vonKarim El-Gawhary 04.06.2010

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Vom Krieg der Bilder ist die Rede, wenn es um die Interpretation des Filmmaterials und der Fotos rund den israelischen Angriff auf den Gaza-Schiffskonvoi geht. Anders als im Gazakrieg ist es diesmal aber kein Kampf um konkurrierende Bilder, sondern um  die Interpretation von Material, das nur von einer Seite veröffentlicht wird.

an Bord gefundene Waffen. Quelle: Israelische Botschaft Kairo
Aufständische schwingen gefährliche Objekte. Quelle: Israelische Botschaft Kairo

Denn die israelische Armee hat hier die Bilderhoheit. Sie sucht sich aus, welches Material an die Öffentlichkeit gelangt, sowohl vom dem, das die Armee selbst gefilmt hat, als auch von dem, das sie von den Aktivisten und Journalisten an Bord konfisziert hat. Sie alleine bearbeitet das Material.

Es gibt also Bildquellen von zwei Seiten, die aber nur von einer Seite begutachtet und handverlesen verbreitet werden. In meinen Email-Briefkasten, landete beispielsweise folgende Mail von der israelischen Botschaft in Kairo

Dear Sir/Madam,

Please find additional attached clips and updated pictures showing flotilla rioters preparing metal objects to attack IDF soldiers, showing Marmara passengers attacking IDF soldiers before the soldiers? board to the ship, and showing weapons found onboard the ship:

http://maillist.tehila.gov.il/t/61398/4779/9192/0/

http://www.youtube.com/watch?v=B6sAEYpHF24

http://www.flickr.com/photos/50832070@N08/

gezeichnet

Amir Rom Media and Public Affairs Embassy of Israel,Cairo

Aber es gibt auch bereits Mails von der anderen Seite, die versuchen nachzuweisen, dass einige der von der israelischen Armee gezeigten Fotos, die die Waffenarsenale an Bord zeigen sollen, älteren Datums sein sollen. Einige sollen bereits seit Jahren auf älteren Webseiten zu finden gewesen sein.

Eine andere Webseite erhebt den Vorwurf, dass einige der von der Armee veröffentlichten Fotos interne Tags hatten, die älteren Datum seien und damit nicht von den Schiffen stammen können.

Für einen Laien lässt sich das schwer nachprüfen, ob diese Fotos authentisch, nicht authentisch oder älteren Datum sind. Sicher ist, dass es sich bei vielen der Gegenstände um Werkzeuge und Instrumente handelt, die auf jedem Schiff zu finden sind und die damit nicht sonderlich beweiskräftig sind.

Krieg der Bilder, anders als im Libanon- und Gazakrieg

Die Situation ist grundsätzlich eine andere als während des Libanon-Krieges und des Gaza-Krieges über die ich beide als Journalist vor Ort berichtet habe. Damals gab es Filmmaterial von beiden Seiten, einschließlich des von meinem Team gefimten und von mir erlebten. Meist zeigten die Bilder auf der libanesischen bzw, der palästinensischen Seite ein wesentlich größeres Ausmaß an Zerstörung und Leid. Das hatte dazu geführt, dass damals eine Diskussion losgetreten wurde, über die Manipulation der Bilder von arabischer Seite, nach dem Motto: „libanesischen und palästinensischen Kameramännern kann man nicht trauen“. In Wirklichkeit ging es eher darum, dass ein asymetrischer Krieg eben asymetrische Bilder produziert. Die Diskussion um die Manipulation der Bilder diente dazu, diesen Effekt abzuschwächen.

Diesmal haben wir es mit einer anderen Situation zu tun. Die israelische Seite hat das Bildmonopol. Ob eigenes Material oder das an Bord konfiszierte, die Armee kann sich aussuchen, was sie veröffentlicht. Der derzeitige Streit geht dann nur noch um die Interpretation um diesen von einer Seite öffentlich gemachten Bild-Ausschnitt.

Aussage gegen Aussage

Gleichzeitig steht die Aussage der Armee gegen die der Aktivisten an Bord. Abgesehen von der Grundfrage über die Rechtmäßigkeit des israelischen Einsatzes in internationalen Gewässern, der der Auslöser für alle weiteren Ereignisse war, steht dabei die Frage im Mittelpunkt, wann die israelische Armee begonnen hat, mit scharfer Munition zu schießen. Laut der Version der Armee, hätten die Soldaten begonnen zu schießen, nachdem sie sich auf das Deck abgeseilt hatten und dort mit Knüppeln und Messern angegriffen worden sind.

Der englischsprachige Fernsehsender Jazeera International präsentiert ein Interview mit Jamal El-Shayyal einem seiner Produzenten, der sich an Bord der Mavi Marmara befand.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=XCunN5fhDp4 [/youtube]

Darin behauptet er, dass die Israelis zu feuern begannen, bevor sie sich an Bord abgeseilt hatten und dass dabei ein Passagier von oben einen Kopfschuss erhielt. Viele andere Passagiere erzählen ebenfalls die Version, dass geschossen wurde, bevor der erste israelische Miltärstiefel das Deck berührt hat. EL-Shayyal streitet nicht ab, dass einige Aktivisten Stangen aus der Reling gebrochen und als Knüppel benutzt hatten. Aber laut seiner Aussage wurden diese erst nach dem israelischen Schusswaffeneinsatz verwendet.

Kann sich Israel selbst untersuchen?

Ich würde mir nicht zutrauen, eine der beiden Versionen komplett zu verwerfen. Die ganze Aktion müsste eigentlich „schnell, objektiv, glaubwürdig und transparent“, untersucht werden, wie es der UN-Sicherheitsrat am Dienstag gefordert hatte. Der Kompromiss im Sicherheitsrat, war leider nicht zu definieren, wer genau diese Untersuchung durchführen soll. Die Türkei und die arabischen Staaten hatten ursprünglich eine internationale Untersuchung gefordert, die USA hatten sich dagegen gesperrt und bevorzugen, dass Israel sich selbst untersucht.

Die in New York ansässige internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gibt sich dazu skeptisch.

„Wenn wir darauf blicken, wie unzulänglich Israel in der Vergangenheit unrechtmäßige Tötungen seitens seines Militärs untersucht hat, dann sollten wir darauf bestehen, dass die Internationale Gemeinschaft jede Art von Untersuchung ganz genau beobachtet, um sicherzustellen, dass diese gemäß internationaler Standards durchgeführt wird, damit jeder, der sich falsch verhalten hat, vor Gericht gebracht werden kann“. Sarah Leah Whitson, Direktorin des Nahost-Programms von Human Rights Watch.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Man darf sich nicht allzu viel erwarten, wenn sich die israelische Armee selbst untersucht.

Fallbeispiel Gazakrieg 2009

Der prominenteste Fall war die Untersuchung im Zusammenhang mit der Beschießung des UN-Hauptquartiers am 15. Januar 2009. Brig. Gen. Eyal Eizenberg und der Kommandeur der Givati-Brigade, Col. Ilan Malka, wurden dafür diszipliniert, einen Granatbeschuss entgegen der Einsatzregeln autorisiert zu haben, die es verbieten Artillerie in dicht bewohnte Gebiete abzufeuern. Es wurde aber kein Strafverfahren eingeleitet. Der Einsatz von Phosphor, der nach internationalem Recht nur eingesetzt werden darf, damit dessen Rauch Truppenbewegungen verbirgt, war nicht Gegenstand der Untersuchung. Die beiden Offiziere erhielten einen Disziplinareintrag in ihrer Akte. „Der Cover-up zu dieser Affaire zeigt einmal mehr, dass sich die israelische Armee nicht selbst untersuchen kann”, schreibt die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem.

Die Ausbeute bei den Verurteilungen in den 36 Strafverfahren gegen israelische Soldaten im Zusammenhang mit dem Gazakrieg, bei dem 1400 Palästinenser, darunter viele Frauen und Kinder umkamen, ist äußerst mager. Bisher wurde nur ein Soldat verurteilt, für das Stehlen einer Kreditkarte aus einem palästinensischen Haus.

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