vonKarim El-Gawhary 19.01.2011

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Gestern habe ich den halben Tag auf der Avenue Bourgiba im Zentrum von Tunis verbracht. Diese Flanierstraße muss man als Journalist eigentlich nur immer auf und ab gehen und warten, was passiert. Genauso machen es viele Tunesier, die scheinbar unschuldig spazieren gehen und herumstehen, und sich dann wenige Minuten später zu kleinen Demonstrationszügen formieren, um gegen die neue Übergansregierung zu demonstrieren, in der nach ihrem Geschmack zu viele Köpfe des alten Regimes sitzen.  Manchmal kommen sie auch schon als Protestzug formiert aus einer der Seitenstraßen.

Das ist der Grund, warum es sich auch die Polizisten inzwischen auf dieser Straße häuslich eingerichtet haben. Auch sie stehen in Kampfmontur an den Straßenecken und warten auf ihre Einsatzbefehle. Meist fängt das Katz- und Mausspiel am späten Vormittag an. Gegen Mittag liegen dann die ersten Tränengasschwaden in der Luft. Ein paar Mal bin ich gestern mit den Demonstranten mitgezogen und habe die Polizeieinsätze verfolgt. Einmal habe ich währenddessen dem ORF- Radio einfach ins Handy erzählt, was gerade geschieht. Das gibt, glaube ich, einen ganz guten Eindruck von der Atmosphäre. Der Link dazu findet sich hier. Und hier ein kleiner Fernsehbericht von mir dazu.

Das klingt jetzt alles dramatisch und war es auch in diesem Moment, aber es gibt nur einen Teil der Wirklichkeit in Tunis wieder, wo die Proteste und die wiederkehrende Normalität sich ständig die Hand geben. Während am einen Ende der Avenue Bourgiba eine kleine Straßenschlacht tobt, haben am anderen Ende die Cafes geöffnet. Wir gönnen uns immer unsere journalistische Pause im Cafe Bagdad. Da kam man gut mit einer Flasche Wasser und einem Espresso die Reste des Tränengases herunterspülen.

In der gleichen Straße befindet sich übrigens auch das Informationsministerium, oder besser gesagt das frühere Informationsministerium. das wie alle Ministerien des gleichen Namens in der arabischen Welt eigentlich eher ein „Informationsverhinderungsministerium“ war. Denn das hat  sich am Montag aufgelöst. Das Gebäude liegt verweist. Selbst die Schilder wurden bereits abgeschraubt.

Für die tunesischen Journalisten ist eine völlig neue Situation entstanden. Sie müssen sich völlig neu erfinden. Auch das wollte ich mir ansehen, im Redaktionsgebäude der Tageszeitung Al-Shourouk. . „Die Straße war viel schneller als wir Journalisten. Das Volk hat die Revolution geführt und wir sind hinter unseren Schreibtischen gesessen und sind der rasanten Entwicklung hinterher gehinkt“, räumt der Chefredakteur Schukri Al-Bahoumi offen ein. Den Besuch in der Redaktion und den nicht einfachen Wandel von Ben Ali Hofberichterstattung, die den Diktator Ben Ali täglich hochleben lassen, hat zum heutigen Journalismus ist eine Revolution in den Köpfen die für viele tunesische Kollegen nicht einfach ist. Ich habe das Thema gestern in einer kleinen Fernsehreportage für die ZIB 2 Nachrichtensendung des ORF verarbeitet. Hier findet sich auch ein Zeitungsartikel dazu. Das neue Tunesien wird nicht nur durch das Kabinett und den ganzen Streit darüber geschaffen, sondern finden vielfach seine Ausdruck, auch bei meinen tunesischen Kollegen.

Abends sitzt man dann im Hotel und schneidet die Fernsehgeschichten. Bei der nächtlichen Ausgangssperre gibt es ohnehin nicht viel anderes zu tun. Oben am Hoteldach befindet sich die Live-Position. Von dort wird man bei Bedarf per Satellit live ins Studio geschalten.

Als ich mich gestern auf meiner Position am Dach des siebenstöckigen Gebäudes aufgestellt hatte, wurde es plötzlich trotz Ausgangsperre unten auf der Straße laut. Eine Gruppe von Polizisten hatte sich dort versammelt und nervös zu uns heraufgerufen, was wir da oben machen, wir sollten verschwinden.Einer hatte schon seine Waffe gezückt.  Die Nerven der Polizisten liegen wohl blank, weil in den letzten Tagen immer wieder Scharfschützen, angeblich ehemalige Gardisten Ben Ali von Dächern geschossen haben, um Chaos zu schüren. Eine kurze Intervention des Rezeptionisten, der kurz auf die Straße gegangen war, um die Sache aufzuklären, konnte die Situation dan aber schnell entschärfen. Die Live-Schaltung mit der Nachrichtensendung ZIB konnte wenige Minuten darauf ohne weitere Zwischenfälle stattfinden.

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