vonImma Luise Harms 05.01.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Schwein2.jpgDer Hof der Schlachterei ist rot geklinkert. Es gibt einen Abfluss in der Hofmitte. Hunde bellen im Zwinger auf der rechten Hofseite. Auf der anderen steht das Tor zu einem gefliesten Raum offen. An der Decke gibt es ein kompliziertes System von Trägern, Schienen und Haken. Andreas H. ist ein sympathischer Mensch, der sich Mensch und Tier zuwendet. Erfreut betrachtet er die drei Schweine im Anhänger. Sie sind schon größer als die ersten beiden, die ihm im letzten Frühling gebracht wurden.

Die Bissige kommt zuerst dran, weil sie mal wieder unbedingt die Erste sein will und zum Ausgang drängt. Stefan und Richard heben die Hände, aber sie lässt sich ohne Anstrengung in den weißen Raum führen. Der Strick am Hinterbein wird durch eine Öse am Boden gezogen. Mit dem Knie drückt H. die Sau gegen die Wand. Ihr ist nicht wohl, aber sie sieht auch keinen Grund für entschiedenen Widerstand. Der Schlachter streicht ihr über das Fell auf der Stirn, setzt einen zylindrischen Stab auf die Stelle und drückt ab. Die Bissige fällt zur Seite. Der Schlachter greift sein Messer und öffnet mit einem zweifachen Stich die Halsschlagader. Thomas hält eine Plastikschale unter die Öffnung. Das dunkle Blut kommt in Stößen aus dem Körper. Das angebundene Hinterbein macht noch ein paar sinnlose Zuckungen. Das herausgeflossene Blut wird sofort in einen Eimer weitergegossen. Richard rührt es mit einem Quirl, so wie es ihm gezeigt wurde – immer abwechselnd links herum und recht herum. Das Blut darf nicht gerinnen, es kommt in einen großen Bottich und ist die Grundlage für die Wurstbereitung. Weil an diesem Tag keine anderen Schweine geschlachtet werden, wird die Blutwurst der Wollschweine tatsächlich auch nur das Blut der Wollschweine enthalten. Das ist Thomas wichtig.

Die Bissige ist ein Haufen Fleisch geworden, von einer Felldecke mit fünf Zipfeln zusammengehalten. H. schneidet das Fell an den Hinterläufen auf, bricht die Unterschenkel aus den Kniegelenken und wirft sie in eine Abfallkiste. Eine Schiene mit zwei Haken senkt sich von der Decke herunter. An den Kniestümpfen wird das Schwein nach oben gezogen. Das letzte Blut tropft aus dem Rüssel. Die Blesse erkennt man immer noch.

… Wir haben die Trappe dann doch nicht gegessen. Kurz vor Einbruch der Dämmerung kreuzten ein paar Grantgazellen unseren Weg. Leo schoss und traf die letzte. Kein meisterhafter Schuss. Die Gazelle hinkte noch ein paar Hundert Meter weiter. Leo und Martin folgen ihr. Sie haben sie bald eingeholt. Wir hören einen zweiten Schuss; dann kommt Martin zurück, um den Wagen zu holen. Die Gazelle liegt auf der Seite, der Kopf ist in den Nacken geworfen und leicht gedreht. Der ruhige Blick der Augen spiegelt das Azurblau des Abendhimmels. Leo Salge schneidet den Bauch auf. Die Gedärme fallen heraus. Salges kleiner Finger war mal gebrochen und ist nicht richtig wieder zusammen gewachsen und steif geblieben. Wie der kühle Experte das scharfe Messer durch das Fell zieht und dabei der kleine Finger absteht, als handele es sich darum, eine zerbrechliche Teetasse auf ihren Unterteller zurückzustellen, das gibt der Geste etwas grotesk Zartes. Martin hält mit einer Hand den linken Vorderlauf des Tiers. Die andere Hand versucht er in die Hosentasche zu stecken. Er hat den Körper abgewandt und schaut Salge über die Schulter zu. Er ist hier nur der Handlanger.

Später wird ein kleines Zelt aufgeschlagen, ein Feuer entzündet und die Filets der Gazelle am Stock gebraten. Wir nagen wortlos. Das Feuer brennt herunter, es wird schnell kalt. Der Himmel ist schwarz und unbekannte Sternbilder funkeln. „Möchte noch jemand was von der Trappe?“ fragt Salge. Eine rhetorische Frage. Denn natürlich wird jetzt niemand mehr einen Vogel rupfen. Salge greift das schlappe Tier; wieder liegt der Kopf in der Hand und der Hals hängt zwischen den Fingern. Die Schleuderbewegung kommt diesmal nicht aus dem Handgelenk sondern aus der Schulter. Die Trappe fliegt durch die Luft und landet hinter einem Dorngestrüpp, es scheint als hinterließe sie einen dunklen, langsam verblassenden Streifen auf ihrer letzten Flugbahn.

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