vonImma Luise Harms 13.02.2024

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Ich mache mir Bewegung auf einem dafür konstruierten Sportgerät. Das Gerät bewegt mich, ich bewege das Gerät. Es ist langweilig. Je weiter die Zeit fortschreitet, desto langweiliger wird es. Ich versuche nachzudenken – über ein Thema, das ich gern zu einem Text verarbeiten wollte: Zeit! Zeitspanne, Zeiteinheit, Dauer, usw. Ich hatte schon angefangen, hab mich dabei aber verhoben. So einfach ist das nicht mit dem glibberigen Ding, das es ja gewissermaßen gar nicht gibt.

Heute lasse ich mir zum Zeitvertreib (!) während des Strampelns einen Podcast vorspielen: Frau Fischer-Kowalski vom Wiener Institut für Soziale Ökologie redet mit dem Podcast-Betreiber Jan Groß über den Stoffwechselprozess zwischen der menschlichen Gesellschaft und der sogenannten Natur. Die Frau redet wienerisch langsam; meine Gedanken kehren zwischendurch immer wieder zum Thema Zeit zurück, wie sie so dahinrinnt, aber eigentlich rinnt ja was ganz anderes. Ich überlege, ob ich nochmal einen neuen Anlauf versuchen kann, meine Gedanken und Assoziationen dazu zu verschriftlichen. Ist ja egal, ob schon die geistige Elite aller Zeiten dazu räsonniert hat. Ich musss keine Doktorarbeit schreiben. Und der lockere, lebensweltliche Bezug ist gerade das Privileg des blog-Schreibens.

Jetzt hat Jan Groß das Wort ergriffen. Er widerspricht seinen Gesprächspartner:innen nie; seine sanften, ein wenig seifigen Zwischenbemerkungen zeigen, dass er im Stoff ist, vielleicht sogar mehr als sein Gegenüber, was er aber niemals gegen sie ausspielen würde. Statt „Stoffwechsel“ – also den Energie- und Materialaustausch zwischen belebten und unbelebten Entitäten auf der Welt zum Zwecke ihres Bestandes und ihrer Vermehrung – sagt Groß „sozialer Metabolismus“. Da horche ich auf. Ich habe diesen Begriff doch vor ein paar Jahren in einem längeren Aufsatz verwendet, in dem es um das Funktionieren kollektiver Subsistenz geht!
Ein wenig geläufiges Fremdwort wirkt in einem Text wie ein Edelstein, der zugleich funkelt und stört. Den aus der Biologie bekannten Prozess des Stoffwechsels als „Metabolismus“ in meinen Text einzubauen, hat mir gefallen. Ich benutze ihn nicht nur zur Bezeichnung der Austauschbeziehung zwischen den Menschen und der sie umgebenden Umwelt, sondern auch für den Austausch zwischen Menschen und Menschengruppen. Danach unterscheide ich die verschiedenen ökonomischen Varianten von Ausbeuten, Tauschen, Beitragen und Schenken und frage jeweils nach dem metabolischen Gleichgewicht.

Aber bei Frau Fischer-Kowalski geht es um die Austauschbeziehung mit der Natur. Eigentlich eine unnötige Reduzierung des Stoffwechselbegriffs; da war ich schon weiter, denke ich mir, hab diese anthopologische Überheblichkeit, wonach hier der Mensch und dort die Natur zu verorten ist, nicht mitgemacht. Während ich die letzten, sich zerdehnenden Minuten weitertrete, kreisen meine Gedanken um die Frage, was das eigentlich sein soll: die Natur! Ein System aus vielen Systemen, das seine vielen Stoffwechselprozesse bewusstlos aber doch irgendwie zielstrebig organisiert, wobei die vielen Einzelprozesse niemals in einem metabolischen Gleichgewicht sind, im ganzen gesehen aber vielleicht doch, wer kann das wissen? Gaias innere Organe arbeiten in relativer Autonomie, aber eben nicht unabhängig voneinander. Fischer-Kowalski holt aus bis zur Steinzeit und fragt, wie der Mensch dieses Gleichgewicht, diese Balance mit der ihn nährenden irdischen Substanz wieder herstellen kann. (Schon das „wieder“ scheint mir fragwürdig; ich bin aber auch nicht ganz sicher, ob sie so formuliert hat)

Der neue Diskurs um Metabolismus wurde von Kohei Saito, dem japanischen Philosophen, angestoßen, der auf der Suche nach Vorstellungsräumen für eine postkapitalistische Gesellschaft den ökologischen Marx der späten Jahren entdeckt hat, der gar  nicht so der unendlichen Entfaltung der Produktivkräfte zugeneigt war, wie Engels es später festgeschrieben hat. Marx, so meint Kaito, hat sich in seinen späten, zu späten Notizen sehr für Gesellschaftsformationen mit stabilen Stoffwechselprozessen, also ohne die Voraussetzung des Wachstums, interessiert. Da hatte ich auch schon ein Zitat gefunden und es in meinem Text von damals platziert: „Die Arbeit ist ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt und regelt und kontrolliert.“ Ein Prozess, der Bestand haben kann, ohne ständig wachsen zu müssen. Wie das gehen kann, wie man aus der kapitalistischen Wachstumszwang-Schleife rauskommen kann, darüber zerbrechen sich jetzt die Degrowth-Befürworter:innen den Kopf. Und Kaito liefert das Argument: Marx hat es auch schon gewusst und gewollt!

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Während ich nach Ablauf der vorgesehenen Zeitspanne für die Körperertüchtigung Jan Groß und seine Gesprächspartnerin unterbreche, während ich mir den Schweiß vom Gesicht wische und rüber ins Bad wanke, nehme ich mir vor, in meinen alten Büchern nachzulesen, wie das ist mit der Natur und der menschlichen Gesellschaft. „Dialog mit der Natur“ von Prigogine und Stengler aus dem Jahr 1980 ist eines davon. Das ist mir jetzt aber zu dick. Es gibt andere Texte, die zu Ernst-Bloch-Seminaren etwa in der gleichen Zeit entstanden sind. Da finde ich auch die Dissertation von Arnim von Gleich, den ich mal in Salecina auf eben diesem Bloch-Seminar kennengelernt habe, über den „wissenschaftlichen Umgang mit der Natur“. Ich blättere und lese. Aha, so hat man das Ende der 80er Jahre gesehen! Natur, nach dem älteren mechanistischen Weltbild als Reservoir, als beliebig verfügbare Ressource aufgefasst, nach dem neueren als komplexes System. Zum Schluss geht es dann immer um den Respekt im Austausch, nach Bloch um die „Allianztechnik“ zwischen der Natur und dem, was sich da rausentwickelt hat und nun meint, etwas anderes zu sein. In seiner materialistischen Analyse des menschlichen Naturverständnisses geht Gleich auf die damals zunehmende Kritik an der Naturbeherrschung ein, und einen wunderbaren Absatz daraus möchte ich hier zitieren:
„Die Möglichkeit, den Begriff der Natur, so wie wir ihn heute verwenden, überhaupt zu denken, setzt nämlich ähnliche gewaltige reale Distanzierungs-, Einebnungs- und Objektivierungsprozesse in der Gesellschaft voraus, wie sie Marx für die Entstehung des Begriffs der Arbeit darstellte (…) So wie die Arbeit erst in der Fabrikarbeit real abstrakt werden mußte, mußten auch die Tiere, Pflanzen, Steine, Wälder und Landschaften erst real zurücktreten, erst unwesentlich und zumindest potentiell zur Ware werden, bevor sie im Allbegriff der Natur untergehen konnten.“

Etwas bezeichnen zu können, setzt einen Abstraktionsprozess und einen Unterscheidungsprozess voraus, also sich nicht (mehr) als Teil von dem Bezeichneten zu begreifen. Die Benennung bringt die Distanz zum Ausdruck, oft allen anderen Beteuerungen zum Trotz. (Ach, da fallen mir viele schöne Beispiele ein: die Frau-Mann-Werdung; die Erfindung der „Rassen“; das merkwürdige „Wir“ in den verschiedenen Aufforderungen, endlich etwas im Verhältnis zu „unserer“ Umwelt zu ändern, und die Beschwörung des „Gemeinsamen“, das in keiner Politiker:innen-Rede mehr fehlen darf und natürlich immer die Anderen meint…)

Das mit dem sozialen Metabolismus interessiert mich. Ich wüsste doch gern, ob ich meiner Zeit voraus war oder einfach dem Trend hinterher, ohne es zu ahnen. Ich finde die Online-Zeitschrift einer trotzkistischen Gruppe mit dem Namen „Klasse gegen Klasse“, nicht zu verwechseln mit der ehemaligen Berliner Untergrundorganisation gleichen Namens, die eine Zeitlang Politiker-Autos abgefackelt hat. In dem Artikel „Kohei Saito und die kritische Ökologie von Karl Marx“ wird Saito dafür kritisiert, dass er Engels kritisiert, dass dieser Marxens späte Tendenz zum sozialen Metabolismus nicht erkannt oder wegretuschiert hat. Klar, die Trotzkist:innen finden die Revolution unverzichtbar, die zwangsläufig mit „metabolischen Brüchen“ verbunden ist, und können deswegen Konzepten, die das Stoffwechsel-Gleichgewicht im Hier und Jetzt herzustellen versuchen wie die Degrowth-Bewegung, nichts abgewinnen. Warum man diesen Konflikt auf dem Grabe von Marx austragen muss, ist mir unklar.

Im Laufe der Lektüre dieser Besprechung in dem „Klasse gegen Klasse“-Magazin wird mir immer fragwürdiger, in welchem metabolischen Verhältnis die menschliche Gesellschaft zur abgespaltenen Natur steht oder stehen kann. Ist ein Gleichgewicht, eine „Allianztechnik“ überhaupt möglich? Setzt das nicht ein symmetrisches Verhältnis voraus, sozusagen ein demokratisches, in das beide Seiten mit adäquaten Mitteln eingreifen können, um ihre Interessen einzubringen und auszuhandeln? Ist die Natur die Ohnmächtige und der Mensch der Mächtige, der in weiser Voraussicht seine Eingriffe in die Natur zügelt?

Wer Macht hat, tritt zu seinem ohnmächtigen Gegenüber in ein despotisches oder ein paternalistisches Verhältnis. Despotisch heißt hier ungezügelte Ausbeutung, paternalistisch ist die Haltung: Wir sorgen dafür, dass nicht alles kaputt geht, weil wir wissen, was für unsere Natur (und längerfristig für uns) gut ist: üppige Wälder, „natur“-belassene Landschaften, viele Tier- und Pflanzenarten usw.

Voraussetzung für eine paternalistische Haltung ist immer, dass die Seite, die sich im Besitz der Macht wähnt, sich ihr Gegenüber als ohnmächtig, also von ihren Gnaden abhängig, vorstellen kann.  Manchmal wird sie eines Besseren belehrt, wenn die Arbeit„nehmer:innen“ nicht mehr dankbar sondern aufmüpfig werden, wenn Frauen ihre dienende Rolle aufkündigen und dafür auf schonende Sonderbehandlung verzichten, wenn Länder die bösartigen Absichten hinter der Entwicklungs„hilfe“ erkennen.

„Unserer“ Natur wird gleichsam der Kopf getätschelt; dabei ist es wohl eher die Natur als der große unüberschaubare Gesamtzusammenhang irdischer Entwicklungen, die uns als ihren Ausgeburten die Ohren langzieht und uns die Perspektive unseres Untergangs vor Augen führt. Aus dem Erschrecken darüber imaginieren wir kleinen Erdenwürstelchen  uns jetzt als „Partner“ und scheuen auch nicht davor zurück, gleich die ganze Erde paternalistisch umarmen zu wollen, wenn wir von „unserem Planeten“ reden.

Auf den Seiten von „Klasse gegen Klasse“ gibt es eine Debatte mit der ebenfalls sozialrevolutionären Interventionistischen Linken über die Niederlage der Baum- und Klimaschützer:innen-Gruppe vom Dannenröder Forst. Darin finde ich ein paar bemerkenswerte Zitate zu dieser Art der Selbstüberschätzung.
„So verschwindet die Perspektive, ein System aufbauen zu können, das jenseits von Umweltzerstörung und Profitzwang funktioniert und unsere Bedürfnisse und die des Planeten berücksichtigt“ (Wir kennen die Bedürfnisse des Planeten…)
„Nur mit der Strategie… der Selbstorganisation … wird es möglich sein … unseren Planeten vor der Zerstörung zu bewahren.“ (…sorgen für ihn…)
Und in der Frage des Verhältnisses von Reform und Revolution gehe es um „die notwendige Strategie, um unseren Planeten zu retten.“ (…und retten sie!)
Eine signifikante Begriffsverschiebung übrigens: aus der Erde wird „unser“ Planet, unser Erbe, das von uns bewohnte Haus, das schließlich für uns gebaut ist und von uns erhalten werden wird! Die Menschheit, oder genauer: diejenigen, die für sie den Mund aufreißen, versuchen ihre Angst und ihre Ohnmachtsgefühle hinter der großen paternalistischen Geste zu verbergen. Das ist dem Planeten doch sowas von egal, ob wir Menschlein unsere eigene Lebensgrundlage durch den Schornstein jagen! Der schüttelt sich nicht mal, sondern bringt eine andere Spezies hervor.
Mein Mitbewohner spricht gern von seiner Vermutung, Gaia, das Gesamtwesen Erde, habe die Menschen mit ihrem Feuer hervorgebracht, um sich von seinen Polkappen zu befreien. Danach sind sie (also wir) aus ihrer Perspektive sowieso überflüssig.

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