Bis auf den Januar-Beitrag habe ich das ganze Jahr über nichts geschrieben, hier nicht und auch anderswo nicht, von Emails mal abgesehen.
Manche von meinen freundlichen Dauerleser:innen haben mich angesprochen, wo meine Beiträge bleiben. Ja, wo bleiben sie? Sie bleiben in mir stecken. Das hat verschiedene Gründe.
Meine Abneigung der taz gegenüber vertieft und verfestigt sich. Opportunistisches Geschwätz von allglatten Politikberater:innen, die der Macht hinterherhecheln. Der in Schüben verlaufende Modernisierungskurs im Blatt und im Apparat der taz (was mich als Bloggerin dann auch betrifft) nimmt immer kältere Züge an.
Seit Mathias Bröckers mich vor 18 Jahren in den Kreis der Blogger:innen geholt hat und mir als kleinen Leistungsausgleich monatliche 50 Euro in Aussicht gestellt hat, ist dieser Betrag niemals erhöht worden. Statt dessen muss ich neuerdings bei den Abrechnungen jeden Beitrag einzeln ausweisen.
Früher hat es noch manchmal Treffen der Blogger:innen gegeben, damit man nicht gar so einsam vor sich hinwurschtelt. Damit war nach ein paar Jahren auch Schluss. Als zwei junge Frauen den Job von Mathias übernommen haben, habe ich ihnen bei irgendeiner Gelegenheit – ich glaube, es war seine Verabschiedung – vorgeschlagen, solche Treffen doch ab und zu mal wieder zu machen. Wie junge erfolgreiche Menschen sich das so angewöhnt haben, haben auch die beiden meinen Vorschlag liebenswürdig, ja geradezu euphorisch begrüßt, weil man ja immer erstmal alles begrüßt und bejaht, haben aber nie wieder was von sich hören lassen, außer neue Direktiven zu verkünden, was Formatierungsfragen und Fotonachweise betrifft.
Andererseits ist der – in der Regel monatliche – blog auch eine Gelegenheit, ein kleiner Anschub, die Sprache gelenkig zu halten, eine Selbstdisziplinierung, Beobachtungen und Begegnungen, Untersuchungen und Argumentationen auf den Begriff zu bringen. Es geht mir ja schon längst nicht mehr um das Land, das angeblich jottwehdeh liegt, hinterm Mond sozusagen. Sondern ich nehme mir die Freiheit, das zu erörtern, was mir einer Erörterung wert scheint. Bei diesem Etikettenschwindel sind die blog-Wärterinnen bisher immerhin nicht eingeschritten.
Ich glaube allerdings auch nicht daran, dass irgendjemandem – von diesen drei, vier freundlichen Leser:innen abgesehen – meine Schweigsamkeit auffällt. In der ganz großen Kakophonie des öffentlichen Diskurses ein Piepschen weniger. Ist das traurig oder eigentlich egal? Ich glaube ja gar nicht, dass ich irgendwas mit meinen systematischen Untersuchungen – wie z.B. im letzten blog – zum Verständnis der Welt beitragen kann, jedenfalls nicht bei anderen – bei mir schon!
Ok, und das wäre dann ein Motiv, doch wieder zu schreiben, um selbst besser zu begreifen, was passiert, Besinnungsaufsätze verfassen sozusagen. Es gibt Kristallisationspunkte, um die meine Gedanken kreisen, sie mit einem organisch wachsenden Begründungsgefüge umspinnen. Um nur mal ein Beispiel zu nennen, denke ich schon eine Weile darüber nach, wie Meinungsumfragen Wahlen eigentlich überflüssig machen. Die Meinungsforschungsinstitute wissen ja schon im Voraus sehr genau, wie das ausgeht. Was ist der Unterschied dazwischen, was wir wählen und was wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wählen WÜRDEN. Das Rückkopplungssystem zwischen der Ausforschung individueller Verhaltensweisen und deren Befriedigung bzw. Inwertsetzung funktioniert so geschmiert, dass ich zu dem Ergebnis kommen muss, die Altgorithmen wissen einfach besser, was ich will als ich selbst. Ja, darüber denke ich nach und hätte dazu Theorie-Versatzstücke, die vielleicht jemanden interessieren könnten; jedenfalls würde es mich selbst interessieren, ob ich zu schlüssigen Erklärungen kommen würde.
Aber ach, wenn ich so vor mich hin sinniere, entdecke ich oft – gleichzeitig oder ein bisschen später – dass andere das gleiche entdeckt, formuliert und zirkuliert haben, und viel schlüssiger, viel fundierter und vor allem viel wirksamer. Eine mit leichtem Grollen auf die Welt vor sich in räsonnierende Alte, das will man doch nicht sein! Also lege ich die Themen innerlich wieder beiseite.
Es gibt noch einen anderen Grund, der mich verstummen lässt. Es ist die Beobachtung, die ich schon in meiner aktiven Journalistinnen-Zeit gemacht habe: Das Bemerkte und Bemerkenswerte sortiere ich unwillkürlich darauf, ob es Pointen hergibt. Auch die Sprache selbst, die Begriffe, die sich vordrängeln, werden kapriziös, prätentiös. (Ach, was für schöne Wörter, schau gern bei Wikipedia nach!)
So ist mein Denken also löchrig und flüchtig und meine Sprache schwerfällig geworden. Öfter habe ich in diesem Jahr darüber nachgedacht, mich nun wirklich mal von diesem blog in aller Form zu verabschieden. Mal einen endgültigen Schritt zu machen.
Aber aber aber. Ich habe schon öfter in meinem Leben einen, wie ich mir eingeredet hatte, endgültigen Schritt (oder Schnitt) gemacht, aber die Tür hinter mir heimlich einen Spalt offen gelassen, durch den ich dann hin und wieder auch zurückgeschlüpft bin, in Beziehungen, Freundschaften, Arbeitsverhältnisse. Das war auch in meiner Zeit bei der taz so; zweimal bin ich dann doch zurückgekommen. Im Grunde weiß man einfach nicht, wann etwas wirklich zuende ist, also ganz wirklich zuende.
Natürlich kann man Gewalt anwenden, wenn man sich traut. Wenn man sich umbringt, also richtig umbringt, ist man endgültig tot. Oder wenn ich jetzt die blog-Verwaltung auffordere, diesen blog „Land-weg“ aus dem System zu nehmen, ist es auch vorbei. Bei meinen Fantasien, wie ich das in grobem Ton ankündige, bemerke ich aber auch schon wieder den Türspalt, den ich mir lasse: Sicher würde ich vor dem Löschen der Rubrik alle meine Texte retten, mit ihnen umziehen oder sie auf meine Festplatte umladen.
Also würde ich sagen, ich lass das mal auf sich beruhen, widerstehe der Versuchung, Türen zu knallen und sie heimlich dann doch wieder nur anzulehnen. Ich werde Gelegenheitsschreiberin, ganz zwanglos. Vielleicht kommt noch was, vielleicht auch nicht. Vielleicht ein langsames fade-out, ein Abschied auf Raten.
Soll ich das hier jetzt posten? Ach, was solls, warum nicht? Jetzt hab ich es schon geschrieben.
Ach, liebe Imma!
Du kennst ja Wittgenstein und seine endgültige Aufforderung: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.
Also: Wovon kann man sprechen?
Ist alles gesagt?
Hat irgendjemand schon gesagt, wovon ich denke, dass auch ich es sagen sollte?
Letztens habe ich den KI-Blog auf dem Deutschlandradio gehört. Da sprachen zwei junge Frauen, deren wirkliches Alter ich nicht kenne, von den zehn wichtigsten Etappen der KI-Geschichte: ein wenig recherchiert hatten sie. Und rate mal, womit sie anfingen!
Weizenbaum – Eliza natürlich, immerhin, wenn auch ohne Schlenker zu My Fair Lady! (Soweit haben sie wohl doch nicht recherchiert! Dass es hier auch um das Sprechen geht!) Ich will nicht behaupten, dass ich ihn kannte, aber ich habe ihn einzweidreimal gesehen, gehört und mit ihm gesprochen. Ich habe auch 1981 mit seiner Tochter in Boston auf einer Party geklönt. Und in der Wechselwirkung haben wir uns auch mit ihm befasst.
Das ist alles Geschichte, ja, es ist geschehen! Und heute wird es herausgekramt aus unserer persönlichen Mottenkiste und ist auf einem Mal ein Meilenstein! Ja, ja, Frau Harms, so ist es wohl mit den Geschichten. Und umgekehrt: Irgendwann dachte man, dabeisein wäre alles – ein Schritt für mich usw., und später entpupte (sic!) sich das nur als ein weiteres Piepschen.
Selbstgespräche nehmen zu im Alter. Da bleibt ihnen nur die Rolle der Selbstvergewisserung, denn wann will jemand anderes meine Selbstgespräche hören? Früher hat man Tagebuch geschrieben und viele Dichter wollten nicht, dass sie veröffentlicht werden. Und heute werden Master- und Doktorarbeiten darüber verfasst. So wird kritisch verlegt, was die Autoren irgendwo im Sekretär verlegt haben, damit niemand es liest!
Sicher wünscht man sich, dass die eigenen Gedanken in Form von Worten Bestand haben mögen. Dreieinhalb- bis viertausend Jahre haben die Übungstäfelchen aus Ton aus dem Zweistromland nun schon Bestand, die angehende Schreiberlinge weggeschmissen haben. Und wir speichern alles auf externen Festplatten, die in fünf bis zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr lesbar sein werden. Aus den Anfängen der Raumfahrt hat die NASA Datenbestände, die nicht mehr ausgewertet werden können, weil ihr Format unbekannt ist. Wer will heute wissen, was aus den Myriaden von Bytes des Internetarchivs wird, wenn es keinen Strom mehr gibt!
Viel zu Tun für die Archäologen der Zukunft!
Die Pointen, ja, das ist so eine Sache. Ich erschrecke ja manchmal, was heute so alles als Erkenntnis gehandelt wird, was wir früher kaum auszusprechen wagten, weil wir es für so trivial hielten. Aber wer kommt heute soweit, etwas zu Ende zu denken. Soweit zu verstehen und zu sagen, dass es dazu nichts mehr zu sagen gibt? Und dann ist auf einem Mal die Wirklichkeit schon weiter als unsere Gedanken. Vielleicht ist der Aphorismus ja das einzige, woran es noch zu schrauben lohnt. Lichtenberg bis Lec.
Soll ich das jetzt als Kommentar einfügen? Ach ja, ich mache es einfach.
Liebe Grüße
Ralph