommentar von Bernhard Pötter, Westberlin, während Georg Blume von einem Gespräch mit einem jungen Pärchen in einem Tokioter Café zu berichten weiß: „Sie machen sich nicht allzu viele Sorgen, aber vor einem fürchten sie sich ganz bestimmt nicht: vor einer öffentlichen Panik. ‚Das gibt es bei uns nicht. Wenn einer panisch reagiert, wird er von den anderen zur Ruhe gebracht,‘ ist sich das Paar sicher.“

Der taz-Schwerpunkt-Redakteur Deniz Yüzel verschickte einen Entwurf für die morgige „verboten“-Kolumne:

„Guten Tag, meine Damen und Herren!

In Japan explodieren Atomkraftwerke. In Bahrain rücken saudische Truppen ein. Im Jemen gehen Polizei und Armee härter gegen Demonstranten vor. Im Sicherheitsrat weigern sich Deutschland und andere, einer Flugverbotszone über Libyen zuzustimmen. In Libyen erobern Gaddafis Truppen eine Stadt nach der anderen zurück. Unter den Aufständischen wächst die Verzweiflung. Unter Aufständischen wächst Verzweiflung. Unter Aufständischen Verzweiflung. Aufständische. Verzweiflung. Aufständische. Verzweiflung. Aufständische. Verzweiflung. Verzweiflung. Verzweiflung. Ver.

In Japan explodieren Atomkraftwerke.“

Während die Nachrichten einem also andauernd vermitteln: alles wird schlimmer, sowohl die japanische Atom-Katastrophe als auch die arabische Revolution, beschäftigt sich der Kairo-Korrespondent Karim El-Gawhary heute im Wiener „Falter“ mit der Situation der Nachrichten-Bringer – dem von ihm bis dahin beackerten Territorium gemäß im Zusammenhang des Revolutionär-Werdens, des Kairo-Virus.

Die Brasilienkorrespondentin der portugiesischen Zeitung „Publico“ Alexandra Lucas Coelho flog am 6. Februar nach Kairo. Auf dem Tahrirplatz erklärte ihr ein 24jähriger Englischlehrer namens Ahmed: „Diese Revolution ist wie ein Körper ohne Kopf, wenn sie einen Kopf hätte, würde man ihn ihr abschlagen. Das ist der große Vorteil dieser Revolution. Niemand führt sie an.“

Sie schreibt: Überall auf der Welt fragt man sich „Und danach, was kommt dann“. „Aber auf dem Tahrirplatz steht die Geschichte still. Dies ist die Stunde, die diese Menschen nie mehr vergessen werden. Von hier aus wird alles ausgehen, der große Flügelschlag des Schmetterlings.“

Diesen „Flügelschlag“, tue ihn als allzu poetisch, romantisch oder voreilig ab, irgendwie mitzubekommen ist wichtig. Ihn riechen, mit Händen greifen können. Man muß dabei nicht mit Kant darin übereinstimmen, dass die Zuschauer für die Revolution fast wichtiger sind als die Akteure und Märtyrer – „die Teilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasmus grenzt“.

Seltsamerweise reagiert die taz als Kollektiv weniger auf diesen arabischen „Flügelschlag“ als auf die japanische AKW-Katastrophe. Sie stürzt sich geradezu darauf, während der Sturz auf den Tahrirplatz fast eine einmalige Stoßbrigaden-Aktion blieb – und anscheinend jetzt erst recht bleibt. (1)

Ich hatte mich mit einem Kollegen verabredet, den man einen Bio-Buddhisten nennen könnte, er war völlig fertig von den ganzen Nachrichten im Fernsehen. Andere verfolgen die Katastrophen-Nachrichten Tag und Nacht. Ich fühle mich unmoralisch, wenn ich nach Bildern und Neuigkeiten aus Japan giere. Eine Kollegin meinte gerade: „Als ich vorgestern beim Putzen zuhause Phoenix nur hörte,  hatte die Sprache der Berichterstattung die größte Ahnlichkeit mit Nachrichten über ein großes sportliches Ereignis.“

Der Medienforscher Friedrich Kittler äußerte sich neulich ähnlich auf einer Veranstaltung – über die Arabischen Aufstände: „Revolutionen“, so tat er sie ab, „werden heute nur noch für amerikanische Medien gemacht“. Das scheint mir eher für Katastrophen zu gelten.

Wie oft haben sie uns die Bilder vom Zusammenbruch des World-Trade-Centers gezeigt und wir haben sie uns auch jedesmal mit ambivalenten Gefühlen alle angekuckt? Und weil wir die Panik-Inszenierungen auf der Titanic – kurz vorm Untergang alle kennen (man muß diesen Scheißamifilm gar nicht gesehen haben), deswegen wundern sich nun alle Nachrichten-Bringer in Japan über die Diszipliniertheit und umsichtige Ruhe der Zigmillionen Betroffenen. Im übrigen werden die für die Katastrophe „Verantwortlichen“ von ihnen nun genauso porträtiert wie der Film die Offiziere der Titanic vorführte. Sie sind die „Köpfe der Katastrophe“, die man jetzt einer nach dem anderen abschlägt, einige der japanischen Manager werden sich danach wohl auch noch – entehrt selbst entleiben.

Es stehen in dieser Entgegensetzung auf Nachrichtenbasis zwei Weltkonzepte nicht nur aufmerksamkeitsökonomisch gegeneinander:

Das hochindustriell wohlstandsabgefederte japanische Senioren-Kollektiv und die um ihre individuelle Freiheit kämpfende arabische Jugend.

Hier jedoch erst einmal das Falter-Interview:

Falter: Herr El-Gawhary, Sie berichten schon fast 20 Jahre aus dem Nahen Osten. Ist die Arbeit als Korrespondent schwieriger geworden?

Karim El-Gawhary: Sie hat sich stark verändert. Früher begleitete die Auslandsberichterstattung einen Prozess. Man hat regelmäßig über ein Land geschrieben, das hat sich sehr gewandelt: Jetzt gehen wir Journalisten immer dorthin, wo es gerade brennt. Wir sind Feuerwehrleute geworden. Die kontinuierliche Berichterstattung ging verloren. Deswegen scheint es oft so, als würden Konflikte vom Himmel fallen. Zum Beispiel der Libanon-Krieg 2006. Wenn ich zwei Wochen vorher eine Hisbollah-Geschichte vorgeschlagen hätte, hätte man mich angegähnt. Dann bricht der Krieg aus, und man hört morgens, mittags und abends vom Libanon.

Sie dürfen also immer erst dann berichten, wenn es schon brennt?

El-Gawhary: Wir Journalisten laufen den großen Events hinterher, aber es werden keine Prozesse mehr abgebildet. Das sieht man auch an den Zeitungen: Das Ausland bekommt immer weniger Seiten, es rückt immer weiter nach hinten im Blatt. Und jetzt gibt es sogar die Diskussion, ob der Auslandskorrespondent nicht gar ein Auslaufmodell ist.

Sind Sie ein Auslaufmodell?

El-Gawhary: Das ist die Ironie der Geschichte: Die amerikanischen Medien haben letztes Jahr ganz viele Büros im Nahen Osten geschlossen. Jetzt beißen sich die in den Hintern. Unabhängig davon führen wir aber diese Diskussion: Wofür brauchen wir noch Auslandskorrespondenten? Reichen nicht auch ein paar YouTube-Videos und ein paar Berichte von Leuten vor Ort? Erschwerend kommt hinzu, dass es in der Berichterstattung einen Einheitsbrei gibt. Jeder schreibt von jedem ab oder verwendet die Agentur. Dann schauen alle Artikel gleich aus – egal, welche Zeitung Sie lesen. Das Problem ist nur, dass die Zeit für eigene Recherchen fehlt. Fernsehen zum Beispiel ist der absolute Wahnsinn der Echtzeit-Berichterstattung.

Wie meinen Sie das?

El-Gawhary: Im Fernsehen ist es wichtiger, dass ich zehn Minuten nach einem Ereignis vor der Kamera stehe, als dass ich die Zeit habe, rauszugehen und mir die Situation anzusehen. Fernsehen suggeriert dieses Vor-Ort-Sein. Man hat immer das Gefühl, die Person vor Ort muss alles wissen. Ich erinnere mich an eine absurde Situation: Ich stehe im Norden von Bagdad im Supermarkt und kaufe gerade mein Abendessen. Da ruft die deutsche Radiostation an und sagt: „Gerade eben ist im Süden von Bagdad eine Bombe explodiert. Wie ist die Atmosphäre? Wir gehen gleich auf Sendung.“ Und ich stehe im Supermarkt und denke mir: Bitte, was ist jetzt los?

Schadet diese Echtzeit dem Journalismus?

El-Gawhary: Ja. Der Journalismus brauchte wieder mehr Tiefe, mehr Hintergrund, nicht dieses Schnell-schnell nach dem Motto: „Erklär mir den Nahen Osten in 45 Sekunden.“ Ich glaube, Leuten ist das gar nicht so wichtig, wichtiger wäre ihnen, dass sie Hintergründe erfahren und das Geschehen einordnen können.

Gibt es Geschichten, die in dieser Hast untergehen?

El-Gawhary: Etliche Geschichten gehen unter. Zum Beispiel wollte ich vor der Revolution über die Beduinen in Nord-Sinai berichten. In dieser Region funktionieren die alten Stammesstrukturen nicht mehr, gleichzeitig existiert kein Staat. Daraufhin haben sich militante islamistische Kader gebildet. Man wusste, das wird irgendwann ein riesiges Problem, aber im Moment ist es noch kein Thema, und es wird nicht vorausschauend berichtet. Man versucht nicht einmal, vorausschauend zu berichten.

Sie selbst leben in Kairo. In den letzten Wochen hat man Ihnen angemerkt, wie Sie mitfieberten. Als Mubarak zurücktrat, sah man Ihnen die Freude regelrecht an. Darf man sich als Journalist mitfreuen?

El-Gawhary: Es gibt diese Vorstellung, dass Journalismus immer objektiv sein muss. Demnach hätte ich bei der ägyptischen Revolution einen gehörigen Abstand halten und sagen müssen: Das Regime behauptet dieses, die Revolutionäre behaupten jenes. Aber in manchen Situationen funktioniert das nicht. Beim Umsturz in Osteuropa haben die Medien auch nicht total objektiv berichtet.

Sie meinen: Als die Mauer fiel, haben die westdeutschen Medien gejubelt und nicht extra noch den Standpunkt der DDR eingeholt.

El-Gawhary: Ja, es gibt Situationen, wo der objektive Journalismus hinfällig wird. Man muss nur aufpassen, dass man trotzdem den kritischen Blick bewahrt. Ich kann nicht sagen: Die Revolution ist toll, und alles, was danach kommt, ist auch toll. Jetzt ist diese Revolution vorbei und die gesellschaftlichen Widersprüche kommen wieder zum Vorschein. In den letzten Tagen hatten wir Probleme zwischen Kopten und Muslimen, das muss ich mir natürlich genau ansehen. Sonst wäre ich ja kein Journalist. Eines möchte ich aber anmerken. Es ist sicher ein Vorteil, wenn man halb ägyptisch, halb deutsch ist wie ich. Ich kann mich in beide Seiten einfühlen, habe aber vor beidem einen gewissen Abstand.

Fühlen Sie sich in keiner Kultur richtig zu Hause?

El-Gawhary: Nein, ich habe kein richtiges Zuhause. In Deutschland mache ich inzwischen ethnologische Studien am Bahnsteig. Die Leute beschweren sich, dass sich der Zug um fünf Minuten verspätet, und ich denke mir: In diesem komischen Land habe ich 25 Jahre lang gelebt. Gleichzeitig machen die Ägypter Dinge, die mich verwundern. Als Journalist finde ich das aber gar nicht schlecht. Mir geht es in meiner Arbeit eher darum, jenen eine Stimme zu geben, die keine haben. Oft will ich gar nicht über Kriege oder Krisen berichten, sondern über Menschen und Familien, die diese Kriege durchleben und managen.

Haben Sie da ein Beispiel?

El-Gawhary: Zuletzt hat mich eine Geschichte aus Libyen beeindruckt. Sie handelte von einem Mann, der 48 Jahre alt war – so alt wie ich. Er hatte ein gutes Leben, war bei einer Ölfirma angestellt, hatte zwei Töchter, die eine gute Ausbildung genossen. Allerdings lebte er in der Nähe einer Kaserne in Bengasi: Tagelang versuchten Jugendliche die Kaserne zu stürmen und wurden von den Gaddafi-Leuten abgeschossen. Eines Tages hat er die Verletzten abtransportiert und kam mit blutigen Händen heim. Seine Familie hatte keine Ahnung, welche Konsequenz er daraus zog. Er packte sein Auto voll mit Kochgasflaschen, kaufte Dynamit und fuhr mit dem Auto in das Tor der Kaserne. Er hat sich in die Luft gesprengt, damit das Ganze aufhört. Damit die Jugendlichen die Kaserne stürmen können. Dieser Mann war eben kein Fanatiker, er war ein ganz normaler Familienvater, ein Mensch wie du und ich. Nur irgendwann hat er diese Situation nicht mehr ausgehalten und die Konsequenz gezogen. Wenn man das rüberbringt, wenn die Leute verstehen, warum jemand so etwas macht, dann ist es eine gute Geschichte.

Sie haben auch ein Buch mit dem Titel „Alltag auf Arabisch“ geschrieben. Sehen Sie sich als kultureller Vermittler?

El-Gawhary: Ja, ich verstehe mich nicht nur als Journalist, sondern auch als kultureller Übersetzer. Ich meine damit die Übersetzung, wer warum wie handelt, inwiefern die Menschen in Ägypten und Österreich dieselben Hoffnungen und Träume haben. Auch die Ägypter wünschen sich eine gute Ausbildung für ihre Kinder und ein sicheres Leben. Mir geht es darum, nicht nur die Exotik, sondern auch die Ähnlichkeit zu vermitteln.

Wie ist es bei Ihnen selbst: Sie haben Islamwissenschaften studiert, sind Sie gläubiger Moslem?

El-Gawhary: Über meine Religionszugehörigkeit will ich mich nicht äußern. Ich möchte nicht in irgendwelche Schubladen gesteckt werden. Wenn ich sage, ich bin gläubiger Muslim, heißt es: Aha! Und wenn ich sage, ich bin total unreligiös, heißt es: Wieso? Das spielt in meiner Arbeit auch keine Rolle.

Aber es wäre schon interessant, über Ihr Weltbild etwas zu erfahren.

El-Gawhary: Wenn man klug ist, erkennt man das an meinen Geschichten. Ich betrachte mich als sehr weltoffenen Menschen, aber ich weigere mich, in eine Schublade gesteckt zu werden. Manchmal rufen Talkshows an und sagen: Wir suchen einen Araber für unsere Show. Diese Rolle will ich nicht spielen, ich will nicht der Alibi-Araber oder Alibi-Muslim oder Alibi-Christ sein.

Über Ihr Privatleben ist zumindest bekannt, dass Ihre Frau amerikanische Staatsbürgerin ist und Sie drei Kinder haben. Wie international ist Ihre Familie?

El-Gawhary: Sehr international. Meine Kinder wachsen dreisprachig auf und haben mehr als einen Pass. Ich habe meine Vereinten Nationen zu Hause. Das beantwortet auch Ihre Frage von zuvor.

Sie selbst wuchsen in Deutschland auf. Wie sind Sie denn Korrespondent in Kairo geworden?

El-Gawhary: Meine Arbeit hat gleich mit einem Krieg angefangen, mit dem Golfkrieg 1991. Eigentlich wollte ich in Kairo meine Diplomarbeit über islamisches Bankenwesen schreiben. Dann brach der Golfkrieg aus, und weder meine Gesprächspartner noch ich haben sich für islamisches Bankenwesen interessiert. Alles drehte sich um den Krieg im Irak. Dann habe ich bei der taz angerufen und gefragt: „Braucht ihr nicht jemanden, der ab und zu etwas schreibt?“ So fing ich an, Artikel zu liefern. Ich hatte natürlich von nichts eine Ahnung, bin losgezogen für 39 Pfennig die Zeile.

Jetzt hat der Standard geschrieben: „Die Tage des Aufstands in Ägypten sind auch die Tage des Karim El-Gawhary.“ Sind die letzten Wochen der Höhepunkt Ihrer bisherigen Karriere?

El-Gawhary: Ja, ich habe fast das Gefühl, ich habe die letzten 20 Jahre auf diesen Moment hingearbeitet. Mein Wissen und meine Erfahrung sind in diesem Punkt kulminiert. Ich könnte auch nicht die gleiche Arbeit leisten, wenn ich erst zwei oder drei Jahre hier wäre. Jetzt ist natürlich der Höhepunkt meiner Karriere.

Auf Facebook sieht man auch, dass Ihnen täglich dutzende Menschen gratulieren. Wie viele Rückmeldungen bekommen Sie eigentlich?

El-Gawhary: Ich bekomme E-Mails, Facebook-Postings, Meldungen auf Twitter. Darunter viel Lob, aber auch Kritik. Das Lob ist ein bisschen das Benzin, das mich antreibt. Die Kritik andererseits ist auch eine Hilfe, niemand macht immer alles richtig. Ich glaube, langfristig muss man als Journalist die neuen Medien nutzen und sich darin einen Markennamen machen. Nicht als ORF-Korrespondent oder als taz-Korrespondent, sondern als Person: Karim El-Gawhary steht für eine bestimmte Art von Journalismus. Langfristig werden die Medien unwichtiger, sie sind nur der Mittler zwischen demjenigen, der Inhalte produziert, und dem Konsumenten dieser Inhalte.

Könnte so die Zukunft für die Korrespondenten ausschauen, dass sie stärker zur Marke werden und sich so ihre Existenz sichern?

El-Gawhary: Existenzsicherung ist im Moment eine schwieriges Thema. Dieser Hype um die arabische Welt kommt in einer Zeit der absoluten Sparmaßnahmen. Im letzten Jahr wurde massiv eingespart, ich selbst habe eine Zeitungspauschale verloren, und eine weitere ist mir radikal um zwei Drittel zusammengekürzt worden.

Welche Zeitungen waren das?

El-Gawhary: Der eine Fall ist bekannt. Die taz hat meine Pauschale um zwei Drittel gekürzt. Ich weiß nicht, wie die Situation für Korrespondenten langfristig weitergeht. Aber irgendwann werden die Einsparungen sicher fortgesetzt. Nur womöglich verschieben sich gerade die regionalen Gewichte: Jetzt werden wieder mehr Büros in der arabischen Welt aufgemacht, dafür werden sie anderswo geschlossen. Der ORF hat vor acht oder neun Jahren sein Büro in Kairo eröffnet, im Nachhinein hat sich das als guter Schachzug erwiesen.

Was ist denn Ihre Hoffnung für den arabischen Raum?

El-Gawhary: Dass wir hier wirklich demokratische Systeme bekommen und die Herrschenden rechenschaftspflichtig werden. Schauen Sie sich Tunesien und Ägypten an: Die Tunesier haben ihre Geheimpolizei abgeschafft, die Ägypter greifen gerade die Büros der Staatssicherheit an. Die Menschen gehen gegen die arabische Stasi vor und sagen: „Wie wollen diese allmächtigen Sicherheitsapparate nicht mehr.“ Das ist eine gute Entwicklung, aber nur weil Mubarak weg ist, bricht hier nicht morgen das Paradies aus.

Haben Sie in den letzten Wochen Ihre schusssichere Weste tragen müssen?

El-Gawhary: In Libyen hatte ich sie dabei, ich habe sie aber nicht getragen. Ich hatte sie schon oft an, im Libanon-Krieg, im Gaza-Krieg oder im Irak. Aber ich bin überhaupt nicht gern Kriegsreporter, ich mag diesen Wanderzirkus nicht. Lieber berichte ich von den Geschichten, die in Bengasi auf der Straße liegen, als dass ich noch einmal 100 Kilometer weiter zur Front fahre, wo ich nur sagen kann: Dieses oder jenes ist gerade bombardiert worden.

Trotzdem wird Ihr Job manchmal gefährlich sein.

El-Gawhary: Natürlich gibt’s haarige Situationen. Als ich in Tunesien ankam, dachte ich mir: Alles wunderbar. Wir fuhren in die Nähe des Hotels, luden den Kofferraum aus, der Kameramann, Tontechniker und ich nahmen unsere Taschen. Plötzlich fängt eine Mordsschießerei an. Eine Viertelstunde lagen wir mit dem Gepäck über dem Kopf hinter einem Auto, und ich habe mir gedacht: Was mache ich hier eigentlich? Ich bin generell kein Draufgänger, sondern eher vorsichtig. Ich bin auch für andere verantwortlich. Am schlimmsten wäre es, wenn meinem Kameramann etwas passiert – und ich bin derjenige, der ihn dorthin geschickt hat.

Erleben Sie manchmal auch den Horror des Krieges?

El-Gawhary: Es gibt Situationen, da wird dir richtig schlecht. Ich war letzte Woche in einem Munitionsdepot in Libyen. Es wurde in der Nacht bombardiert, die Aufständischen verloren irrsinnig viele Waffen, und es gab mindestens 20 tote Jugendliche. Wir kommen in dieses Camp rein, ich stehe mitten in den Trümmern, und ein Typ kommt auf mich zugelaufen mit einem Hirn in der Hand. Er hält ein menschliches Gehirn in die Kamera und sagt: „Das müsst ihr filmen! Ihr müsst zeigen, was uns hier passiert ist.“ Dieses Bild habe ich jetzt in meinem Kopf drin, aber das kann man in Österreich niemals senden. Es gibt auch Grenzen bezüglich dessen, was man den Leuten zeigen kann.

Möchten Sie das Ihr ganzes Leben machen?

El-Gawhary: Hirne anschauen?

Nein, Korrespondent sein.

El-Gawhary: Wenn es so weitergeht, wenn der Job so spannend bleibt: ja, bis zur Rente, gar kein Problem. In der aktuellen Situation gibt es keinen besseren Job als den, den ich habe. Man hat das Gefühl, man ist dort, wo gerade Geschichte geschrieben wird. Für einen Journalisten gibt es nichts Schöneres.

Der Spiegel-online-Kolumnist Sascha Lobo, Miterfinder der „Digitalen Bohème“, schreibt heute als professioneller Medienkonsument – der aktuellen Katastrophen-Nachrichten aus Japan in diesem Fall:

„Sonntagmittag war mein Mitgefühl nahezu aufgebraucht. Ab diesem Zeitpunkt musste ich mir Mühe geben, die aberwitzige Verkettung von Katastrophen in Japan so schlimm zu finden, wie sie zweifellos sind. Krasser noch, ich musste eine sehr unangenehme, innere Stimme unterdrücken, die ich an dieser Stelle aus Gründen der Selbstdistanzierung Benzini nennen möchte, meinen inneren Brandstifter.

Benzini forderte, nicht so herumzueiern und doch bitte endlich mindestens eine von diesen verdammten Kernschmelzen zu Ende zu bringen. Und 200.000 Evakuierte, gerade mal drei Olympiastadien voll, das war doch gestern schon, wo bleibt denn da die Steigerung? Natürlich wollte ich mir die Existenz von Benzini erst nicht eingestehen und habe mich, als er sich nicht mehr leugnen ließ, vor mir selbst geschämt.Ich empfinde mich als empathischen Menschen. Das Leid anderer berührt mich, ich hege keinerlei Hass gegenüber Japanern. Was war passiert, woher kam Benzini? Etwa 48 Stunden nach Beginn des gesamtmedialen Ausnahmezustands, irgendwann zwischen dem 250. YouTube-Video fortgeschwemmter Häuser und der zehnten Vielleicht-Kernschmelze samt Dementi war mein absolutes Verstörungsmaximum erreicht. Noch schlimmer – das ging nicht.“ (…)

Benzini ist in mir entstanden, weil das verwerfliche Herbeisehnen der verdammten Kernschmelze eigentlich ein Herbeisehnen von Klarheit ist. Insofern hat sich zumindest für mich – abseits von Medientheorien – gezeigt, dass Benzini, also die zynische, egozentrische Sicht auf die Welt, nicht durch zu viel Information zustande kommt, sondern durch zu wenig.

Eine merkwürdige Meldung aus Japan:

Die Wasserwerfer, die von der japanischen Polizei angeschafft wurden, um u.a. mögliche Anti-AKW-Demonstranten von den Kernkraftwerken fern zu halten, werden nun in einem verzweifelten Anlauf gegen die explodierenden Brennblöcke eingesetzt.


Der Spiegel meldet heute in seinem Liveticker „Arabische Revolution“:

„Im Jemen flammten die heftigen Proteste wieder auf. Mindestens 120 Menschen wurden verletzt, als Polizei und Regierungsanhänger mit Tränengas, Gummigeschossen und Dolchen gewaltsam versuchten, eine regimekritische Demonstration aufzulösen.

In Bahrain räumten Sicherheitskräfte den von Dem,onstranten besetzten Perlenplatz im Zentrum der Hauptstadt Manama. Dabei sollen vier Menschen ums Leben gekommen sein. Demonstranten sagten, zwei Zivilisten seien getötet worden. Das Staatsfernsehen berichtete zudem, zwei Polizisten seien ums Leben gekommen, nachdem sie von einem Fahrzeug angefahren worden seien.

Polizisten und Militäreinheiten rückten kurz nach Tagesanbruch mit Tränengas auf den von Hunderten Demonstranten besetzten Perlenplatz vor. Es waren auch Schüsse zu hören, schwarzer Rauch stieg auf. Hubschrauber kreisten über dem Geschehen. Unklar war, ob an dem Einsatz Soldaten aus anderen Golfstaaten beteiligt waren, die zur Unterstützung der sunnitischen Monarchie nach Bahrain entsandt worden waren. Unter der Führung Saudi-Arabiens waren auf Bitten der Regierung rund tausend Soldaten nach Bahrain entsandt worden.“

Über die Situation in Libyen meldet der Spiegel-Korrespondent:

„Gaddafi-Truppen und libysche Rebellen liefern sich anhaltend erbitterte Kämpfe – und beide Seiten reklamieren Teilsiege für sich. Auf den Websites der Aufständischen hieß es, eine Einheit der Regierungstruppen habe sich in der Stadt Tobruk den Rebellen ergeben. Die Soldaten hätten den Befehl gehabt, die libysch-ägyptische Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen. Die westliche Stadt Misurata werde zwar inzwischen von drei Seiten mit Panzern und Artillerie beschossen. Den Truppen von Staatschef Muammar al-Gaddafi sei es aber bislang nicht gelungen, in die Stadt einzudringen.

Misurata ist die letzte von den Aufständischen gehaltene Stadt in der westlichen Hälfte Libyens. Nach Berichten wurde die Stadt am Mittag massiv bombardiert. Mindestens fünf Menschen seien getötet worden, hieß es aus dem örtlichen Krankenhaus. Gaddafi-Truppen würden die Stadt Stück für Stück umschließen. Auch die Stadt Adschdabija im Osten wurden pausenlos beschossen, um die Rebellen von dort zu vertreiben. Mit der Eroberung der Stadt wäre der Weg für Gaddafis Truppen frei in den von den Rebellen beherrschten Osten des Landes.Gaddafis Sohn Saif al-Islam ehauptete in einem Interview mit dem TV-Sender Euronews, die Regierungstruppen stünden kurz davor, das gesamte Land wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, der Sturm auf die Stadt Bengasi stehe bald bevor: „In 48 Stunden ist alles vorüber“, drohte al-Islam. Den Regimegegnern, die er „Verräter“ nannte, riet er, mit ihren Familien nach Ägypten auszuwandern: „Wir wollen niemanden töten, wir wollen keine Rache, sie sollen gehen.“

In der vom Spiegel aufgefangenen libyschen Twitter-Diskussion heißt es soeben:

„This is an all Libyan revolution, not a war to be won or lost. Gaddafi will never have a peaceful day till he goes out/dies. #libya #feb17″

Anmerkungen:

(1) Zur Erinnerung: Einen Monat nach der so genannten Tet-Offensive der südvietnamesischen Befreiungsbewegung fand in Westberlin im Februar 1968 der “internationale Vietnamkongreß” statt. Dabei wurde insbesondere eine Parole des vier Monate zuvor ermordeten Partisanenführers Ché Guevara diskutiert: “Schafft zwei, drei, viele Vietnam!”. Die laut Oskar Negt bloß “abstrakte Gegenwart der Dritten Welt in den Metropolen” geriet in einigen Redebeiträgen zu einer immer größeren Annäherung zwischen Saigon und Berlin: indem die Straßenkämpfe hier immer militanter wurden, indem man statt Geld für Medikamente nun “Waffen für Vietnam” sammelte und indem sich mit den Worten von Rudi Dutschke bei den Aktivisten langsam das Gefühl verdichtete: “In Vietnam werden auch wir tagtäglich zerschlagen, und das ist nicht ein Bild und ist keine Phrase.“

In den Jahren davor litt man hier geradezu an der allzu “abstrakten Gegenwart” des vietnamesischen Widerstands: 1968 veröffentlichte der Psychiater Erich Wulff  das Buch “Vietnamesische Lehrjahre”, in dem er über seine Arbeit als Arzt in Hué von 1964 bis 1967 berichtete. Zwischendurch mußte er nach Deutschland zurück kehren und wieder in einer Freiburger Ambulanz arbeiten, wo ihn die Beschäftigung mit den psychischen Leiden der Mittelschicht jedoch bald anödete: “In Vietnam hatte ich Krankheit als gewaltsamen Einbruch ins Studium, ins Arbeits- und Privatleben kennengelernt; der Arzt reparierte sie, wenn er konnte…Die Lebensumstände, in die der Entlassene zurückkehrte, waren oft empörend; aber der Arzt konnte dennoch das Gefühl haben, etwas geschafft zu haben, etwas Wirkliches; auch hatte die Überlegung Sinn, wie die Verhältnisse, die ständig Krankheit verursachten, sich ändern ließen. Die Änderung war nicht bloß denkbar, sondern es wurde im Land um sie gekämpft. Ein vielfältiger Prozeß der Veränderung nahm einen auf, bot Möglichkeiten des Eingreifens. Auch in persönlichen Freundschaften war solche Wirklichkeit greifbar: was mich mit Tuan, Mien u.a. verbunden hatte, beruhte vorrangig auf gemeinsame Stellungnahme zu den Ereignissen, war in seinem Kern Politik, Engagement für die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Unsere Freundschaften waren niemals in der Fadheit des bloß Privaten eingeschlossen. Sie waren sozusagen in einem pathetischen Sinne republikanisch. In Vietnam hatte mich gesellschaftliche Wirklichkeit bis in die sogenannte Intimsphäre hinein betroffen und herausgefordert.”

Der kroatische Philosoph Boris Buden schreibt über solche revolutionären Situationen – in seinem Buch „Zone des Übergangs“, das vom „Ende des Postkommunismus“ handelt:

“Es geht darin um die Politisierung in einer gleichsam transzendentalen Dimension des gesellschaftlichen Lebens, die nicht so sehr den Menschen als gesellschaftliches Wesen, sondern die ‘Gesellschaftlichkeit seines Wesens’ betrifft. Die Politisierung von allem Bestehenden bedeutet einfach, dass das Bestehende als solches zur politischen Frage wird.”

Die letzten Meldungen  von AFP legen nahe, dass alles getan wird, damit genau das nicht lange so bleibt:

„US-Außenministerin Hillary Clinton hat Ägypten zu einer Fortsetzung der demokratischen Reformen aufgerufen. Die Menschen in Ägypten  hätten alle Barrieren niedergerissen, um ihren Traum von Demokratie zu erfüllen, Washington werde sie auf diesem Weg begleiten, sagte Clinton am Dienstag bei ihrem ersten Besuch in Kairo seit dem Sturz des langjährigen Staatschefs Mubarak Mitte Februar. Ein demokratisches Ägypten spiele eine strategisch wichtige Rolle für die USA, sagte Clinton nach Gesprächen mit ihrem Kollegen Nabil el Arabi. Dieser bezeichnete die Äußerungen der US-Außenministerin als „ermutigend“.“

„Angesichts der zunehmend angespannten Lage in Bahrain hat US-Außenministerin Hillary Clinton ausgerechnet Saudi-Arabien aufgerufen, einen friedlichen Reformprozess in dem Golfstaat zu unterstützen. Auch die Regierung in Riad müsse sich für einen Dialog zwischen der Regierung und der Protestbewegung in Bahrain einsetzen, erklärte Clinton am Dienstag nach einem Gespräch mit dem saudischen Außenminister Prinz Saud al Faisal.

Nach wochenlangen Demonstrationen hat der Herrscher von Bahrain am Dienstag einen dreimonatigen Notstand ausgerufen. Die Streitkräfte seien ermächtigt worden, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Proteste zu beenden, hieß es in einer Erklärung des Königspalasts. Am Montag waren auf Bitten der Regierung rund 1.000 Soldaten unter der Führung Saudi-Arabiens nach Bahrain entsandt worden.“

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