vonImma Luise Harms 30.04.2017

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Erst fühle ich mich unentschlossen und elend. Dann raffe ich mich auf und gehe es an. Dann fühl ich mich garstig, durch und durch. Ich bin garstig. Zu den Geräten, die ich herauszerre, zu den Kabeln, die ich aufwickle, zu den Haken und Ösen, die ich herausschraube. Zu dem ganzen Ort, zu dem, was er mal war oder mal sein sollte. Zu den nicht aufgegangenen Plänen, zu der bitteren Erinnerung an die hoffnungsvollen Bauarbeiten. Zu den Menschen, die außer mir noch dafür verantwortlich sind. Thomas. Wo ist der überhaupt? Wieso lässt er mich mit diesem Elend allein? Wieso hat er überhaupt keine Meinung dazu?

Der Film+Videoclub Reichenow wird aufgelöst, der Raum wird umgewidmet. Es stehen nur noch die Grundmauern, dreitausend Videobänder an den Wänden hinter einer weißen Verkleidung. Die müssen dann irgendwann auch noch weg.

Jetzt geht es um die Gerätefront im Wandschrank. Lautsprecher, große, kleine. Verstärker, DVD-Player, VHS-Player, Sat-Receiver, der alte Beamer, der mal 5000 Euro (oder Mark?) gekostet hat, der schwer und laut und nicht mehr farbecht ist.

Hinter der Leinwand, die auch im Wandschrank angebracht war, sind noch mehr Geräte: Die Kamera, die Funkstrecke, ein Mischpult, mehrere Aktivboxen, ein DVD-Player und ein VHS-Player zum Ausleihen, schön im beschrifteten silbernen Koffer, für den Fall, dass jemand ein VHS-Band leihen möchte, aber kein Abspielgerät mehr hat. Dicke, zähe Schlangen von Lautsprecherkabeln. Und eine Kiste mit einer 5.1-Anlage, die wir mal geerbt, aber nie vollständig aufgebaut haben, die mehr als alles andere das Kinohafte repräsentiert.

Die paar Veranstaltungen, die wir hier gemacht haben, hatten immer etwas Dürftiges. Wenig Menschen sind gekommen, und die, die da waren, hatten wenig Lust zu diskutieren. Jedenfalls nicht über cinematografische Fragen, wie es sich für einen Filmclub gehört. Da haben auch die aufklappbaren Clubsessel nichts geholfen, die ich besorgt hatte.

Sicher hatten wir hier auch schöne Abende, aber wie schnell verfliegt, verweht, verblasst die Erinnerung daran. Die Momente von Enttäuschung haben eine andere Schwere, wie Krümel fallen sie mir aus den Fächern entgegen.

Die Eingeweide des Film+Videoclubs liegen in der Mitte des Raums. Ich umkreise sie, ich koch mir einen Tee, ich geh mal vor die Tür, ich gucke wieder. Die 5.1-Anlage, die kann doch sicher jemand brauchen. Ein dicker Bass-Booster, zwei dicke und fünf kleine Boxen, die im Raum zu verteilen sind, der schwere Verstärker. Kann ich das noch irgendwo anders einsetzen? Sollen wir es über Ebay zu verkaufen versuchen? Das bringt doch nichts. Außerdem haben wir es selbst geschenkt gekriegt. Annonce im Hofblog.

Der Beamer, wirklich weg? Thomas hat noch einen, einen besseren. Dieser müsste eine neue Lampe kriegen, die kostet sicher an die hundert Euro. Und wozu auch? Die Geräte zum Ausleihen, die dicken Boxen, das Mischpult. Ich schleppe erstmal alles in die Küche, mache einen neuen Turm daraus. Kamera, Funkstrecke, DAT-Recorder, die Bose-Aktivboxen behalte ich noch, verstaue sie auf dem Hängeboden. Der Turm in der Küche wird morgen ins Auto gepackt und kommt auf den Verschenkemarkt in Möglin.

O. kommt mit zwei Freundinnen. Mit ihnen geht das Mischpult, der Beamer, ein DVD-Player. Zwei im Wandschrank zurück gelassene Schlafsäcke nehmen sie auch noch mit. Der Turm wird schon kleiner.

Die 5.1-Anlage wird für Hof-Zwecke abgeholt. Jetzt ist der Platz im Fim+Videoclub wieder frei. Der Wandschrank ist leer, nur die schwarze Kaschierung der Fächer und der Türen erinnert noch an die Kinoinszenierungen im Raum. Als ich die Leinwand, eine gerahmte weiße Hartfaserplatte, zusammen mit zwei halb kaputten Verstärkern, zu unserer Schottsammelstelle und zum Holzcontainer fahre, flacht der Ingrimm zu einer erholsamen Traurigkeit ab. Es ist vorbei, es war eine Phase, ob gut oder schlecht, ob legendär, erfolgreich, ganz nett oder ein Fehlversuch, ich habe es gelebt, und ich lasse es jetzt gehen. Erleichtert schiebe ich meine leere Schubkarre zurück.

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