vonImma Luise Harms 16.08.2022

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Zu dem rüden „Warngebot“, mit dem die Keule von Müncheberg untermauert ist, sind Fragen offen. Sie betreffen das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern in der frühen Geschichte und ihren Umbruch in der Romantik. Ich frage mich, wie überzeugend meine These aus dem letzten blog-Eintrag ist, dass die Mahnung zum Egoismus als ein wichtiges Element des aufbrechenden kapitalistischen Zeitalters gedeutet werden kann. Einiges spricht dagegen.

Die mit Liebe innig verschweißte Kernfamilie ist ja wohl eher ein Produkt der Romantik. Kindheit, Kinderspielzeug, Kinderzimmer sind Erfindungen aus dieser Epoche, jedenfalls im bürgerlichen Milieu. Nach der Aufklärung, also in einer Zeit, in der die Macht der Religion und die Versprechung des Paradieses als Aussicht für rechtschaffene Menschen nachlassende Wirkung hat, gewinnt das Weiterleben in den Kindern, die Fortführung der Dynastie oder des Geschäfts an Bedeutung, und damit die Identifikation mit dem Kind und seiner Entwicklung.

Die Gleichgültigkeit gegenüber dem kindlichen Schicksal oder der pragmatische Fatalismus dürfte eher eine Begleiterscheinung der hohen Kindersterblichkeit gewesen sein, die bis zum 19. Jahrhundert herrschte und danach rapide abnahm. Sie lag bis dahin bei 50%. Und das nicht unbedingt nur bei den armen Bevölkerungsschichten. Maria Theresia, die österreichische Monarchin, hat 16 Kinder geboren, von denen nur zehn überlebten. Man konnte sein Herz nicht an das einzelne Kind hängen, das es vielleicht nicht schaffte zu überleben.

Der Spruch unter der Keule ist dennoch nicht zu erklären. Er bleibt widersinnig. Jemanden totschlagen, der sich nicht um sein eigenes Überleben kümmert? Dabei war diese merkwürdige Drohung auch noch ausgesprochen populär, wie ich inzwischen herausgefunden habe. Die Keule mit Spruch gibt es u.a. in Stargard (Polen), in Woldegk und in Jüterbog, dort sogar gleich dreimal, an jedem Stadttor. Mein Freund R. hat sie auch als einfache Hausinschrift in einem Dorf an der polnischen Grenze gefunden.

Es ist also ziemlich unwahrscheinlich, dass sich der Müncheberger Dichter Hermann Ahrend die Sache in romantischer Anwandlung ausgedacht hat. In manchen Quellen wird ein gewisser Rüdiger von Hünchhoven als Autor angegeben. Hünchhoven war auch ein Heimatdichter, eine Art Stadtschreiber im Fränkischen, allerdings nicht aus dem 19., sondern aus dem 13. Jahrhundert. Seine handschriftliche, inhaltlich und optisch fein ausgeschmückte Geschichte von den undankbaren Kindern und dem listigen, Rache-nehmenden Familienvater wird hier auf das Jahr 1290 datiert.

In einer anderen Quelle wird der Spruch auf eine Berliner Handschrift aus dem Jahr 1369 zurück geführt. Die Jüterboger datieren das auch in Müncheberg beschriebene Ereignis des von seinen Kindern vernachlässigten Tuchmachers auf das Jahr 1394 und berufen sich auf den Ortschronisten Brandt. Die Woldegker Keule hat einer gewisser  F.C.W. Jakoby von Neubrandenburg 1862 in ähnlich rührender Weise wie der Müncheberger Heimatdichter nachgedichtet. Hier handelt es sich nicht um einen Tuchmacher, sondern um einen „Ackersmann“, der sich für seine Vernachlässigung rächt.

Die Keule am Stadttor, so erfahre ich aus dem Brandenburg-Museum-digital, war ein Zeichen für die der Stadt verliehene hohe Gerichtsbarkeit, hatte also ursprünglich eine ganz andere Konnotation. Sie wurde erst später, so mutmaßte der Jüterboger Ortschronist Erich Sturtevant, mit dem in ganz Nord/Ost-Deutschland kursierenden Spruch und seiner Legende in Zusammenhang gebracht. Warum, bleibt ein Rätsel.

Es gibt auch einen Hinweis darauf, dass die Keule am Stadttor und die daran geknüpfte Legende eine unterschiedliche Herkunft haben und erst später zusammengeführt wurden. In der Urfassung, von Hünchhoven notiert, in der von einem „Schlegel“ die Rede ist, heißt es zwar „schlage man mit diesem Schlegel tot“. Das bezieht sich aber auf die Keule, die sich angeblich zusammen mit dem Spruch im Nachlass des betreffenden Tuchmachers befunden habe. An den Stadttoren zu Jüterbog ist nicht von „dieser Keule“ sondern von „der Keule“ die Rede, mit anderen Worten, von „ einer Keule so wie dieser zum Beispiel“!

In Müncheberg heißt es dagegen „mit dieser Keule“, als sei die ausgestellte Keule tatsächlich das in der Ballade besungene Exemplar. Außerdem ist auf der Beschriftung am Turm die zeitliche Verschiebung verschwunden. Es geht dort nicht mehr um die Not, die „nachmals“ wie in Jüterbog, oder „im Alter“, wie Ahrend noch dichtete, erlitten wird, sondern es heißt nur noch „und leidet selber Noth“. Dadurch entsteht eine ganz andere Aussage, die sich jetzt auf einen Familienvater bezieht, der in der Notsituation nicht sich, sondern seine Kinder durchzubringen versucht. Tatsächlich handelt die mittelalterliche Geschichte aber von den Eltern, die es später bereuen müssen, ihren Kindern gegenüber so großzügig gewesen zu sein.

Die Müncheberger also predigen tatsächlich Egoismus bis hin zur mutwilligen Kindesvernachlässigung, die Jüterboger bzw. der mittelalterliche Balladen-Verfasser dagegen Umsicht im Umgang mit dem Erbe, mahnt also zur Einhaltung des Generationenvertrages. Was für ein öffentliches Interesse kann es aber daran gegeben haben, die dummen Erblasser mit dem Knüppel des Stadtrechts zu bedrohen? Könnte es sein, dass die später in Not Geratenen dem Stadtsäckel zur Last fielen? Und dass das vorzeitige Weggeben des Erbteils damit zum Offizialdelikt wurde? So eine Art Hartz-IV-Leistungserschleichung? Ich weiß es nicht. Und an der Stelle höre ich auch auf nachzuforschen.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2022/08/16/der-schlegel-der-zur-keule-wurde/

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