vonImma Luise Harms 24.12.2016

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Keine und keiner da, den ich beschenke könnte oder müsste. Kommt keiner und hat uns keiner eingeladen. Na ja. Die eingefleischte Weihnachts-Empfindsamkeit wird heute unter Thomas’ total prosaischer Führung nach Berlin getragen. Was solls.

Ich krieg keine Geschenke, darüber bin ich nicht böse, kein weggeschenktes Zeug. Auch kein Päckchen. Doch, ich habe wieder eines von der taz gekriegt, da bin ich in einem Verteiler, vielleicht als bloggerin. Zwei Tafeln Schokolade, ein Notizbuch, ein Wochenkalender mit Karikaturen von Tom, den ich mir inzwischen wie ne Seidenraupe vorstelle, die, eingespannt in eine Melkvorrichtung, vorne gefüttert wird und nach hinten unablässig Witze reißen muss.  Also den Kalender von Tom schenke ich an C. weiter, der sich schon über den Tageskalender von diesem Jahr so gefreut hat,  auch wenn er, C.,  uns zu Weihnachten nicht sehen will. Das kommt vor seine Tür.

In dem Päckchen aus der taz ist noch eine Karte, auf die Konny eigenhändig schöne Grüße an mich geschrieben hat. Ich freue mich immer über den bekannten Schriftzug. Er haftet dann dem Notizbuch und den Schokoladetafeln an, auch wenn die Karte selbst längst weggeworfen ist. Ich würde mich freuen, wenn sie beim Schreiben an mich gedacht hat.

Geben und Nehmen. Die Gabe. Gestern hatten wir ein langes Gespräch darüber, wie das in der Theorie der Solidarischen Ökonomie beitragsökonomisch zu denken ist. Ein Geschenk, also eine Gabe ist zwar ein bisschen was anderes als ein Beitrag. Aber beides ist doch irgendwie, wenn auch auf eine sehr vermittelte Weise, mit Erwartungen verbunden – auf eine Gegengabe, wie und wann auch immer, bzw. auf einen Beitrag der anderen. Nicht quantifiziert, nicht zeitlich nah, was sonst ja im Äquivalenztausch, in der Marktförmigkeit, also in der Sphäre der Durchkapitalisierung mündet.

Das Geschenk ist ein Angebot auf Beziehung. Wenn es ungehört, ohne Widerhall bleibt, ist die Enttäuschung da.
Ist es möglich, ohne jede Erwartung zu geben? Ist es richtig, Erwartungen und Enttäuschungen aus dem eigenen Gefühlshaushalt zu entfernen; wäre es richtig, wenn es überhaupt möglich wäre? Weil unsere beitragsökonomischen Vorstellungen überall an die real existierende Welt der Ressourcen-Vernutzung stoßen, ist Erwartung, also Aufmerksamkeit für eine Balance zwischen Geben und Nehmen, ein Warnsystem. Nein, nicht davor, restlos ausgeblutet zu werden, sondern vielleicht davor, die Subjekthaftigkeit, ich könnte auch sagen: die Würde, im Prozess des Gebens und Nehmen zu verlieren. Denn, wie David Gräber uns auseinander gelegt hat, nimmt das Geben und Nehmen häufig, vielleicht in der Tendenz sogar immer, eine hierarchisierte Form an: Devotes Geben, das bestenfalls Wohlwollen als „Gegengabe“ hat. Gönnerhaftes Geben, das Dankbarkeit erzwingt.

Das will man nicht, das ist eine Kränkung des autonomen Ich. Aus sinnvoller Eigenliebe hüten wir uns vor Menschen, die grundsätzlich nichts zurückgeben oder grundsätzlich nichts annehmen wollen. Aus einem Gefühl von Balance, ich könnte auch sagen: Gerechtigkeit, haben wir den Impuls, auch beizutragen oder auch zu geben, wo uns gegeben wird. Das Dilemma ist aber, Gerechtigkeit kann aber kein nur qualitativer Begriff sein; es wohnt ihm das Rechnen inne, so grobkörnig wir es auch zu halten versuchen. Eine Gesellschaft, die von Gerechtigkeitsvorstellungen zusammen gehalten wird, ist auch eine, die mit einem Bein immer im Äquivalenztausch steht. Oder andersrum: eine Gesellschaft, die von solidarischer Ökonomie bestimmt ist, kann ihre Moral nicht auf Gerechtigkeitsvorstellungen aufbauen. Das ist fatal, denn es bedeutet, auch ein diktatorisches oder feudales System kann auf mich als willfähriges Mitglied setzen, wenn ich nur in meiner Moral die Erwartung auf Ausgeglichenheit, auf Gerechtigkeit eliminiere. Das bedeutet, solidarische Ökonomie, in der wir ja den Gegenentwurf zur kapitalistischen marktkönomischen Gesellschaftsstruktur sehen, ist nicht nur nicht gefeit gegen hierarchisierte Herrschaftsformen, sie fordert sie geradezu heraus. Da muss irgendwo ein Denkfehler sein.

Nochmal zurück nach gestern. Ich trudele durch den Tag, hab kein Motiv, etwas zu machen, alles zerglibbert mir schon im Stadium der Planung. Die Ziellosigkeit, die Lustlosigkeit, die ich der Einfachheit halber Weihnachtsdepression nenne. Thomas hat sie nicht, aber versteht sie und will helfen. Wir machen uns praktische Gedanken.
Der Zeitungsbote, soll der was kriegen? Thomas steckt ihm sonst manchmal einen Zehner in die Zeitungsröhre. Da guckt er am 24. immer nach. Einmal hatte wir eine Flasche Weißwein zur Kühlung draußen stehen gelassen. Am nächsten Tag war sie weg. Auch ok.

Mein Herz, voller zurück gestauter Nächstenliebe, weil es keine greifbaren „Lieben“ gibt, wendet sich dem unbekannten Zeitungsboten zu, der jeden Morgen in den frühen Stunden von Briefkasten zu Briefkasten über den Hof fährt. Wenn ich nicht schlafen kann, sehe ich manchmal den Lichtkegel seines Autos. Jetzt fokussiert sich mein Bedürfnis zu geben und im Geben mit der Welt diesen einen Tag einfach mal einverstanden zu sein, auf ihn, den unbekannten Menschen. „Ich backe Plätzchen für den Zeitungsboten“, sage ich. Thomas hat Zweifel. „Der hat doch bestimmt lieber Geld“, meint er. Ich reagiere empört. Das ist doch gönnerhaft, oder jedenfalls ist die Annahme, dass der Zeitugnsbote sich nicht über Plätzchen freut, sondern nur Bares sehen will, gönnerhaft. Man selbst würde doch auch die Geste erkennen, warum nicht jemand anderes?
Ich bin entschlossen, auch weil es mein Weihnachts-trauriges Dümpeln beendet. Ich mache Mürbeteig-Plätzchen mit dem Fleischwolf, so wie früher, überziehe sie mit Schokolade, so wie früher, lasse sie erkalten, fülle sie in eine kleine Zellophantüte, schreibe eine Postkarte mit Dank für die Zustellung während des ganzen Jahres und schiebe nicht noch einen Geldschein in die Packung. Ich bin gewiss, dass der Zeitungsbote das nicht vermisst, dass er das irgendwie erkennt, dass ihm jemand ein nicht-gönnerhaftes Geschenk machen wollte. Auf Augenhöhe. Er kann natürlich nicht wissen, dass ich die Plätzchen extra für ihn gebacken habe. Aber die Karte, das kann er ja sehen, habe ich jedenfalls extra für ihn geschrieben.
Ich denke nochmal an die Sache mit dem Ausgleich beim Geben und Nehmen. Tatsächlich brauche ich nicht die Dankbarkeit des Zeitungsboten. Mir reicht die Fantasie, dass er das freundliche Zeichen erkennt. Und seine Gegengabe an mich: einen Nachmittag mit sinnhaftem Tun. „Ja“, sagt Thomas, „Geben ist seliger denn Nehmen, sagt schon die Kirche.“ Das ist nun das letzte, was ich hören will.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2016/12/24/gabe-und-gegengabe/

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