vonWolfgang Koch 22.06.2011

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Diese Woche Jango Edwards gesehen (tatsächlich, diesen Clown und Verrückten gibt’s noch). Mitten unter hartgesotteten Fans, sensationslüsternen Senioren bei Aperol Spritzz und verirrten Väter-Töchter-Gespannen. Um als Jango-Fan der ersten Stunde durchzugehen, trägt man am besten Langhaar, schlürft Bier aus der Flasche, hat eine tätowierte Freundin und kann ein paar Beatles-Hadern mitsingen.

Muss ich alles nicht haben: diese im Vindobona eng nebeneinander geparkte Körper, die Schmäh führenden Kellner und dann auch noch einen zweistündigen Lachkatarrh. Um nicht missverstanden zu werden: Jango ist sicher ein Künstler, aber von welchem Format wäre er erst, wenn er die Disziplin, die er pantomimisch, schauspielernd und singend mit dem Körper aufbringt, auch mit seinem Geist aufbrächte.

Was für ein Vergnügen wäre es, einfach nur diesem 61jährigen Mann im lang gestellten Schwarzweiß-Sakko bei seinen suggestiven Slapstick-Nummern zuzusehen: Wenn er den alte Saufbold gibt, der einen Finger nicht mehr aus der Bierflasche kriegt; einen Chef de Cuisine, dem wie durch ein Wunder ein Vöglein zugeflogen ist. An Chaplin und Keaton geschult, hinterlegt mit loop-artiger Stummfilmmusik, zeigte Jango Edwards in diesen Miniaturen, welches Potential in ihm steckt.

Man kann nicht zarter auf die Talente dieses Mannes anspielen. Die gelungenen Momente des Abends wurden leider zugedeckt von dreckigen Travestien, von minutenlangen Jokes mit einem nicht eingeschaltenem Mikro, es herrschte chronische Gedankenarmut und runtergerockte Moral (»Nicht die Politiker, Ihr seid es, die die Welt verändern müssen«).

Das Zirkuskind fuhr dem Publikum lieber in die Parade und gebärdete sich wie ein durchschnittlich begabter, Pommes essender, bockiger, mundfauler, unsportlicher, stinknormaler Rotzlöffel. Jango machte pantomimisch »Pipi«, mit dem Grinsen eines amalfischen Gigolos von 1961; dazu überlaut Streicher im Dreiviertel-Takt. Dann Playback-Gesang von Great Balls of Fire – und dreimal dürfen Sie raten, welche balls da hemmungslos verbraten wurden.

Soziale Absteiger wurden brüllend ironisiert, Popklassiker vulgarisiert, alles, was mit dem Unterkörper zu tun hat, pornografisiert. Bereits nach 30 Minuten querte Jango in einer Zwangsjacke die Bühne, in der 60. Minute verulkt er Teleprediger – »Holy Fuck!« –, dann war die Luft komplett raus: nun mussten Moonwalk und Sirtaki zur Unterhaltung herhalten, zerquetschte Plastikbecher, Gesichtskrämpfe aller Art. Man wünschte sich vom Erdboden verschluckt zu werden oder in der Anflugschneise einer Rollbahn zu sitzen, um dem donnernden Getöse von Flugzeugtriebwerken ein würdigeres Erlebnis abzulauschen.

Grosse Clowns haben in der Geschichte der Comedy noch im höchsten Alter unvergängliche Figuren erfunden, die heute in jedes Schatzkästchen passen. Jango aber scheint irgendwie in der Pubertät stecken geblieben zu sein und sehnt sich von dort aus zurück in die anal-sadistische Kleinkindphase. Kackilein kommt in den Kindergarten … – Jeder Satz der Eltern wird pantomimisch ausdruckstark begleitet: mit Augenrollen, Stirnrunzeln, hervortretenden Adern und wilden Handbewegungen.

Dieses Dauergestikulieren lohnte nur dort das Hinsehen, wo es die Außenseiter-Codes der 1970er-Jahre nacherzählte. Zum Feuerwerk wurde Jango Edwards, als er in die 15 Instrumentalisten einer Bigband schlüpfte. Es gab kleine, feine Zauberkunststückchen in diesem »Classics«-Programm mit imaginierten Wänden und Löchern darin zum Durchsehen. Auch der ausscheidungsreiche Schnellsprech dieses Stanley Ted, der sich im Komikerleben Jango nennt, funktionierte tadellos: »I’m a phone-eater«.

Dann aber schlug wieder die Theatermaschinerie erbarmungslos zu. Es krachte und knautschte extrem lustig und garantiert ohne Selbstironie auf der Bühne, während die im Parkett anwesenden Hells Angels ihren Bauch mit überteuertem Weizenbier betanken und sich Cevapcici am Spieß mit würzigen Bratkartoffeln, Aivar (scharf) und Zwiebelsenf um 7,80 Euro reinzogen.

Nichts gegen Bierschaumfontänen, nichts gegen Luftschlangenschlucken und »Balla, balla«-Gruppenheiterkeit. Jeder englischsprachige Comedian ist mir hundert Mal lieber als die Wiener Kabarettistenstarre. Aber was für ein Spektakel hätte Leo Bassi aus der Fakirnummer mit Kartoffelchips gemacht! Was für ein Vergnügen Andreja Schneider (Geschwister Pfister) aus einer Mundharmonika blasenden Möse!

»Die meisten Menschen sind krank und wissen noch nicht einmal, wie krank sie sind«, sagte Edwards in einem Interview 2009. Seit damals bin ich auf diesen selbsternannten Anarcho ehrlich beleidig und antworte mit: »Die meisten Komiker sind todtraurig, aber manche verzweifeln geradezu hysterisch an der Tatsache, dass sie es sind«.

Nach zwei Stunden waren die männlichen Zuschauer der Vorstellung soweit illuminiert, dass sie zum Abschied willig jeden Refrain mitgegrölt hätten, also fiel ihnen auch die romantischen Gesangsworte »Blas mein Schwanz heute Abend« nicht schwer. – Klappe zu, Affe krank, morgen wieder eine Vorstellung.

© Wolfgang Koch 2011

Foto: Walter Joebstl – jango e. virtuell, – vondelpark/amsterdam, nach der show.

www.jangoedwards.net

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https://blogs.taz.de/jango_edwards_a_christmas-album_called_springtime/

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