vonImma Luise Harms 24.12.2023

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Das Handschuhfach ist voll, übervoll, ich finde nichts mehr, muss immer alles rauswühlen, wenn ich ein Handschuhpaar suche. Wozu brauche ich so viele Handschuhe? Gibt es so viele verschiedene Anlässe, so viele Einsatz-Gelegenheiten? Das kann nicht sein. Sicher, ich bin eine notorische Sammel-Maus, noch dazu treu bis zum letzten Fetzen, noch dazu handwerklich talentiert und ambitioniert, sodass ich den letzten Fetzen dann doch immer noch zusammenflicke, noch dazu auf flächendeckende Versorgung bedacht, sodass ich notwendige Neuanschaffungen mache, ohne mich allerdings deshalb von den Zerschlissenen trennen zu können.

Eine Musterung ist angesagt, am besten in Form einer Aufstellung. Also alle mal raus und sortiert und aufgestellt. Hier stehen sie, über kleine Plastebecher gestülpt.

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Es sind 20 Paar (zwanzig!), zwei Paar Stulpen und andere Spezial-Handschuhe mitgerechnet. Ich sortiere nach Herkunft, Zweck und (ideellem) Wert. Schaun wir mal:

Da sind zunächst zwei Paar, die ich aus Sentimentalität aufhebe. Ein Paar feine Handschuhe aus dünnem braunen, auf der Rückseite interessant durchbrochenem Leder von meiner Mutter, ein zweites Paar aus schwarzer Spitze, ebenfalls aus dem Nachlass meiner Mutter, die keine praktische Funktion haben, auch nicht gehabt haben können; sie haben vielleicht die feine Dame auf Beerdigungen markiert. Nun, das ist ja auch ein Zweck, auch wenn er heutzutage sozusagen aufgebraucht ist. Damit man die beeindruckende Feinheit erkennen kann, habe ich die zierlichen Fingerchen mit Weizenkörnern gefüllt.

Ich habe nicht so feine Handschuhe für zierliche Finger. Allerdings hatte ich mal ein Paar eleganter schwarzer Lederhandschuhe mit langem Schaft, der die Gelenke  bis zum Unterarm  bedeckte. Mein Mitbewohner hat sie zu seinen Taxifahrerzeiten, als er offizielle Berlinale-Gäste kutschierte, auf dem Rücksitz gefunden und sie mir vermacht. Ich habe mir beim Tragen vorgestellt, welche berühmten Schauspielerinnen-Hände vielleicht vor mir darin gesteckt haben. Dann habe ich den einen Handschuh des Paars in Berlin aus dem Fahrradkorb verloren, lange vergeblich nach ihm gesucht, mehrmals die fraglichen Strecken abgefahren, den zurück gebliebenen Single-Handschuh trotzdem noch lange aufgehoben, in der absurden Hoffnung, der andere käme wieder zu mir zurück, mich dann aber schweren Herzens von dem übrig Gebliebenen getrennt.

Ein Paar leichter schwarzer Lederhandschuhe mit dünnem Futter dient seitdem als Ersatz. Ich weiß nicht, woher sie sind – gefunden, aus irgendeiner freebox – gekauft habe ich sie jedenfalls nicht. Sie sind schon ok, zwar ohne die eleganten, die Handgelenke wärmenden Stulpen, aber passend, leicht und nicht unschön. Und schließlich gewöhnt man sich auch. Nun aber ist das Paar in die Jahre gekommen, das Futter ist verschlissen, ich hab es genäht, so gut ich konnte, bin aber nicht zufrieden.

In einem Kaufhaus, dessen biedere Bürgerlichkeit bessere Zeiten gesehen hat, finde ich ein Paar schwarzer Damenhandschuhe, das sehr dem verlorenen ähnelt. Ich bin beglückt und zum Kauf entschlossen, auch wenn die Handschuhe nicht ganz billig sind. Das Kaufhaus hat inzwischen zum großen Teil sein Fachverkäuferinnen-Personal eingespart, ebenso die Ausstattung mit Kassen. Es gibt nur noch eine Kasse, an der sich die Käuferinnen anstellen müssen. Die Schlange windet sich durch die Regale und Abteilungen. Das sehe ich nicht ein, diesen Mangel an Service und trage die Handschuhe unbezahlt nach draußen. An Kaufhaus-Detektiven wird anscheinend inzwischen auch gespart.

Abwechselnd trage ich jetzt die Pseudo-Berlinale-Handschuhe und die abgetragenen, reparierten und mir vertrauten, weil ich die neuen für die Alltags-Zwecke zu schade finde. Oft sind beide Paare nicht wärmend genug. Da gibt es dann eine große Auswahl an Alternativen. Die wenigsten davon sind in einem Geschäft gekauft, allerdings auch keine weiteren illegal angeeignet. Handschuhe scheinen überall abzufallen.

Da sind diese Stoff-Fingerhandschuhe in taubenblau, ein wenig groß, ein wenig leicht, aber waschbar, für Motorrad-Fahrten im Sommer. Allerdings sind die leeren Fingerspitzen immer mal wieder über die Bremsgriffe gestolpert, wirklich etwas groß, die Teile.

 

Für den Winter gibt es diese Handschuhe aus Wildleder-Imitat, gefüttert mit Schaffell-Imitat. Auch ein bisschen groß, breit und geräumig, aber warm und leicht, allerdings nicht regendicht.

Wirklich regendicht sind die amtlichen Motorrad-Handschuhe auch nicht, aus Leder mit strapazierfähigen Kunstfaser-Versatzstücken, gepolstert, durch Klettverschlüsse einzustellen und zu sichern, die ideale Sturzabsicherung mit dem martialischen Namen „bullforce“. Mir sind die Handschuhe eigentlich zu steif; wenn man etwas anderes anfassen will als die Motorrad-Griffe, muss man sie sowieso ausziehen. Aber auf längeren Touren ist es vernünftig, sie zu tragen. Irgendwann werden da aber auch die Finger kalt.

Gegen kalte Finger gibt es Fausthandschuhe. Diese hier habe ich zum Skifahren benutzt. Sie umschließen die Skistöcke mit festem Griff. An der

Talstation, wenn man den Skipass rausfischen muss, werden die Handschuhe mit den angebauten Häkchen an den Ski-Anzug gehängt. Wenn ich nicht jedes Mal die Handschuhe ausziehen will und wenn es nicht ganz so kalt ist, kann ich die Ski-Fingerhandschuh-Variante benutzen, dick und breit und warm, aber schlecht bei Regen.
Weil ich sowieso nicht mehr Ski fahre, könnte ich diese beiden Paar schon mal aussortieren. Aber wer weiß, Fausthandschuhe braucht man vielleicht auch so mal, vielleicht zum Fahrradfahren bei Kälte?

Da gäbe es dann auch noch die Klapp-Variante. Eine Kombination von Finger- und Fausthandschuhen, aus Strick, also für Schnee und Regen nicht geeignet, aber vielleicht für andere Draußen-Aktivitäten. Wenn man zum Beispiel dringend was auf dem Handy tippen muss, schlägt man den Faustteil zurück und drückt ihn am Kettverschluss auf dem Handrücken fest. Beim Zurückstülpen reißt auch wohl manchmal der Klettstreifen mit ab – hab ich schon mehrmals wieder festgenäht.

Die Fingerhandschuhe ohne Fingerspitzen gibt es auch ohne den Stülp-Aufsatz, hier als Strickware ausgeführt. Diese Handschuhe benütze ich manchmal auch drinnen, z.B. wenn ich im kalten Schlafzimmer abends noch lese, oder wie jetzt, wenn ich mit klammen Fingern am Laptop sitze. Die Handschuhe stufe ich als unverzichtbar ein.

Ein ähnliches Modell gibt es speziell zum Fahrradfahren. Das fand ich früher immer ein bisschen affig. Was soll das, warum müssen die Fingerspitzen frei bleiben? Bis mir auf längeren Radtouren regelmäßig die Hände taub geworden sind. Und bis ich ein ausrangiertes Paar geschenkt bekommen habe, von T. mit einem revolutionären „A“-Zeichen bemalt, damit es nicht so affig aussieht. Jetzt ist es auf andere Weise affig. Aber die Innenflächen sind gepolstert, und darum geht es eigentlich: sie fangen die ständige Erschütterung der Handflächen beim Fahren ab. Bringt wirklich was und hat mich dazu gebracht, dass ich mir im Sportgeschäft so ein Paar in schwarz-neutral besorgt habe. Da fehlt der Klettverschluss, lässt sich auch ein bisschen schlechter ausziehen, aber erfüllt seinen Zweck und ist weniger affig.

Zu den Exemplaren für spezielle Zwecke gehören auch die weißen Stoffhandschuhe aus Baumwolle, eine Ausführung in dünn und fein, mehrere Exemplare in Baumwoll-einfach. Die dünnen – Aldi-Aktionsware für 6,99 – lassen den Tastsinn durchkommen und sehen angezogen nach Butler oder Gala-Uniform aus, sie könnten aber auch zum Hereintragen kostbarer Objekte bei einer Auktion oder für das Umblättern alter Folianten in einem Archiv dienen. Ich mag sie, weil sie sorgfältig gearbeitet sind; zum Lesen abends im Bett im kalten Schlafzimmer eignen sie sich nicht so, weil man die Seiten zwar spürt, aber doch nicht so gut umblättern kann.

Die etwas gröberen und einfachen weißen Baumwoll-Handschuhe sind Massenware, die ich aus A.‘s Druckerei geerbt habe. Hier benutzt man sie, damit keine fettigen Fingerabdrücke auf die Druckfolien kommen. A. hat zwei Kisten davon, eine für Gebrauchte, eine für Ungebrauchte. Aus der
Gebrauchten-Kiste habe ich mir die rausgesucht, die nur leicht verschmutzt waren, habe sie zuhause ausgekocht und anschließend für noch in der ungewissen Zukunft liegende Verwendungsmöglichkeiten gehortet.

Zum Schluss noch die konsequente Fortführung der Fingerhandschuhe ohne Finger: die Stulpen. Mit ihnen hätte ich auch die zu kurz geratenen Lederhandschuhe thermisch verlängern können. Wenn sie an den Füßen getragen werden, heißen sie Gamaschen. Für die Handgelenke hier eine Strick- und eine Stoff-Variante.

 

Das wars, das war der Inhalt des Handschuhfachs. Von den Arbeitshandschuhen in der Werkstatt will ich absehen – Garten-Handschuhe, Gummi-Handschuhe, solide Werkstatt-Handschuhe, dünne Einweg-Plastik-Handschuhe –  sie haben dort ihren Platz.

Aber was nun tun? Wie reduziere ich die Massenansammlung der Teile, die im Einzelnen alle ihren Zweck oder wenigstens ihre Geschichte haben?

Die gestrickten Pulswärmer übernimmt T., mein Mitbewohner, auch die abklappbarren Fäustlinge und die wärmeren Motorrad-Handschuhe, die mir zu groß sind. Die Sommervariante wasche ich und bringe sie auf unseren Gutshof-eigenen Verschenketisch. Die affigen Fahrrad-Handschuhe werfe ich in den Müll, dort entdeckt sie T. und holt sie wieder raus – der Gebrauchswert ist noch nicht aufgebraucht… Jetzt werden sie wahrscheinlich die nächsten Jahre bei ihm rumliegen. Die Ski-Fäustlinge nimmt ein Mädchen aus der Nachbarschaft für ihre Klassenreise mit.

Viel habe ich nicht reduzieren können, aber etwas an Masse, und das Fach passt wieder. Tatsächlich tun sich jetzt aber auch Lücken in der Versorgung auf. Welche Handschuhe soll ich zum Motorradfahren anziehen, wenn mir die „bullforce“ zu wüst, zu unbeweglich sind? Aber halt, da ist ja noch ein Paar! Nochmal schwarze gefütterte Lederhandschuhe, die passen, vielleicht ein bisschen kurz sind, aber sonst ok.

Woher kommen die denn nun auch noch? Sie sehen nach Eltern-Generation aus – solide gemacht, aber durch jahrelanges Tragen ausgebeutelt. Das könnten doch die neuen Motorrad-Handschuhe sein!

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