vonDetlef Kuhlbrodt 04.12.2010

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Mein Freund Tao hatte geschrieben, es werde ganz sicher mit einer schönen Wohnung klappen und das denk ich eigentlich auch. Ausserdem haben gute Freunde ja einen Rettungsschirm aufgespannt, deshalb doch kleine Pause von der Unterbrechung; auch ist der Winter ja grade so superschön.

Es war sehr schön, sich noch einmal ein paar Godard-Filme anzugucken. (hier in „Prénom Carmen“)

In der Volksbühne im Sternfoyer. Jan Peters baute grade seine S-8-Kamera von Minolta auf. Um danach, live, seinen diesjährigen Jahresendfilm zu drehen. „Ich bin 44“

Wir hielten ja Geburtstagstischreden sozusagen. Klaus Theweleit machte sich Gedanken. Volker Pantenburg, der in Weimar eine Juniorprofessur in Sachen »Bildtheorie mit dem Schwerpunkt Bewegtbildforschung« hat, sich also auch gut auskennt, macht sich auch Gedanken. Später erzählte er, wie er also mit paar Klicks im Internet die Telefonnummer Godards gefunden, ihn dann angerufen hatte; was für ein Schock irgendwie auch, weil Godard dann tatsächlich am Telefon war.

Was für ein Schock irgendwie, als eine Französin, die Theweleit wegen des Antisemitismusvorwurfs gegen Godard angesprochen hatte, draussen beim  Rauchen erzählte, dass der größte Godardkenner Deutschlands nicht französisch sprechen kann. Vielleicht wollte er ja auch nicht über dies Thema reden und ich kann’s ja auch selber nicht mehr richtig, aber irgendwie. War ich doch bißchen schockiert.

Am besten hatten mir  die Performance EINS ZU EINS von 400asa Sektion Nord im Grünen Salon gefallen. (oben im Bild).Claudia Basrawi, Gina D’Orio, Betty Freudenberg, Ted Gaier, Anna-Lena Lutz, Mandy Rudski, Samuel Schwarz, Raphael Urweider, Peter Weiss und P14  rekonstruierten also den Film „One Plus One“ von 1968, in dem Godard die Entstehung des Stones-Songs Sympathy for the Devil montierte mit Pulp-Zitaten, hingeworfenen Spielszenen, einer Black Panther-haften Revolutionstruppe, Zitaten aus Mein Kampf und Interviews mit einer geheimnisvollen Muse namens Eve Democracy.

Vor mir hatte Klaus Theweleit gesessen. Ihm hatte das glaube ich auch gut gefallen. Die Freude, die die Musiker und Schauspieler hatten übertrug sich ganz gut auf’s Publikum.

Gefühlte Stunden hatte man darauf gewartet, dass Mick Jagger nun endlich mal auch die Zigarette anmachen würde, mit der sie und die anderen Jungs schon so lange rumgespielt hatten. Dann war es endlich so weit. Ich war erleichtert. Sie brannte aber nur zehn, höchstens 20 Sekunden. (dann wurde die Volksbühne geräumt)

ach so; hier ist noch der Text, den ich vorgelesen hatte:

Es war wohl halb elf, als ich rausging. Den Abend hatte ich mir „Passion“ von Jean-Luc Godard in meinem schönen Fernseher angeschaut. 1984, als ich nach Berlin gezogen war, hatte ich „Passion“ mehrmals im Filmkunst66 gesehen. Vielleicht irre ich mich auch im Jahr. Zur gleichen Zeit, es war Herbst, lief auch „Nostalghia“ von Andrzei Tarkowski im Kino. „Passion“ hatte ich mir dreimal und „Nostalghia“ fünfmal angeschaut. Zu drei Achteln hatte ich also supergerne ein Intellektueller werden wollen. Ich fühlte mich Zuhause in dem Film irgendwie, auch oder weil es Momente gab, in denen ich mir auf die Lippen gebissen hatte, um nicht einzuschlafen. Frankreich lag mir nahe; die „Suche nach der verlorenen Zeit“ hatte ich schon zweimal gelesen. Ich hatte grad mit dem Studium begonnen, lebte von dem Rest des Zivildienstgeldes, sah gut aus, wusste das aber nicht, war furchtbar schüchtern und arbeitete nebenbei in der Pizzafabrik. epd-Film, die „taz“ und die Titanic hatte ich im Abo und sammelte manchmal Holz auf dem Gleisgelände für den Ofen. Zu fünf Achteln hatte ich Heimweh. Also nicht nach Schleswig-Holstein, woher ich gekommen war, sondern woanders hin. Eine Landschaft in einem drin sozusagen, die ein bißchen wehtut, weil es sie gar nicht gibt; eine Sehnsucht, die in Filmen ihre Entsprechung fand. Eine Gestimmtheit.
Es war eine bestimmte Stimmung, die mich ansprach, in der ich mich zu Hause fühlte und wenn ich tatsächlich einmal in einem Godardfilm eingeschlafen sein sollte, dann auch, weil ich mich darin heimisch fühlte. (Im Kino sowieso) Glück war tatsächlich auch dabei.
Dann hatte ich in meinem Computer geblättert und irgendwo hatte gestanden – in einem Text über Alexander Kluge, den ich nicht gechrieben hatte – Kluge sei der einzige unter den deutschen Filmemachern gewesen, der intellektuell mit Godard hatte mithalten können. Vermutlich stimmt das. Aber es geht nicht um‘s „Mithalten“.
Es macht Freude, zu versuchen, etwas zu verstehen. Deshalb schaute ich mir manche Filme immer wieder an. Es ging darum, Filme zu entschlüsseln, um sich einen Zugang zur Welt freiuschaufeln.
„Rette sich wer kann, das Leben“.
Film war damals, Anfang der 80er, in den Programmkinos, viel retro. Die neuen Filme von Antonioni, Truffaut, Tarkowski,  Bunuel, Rohmer, Godard oder Herbert Achternbusch waren oft von deren alten Filmen begleitet. Man guckte, um sich zu bilden und war entschlossen, alles zu gucken.
In diesem Jahr, 83 glaube ich, in Kiel, als ich meinen Zivildienst machte, war ich viel zu viel allein und traurig. Da hatte ich das Kino für mich entdeckt, das Kino hatte mich gerettet. Und am meisten liebte ich Achternbusch und Godard. Und ich hatte im Sommer mit einem Zivildienstkollegen gestritten; so einem arroganten Späthippie, der viel kiffte und alle Platten von Grateful Dead zu Hause hatte. Die ich bei ihm auch irgendwann mal mit einem sogenannten „Cassettenrecorder“ aufnahm. Er hatte also gesagt, Achternbusch sei blöd, weil viel dümmer als Godard;  Godard also Gott und Achternbusch, „deine Reime sind Schweine“ sozusagen. Und ich hatte gesagt, nein Achternbusch finde ich eigentlich noch viel besser, und was soll das, immer mit den schönen nackten Frauen bei Godard, wir hatten uns richtig gestritten, aber in Wirklichkeit fand ich beide natürlich super. Es gibt auch viele Ähnlichkeiten. Und die Filme, die Godard nach den 60ern gemacht hatte, waren mir näher, als die aus den 60ern. Und die Schönheit seiner Filme besteht ja nicht vor allem nur darin, dass die Schauspieler meist so supergut aussehen. Aber diese Venushügeleinstellung in „Vorname Carmen“, den ich vielleicht noch besser finde, als „Passion“, ist schon superklasse. Und dass alle so ganz ernsthaft in Pullovern über komplizierte Dinge nachdenken. Und dass Godard so supergut aussieht und komisch ist: ganz wichtig.
Vieles hat mit dem eigenen Leben zu tun; nicht nur die berühmten Merksätze, die oft wahr sind und manchmal helfen, sondern auch zum Beispiel, dass die in dem einen Film am „Eight Ball Deluxe“ spielen, einem hervorragenden Flipper, an dem ich viele Monate meiner Jugend verbracht hatte. Prima auch dieser Hermann-Hesse-mäßige Hass auf Autos, nicht nur in „Weekend“!
Ich bin aber auch nicht nicht Klaus Theweleit, der das mit Godard alles ganz genau ausklabüstern könnte oder Jan Peters, der das in einem Film anschaulich darstellt.
Und dann wunderte ich mich darüber, dass die Wohnungen, in denen ich die letzten 25 Jahre gewohnt hab, viel altmodischer aussehen, als die Wohnungen in den Godardfilmen aus den 60er Jahren.
Es hatte mir sehr gut getan, „Passion“ noch einmal zu sehen. Ich fühlte mich so entspannt, als wäre ich gerade beim Badminton mit Sauna gewesen. Was ja auch stimmte, nur war‘s ein paar Tage früher gewesen. Ganz eingemummelt in vielen Pullovern, zwei Kapuzen auf dem Kopf, drei paar Socken in den Schuhen, die im Sommer immer zu groß gewesen waren, den argentinischen Schal um den Hals, den mir Maria damals in London geschenkt hatte, ging ich durch den Görlitzer Park Richtung Billardsalon. Es sah wunderschön aus, wie der Wind den Schnee so durch die Gegend wehte. Ich dachte an die schönen Winter meiner Kindheit. Lebenskreise schienen sich zu schließen. Etwas Neues würde beginnen.

(und jetzt mal wieder zur Wohnungssuche; nein, heute geht glaube ich nicht; ich muss mich ja noch auf das Spiel der Unsrigen gegen Bayern vorbereiten …)

auch.

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