von 18.04.2011

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Das Neue Deutschland druckt häufiger Artikel gegen Bezahlung als bisher bekannt. Die Zeitung räumte in einem Artikel ein, bei der von der taz aufgedeckten Praxis handele es sich keinesfalls um eine Ausnahme. Bei Sonderbeilagen, die mit Kofinanzierung von Kooperationspartnern erscheinen, würden “in der Regel Vereinbarungen über Veröffentlichungsplätze und eine Beteiligung bei den Druckkosten getroffen”, schreibt das Neue Deutschland. Die bezahlten Artikel sind nicht als “Anzeige” gekennzeichnet, wie es das Landespressegesetz Berlin vorschreibt. Die käuflichen Seiten werden in der Zeitung als “ND Extra – Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland” bezeichnet und sind durch ihr Layout nicht von den unkäuflichen Seiten unterscheidbar. “ND Extra” erscheint unregelmäßig, im Schnitt mehr als einmal pro Monat.

Die taz hatte – vor dem Abdruck der Rechercheergebnisse – bei Jürgen Reents, dem Chefredakteur des Neuen Deutschland angefragt, welcher Einfluss bei “ND Extra” möglich ist. Reents hatte behauptet: “Auch da kann man bei uns nicht Texte kaufen.” Davon ist jetzt keine Rede mehr. Stattdessen erklärt der Artikel im Neuen Deutschland, die Sonderbeilagen würden von Kooperationspartnern mitfinanziert. Dabei handele es sich “um nicht-kommerzielle Vereine und Organisationen, etwa in Bereichen der Friedensbewegung, der Globalisierungskritik oder von Wohlfahrts- und humanitären Verbänden”. Verlagsgeschäftsführer Olaf Koppe wird mit dem Satz zitiert: “Ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis, das die redaktionelle Unabhängigkeit der Zeitung gefährden könnte, ergibt sich daraus nicht.”

ND Extra: Vereine und Verbände
Hier kann man Texte kaufen. Im Titel der Seite steht: ND Extra - Vereine und Verbände - Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland
Zu den Schleichwerbern im Neuen Deutschland gehört etwa die Volkssolidarität, eine soziale Hilfsorganisation, die vor allem in Ostdeutschland aktiv ist. So erschien etwa im Februar 2010 ein Artikel über die Volkssolidarität mit der Überschrift “Zufriedenheit und wachsende Angst vor Zukunft” in einem “ND Extra” (Download als PDF von der Website des Neuen Deutschland). Autor des Artikels ist Tilo Gräser. Gräser ist zugleich auch Pressesprecher der Volkssolidarität, ohne dass das den Lesern auf der Seite mitgeteilt wird. Gräser berichtet in dem Artikel über das Ergebnis einer Umfrage der Volkssolidarität unter Ostdeutschen über 50 Jahren. Er gibt zudem die politischen Forderungen seines Verbandes in indirekter Rede wieder – so wie es auch ein unabhängig arbeitender Journalist machen würde. Gräser schildert, was “Verbandspräsident Prof. Dr. Gunnar Winkler” auf einer Pressekonferenz gesagt habe:

Die Volkssolidarität fordere deshalb höhere Rentenbeiträge für Langzeitarbeitslose und eine Rente nach Mindesteinkommen für Niedrigverdiener sowie einen gemeinwohlorientierten zweiten Arbeitsmarkt als »Brücke in die Rente«. Zugleich warnt der Verband vor einer weiteren Abwertung des realen Rentenniveaus durch die drohende Kopfpauschale und andere Zusatzbelastungen im Gesundheitsbereich.

Hier eine unkäufliche Beilage zum Layoutvergleich. Im Titel steht: ND Ratgeber - Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland.
Hier eine unkäufliche Beilage zum Layoutvergleich. Im Titel steht: ND Ratgeber - Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland.
Auf Anfrage der taz erläutert Tilo Gräser (in seiner Funktion als Pressesprecher der Volkssolidarität): “Wir haben uns in den letzten Jahren auf Anfrage und Einladung des Neuen Deutschland an den Verlagsbeilagen ,Vereine und Verbände’ mit Texten und klassischen Anzeigen beteiligt.” Es handele sich “um gemeinsame Projekte des Verlages mit den Verbänden und Vereinen, wobei sich letztere an den Kosten beteiligen. Wir haben so die zusätzliche Möglichkeit erhalten, unabhängig vom redaktionellen Teil der Zeitung eigene Inhalte und Positionen darstellen und veröffentlichen zu können.” Die Volkssolidarität könne darin “keine ‘Täuschung’ der Leserschaft erkennen”. Die Frage, wie häufig die Volkssolidarität für den Abdruck von Texten bezahlte, beantwortet er nicht.

Gegen die Bewertung des Vorgangs als Schleichwerbung wehrt Gräser sich: Das “dürfte das etwas an der Sache vorbeigehen”, da es sich “bei dem Volkssolidarität Bundesverband e.V. wie auch bei den anderen Teilorganisationen der Volkssolidarität nicht um ein gewerbliches, sondern um ein rein gemeinnütziges Angebot handelt”. Die Pressegesetze der Bundesländer machen allerdings keine Unterscheidung zwischen gemeinnütziger und kommerzieller Schleichwerbung, sondern schreiben vor, dass jede bezahlte Veröffentlichung als Anzeige erkennbar sein muss. Auch das Neue Deutschland macht diese Trennung nicht: Bei der verdeckten taz-Recherche hatte der Verlag sich bereit erklärt, auch Texte von Autoherstellern und Altenheim-Ketten in einem “ND Extra” gegen Geld abzudrucken.

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