vondorothea hahn 18.10.2010

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Es passiert nicht alle Tage, dass ein Politiker in einem blaßrosafarbenen Hemd vor ein Mikrofon tritt, über ein intimes Geheimnis spricht und mit den Tränen kämpft. Erst recht nicht in einer Garnisonsstadt in Texas: Der Heimat der Cowboys und anderer „starker Männer“.

Joel Burns hat es geschafft. Bei der Ratssitzung vom 12.  Oktober hielt er eine dreizehnminütige Rede, die ganz offensichtlich einen Nerv getroffen hat. Schon in den ersten fünf Tagen danach ist sie 1,5 Millionen mal im Internet angeklickt worden.

Der texanische Ratsherr ist kein begnadeter Redner. Er hat eine monotone Stimme. Er stammelt. Er schnieft. Und er versteckt sein vor Aufregung gerötetes, Gesicht.

Aber was er sagt, ist mutiger als Vieles, was PolitikerInnen bei Ratssitzungen von sich geben. Es sind 12 Minuten Wahrheit. Mit einem erklärten Ziel: Leben retten.

In den vergangenen Wochen hat eine Welle von Selbstmorden von Jungen die Öffentlichkeit in den USA aufgerüttelt. Allen Selbstmorden ging schwulenfeindliches Mobbing durch Gleichaltrige voraus – sowie gefährliche Gleichgültigkeit von Erwachsenen: In New Jersey stürzte sich der 18jährige Student Tyler Clementi von einer Brücke, nachdem sein Zimmernachbar ihn im Internet als schwul geoutet hatte. In Texas erschoss sich der 13jährige Asher Brown, nachdem Klassenkameraden ihn als „tuntig“ beschmipft hatten. In Indiana erhängte sich der 15jährige Billy Lucas. Andere Jungen nahmen sich in Rhode Island und in Oklahoma das Leben.

Vor dem Stadtrat von Fort Worth erzählt der 40jährige Stadtrat davon, was er selbst in seiner Schulzeit erlebt hat. Als ältere Jugendliche ihm auf der Straße auflauerten, ihn als „schwul“ beschimpften und ihm den Tod und die Hölle wünschten, war Joel Burns dreizehn. Der Ratsherr beschreibt den Jungen, der er war, als „dürr und häßlich“ und sagt, dass er bereits ahnte, dass er „nicht ganz“ den Erwartungen seiner Eltern und seiner Lehrer entsprach. Aber von seinem Coming Out war er noch Lichtjahre entfernt.

Joel Burns hat das Erlebnis 27 lange Jahre für sich behalten. „Ich habe nie darüber gesprochen“, sagt der Ratsherr schluchzend: „weder mit meinen Eltern, noch mit meinem Ehemann.“

Schwule und Lesben in den USA haben die erfolgreichste soziale Bewegung der letzten Jahre zustande gebracht. Sie haben Tabus zu Fall gebracht und Grenzen verschoben: in der Politik, in der Justiz, im Militär und  in den Medien. In vielen großen Städten haben sie es geschafft, gleichgeschlechtliche Beziehungen, Hochzeiten und Elternschaften zu einer Normalität zu machen. Doch parallel halten sich hartnäckig Ressentiments. Manchmal äußern sie sich in offener körperlicher Gewalt. Manchmal in Form von Bibelzitaten oder homphoben Slogans im Wahlkampf.

Den Jugendlichen, die heute leiden, sagt Joel Burns, dass er weiss, wie hart die Zeit in der Schule und in einer verständnislosen Familie sein kann. Und er versichert ihnen, dass es sich lohnt, auf das Leben nach der Schule zu warten. „Tut euch nichts an“, beschwört der Ratsherr die Jugendlichen: „things will get better“ – die Dinge werden besser.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=ax96cghOnY4[/youtube]

PS: Mehrere Gruppen bieten jugendlichen Mobbing-Opfern ihre Unterstützung an. Darunter: itgetsbetter-project und thetrevor-project .

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