Am Sonntag las Jakob Hein bei der Reformbühne Heim & Welt einen schönen Text vor, den ich gerne hier veröffentliche (vielleicht bietet sich das ja noch das ein oder andere Mal an):
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Hier reflektiert der Kardinal
Eine ganz normale Woche ist zu Ende gegangen. Die Finanzminister diskutieren über die europäische Zentralbank, Bayern hat unentschieden gespielt, die Tagen werden kürzer, die Nächte kälter. Und am Montag hat Eva Herman gesagt, dass die Familienpolitik der Nazis ganz in Ordnung gewesen sei. Und am Sonnabend hat der Kölner Kardinal gesagt, dass Kunst ohne Gott entartet sei.
Meine Güte, was ist es nur mit den Nazis, dass alle sie so populär finden. Hätte Eva Herman nicht sagen können, dass die Familienpolitik Adenauers super gewesen ist, oder dass nicht alles schlecht unter Kaiser Wilhelm war? Hätte der Kardinal nicht sagen können, Kunst ohne Gott sei gottlos und Gottlose gehörten vor ein Gericht der Inquisition?
Was haben die Pappnasen dieses Landes nur an den Nazis gefressen? Eva Herman vermutet wohl, dass nicht die dunkelhaarige Anne Will an ihr vorbeigekommen wäre, wenn wir noch einen Führer hätten. Und auch bei Meißner ist zu vermuten, dass er die damalige Familienpolitik eher mit seinem Weltbild in Einklang bringen kann, als die „Gebärmaschinen“ der Neuzeit, Mütter, die einfach arbeiten gehen, während ihre Kinder ohne Führung und Ideale im Schlamm hausen, bis sie endlich als Messdiener in den Schoß der Kirche und an den Schoß des betreuenden Pfarrers geführt werden.
Beide haben sich natürlich in Rechtfertigungen versucht. Frau Herman meinte, dass sie das zwar so gemeint habe, aber dennoch strikte Antifaschistin sei, eben bloß eine Familienpolitik-als-Ausnahme-Antifaschistin. Schließlich gibt es so etwas ja auch bei den Vegetariern, Ovo-Lacto-Vegetarier und solche, die gelegentlich Fisch essen. Ich muss das wissen, mein Sohn ist Vegetarier, weil er das Wort so schön findet, zählt aber zu der Unterart der Würstchen-Braten-Buletten-Vegetarier. Diese Unterart ist vor allem durch den Verzicht auf Fleisch gekennzeichnet, das ihnen an dem Tag gerade nicht schmeckt, und diese Art ist gar nicht so selten, wie man denkt. Und außerdem, was ist mit den Autobahnen? Seit der Wende sind immer noch nicht alle wieder instandgesetzt worden, nur einige popelige Kilometer Strecke in den letzten sechzig Jahren hinzugekommen. Was wäre mit dem Konjunkturmotor Autoindustrie, wenn das Land immer noch von Baumchausseen geprägt wäre? Wir würden Autos bauen, die sicher sind, aber nicht schnell und schnittig wie unsere Exportschlager. Und der Autobahn als Mythos ist bis heute unser größtes Verkaufsargument national und international. Keiner würde deutsche Autos kaufen, weil man sich mit ihnen so gut um einen Baum wickeln kann. Und natürlich die Steuerpolitik: Ein Traum! Ein Bierdeckel reichte da für die Erklärung des ganzen Hauses, der Blockwart gab das Ganze frühmorgens beim Finanzamt ab und mittags wurde der endgültige Bescheid geschickt. Warum also nicht ein Familienpolitik-Verkehrspolitik-Steuerpolitik-Antifaschist sein?
Geschickt argumentiert, aber Frau Herman hat jetzt Zeit, sich bessere Argumente auszudenken, ihren Job beim NDR ist sie immerhin los, das hätte auch gar zu schlecht zur Meldung von der Gebührenerhöhung des nächsten Tages gepasst, dass man von den Gebühren eine offensichtlich langsam ihre Murmeln verlierende Millionärin zusatzsubventionieren soll. Fürchten müssen wir uns allerdings vor dem, was da kommen wird. Denn ich halte jede Wette, dass Eva Herman nicht plötzlich ins Kloster abtauchen wird. Eher fängt sie was mit Bohlen an und stellt das Video ins Internet.
Herr Meißner hingegen lässt seinen Pressesprecher erklären, dass er den Nazivergleich seines Zitates nicht verstehen kann. Nun ja, möchte man meinen „entartete Kunst“, das ist schon so eine Art Markenname. Sicher, die Nazis haben sich das nicht gesetzlich schützen lassen wie Coca-Cola, aber dennoch gibt es da eine eineindeutige Zuordnung. Nein, lässt er jedenfalls bestellen, er habe nur sagen wollen, dass Kunst, die nicht auf dem Glauben beruht, aus der Art gefallen ist. Das ist doch mal geschickt argumentiert. „Entartet“ hieß natürlich Jahrhunderte lang nur „aus der Art gefallen“, bis die Nazis das Wort praktisch übernahmen. Das heißt, hier reflektiert der Kardinal, dass es ein Naziwort ist. Und dazu lässt er noch erklären, dass er gottlose Kunst nicht tolerieren kann. Es muss für ihn eine tägliche Qual sein, in Deutschland zu leben, ein Land, dessen Grundgesetz er in so vielen Punkten offensichtlich nicht akzeptieren kann.
Aber was verbindet Meißner und Herman eigentlich außer ihrem Wunsch, Frauen an den Herd zurückzubringen? Es ist wohl eine Art Kapitulation vor der Neuzeit, die Unfähigkeit mit dem Heute Schritt zu halten, die dann darin resultiert, von allen Vergangenheiten gleich die schlimmstmögliche zu verherrlichen. Wer gegen Gebärmaschinen ist, kann eigentlich die Soldatenproduktionspolitik der Nazis nicht gut finden. Wer gegen gottlose Kunst und für das erste Gebot ist, kann eigentlich die monumentale Götzenkunst der Nazis nicht befürworten. Aber die Multilateralität unseres Lebens macht ihnen Angst, oder zumindest wollen sie wie Frau Herman mit dieser Angst ihr Geld verdienen. Frauen sind Chefs, Männer tragen Schürzen, Eltern kommen aus Uganda, Kinder fahren nach Südamerika, im Imbiss gibt es Halloumi und in der Autowerkstatt sitzt ein Buddha. Nicht alle mögen das.
Und so ist es wie eine Art falscher Folklore, in der sich die Gegenwartsgegner eingerichtet haben, vergleichbar nur mit den Volksmusiksendungen. Ein Nazi-Disneyland, in dem Großfamilien in trauter Gemeinsamkeit vor dem Volksempfänger sitzen, die Musik noch Melodie ist, Filme noch Geschichten erzählen und Bilder noch schön sind. Draußen singen die Nachtigallen auf Deutsch und draußen steht der tapfere Soldat und bewacht das Idyll gegen den jüdischen Bolschewismus. Heim in dieses Reich möchten sie gehen, mit etwas mehr Mumm könnten sie auch einfach zu Drogen greifen, die es doch schließlich im Heute auch reichlich gibt.