vonJakob Hein 28.04.2009

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I

„Schade, dass ich nicht die Nummer der Bundeswehr habe“, schnauft mein Sohn, als er einen Zettel aus seinem Ranzen zieht. „Dann würde ich die anrufen und diese Typen abschießen lassen.“ Im Lebenskundeunterricht haben sie ihm einen Zettel für die Eltern mitgegeben, dass sie mit „Nein“ abstimmen sollen. Jetzt ist Karl gegen Ethik und Religion. Sind nicht wieder die Kinder die ersten Opfer dieses sinnlosen Umsturzversuches? Christliche Kinder, die gegen Ethik sind, nicht-religiöse Kinder die gegen Christus sind und Kinder wie Karl, die gegen beides sind. Er möchte weiter Lebenskunde machen dürfen. Wir sichern ihm zu, dass unser Abstimmungsverhalten seinen Wunsch unterstützen wird.

II

Was werden sie machen in den Schulen von Moabit oder Nord-Neukölln, wo es sicherlich zehn verschiedene Religionen in der Elternschaft gibt? Gehen dann die Hindus mit ihren Kindern aufs Dach, die Farsi in den Keller, die Kurden in die Besenkammer, die Juden in die Turnhalle oder sollen leer stehende Filialen bankrotter Banken genutzt werden? Müssen katholische Schüler aus Raumnot neben sich evangelische so genannte „Christen“ ertragen? Sollten Scientologen Zugang zum Physik-Labor bekommen? Drusen gegen Maroniten, Shiiten gegen Sunniten, Orthodoxe gegen Sieben-Tage-Adventisten. Die Zeugen Jehovas bekommen Platz im Polizeirevier, wo man immer Zeugen brauchen kann. Ist das nicht der Anfang neuer religiöser Unruhen? Und: Gibt es genug Filialen bankrotter Banken in Nord-Neukölln?

III

Familienfeier. Väterlicherseits. Alles Christen. Man muss zugeben, dass meine jüdisch-atheistische Familie mütterlicherseits praktisch nur in ihren Kleinstzellen existent ist. Liegt das am fehlenden Religionsunterricht? Ich fürchte schon, dass es bald auf das Thema „Pro Reli“ kommen wird und ich mich im Interesse des Familienfriedens mit unbestimmten Äußerungen aus der Affäre ziehen muss.

Tatsächlich kommt das Thema bald auf den Religionsunterricht, verbunden mit der Forderung, dass ich gefälligst mit „Nein“ abstimmen solle. Meine Verwandten gehören nämlich der Initiative „Christen pro Ethik“ an und haben Tausende von Argumenten gegen einen Religionsunterricht. Sie empfinden das als gemeindefern, unzeitgemäß, unchristlich und machthungrig. Und es stört sie, dass in der Kampagne: „Es geht um die Freiheit.“ keinerlei pluralistische Positionen zugelassen werden, sondern von oben herab die Meinung „der Kirche“ verkündet wird. Sie wollen lieber einen Christen, der aus voller Überzeugung Christ in seiner Gemeinde ist als Hundert Zählchristen, für die man irgendwelche Mittel kassiert. Auf meine Familie kann ich mich echt verlassen!

IV

Freiheit. Auch so ein Begriff, den immer gern die anderen benutzen. Erinnert stark an die Drückerkolonnen in den Einkaufszonen: „Lieben Sie Tiere?“

Ich sag dann immer: „Nein.“

Die Erfahrungen meines bisherigen Lebens haben mich eher zu einer Art Verantwortungsfatalismus gebracht: Es kommt so, wie es kommt, aber man sollte sich dem Schicksal wenigstens entgegen zu gestemmt versucht haben. Der Verantwortungsfatalist ist vehementer Gegner des Nostalgikers, weil Letzterer weder in der Lage ist, den Lauf des Schicksals zu akzeptieren, noch bereit ist, seine Verantwortung im Hier und Jetzt wahrzunehmen. Ich will also sagen: Ich habe nichts gegen die Zeit, so wie sie jetzt ist. Sie ist halt so. Aber wenn ich sehe, wie die ganzen Leute ihre Stasi-Akten zuerst selbst basteln, dann auf eigene Kosten allgemein verfügbar machen und fortlaufend aktualisieren, dazu alle dieselben Filme sehen, am Fernsehprogramm mitwirken, das sie so einschränkt, dass sie an nichts anderem mehr mitwirken können, dann erscheint mir die Freiheit, unter deren Banner seit zwanzig Jahren Millionen von Menschen an dieser Entwicklung partizipieren können, nicht als Ideal an sich.

Freiheit ist definiert als die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen Alternativen zu wählen. Kant unterscheidet zwischen der negativen Freiheit und der positiven Freiheit. Die negative Freiheit ist, dass einem nichts passiert, wenn man zwischen Alternativen wählt. Die positive Freiheit bedeutet, dass man im Wahrnehmen der Alternativen unterstützt wird.

Die Apostel der Freiheit heutiger Prägung meinen fast immer die negative Freiheit. Niemand soll sie daran hindern, ihre Meinung frei zu äußern. Niemand soll sie auch daran hindern dürfen, ihre Macht und die anderen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel dafür einzusetzen, dass sie ihre Meinung proliferieren können. Es ist die Position der Starken, die Position derer, denen es besser geht und die deshalb gern davon überzeugt sind, dass die Welt vermutlich ganz richtig eingerichtet ist. Es ist die Freiheit des Erhaltens, des Konservierens, eine absolut konservative, im Fall der „Pro Reli“-Wahl sogar eine reaktionäre Entscheidung.

V

Wann ging es den Religionen eigentlich das letzte Mal um den Glauben? Also dass jemand an Gott glaubt, sich mit ihm verbunden fühlt und bestimmte Werte dieses Glaubens in die Gesellschaft trägt? Überholtes Konzept? Religion 2.0.

VI

„Nimm schon den Hirtenstab und lasse ihn schwitzen für Jesus, der für uns sein Blut geschwitzt hat“, schnauft der Kaplan, nachdem er den Messdiener in eine abgelegene Ecke des Kirchenschiffs gedrängt hat.

Verunsichert, ängstlich blickt der Knabe zu ihm auf. Er ist nicht bereit, das Kindheitstrauma widerspruchslos über sich ergehen zu lassen: „Ist das nicht unethisch?“

„Du hattest freie Wahl zwischen Ethik und Religion“, zischt der Kirchendiener giftig und presst ihn unter seine Soutane.

VII

Wenn man sich überlegt, auf wie viele Arten man gegen „Pro Reli“ sein kann, praktisch so viele Arten wie es wahlberechtigte Menschen gibt, nämlich indem man mit „Nein“ stimmen geht oder im Bett liegen bleibt oder ein Bad nimmt oder im Park spazieren geht oder Drogen nimmt oder Bier im Park trinkt oder lange betet oder einen Pakt mit dem Teufel persönlich unterschreibt oder einfach mal den ganzen Tag über die verschiedensten Gottesdienste aufsucht oder sich von satanistischen Latexnutten auspeitschen lässt oder einem behinderten schwarzen Kind von Asylbewerbern das Lesen beibringt oder indem man den lieben Gott einen guten Mann sein lässt, wenn man sich das also überlegt, bekommt man doch gleich eine ganz andere Einstellung zu dem Slogan: „Freiheit ist unsere Ethik“ und wundert sich, dass das ausgerechnet der Spruch der Gegenseite sein soll.

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