Istanbul hat just an dem Tag, an dem Obama es erstmals besuchte, mit gutem Wetter gegeizt. Bewölkt sind wir, obwohl der Frühling schon längst eingezogen ist und alle Blumen und Obstbäume blühen läßt.
Natürlich Verkehrschaos: Die ganze Innenstadt seit gestern abend schon gesperrt, weil er im Conrad-Hotel in Besiktas residierte. An dem Abendessen des „Zivilisationstreffens“, das inzwischen eine UN-Einrichtung ist, nahm er nicht teil. Da saß also der olle Rasmussen mit seinem angebundenem Arm: Er war früh morgens in seinem Luxuszimmer des Ciragan Kempinski gestürzt! Oder: Belki de carpilmisti! Ein böser Blick für die Unterstützung der dummen Muhammed-Karikaturen?!
Die gute Nachricht: Ich glaube, Obama hält nichts mehr davon, weiter auf der Religionsschiene zu fahren. Ganz im Gegenteil, auch wenn er heute morgen die religiösen Gemeindevertreter und den griechisch-orthodoxen Patriarchen sogar in einem Vieraugengespräch traf – die Zeiten, in denen der Religionsdiskurs den öffentlichen beherrschte, in denen wir viel mehr als nötig über Christen, Muslime, Juden, diese und jede Religionsgruppen redeten, scheinen zumindest in Obamas Konzept, vorbei zu sein. Das hat natürlich mit der Krise zu tun, aber auch damit, daß Obama ein anderes Verständnis von der Zukunft der Welt hat. Und daß er wohl sieht, daß die Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen, gemeinsame Sorgen, Pläne, Wünsche, viel schwerer wiegen als künstlich herbeigeredete (religiöse oder ethnische) Unterschiede. Obama kennt viele Welten, auch wenn er sozusagen Präsident der Ersten Welt geworden ist. Er weiß bescheid. Er versteht.
Obamas Vision, und er hat offenbar wirklich eine, auch wenn er wird sie nie verwirklichen können – immerhin – ,scheint mir die von einer Welt zu sein, die in die Zukunft schaut und die in einer möglichst demokratischen, sozialen Weise vereint ist. Wo zwar jeder seinem Glauben und seiner spezifischen „Kultur“ anhängen kann, aber wo die Unterschiede in den Hintergrund und die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund treten. Wo die Veränderung, das Bewußtsein um auch die Veränderung der „Kultur“ oder „Religion“ nicht negiert werden. In diesem Sinne: „Change“ bedeutet auch die Verneinung aller vermeintlich statischen, unveränderlichen Eigenschaften. Wenn Bush einen Sumpf uns als Politik verkaufen wollte, kommt Obama mit einem zumindest vorerst sauberen Fluß.
Das verschafft im besten Fall einen Diskurswechsel, der auch der Linken zugute kommen wird. Denn der durch „Kultur“ und „Religion“ geprägte Diskurs der letzten 20 Jahre schaffte ein Klima, in dem die Linke kaum noch Luft bekommen hat.
Das unehrliche Spiel seines Vorgängers, der den „moderaten Islam“ pries, weil dieser so US- und kapitalismuskonform daherkam, will Obama meiner Ansicht nach nicht weiterführen. Natürlich: Religiöse Freiheiten. Er nimmt aber seine Mitspieler ernster. Auch heute, im Gespräch mit jungen Studenten zeigte er sich ziemlich offen und hörte sich jede Frage respektvoll an und versuchte eine ehrliche Antwort zu geben. „Dialog“ scheint für ihn wirklich dieselbe Augenhöhe vorauszusetzen – was es heißt, mehrere Stufen niedriger zu stehen und auf sich herabgeblickt zu werden, weiß Obama und gerade dies betonte er mehrmals: „Auch ich wurde nicht in Wohlstand und Ruhm geboren“, sagte er. Der Optimismus war verhalten und das hat seine Gründe. Dennoch, weckt Obama den Eindruck, als ob er menschlich versteht, was Andere plagen.
Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Diese drei Eigenschaften machen Obamas Charme aus. Er verneigt sich beim Händeschütteln vor dem altehrwürdigen Ahmet Türk, dem Vorsitzenden der Kurdenpartei DTP und sagt ihm dann hinter verschlossenen Türen: Mit Waffen ist Euer Kampf nicht zu gewinnen. Er schreibt (übrigens linkshändig wie ich auch) in das Atatürk-Buch im Mausoleum, daß es ihn ehrt, hier zu sein. Wenn er in der Hagia Sophie vom Museumsführer erfährt, daß auf den später hinzugefügten Medaillons auch der Name Hussein, des Enkelsohnes des Propheten steht, lächelt er. Geduldig und interessiert läßt er sich in der Sultanahmet Moschee führen. Am Eingang zieht er unaufgefordert und völlig selbstverständlich seine Schuhe aus, ohne dabei dumme Witze zu machen. Er ist ernst und locker, intelligent und spielerisch zugleich.
Seine „interkulturelle Kompetenz“ gibt Obama einen Riesenvorsprung vor vielen „monokulturellen“ Politikern und Zeitgenossen, mit denen wir uns täglich herumschlagen müssen. Obama verkörpert schlechthin die Zukunft – egal, welche Politik er macht, ob er seine Friedensversprechen einlösen wird und wieviel am Ende seiner Regierungszeit von den schönen Träumen übrig bleibt. Obama ist jemand, der in die Zukunft weist, einfach, weil er so ist, wie er ist.
Nach den vielfach lavierenden, etwas verkrampft lächelnden, sich so oft wie Elefanten im Porzellanladen benehmenden europäischen Besuchen ist Obama zweifellos eine Wohltat. Old Europe: Lerne daraus. Zu deinem Vorteil. You too have to change. Finally.
Tja. Man wird es gemerkt haben: Istanbul hat Obama ins Herz geschlossen.