vonImma Luise Harms 12.07.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Ich hab Geburtstag heute. Ob jemand kommt, weiß ich nicht. Ich konnte mich lange nicht entscheiden, ob ich einladen will. Ob das anstrengend wird.

„Soll ich nun noch ne Torte machen?“ fragt Thomas. Einen Nusskuchen hat er schon gestern Abend gebacken. Da war ich zwei Bekannten begegnet und hatte sie spontan eingeladen. Dann kam’s mir so vor, dass eine Torte vielleicht doch zu wenig wäre.

Vom Morgen aus betrachtet, sieht’s wieder nicht nach Gästen aus. Ich wohne halt Jottwehdeh, nicht in Berlin um die Ecke, wo man mal vorbeischauen kann. Hier schaut keiner vorbei, außer die Nachbarn, wenn sie einen Wink kriegen. Die haben grad vor drei Tagen bei einem anderen Geburtstag ausgiebig zusammengesessen.

Aber Torte wäre doch nett. Kuchen kann man einfrieren, verschenken, mitnehmen, noch ein, zwei Tage später essen. Also Thomas macht noch die Torte.

Mein Geburtstag fällt zwischen die verschiedenen Stadien der Obstreife. Die Erdbeeren sind durch, die Johannisbeeren, auch die meisten Kirschen. Pflaumen usw. sind noch lange nicht so weit.

Sauerkirschen gibt’s noch. Ich habe ein Bäumchen, das ich vor vier Jahren gepflanzt habe. Es ist vor Vernachlässigung fast eingegangen. Dem Skelett verspreche ich in jedem Herbst, dass ich es im nächsten Frühling besser pflege, aber dann ist doch immer wieder irgendwas anderes. Ein Seitentrieb hat die Lebenskraft weiter erhalten. Er hing in diesem Sommer voller Früchte. Ich war so dankbar, dass ich sie einzeln gepflückt und die köstliche Säure aus den fast schwarzen Kirschen gelutscht habe. Die sind also alle.

Im Gutshofgarten gibt es nur noch Sauerkirschen mit unklaren Eigentumsverhältnissen. Einfacher ist es, der Einladung von W. zu folgen, der am Ende der Neuen Dorfstraße wohnt und seine Kirschen zum Pflücken angeboten hat.

Thomas kommt mit einem Eimer wieder und will sich die Zange zum Entsteinen holen. Aber ich habe doch die tolle Entsteinmaschine, wo die sich Kirschen aus einem Depot nacheinander in einen Schacht schieben und ihnen rupps, rupps, rupps die Kerne rausgestanzt werden. Thomas ist nicht so fürs Effektive, aber ich liebe gut durchdachte Maschinen, ich liebe die Eleganz des verflüssigten Arbeitsablaufs.

„Darf ich die Kirschen entsteinen?“ „Na, von mir aus. Musst du aber wohl erst noch waschen.“ Ich lasse Wasser in den Eimer mit den Kirschen laufen und sehe, dass es am Boden wieder rausläuft, glücklicherweise ins Spülbecken. Thomas beobachtet mich. „Das ist doch der kaputte Eimer“, sage ich. „Ja, das ist der Eimer, den du weggeworfen hast und den ich aus dem Müll wieder rausgezogen habe.“ „Aber der Eimer ist kaputt!“ „Ja sicher, aber das steht doch auch drauf!“ Tatsächlich steht auf der Außenseite „undicht!“ Der Schriftzug sieht aus wie eine Naht, ist aber keine. Und man bekuckt auch nicht unbedingt einen Eimer darauf hin, ob Gebrauchshinweise auf ihm vermerkt sind, bevor man ihn zur Hand nimmt.

Das letzte Mal, als mir dieser Eimer ein Missgeschick bereitet hatte, fiel mir das Lied „Ein Loch ist im Eimer..“ ein, und ich musste über die vierte Strophe nachdenken, nachdem die dumme Liese gesagt kriegt, sie soll das Loch dann eben zustopfen, und sie weiß nicht, womit,  und kriegt dann zur Antwort: „mit Stroh – dumme Liese, dumme Liese, dumme Liese!“ Wieso kann man ein Loch im Eimer mit Stroh zustopfen? „Wieso?“ hat die dumme Liese in dem Lied nicht gefragt. Meine Eltern haben mich, als ich klein war, auch Liese genannt. Aber ich habe immer „wieso?“ gefragt.

Hier allerdings liegen die kausalen Zusammenhänge auf der Hand, es geht eher um eine Abwägungsfrage der Verfügungsgewalt. Thomas sagt: „Das ist mein Eimer, den kannst du nicht einfach wegwerfen.“ Ich sage „Aber wenn er doch hier oder am Bauwagen rumsteht und ich nehme ihn, dann habe ich doch die Sauerei.“ „Aber das steht doch drauf“, wiederholt Thomas. „Da denkt man doch nicht dran in dem Moment“, versuche ich es noch mal.

Da ist nichts zu machen. „Der Eimer ist meiner, ich komm damit klar, dass er kaputt ist. Der Eimer wird nicht weggeworfen.“  Und noch ein versöhnliches Argument: „Vielleicht kommen noch mal Zeiten, wo wir uns auch über einen kaputten Eimer freuen.“  Von solchen Gegenständen, über die wir uns an anderen Orten, zu anderen Zeiten und unter anderen Umständen freuen würden, haben wir schon viel zu viel in unserer Obhut. Finde ich. Findet Thomas nicht. Der Eimer wird geleert, Thomas nimmt ihn an sich. Ich spreche einen Bann über ihn aus. Wenn er in meinem Haushalt noch mal auftaucht, bringe ich ihn in den Müll. Und zwar vergrabe ich ihn dann so tief, dass Thomas ihn nicht wiederfindet.

Thomas geht den Tortenboden backen. Ich entsteine singend die Kirschen. Vielleicht kommt doch jemand.


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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2007/07/12/vielleicht-kommt-doch-keiner/

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kommentare

  • Liebe Imma,
    lass´dir den Obstkuchen zu deinem Geburtstag munden – auch nachträglich. Ich hätte in anderen Umständen – du ahnst es bereits – gierig danach geschnappt.
    Auf die nächsten 98 jahre
    Markus

  • liebe imma
    herzlichen glückwunsch nachträglich
    tja die kirschen hab ich wohl verpasst.
    ich persönlich finde die entsteinungsmaschine auch herrlich effektiv. ein tiefes gefühl der befriedigung…)
    alles liebe
    lily

  • Ach du jeh, in der Stadt gefangen.
    Für eine Städterin gibt es auch Probleme: Soll ich mich wirklich mit Menschen befreunden, die auf dem Land leben? Natürlich ist es ein hübscher Vorteil mal rauszukommen, aber kommen die dann auch mal rein, wenn man sie einlädt? Bleiben Sie mal drei Tage zu Besuch und machen sich in der Küche breit, dass man sich über sie freuen kann? Sehr unwahrscheinlich an diesem Punkt.
    Ob Stadt oder Land, Freundschaften über Entfernungen müssen einiges an Verlangsamung aushalten und damit leben, dass so manche Begegnung nicht zu stande kommt.
    Gefahrvoll ist in diesem besonderen Fall die gedachte Stadtnähe. So behaupte ich auch nach 10 Jahren besseren Wissens immer noch steif und fest, dass ich für die Strecke Berlin Reichenow nur 40 Min. brauche(ganz egal ob Auto oder S-Bahn).
    Auch als ich die Strecke einmal mit dem Rad komplett zurückgelegt hatte, hatte es in meiner Wahrnehmung ‘nur’ 6 Stunden gedauert. Eigentlich doch ein Klacks?
    Also was hindert mich jetzt daran auf den verdammten Drahtesel zu steigen und einfach loszufahren? Immerhin könnte ich auch jetzt (18h) es noch mit etwas Schwung schaffen, bis kurz vor 12, meine Geburtstagswünsche persönlich zu überbringen.
    Einiges hindert mich daran (Die Gründe aufzuführen allerdings lästig und unattraktiv).
    Gewiss ist, dass ich ein Geburtstagsgeschenk habe und das die hart errungene Entscheidung nun doch nicht zu fahren, meiner stetig sich vermehrenden Darmentzündung noch eine weitere rote Zotte hinzufügen wird.
    Und die Stadt-Land-Frage stellt sich mir heute abend als einer der vier wichtigsten Hauptwidersprüche, die ich in meinem Leben hinnehmen muss, und die mir an diesem feucht kühlen Sommerabend eine hitzige innere Woge aufschäumender miteinander streitender Gefühle bereitet, die ich nachher im Dojo vesuchen werde zu neutralisieren.
    Liebe Imma, als eingetragene Geburtstagstzaudererin lasse ich dich an dieser Stelle hochleben und wünsche dir einen Abend, mit oder ohne Gästen, der dich ein bischen reifer, hübscher und rosiger werden läßt.
    Auf bald – zwischen Land und Stadt – vielleicht in einem See.

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