vonImma Luise Harms 05.11.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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„Hunderttausende friedliche Demonstranten haben 1989 … die Mauer zu Fall gebracht“ schreibt die Bundesregierung in einem Textkasten, der in einem Bild platziert ist, das sitzende, stehende, jedenfalls gut gelaunte junge Menschen auf der Krone der berühmten Mauer zeigt. Sind das die Menschen, die sie zu Fall gebracht haben? Auf der Mauer steht „freedom“, davor sind drei uniformierte Männer postiert, in entspannter Haltung, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Es sind, der Uniform nach zu urteilen, Grenzsoldaten der DDR; das Bild ist hinter ihrem Rücken aufgenommen worden, also aus dem Ostteil der Stadt, wahrscheinlich mit einem Teleobjektiv aus größerer Entfernung. Das Teleobjektiv rückt die Personen, zwischen denen sich eigentlich politische Zeitalter befinden, in große situative Nähe. Sie könnten miteinander reden.

Ganz offensichtlich sind das weder Demonstranten noch Flüchtende aus der DDR, sondern ZuschauerInnen aus West-Berlin, die auf der westlichen Sperrmauer stehen; wahrscheinlich vor dem Brandenburger Tor, dort wurden viele solcher Bilder gemacht. Hinter der östlichen Sperrmauer stand wahrscheinlich der Fotograf. Die Mauer zu fotografieren, war früher bei Strafe verboten. Das alles war aufgelöst in diesen Tagen. Und diesen Auflösungsprozess gucken sich die Neugierigen aus West-Berlin an und genießen dabei, wie alle anderen in dieser Zeit, was sie plötzlich alles dürfen und vorher nicht gedurft haben, z.B. auf die Mauer klettern, z.B. unter den Augen der Wächter etwas daran sprühen, sogar runterfallen von der Mauer auf den Grenzstreifen, wobei ihnen von den Grenzsoldaten wieder hoch geholfen wird. Auch davon gibt es ein Foto.

Die Bundesregierung gibt die Schaulustigen aus dem Westen durch die Zuordnung von Bild und Text als „friedliche Demonstranten“ aus dem Osten aus. Das ist nicht das erste Mal, dass das berühmte Bild der Menschen auf der Mauer auf diese Weise umgedeutet wird. Aber so flächendeckend per Anzeigen verteilt, und das von der amtlichsten Stelle, die wir überhaupt haben – da kann man sagen, diese Umdeutung, die ja auch eine Lüge ist, eine geschichtliche Lüge, wird vom Bundespresseamt dem deutschen Volkskörper eingebrannt, so dass niemand mehr etwas anderes behaupten, ja, denken kann: Die friedlichen Demonstranten haben die Mauer friedlich überwunden, friedlich erstürmt. Und nicht: die westliche Welt hat die Demonstrationen in der DDR für mehr Selbstbestimmung und Reisefreiheit dazu genutzt, in den Osten vorzudringen. Was man wirklich auf dem Bild sieht: die Mauer wurde von der westlichen Seite gestürmt. Und die DDR-Bürokratie oder vielmehr: die Grenztruppen haben es geduldet. Warum? Weil sie in jeder Weise mit dem Rücken an der Wald standen, mit ihrem bürokratischen Sozialismus am Ende waren.

Die Grenztruppen greifen nicht ein. Inzwischen ist bekannt: viele Truppenteile hatten bereits verabredet, im Ernstfall nicht aus den Kasernen auszurücken, um nicht gegen ihr eigenes Volk eingesetzt zu werden. Sind nicht die auf dem Rücken verschränkten Hände der Grenzsoldaten auch Helden des historischen Momentes? In der Anzeige werden sie von dem Textkasten der Bundesregierung verdeckt. So schiebt sich die große Erzählung der Mächtigen vor die letzten Spuren des tatsächlich Geschehenen.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/11/05/ach-es-will-ja-doch-niemand-wissen-was-wirklich-geschah/

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kommentare

  • Ich sags gleich: ich kenne die Wahrheit nicht und ich weiß wenig von dem, was damals wirklich geschah. Von Wien aus gesehen war die Mauer tatsächlich ein Symbol, wie Tobias sagt. Ein unscharfes, mit Bedeutung aufgeladenes Bild. Wo ich mit Tobias nicht übereinstimme ist, wie mit Symbolen und Bildern im allgemeinen umzugehen ist. Mit Verlaub, mir wäre auch nicht recht, wenn unter meinem Konterfei geschrieben stehen würde, geschätzte 16 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Fußschweiß – egal wie wahr diese Behauptung sein mag.
    Entscheidend ist doch mit welcher Absicht bestimmte Texte und Bilder in Beziehung gesetzt werden. Wir sehen schließlich nur, was wir sehen wollen, in dem Fall – so will es die deutsche Bundesregierung – die friedlichen Demonstranten, die die Diktatur der DDR zu Fall gebracht haben.
    Sorry, aber wenn Imma Recht hat und dieses Bild zumindest nicht das zeigt, was hier suggeriert wird, dann bin ich schon sehr dankbar für den Hinweis!
    Zugleich frage ich mich, was mir hier nicht erklärt wird, welche Verbiegungen und Auslassungen zu welchgem Zweck hier vorgenommen werden.
    Ich bin also, ihr merkt es schon, für diese Diskussion sehr dankbar. Sie erscheint mir legitim und wichtig. Und wichtiger als das emotionale Gezerre um die „eine Wahrheit“ oder die Herabwürdigung des/der Andersdenkenden erscheint mir, eure Geschichten in all ihren Widersprüchlichkeiten zu erfahren. Denn eines ist auch klar: Wenn Geschichte erst mal total klar, einfach und ohne Widersprüche ist, dann ist sie mit Sicherheit Propaganda.

  • Hey, Imma, du hast in eine Wespennest gestochen, Wut über deine Interpretationen. Ich danke dir dass du diese Bild bewusst angeguckt hast, und darüber Gedanken gemacht hast. Es hat mich motiviert damit auseinanderzusetzen.
    Als ich diese Werbung erst gesehen habe, stach das Wort „Freedom“ (nicht Freiheit?) in mein Auge, und es schien mir das die Menschen auf der Mauer eine Haufen „backpackers“ war. Jung, gut drauf, auch irgendwie aktuell, also jetzt. Die Bundesregierung nutzt diese große Moment, 9.11.1989, uns zu zeigen was die alles für moderne junge Leute versprechen, Zukunft, Frieden, u.s.w.
    Auch ein schlimme Missbrauch, aber anders als du es beschreibst.
    Und wer ist die Bundesregierung? War das CDU und SPD? Oder auch die andere? Ich kenne mich nicht so aus, wird so ein Werbung abgestimmt?
    Deine Blog und die aufgeregte Kommentare haben viele Wahrheiten und auch Fragen raumgegeben. Wer waren dann die Helden? Wer weiß was im Hintergrund passierte, wer hat mitgewirkt?
    Ich weiß von FreundInnen hier das die aktiv mitgewirkt haben, und ein Revolution in ihre Leben erlebt haben. Das trotzdem das Kapital das Osten überrollt hat (und mich mitgenommen hat) braucht niemand in Frage zu stellen.
    Ich stand auch Mitternacht auf der Mauer vor Brandenburger Tor, dachte „was denken, wie fühlen sich diese Soldaten die da unten vor uns stehen? Wie ist es für die Menschen die den Mauer jetzt durchbrechen? Wahnsinn! „
    Neben mir eine Gruppe schrie neo-nazi Parolen. Sehr unangenehm….

  • Was -um Himmels Willen- ist denn ein Volkskörper? Und wie brennt man denn etwas in einen Volkskörper ein? Ich (Wessie) stand am 10.November 89 auf der Mauer und da standen Wessies und Ossies und Engländer und Amerikaner und Dänen und Iren und Franzosen und was weiss ich wer?
    Wie muss ein Foto aussehen, das die komplexen Vorgänge des Jahres 1989 einfängt? Polen, Gorbatschow, Leipzig, Berlin…
    Täglich schauen wir uns uns Hunderte von Photos an, die zu irgendeinem Text oder einem Gedanken mehr oder minder schlecht passen-müssen wir über jedes davon in das TAZ einen Blog verfassen und befürchten, dass es sich manipulativ in den Volkskörper einbrennt?
    Die Mauer war ein Symbol für die ganze Welt – das haben wir, die wir jahrelang an ihr entlang spaziert sind, oft gar nicht begriffen. So wie wir damals an diesem 9./10.November die Dimension, was da um uns herum geschah, nicht begriffen haben.

  • Aber Immawieder gibt es doch jemanden, der wissen will, was wirklich geschah.
    Und nun endlich wurde es mir als Teil des „Volkskörpers“ einleuchtend erklärt.
    Ich bin ja nun nicht gerade historisch gebildet,als jemand, der aus dem Osten kommt. Ich habe doch wirklich geglaubt, dieser ganze Mauerfall wäre von den vielen Tausenden DDR-Menschen durchgezogen worden. Aber die brüllten ja schon damals in Leipzig, völlig unbewußt gesteuert, alkoholisiert und feierwütig:“Wir sind ein Volk!“
    Nun weiß ich: Die verschränkten Hände unserer ehemaligen DDR-Soldaten sind die eigentlichen Helden, auch wenn vielleicht einige Fingerchen dieser Helden-Hände am Abzug rumgespielt haben, wenn ein DDR-Bürger, der dem kapitalistischen Lügengeflüster auf den Leim gegangen war, so einfach in den goldenen Westen hüpfen wollte. Ich glaubte ja wirklich an den freien Willen dieser Menschen, suggerierten mir doch die kapitalistischen Machthaber mit ihren amtlichsten Stellen dies.
    Und auch das weiß ich nun: Die Mauer wurde von den Westlern gestürmt, weil die endlich zur „Landnahme“ schreiten wollten. Die Ostler waren ja ohnehin zu besoffen und feierwütig.
    Nocheinmal danke ich für die kompetente Aufklärung, welche ja auch noch durch ihre absolute Neutralität besticht. Schließlich wird ein Mensch, der im Kapitalismus aufgewachsen ist, ja wissen wie es wirklich war im Osten, im Westen und eigentlich überall.
    Danke also und Immawieder gerne
    Bettina Wegner
    p.s. Dank auch an den klugen Thomas

  • Der zehnte November 1989 war ein sonniger Tag. Da hat Martin Braband recht. Ich habe diesen „Wahnsinns“Tag an der Mauer erlebt, u.a. am Platz vor dem Brandenburger Tor (also auf Westseite, für alle die sich mit den Westberliner Straßennamen nicht so auskennen; so hieß das damals da, unterhalb der Mauer)Vorher war ich mit meinen KommilitonInnen am Grenzübergang Invalidenstraße. Zwei Stunden haben wir dort, den nicht abreißenden Strom der Menschen, die in den Westteil strömten, gefilmt, ohne genau zu wissen wofür. Wir waren einfach überwältigt von der Situation. Später sind wir weitergezogen zum Brandenburger Tor, oder eben zum Platz vor dem Brandenburger Tor, also zu der Rückseite des von Imma beschriebenen Fotos; das von der Bundesregierung jetzt dazu benutzt wird, um ihre Landnahme zu verschleiern.

    Wir trafen da auf eine alkoholisierte feierwütige Menge, aus der viele versuchten auf die Mauerkrone hochzuklettern, was aber nicht gut ging, weil es oben schon voll war und nicht wenige drohten runterzufallen.

    Gut kann ich mich noch an K. erinnern. Er war vor einem knappen halben Jahr (Mai´89) aus dem Osten zu uns an die Filmhochschule gekommen. Jetzt, hier im Herbst ´89, war er angewidert von der Situation. Immer wieder redete er von Inszenierung der Revolte und wollte bloß schnell weiter. So richtig hatte ich ihn damals nicht verstanden, fand ihn ein wenig spaßbremsend (das Wort kannte man damals noch nicht) Im Lauf der folgenden Jahre habe ich immer besser begriffen, was er eigentlich meinte.

    Dieses Bild, was Imma beschreibt, hat nichts mit Mut oder Freiheit zu tun. Martin Braband schreibt ja auch in seinem Kommentar, einen halben Tag früher (also mitten in der Nacht)hätte sich niemand getraut dort hoch zu gehen. Da aber irrt er.

    Es hat genügend gegeben, die das versucht haben, diese wurden zu diesem Zeitpunkt noch mit Wasserwerfern aus dem Osten beschossen. Ich weiß nicht, ob es Fotos davon gibt. Es gibt aber reichlich Fotos von knüppelnden Stasileuten im Oktober´89. Die Fotos von diesen Kämpfen benutzt die Bundesregierung aber wohlweißlich nicht, um den Mut und den Freiheitswillen der DDR Bürger zu rühmen, nein, diese Fotos ähneln dann doch zu sehr den Bildern von Stuttgart 21 und anderen Protesten der vergangenen Zeiten der BRD. Da könnte man ja auf falsche Gedanken kommen.

    Stattdessen wird das Foto einer mehr oder weniger bewußten Siegesfeier benutzt, die an genau der Stelle stattfand, wo knapp 25 Jahre später siegestrunkene Fußballprofis ihren „Gauchotanz“ aufführten.

    Das nennt man -harmlos ausgedrückt- Kriegsgewinnlerei!

    und so bin ich froh, daß Imma mit ihrer Sichtweise zu denken gibt.

    Und noch was: Ein Foto von der Übergabe der 100 DM Begrüßungsgeld mit der Überschrift: Mut zur Freiheit. Mut zur Zukunft. Hätte auch eine andere Konnotation.

  • Hallo Imma, es ist mehr als ärgerlich, von den „historischen Weisheiten “ in diesem blog zu lesen. Der sogenannte Missbrauch der westlichen Welt, die ja nur in den Osten vordringen wollte, stuft die vielen Menschen in der DDR , die endlich aufbegehrten, als doofe Trottel ein. Auch ich gehörte über viele Jahre zu denen und hab die Konsequenzen von Aufbegehren erlebt. Inzwischen dürfte oder sollte auch bekannt sein, dass es Pläne der SED und Staatssicherheit gab, die eindeutig darauf abzielten, nach Westberlin vorzudringen , im Fall des Falles X. Alle Verbände der alliierten Westmächte sollten ausgeschaltet und Bezirksämter, Polizeidienststellen etc. würdigen guten Genossen zugeteilt werden. Was tatsächlich die Geschichte des Bildes ist: das Foto entstand ab dem 10.November, viele Leute aus Ost und West strömten jeweils vor und hinter die Mauer, gemeinsam kletterten sie vom Westteil auf die Mauer, Ostler und Westler – Freunde von mir waren dabei.Aber Du scheinst nur das zu sehen, was Du sehen willst. Wo Du Geschichtsfälschung suggerierst, bist Du selbst auf diesem Wege. Nun bin ich aber froh, dass wenigstens nur die auf dem Rücken verschränkten Hände der Grenzer von Dir zu Helden verklärt werden sollen, denn die Grenzsoldaten hatten auch Köpfe und je nach Befehl hätten sie ihre Hände so bewegt, wie sie sollten. Auch mit dem Finger am Abzug. Das stand noch im Oktober 89 in Leipzig auf Messers Schneide, als „nur“ ihre Knüppel tanzen ließen . So schiebt sich die große Erzählung der Ignoranten, der Einäugigen Verharmloser- und es gibt einige davon, die annehmen, sie besäßen die historische Deutungshoheit – vor die letzten Spuren des tatsächlichen. Geschehens. In Einem muß ich Dir fast Recht geben: Zu wenige wollen wissen, was tatsächlich geschah. Du wolltest es offenbar auch nicht. Schade. Claudia

  • Frau Harms, Sie erfinden eine Lüge!
    Beweis:
    Dieses Bild ist offensichtlich am helllichten Tag gemacht worden.
    Es kann nicht am 9.11. bei Tageslicht gemacht worden sein
    – da hätte sich niemand auf die Mauer getraut – auch aus dem Westen nicht.
    Also ist es wohl am 10.11. oder danach aufgenommen worden.

    Frau Harms, waren Sie am 10.11.89 in Berlin?
    Vermutlich nicht, sonst hätten Sie gewusst, dass am 10.11. 10.000e Menschen aus Ost-Berlin und der DDR in West-Berlin waren.
    Wenn Sie aber doch am 10.11.89 in Berlin waren, dann haben Sie diese 10.000e von Ostdeutschen in West-Berlin mit Sicherheit wahrgenommen und auch deren Freude sehen können.
    Ganz offensichtlich sind am 10.11.89 Ost- und Westdeutsche gemeinsam friedlich auf die verhasste Mauer geklettert.
    Damit ist ihre Argumentation ganz einfach falsch.

    Dann benutzen Sie eine Sprache, die man wohl braun nennen muss: „diese Umdeutung, … eine geschichtliche Lüge, wird vom Bundespresseamt dem deutschen Volkskörper eingebrannt“. Unglaublich.

    Sie deuten das klare Bild der Freude der Menschen auf der Mauer um in Ihre Traumwelt: „die Mauer wurde von westlicher Seite gestürmt.“ So einen Unsinn hat 1989 nicht mal die SED behauptet.
    1961 hat die SED aber solche Lügen benutzt, um diese Mauer gegen das Volk zu „rechtfertigen“:
    O-Ton in der Schule: „Die Bundeswehr wollte durchs Brandenburger Tor in die DDR einmarschieren.“

    Werden Sie sich jetzt entschuldigen bei Ihren Lesern?

  • Ich betrachte das Bild mit 25 Jahren Abstand und lese den Text als Umschreibung der Vorgeschichte (statt als direkte Beschreibung des Bildes). Daher sehe ich in Summe vor allem die Würdigung eines friedlichen Umsturzes.
    Ich kann der Interpretation nicht folgen, dass die Bundesregierung (die „Mächtigen“) den Fall der Mauer auf die Fahnen der Wessis schreiben möchte. Dazu passt der Text schon gar nicht. Hast Du, Imma, vielleicht noch andere, klarere Belege dafür?

    Die Mauer konnte von der Westseite ja nur erklommen und besprüht werden, weil von Ostseite der Auflösungsprozess so weit fortgeschritten war.

  • Geschichtliche Lügen und andere Umdeutungsversuche
    Bildinterpretationen sind wichtig, Textinterpretationen erst recht. Halten wir kurz fest, worüber uns Imma endlich aufklärt: Die Hände der Grenztruppen sind auch Helden. Die Wächter (des Kommunismus? der reinen Lehre? des Grals?) sind so freundlich und helfen runtergefallenen Menschen, wieder hoch zu kommen. Die Grenztruppen stehen mit dem Rücken zur Wand (die Armen.., sieht man ja auf dem Foto auch) 10 000 Tage vorher standen sie tatsächlich mit dem Rücken zur Wand, um Fluchtversuche der eigenen Bevölkerung mit Waffengewalt zu verhindern. Das Bundespresseamt schafft die Meinungs- und die Denkfreiheit ab (sic! das hat vorher noch keiner geschafft). Der deutsche Volkskörper bekommt eine geschichtliche Lüge eingebrannt (und schon befinden wir uns wieder im tiefsten Nationalsozialismus). Die Demonstranten in der DDR wollten mehr Selbstbestimmung (sie hatten ja schon so viel) und Reisefreiheit ( die anderen nebensächlichen Forderungen wie Wahlrecht, Meinungsfreiheit.. egal, erwähnen wir mal garnicht) Und vor allem (warum der ganze Fotodeutungszinnober und dieser blog veranstaltet wurde): die westliche Welt hat die Situation genutzt, um in den Osten vorzudringen (Chiquita? Coca Cola? ). Nicht die doofe polnische Bevölkerung hat im Juni 89 die Kommunisten abgewählt .Nicht die doofe DDR-Bevölkerung hat im Oktober 89 unter Lebensgefahr demonstriert und im März 90 in den ersten freien Wahlen seine Wünsche zum Ausdruck gebracht. Nein, die Revanchisten in Bonn und Washington hatten die Fäden in der Hand, wie wahrscheinlich schon in Danzig, in Prag, in Ungarn, am 17. Juni 53. Die Sowjetunion hat ja weder vor noch nach 89 seinen Machtbereich erweitert, geschweige denn Panzer eingesetzt.
    Ziemlich abgehoben, ziemlich überheblich den Menschen gegenüber, Imma.
    Michael

  • Hallo liebe Imma, doch, ich denke schon, dass dieses Thema interessiert. Ehrlich auf das Ding mit der Sicht“seite“ bin ich auch nicht gekommen. Es macht schon nachdenklich. Besonders für Menschen die nicht direkt dabei sein konnten oder wollten eine wesentliche Information.
    Ich möchte Dir danken, dass Du einen Wink mit dem Zaunpfahl geschickt hast und das betrifft nicht nur diesen Blog. Ich habe im letzten Jahr einfach nicht gestöbert. Das tut mir leid, denn Deine „Wort(e) zur Wahl“ haben mich besonders berührt und mich eine Stunde am Lesen gehalten. Herzlichst R aus R

  • Liebe Imma

    das ist ja echt ungeheuerlich. Und mir selbst wäre diese Verdrehung der Geschichte nicht aufgefallen! DANKE sehr für deinen Hinweis.Ich werde das gerne weiter leiten.

    Aber noch mal als Frage von mir: gab es das nicht auch, dass Menschen die Mauer von der Ostseite aus beklettert haben?

    Oder sind die Menschen aus dem Osten einfach „nur“ an den Grenzübergängen rüber in den Westen gelaufen, ganz unspektakulär, vorbei an den Grenzern, die mit hinter dem Rücken verschränkten Armen dabei standen, so wie ich selbst aus dieser Nacht es in Erinnerung habe. Sie haben auf diese Weise die Mauer zwar nicht „gestürmt“, aber doch hinter sich gelassen. Meiner Erinnerung nach war das Rüberlaufen VOR dem Beklettern von Westen her am Brandenburger Tor schon passiert, jedenfalls bei uns im Wedding am Übergang Chausseestraße.

    Insofern wäre zwar das Foto selbst in Verbindung mit dem Satz ein Lüge und das Wort „gestürmt“ auch – dennoch bliebe es die Wahrheit: „Hunderttausende friedliche Demonstranten haben 1989 … die Mauer zu Fall gebracht“ – eben durch einfaches rüber Laufen, was ja doch zu diesem Zeitpunkt in dieser Nacht noch mit viel Angst verbunden war und der Frage: komm ich denn dann nachher auch wieder zurück? passiert mir etwas, wenn ich jetzt rüber gehe…?
    Und das passierte in großem Maßstab und direkt in der Nacht vom 9. November sowie in den folgenen Tagen, das konnte ich mir eigenen Augen ja beobachten- lange bevor “ die westliche Welt .. die Demonstrationen in der DDR für mehr Selbstbestimmung und Reisefreiheit dazu genutzt (hat), in den Osten vorzudringen.“ Diese Ostkolonisierung begann dann ja tatsächlich noch später. Aber auch eher von den Behördern, Firmen, Unternehmen und Parteien aus – weniger von den Menschen selbst. Viele Westler/innen brauchten Jahre, bis sie zum ersten mal ihren Fuß auf den Boden der ehemaligen DDR setzten.

    viele Grüße
    Josephine

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