vonImma Luise Harms 16.05.2009

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Heute morgen sind die Wörter schon da. Kontemplation und Effektion.

Gestern: Baurausch im Bauwagen. Der heißt nicht Bauwagen, weil man da immer dran baut, sondern weil man den so nimmt, wie er ist, ihn wo hinzieht, von da ausschwärmt und baut. Anders hier. Unser Bauwagen (oder mein Bauwagen – Thomas hat mir seine Hälfte geschenkt) bleibt eine Baustelle, denn es gibt immer was zu verbessern.
Der Wagen hat zwei Zimmer. Die linke, früher von Thomas bewohnte Hälfte habe ich gestern zur Kaschierung der zerlöcherten und verbeulten Innenostpappe mit Holz getäfelt, das ich von J. und R. geschenkt gekriegt habt. Die Decke gespachtelt und dünn gestrichen, die Wände geweißt, also auch das Holz, das weiß, aber schmuddelig war. Dann das geschenkte Bett zusammengebaut und auf Füße gesetzt. Feine 1,40 Matratze jetzt. Und die Möbel wieder eingeräumt, so viel reingingen. Mit dem hinteren Fenster muss ich mich noch wann anders beschäftigen, das ist verzogen und sperrt. Hab ich erstmal zugeschraubt. Das Ofenrohr ist auch undicht, dadran läuft das Wasser nach innen. Da muss auch was passieren. Jetzt steht ne Schale drunter. Die Wandlampe ging dann plötzlich auch nicht mehr. Die musste mit in die Werkstatt.
Es tut sich ein Widerspruch in der Zielführung auf. Bauen ist ergebnisorientiert: Man will, dass der Zustand danach anders ist. Deshalb will man effektiv arbeiten, weil es der Effekt ist, der einen interessiert, das Ergebnis. Man sägt nicht, weil das Sägegeräusch so schön ist oder weil es so aufregend zuzuschauen ist, wie sich die rasenden Zähne ins Holz reinfressen. Man will, dass das Brett kürzer wird, damit man es an die Wand neben die anderen schrauben kann. Man will, dass die Bretter an die Wand kommen, damit man den Möbelstau im anderen Zimmer auflösen kann.
Bauen verträgt sich nicht mit dem inneren Zustand der Kontemplation, weil es meist anstrengend ist, und man will das hinter sich bringen. Der Zustand der Effektion gibt einem die Kraft zum Durchhalten. Motive sind: Befriedigung von Bedürfnissen, Erweiterung von Handungsspielräumen, Beitrag zu sozialen Interaktion, Abwendung von Schäden, von Nachteilen, von Verfall und Zerstörung und von der damit oft verbundenen späteren Mehrarbeit.
Dann ist das gesteckte Ziel erreicht. Erstmal. Irgendwie. Und dann zeigt sich, dass die Effektion nach dem Gesetz der Impulserhaltung von einem Besitz ergriffen hat: man kann nicht so einfach aufhören, sich in das neu eingeräumte Zimmer setzen, sagen: ach, schön hier! und die Zeit verstreichen lassen. Im Gegenteil, die Effektion treibt einen zur Suche nach neuen Bautätigkeiten. Die Lampe noch eben. Die Gardinenstange ist ja ganz verrostet, usw. Und das hört nie auf.
Andererseits. Im Zustand der Kontemplation kann man nicht bauen, behaupte ich. Denn das anschauende Verhältnis zur ausgeübten Tätigkeit macht einen gleichgültig gegenüber ihren Ergebnissen. Man ist schnell zu jedem Kompromiss bereit: Ist doch anders auch ganz gut! Von daher kann es, genau genommen, auch so bleiben, wie es jetzt ist. Da aber auch der kontemplative Mensch Bedürfnisse hat, wartet er schlau, dass der effektive Mensch sich einrichtet. Und diesen neuen, eingerichteten Zustand kann er, der kontemplative Mensch dann als gegeben hinnehmen, ohne sich selbst in das Hamsterrad der Effektion (und der damit natürlich auch stets verbundenen Frustration über Misserfolge) begeben zu müssen.
Hier tut sich ein Konflikt auf. Und hier ist die Kunst der Übergänge gefragt. Den rauschhaften Flug des Tätigseins sanft in unwichtigen und jederzeit unterbrechbaren Kleinarbeiten ausklingen lassen. Aus dem wonnigen Zustand des Insich-Ruhens kleine überschaubare Ziele anstreben und sich von ihnen pulsen zu lassen. Die Relativität der Ziele akzeptieren und sie trotzdem verfolgen.

heute: Es kommen sechs bis acht junge Leute unter 30, die die Hauswand zuende ausgraben wollen. Aber es regnet. Vielleicht hört es heute Nachmittag auf.

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