vonImma Luise Harms 31.01.2018

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Ist Heimwerken nicht wie Dichten? Ich meine, nicht in dem plumpen Sinn von “Wo es tropft, da muss man dichten”.  Nein.

Unser Freund M. kommt mit einem Kuchen zu Besuch. Er ist jetzt im Rentenalter, ich bin auch im Rentenalter, Thomas ist kurz davor. Drei verwitterte GenossInnen. Das letzte Mal haben wir uns auf der Ouri Yallou Demo in Dessau getroffen. M. kriegt keine Rente, ich wenig. Thomas wird auch keine kriegen. Rentenalter heißt bei uns, dass wir die Tätigkeiten und Projekte, die wir übernommen haben, allmählich abbauen, kürzer treten.

Aber was dann? Krank sind wir nicht, sterben werden wir wahrscheinlich auch nicht so schnell. Die Kraft wird weniger, die Ideen und der Glaube an deren Sinnhaftigkeit vielleicht auch. Aber die Zeit bleibt. Was tun mit diesem leeren Gefäß? Die Überlegung, die restliche Zeit im Gefängnis zu verbringen, z.B. für ein notwendiges politisches Attentat, mit dem sich junge Leute dann nicht ihr Leben verbauen müssten, wird schnell aufgegeben. Hohles Heldentum ohne eigentliches Ziel.

Was ist in unserem Leben das Eigentliche, auf das wir uns nun ohne Drang und Zwang konzentrieren könnten? “Man muss weiterarbeiten”, schlage ich vor, “selbstbestimmtes, auf das Gemeinsame und auf das Ganze ausgerichtetes Arbeiten – das ist doch leben!” M. behauptet das Gegenteil, er will endlich aufhören, in sozialen Zusammenhängen immer zu funktionieren, immer die Rolle anzunehmen, die ihm aufgedrängt wird. Die Gästehaus-Organisation hat er abgegeben, die Betreuung der Volontärs-Gruppe auch. “Na, ich mach ab und zu Vertretung”, sagt er. Thomas und ich schauen uns grinsend an. Nein, er will da wirklich raus. Ich sage: “Mit dem Dichten kommst du auch nicht so richtig weiter, oder?” “Doch”, antwortet er zu meiner Überraschung.

Er fährt jetzt öfter nach Berlin, setzt sich dort in ein Café oder läuft einfach so rum, betrachtet seine Gedanken, sortiert sie, filtert sie, macht sie schlank und biegsam, bringt sie auf deutsche und englische Begriffe, sortiert sie, filtert sie, gibt ihnen eine Form oder erkennt ihre Form, setzt sie in ein Verhältnis, umbricht sie, schreibt sie auf. M. dichtet. “Das braucht Zeit”, sagt er. Ich weiß das.

Ich liege morgens im Bett und bin wach. Aus der Traumfuseligkeit kehre ich an die Schauplätze des Tages zurück: Umräumen, Umbauen, Umziehen. Drei Wohnungen bzw. Wohnungsteile werden umorganisiert. Durch eine haarsträubendes Konflikt-Dynamik in unseren Wohnverhältnissen ist es so weit gekommen. Ich gehe die Probleme ingenieursmäßig an. Es gibt für alles eine Lösung. Und wenn man lange genug nachdenkt, gibt es auch eine elegante Lösung, sodass es dann sogar besser als vorher ist. Die lange Wäscheleine quer durch den großen Raum habe ich eingerollt. Thomas murrt, wo sollen jetzt die großen Teile hin? Über der Fußbodenheizung wurden sie schnell trocken. Ich will nicht, dass der neu gestaltete Raum wie eine neapolitanische Altstadtgasse aussieht. Aber das Argument mit der Heizungswärme leuchtet mir ein. Wenn hier jetzt öfter Gäste schlafen, brauchen die Bettwäsche; die muss gewaschen und aufgehängt werden. Bettwäsche passt schlecht auf Ständer. Im kleinen Flur könnte ein hochziehbares Wäscheleinengerüst angebracht werden. 2,40 Länge, das reicht selbst für die breiten Laken. Hochziehen von nasser Bettwäsche ist anstrengend; man müsste die Seile über Umlenkrollen führen. Ich liege im Bett und denke darüber nach, wie noch mal ein Flaschenzug funktioniert, von wo nach wo da umgelenkt werden muss. Ist das zweckmäßig, ist das schön, ist das die beste Lösung? Oder doch einfach übers Wäschegestell legen und warten, bis der Sommer kommt und man die Wäsche draußen trocknen kann?

Die Lampe hängt über dem runden Tisch, niedrig genug, dass sie vor allem die Tischplatte beleuchtet. Auf einer Seite des Tisches steht die grüne Couch, etwas zu niedrig für den Tisch, aber das löse ich später. Die Couch ist zum Ausziehen. Dazu muss der Tisch in den Raum gezogen werden; Metallgleiter unter den Beinen habe ich schon angebracht. Jetzt kann man die Couch auseinander ziehen. Spätestens dann haut man mit dem Kopf gegen die Lampe. Die Lampe muss dann also höher gezogen werden. Lampen hochbinden mach ich üblicherweise mit einer Schlaufe im Kabel, die ich mit einem Löffel oder anderen Stiel sichere. Das ist unelegant. Ich liege in der Badewanne und denke über eine Hochzieh-Automatik für die Lampe nach. Das ist ja nichts Neues. Viele Tischlampen habe sowas. Es funktioniert mit einem spiralförmigen Kabel und Gegengewichten an der Deckenaufhängung. Ein Gegengewicht, mit dem man das Kabel hochziehen kann, kann ich bauen. Es gibt sogar einen richtigen eisernen Gewichtblock von einem Kilo in der Werkstatt, hab ich beim Umräumen wiedergefunden. Das sieht lustig aus, weil es so wörtlich ist. Aber gut wäre, wenn man die Lampe nicht nur hoch- sondern auch zur Seite ziehen könnte. Also zur Seite hoch. Ich liege in der Wanne und denke über ein Umlenksystem nach. Also einen Meter von der Deckenbefestigung der Lampe bringe ich eine Öse an; durch die läuft ein stabiler Plastikfaden, der vorher eine Schlinge um das Lampenkabel bildet. Dieser doppelte Plastikfaden läuft über eine zweite Öse an der Decke, aber in Wandnähe, herunter. Und hier hängt das Gegengewicht. So könnte ich die Lampe leicht hoch und zur Seite ziehen. Schluss mit Baden; ich fiebere danach, das auszuprobieren.

Ist Heimwerken nicht wie Dichten? Ich betrachte den Vorgang, versuche, ihn zu verstehen, ihm behutsam meine Absicht einzupassen, dem Ganzen eine Form von eleganter Schlichtheit zu geben. Harmonisch bildet sich eine neue Gestalt, die sowohl von der alten als auch vom Eingriff erzählt.

Wie Dichten? Ein bisschen vielleicht.

 

 

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