vonHelmut Höge 11.02.2011

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Tahrir-Platz. Photo: AFP

„Es weht ein Wind der Freiheit, der Grenzen überschreitet/ hin zu fremden Völkern/ ein Wind, der schwindlig macht.“ (Jean Ferrat)

In Ägypten sind sie uns immer eine Stunde voraus. Wenn die Medien ein Ereignis von dort melden, dann ereignet es sich also bei uns quasi erst noch (im Kopf/Herz). Es gab am Vormittag eine lange Debatte in der taz über die heutige Schlagzeile, die nahelegte, dass Mubarak so gut wie zurückgetreten sei. Daran war eigentlich nichts falsch, abgesehen davon, dass es besser ist, wenn er sich noch eine Weile an seinen „Stuhl“ klammert, damit den Aufständischen der Schwung bleibt und der Zustrom weiterer Unzufriedener mit dem Regime anhält.  „Die Weigerung Mubaraks, zurückzutreten, befeuerte die Wut der Demonstranten“, meldet Reuters. Außerdem kommen nach Mubarak nur neue Pappnasen (sogar schlimmere – wie sein Nachrücker, der Geheimdienst- und Folterer-Chef Omar Suleimann, den die Süddeutsche Zeitung als „Manager des Übergangs“ bezeichnet).

Und dieser alberne Demokratie-Reigen verhindert, dass das ganze Schweinesystem von unten aufgerollt wird. Die taz-Debatte drehte sich aber bloß um das Zeitungs-Erscheinungsbild, hatte mit der Wirklichkeit – Ägypten/Kairo/Aufstand/Ansteckung – überhaupt nichts zu tun. Es war eine blöde Blattmacher-Debatte. Bis auf ganz wenige Mitarbeiter geht es im taz-Wirtschaftsunternehmen niemandem mehr um die Weltrevolution und ihre Beförderung, sondern nur noch um Auflagensteigerung, Qualitätsverbesserung, Lohnerhöhung, Sommerhaus – später, Urlaub am Strand, Gesunde Lebensmittel, frische Luft und glückliche Kinder. Das, was soeben ein deutsches Regierungsarschloch (-Sprecher) der Presse vorlog: „Die Entwicklung in Ägypten bereite Berlin ‚viel Sorge'“ – könnte auch von einem tazler stammen.

„Nach  einer Nacht bitterer Enttäuschung scheint die Protestbewegung nur noch entschlossener,“ meldete Focus aus Kairo vorhin. Weiter heißt es dort, dass heute wieder „Menschenmengen“ zum Tahrir-Platz strömten – „dem Epizentrum des ägyptischen Aufstands, Aber auch andere Teile der Megastadt wurden von den Protesten erfasst“. Dass der komatöse Mubarak wohlgetan hat, sich nicht ins Aus schieben zu lassen, bestätigte auch der Aktivist und Anwalt Mohammed Abdul Rahman: „Seine Rede ist eine Provokation. Das wird die Leute noch mehr zusammenschweißen, und es werden noch mehr auf die Straße gehen.“ Bekräftigt wird dies soeben von dpa: „Die Gegner des Regimes haben ihren Protest nun auch vor den Präsidentenpalast im Stadtteil Heliopolis und den Sitz des staatlichen Fernsehsenders getragen. Augenzeugen berichteten, die Anlage werde von der ägyptischen Armee scharf bewacht. Vor dem Gebäude seien über tausend Demonstranten. Die Lage wirke gespannt.“

Anscheinend nicht auf dem Tahrir-Platz – oder die jugendlichen Aufständischen dort sind nicht ganz bei Trost: Laut Spiegel-online-Reporter Hasnain Kazim skandierten sie gerade: „Lang lebe Facebook!“ Weil sie dank des Internets eine Stimme hätten, die nicht zum Schweigen gebracht werden könne. Seit nunmehr 18 Tagen übertragen sie nun schon ihre Facebook-Kommunikation auf die Straße – und haben sich dafür hunderte von Tote und tausende von Verletzte eingehandelt, aber damit auch das ganze ägyptische Verbrecherregime fast zum Einsturz gebracht. Ihre Facebook-Reklamerufe hören sich nun an, als würden sie sich am Liebsten wieder in den „virtuellen Raum“ des Internets zurückziehen wollen. Neben diesem JuveNil-Quatsch hört man auf dem Tahrir-Platz noch die ebenso lauten „Allahu Akbar“-Rufe der an diesem Freitag zum Mittagsgebet Versammelten. Desungeachtet bietet Reuters als  „Top-Thema ‚In Ägypten stehen die Zeichen auf Sturm'“ an. Dazu werden einige prominente Stimmen zitiert:

„Nach dem Freitagsgebet wird es Massen von Ägyptern geben, die den Palast  stürmen“, sagte der 27-jährige Ahmed Faruk. „Wir werden zum Palast marschieren und Mubarak stürzen. Wir wissen, dass die Welt auf unserer Seite steht“, sagte auch der 34-jährige Nurhaan Ismael. „Wir haben die Nase voll von ihm“, sagte Mustafa Naggar, einer der Anführer. „Wenn er das Land verlässt, wird er zur Beruhigung der Krise beitragen. Wenn er bleibt, führt er die Ägypter direkt in das Chaos.“ Und „Ägypten wird explodieren“, warnte Friedensnobelpreisträger und Oppositionspolitiker Mohamed El-Baradei. „Die Menschen sind sehr verärgert. Wir sollten uns Sorgen machen“, sagte er dem US-Sender CNN.

Kurz zuvor hatte jedoch der saudische TV-Sender Al Arabija, der als Konkurrenz Al Dschasira gegründet wurde, gemeldet, dass Mubarak und seine Familie das Land bereits mit unbekanntem Ziel verlassen habe. Glaubt niemand diesem Sender? Rätselhafter Orient – geradezu sphinxhaft! Bloß gut, dass wir so etwas wie das „ZDF-Politbarometer“ haben. Es versichert uns (um 12 Uhr 34 Mainzer Zeit): „Ägypten wird demokratischer.“ Dazu hat sich ein gewisser Joseph Krauss, Polit-Hermeneutiker und zuvor  wahrscheinlich „Kreml-Astrologe“, daran gemacht, für AFP herauszukriegen: „Was die Fernsehansprache von Präsident Mubarak bedeutet.“

Rätsel. Photo: lucylehmann.de

Man möchte Amok laufen bei so viel Mist, mit dem sich diese ganzen (klein)bürgerlichen Journalisten und Politdeuter beschäftigen. Um es mit Gilles Deleuze zu sagen: „Kaum will man nur die kleinste Kleinigkeit verändern, kommt man schnell dazu, dass man eigentlich alles in die Luft sprengen müßte.“

In der heute erschienenen „Le Monde Diplomatique“ (LMD) ist zuvörderst von den politischen Perspektiven Tunesiens die Rede, denn dieses Land hat die Veränderungen im arabischen Raum eingeleitet – den Herbst der postkolonialen Paten. Folgerichtig wird dann in einem weiteren Artikel über den „Wandel in Ägypten“ berichtet, der „die gesamte Region radikal verändern wird“. Es geht dem wenig revolutionär inspirierten Autor dabei um die „Umrisse eines neuen Nahen Ostens“, den er sich demzufolge auch nur ganz langweilig vorstellen kann, indem er u.a. das Gewicht des ägyptischen Militärs im derzeitigen Machtkampf ganz statisch versucht einzuschätzen. Es macht sich hierbei die Nähe der Zeitung zur bürgerlich-legalistischen „attac“-Initiative und den antitotalitaristisch auf Menschenrechte (in Osteuropa) pochenden Pariser Medienphilosophen bemerkbar: Die LMD ist „not amused“ über den Kairoer Aufstand, Leben kommt in ihre „Reflexionen“  darüber nur, wo es (in einer Extraspalte) um die gefürchteten „Muslimbrüder“ geht.

Die französische Nachrichtenagentur AFP meldet heute um 14 Uhr 45: „Zur Zeit ist der Tahrir-Platz schwarz vor Menschen, Männer und Frauen knien auf dem Boden, an den Zugängen zum Platz stehen unbeweglich die Panzer. Nach der religiösen Pflicht beginnen die Massenproteste: Die Menschen laufen in Scharen zum Präsidentenpalast im Stadtteil Heliopolis und zum Gebäude des Staatsfernsehens, auch einige Soldaten legen ihre Uniformen ab und schließen sich den Zügen an. Auf das ägyptische Militär stützt sich die Hoffnung der Demonstranten, „enttäuscht uns nicht“, ruft einer. Doch viele sind unsicher, auf welcher Seite die Soldaten stehen. „Armee, entscheide dich – das Regime oder das Volk“, hallt es in Sprechchören. Unter anderem das Militär war es, das die Demonstranten am Donnerstag hoffen ließ. Sie habe damit begonnen, die notwendigen Maßnahmen zu erörtern, um ‚die legitimen Forderungen des Volkes zu unterstützen‘, hatte da die Armee erklärt.

Volksfeststimmung macht sich breit. Die Demonstranten malen sich die ägyptische Flagge auf die Wangen, andere schwenken große Fahnen – und lassen sich von der internationalen Presse filmen. Ein Korrespondent der Deutschen  Presseagentur interviewt den Verkäufer kleiner Staatsfahnen am Rande des Platzes. Um 14 Uhr 12 erfährt man hier am dpa-Ticker, wieviel sie umgerechnet kosten und dass er anscheinend ein gutes Geschäft macht.

In ihrer heutigen taz-Kolumne aus Kairo hat mich die Naivität der Autorin, Nora Mbgathi empört: „Seit über zwei Wochen dreht sich alles in meinem Leben um die Revolution,“ so fängt sie an – um uns dann am Ende mitzuteilen: „Wenn Mubarak nicht geht, dann ist für meine Kommilitonen ab Sonntag alles vorbei.  Heute findet nochmal ein Millionenmarsch statt. Ein Funke Hoffnung bleibt, dass vielleicht ab Samstag schon alles vorbei ist.“

Warum sie diese „Hoffnung“ auf ein schnelles Ende der „Revolution“ hat, verrät sie im Mittelteil des Textes: Sie will ihretwegen kein Semester verlieren – und muß/will sich spätestens übermorgen wieder in das verschulte Studium eintakten. Sie hat keine Hoffnung, dass die Revolution diesen ganzen „Bachelor-, Prüfungs-, Uni-Druck“ abschafft. Ihre Freundin Lamma, die bereits am Mittwoch den Tahrir-Platz verlassen hatte und wieder zur Arbeit gegangen ist, meint auch: „Ein bisschen Normalität ist gar nicht schlecht.“  Nora sagt zu sich selbst – und wird dabei zu einem deutschen Realvernünftler mit Auslandsaufenthalt in Kairo: „Es gibt Grenzen für mein Engagement.“ Da ist aber noch eine ganz kleine Stimme in ihr, die ihre Freundin Nada zitiert, welche seit einer Woche nicht mehr zu Hause geschlafen hat: „Wie kann mir noch so was wie Uni wichtig sein, nachdem ich Mittwochnacht auf diesem Platz war?“ Nora Mbgathi kann sich jedoch beruhigen: Ich weiß es nicht. Ich war an jenem Mittwoch (an dem es zu den blutigen Kämpfen mit den Mubarak-Schlägern gekommen war) nicht auf dem Platz.“

Mit der „Facebook-Generation“ gesagt: Man darf eben nicht rund um die Uhr twittern und simsen und mailen, dann ist man süchtig. Man muß sich der beschissenen Realität da draußen stellen – und zwar mit Erfolg, im Sinne einer wenigstens kleinen Karriere, in der man Anerkennung findet. Anerkennung braucht jeder Mensch. Ohne Anerkennung keine Liebe. Und wenn man die nicht bekommt, dann vertrocknet der Mensch wie eine Primel ohne Wasser.

Dpa versucht gerade, 15 Uhr 39, noch ein bißchen Spannung in sein Nachrichtengeschäft – und in das Leben der Kairoer Studenten, die endlich wieder weiterstudieren wollen, zu bringen: „Der Nachrichtensender Al-Dschasira meldete am Nachmittag, der Präsidentenpalast wolle in Kürze eine wichtige Erklärung veröffentlichen.“ Doch Rücktritt? Bisher wurde er ebenso wie das Eingreifen der Armee immer nur „angedeutet“ – anscheinend eine altägyptische Herrschaftsspezialität.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ nennt sie: „Ein Leuchtturm für die arabische Welt“. Sie hatte einen Islamwissenschaftler und Wirtschaftsarabisten gebeten, das doch mal aus der Tiefe des historischen Raumes kurz nach vorne zu projizieren – auf 500 Zeilen, na gut 600:

Dieser (Bremer!) Experte kommt heute zu dem Schluß: „Ägyptens geistiger Führungsanspruch beruht auf der Tatsache, dass hier die Lebensfrage der modernen arabischen Welt – Selbstbehauptung in der Auseinandersetzung mit westlicher Dominanz und Wahrung von Identität und Würde – am frühesten, auf breitester Ebene und am deutlichsten gestellt wurde.“ Damit diese Argumentation noch etwas mehr Gewicht bekommt, hat der Autor es mit einem langen auf Nasser gemünzten  Zitat des französischen Orientalisten Maxime Rodinson verbunden: „Es ist das Schicksal der voranschreitenden Diktaturen, ihre Totengräber hervorzubringen.“ Gemeint sind damit die unter ihr leidenden Menschen, die dabei gleichzeitig derart gebildet werden – und mit Freiheitsgedanken vertraut, dass ihnen irgendwann der Kragen platzt. So weit zur Beantwortung der NZZ-Intelligenzler-Frage, die eigentlich niemanden, der noch alle Tassen im Schrank hat, interessiert: Ob es Ägypten gelingt, seine alte kulturelle und politische „Vorreiterrolle zurück zu erobern“.

Um dem aktuellen Macht-Geschehen wenigstens etwas näher zu kommen, fragte die NZZ zur Sicherheit auch noch ihren Beirut-Korrespondenten: Kommt es in Ägypten zum „Machtwechsel oder zur Restauration?“ Noch vielversprechender scheint jedoch die NZZ-Frage auf Seite 3 zu sein: War die Polizei an den Massenausbrüchen aus den Gefängnissen beteiligt?  Ihr  Kairo-Korrespondent ist dieser Vermutung außerhalb seines Büros sofort nachgegangen. Er sprach u.a. mit der Schwester eines entflohenen Häftlings, der wieder in den Knast zurückgegangen war – bevor man ihn verhaftete. Auch er wollte anscheinend seine Hoffnung nicht auf die Revolution – und eine Generalamnestie – setzen. Der NZZ-Korrespondent hat sich außerdem noch den Regierungssprecher angehört, der dem Volk versicherte: „Alle Entflohenen seien wieder eingefangen worden, deswegen hätten die Plünderungen nun aufgehört.“ Aber auch das war wohl mehr ein Andeutung gewesen, oder – um es vornehm, mit den Worten des Korrespondenten – auszudrücken: „Eine vorläufige und unvollständige Übersicht läßt sich auf Basis der vorhandenen Angaben nicht erstellen.“

AFP macht es um 16 Uhr 2 noch spannender: „Die ägyptische Präsidentschaft will nach Angaben des Staatsfernsehens in Kürze eine ‚wichtige und dringende‘ Mitteilung verbreiten.“ Mubarak hatte am Vorabend einen Teil seiner Befugnisse an Vizepräsident Omar Suleiman abgegeben“ – und war heute mit einem Hubschrauber aus Kairo verschwunden. „Auf Twitter jagten sich die Gerüchte über seinen neuen Aufenthaltsort,“ meldete dpa.

Laut AFP „begab er sich nach Angaben der Regierungspartei mit seiner Familie zum Badeort Scharm el Scheich am Roten Meer. wo er eine Villa besitzt.“ – Und die ständigen Luft- und Lustschreie der vielen deutschen Bade- und Tauchurlauber dort eine beruhigende Wirkung auf ihn ausüben. Zuletzt kamen vom Strand jedoch auch beunruhigende Töne: Er vermeinte Belehrendes aus dem Munde der Bundeskanzlerin vernommen zu haben. Die Bundesregierung dementierte dies jedoch augenblicklich: „Es habe zu keiner Zeit Absprachen zwischen Angela Merkel und dem ägyptischen Staatspräsidenten gegeben.“ (dpa am 9.2.)  Sieh an! So was gibt es also auch – neben dem „Engagement“ der deutschen Konzerne wie Siemens, Metro, Mercedes, BMW, VW etc. in Ägypten, die übrigens viele ihrer Mitarbeiter wegen der Aufstände inzwischen evakuiert haben, gibt es auch Absprachen – zwischen Merkel und Mubarak: „Abgemacht, wenn du nicht zurücktrittst, dann trete ich auch nicht zurück!“

Die Frankfurter Rundschau berichtet heute zwar so gut wie nichts über die Vorgänge in Kairo, dafür hat ihr „Art Director“ jedoch für die Coverillu  stundenlang an einer Mubarakbüste gebastelt, die immer mehr zerbröselt. Vielleicht will er uns und der Bundeskanzlerin damit nur noch einmal deutlich machen: Es geht langsam zu Ende mit diesem  Staatspräsidenten. Die junge taz-Korrespondentin kann vielleicht schon morgen beruhigt wieder in die Uni gehen und Punkte sammeln, die ihr im späteren Leben bestimmt zugute kommen werden.

Studieren geht vor Demonstrieren. Photo: kulturserver-hamburg.de


Um 16 Uhr 27 bekomme ich eine Mail vom Küstendenker und Kairo-Experten Dr.Salm-Schwader: „Es ist dir doch wohl klar, dass der Aufstand sich auch deswegen ausweiten und vertiefen muß, weil nur so die ganzen Türken- und Araber-Jugendlichen hier ein Selbstbewußtsein auf Dauer bekommen können. Der ‚Kairo-Virus‘ hat sie ja längst erreicht – sie sind hierzulande seine  vielleicht wichtigsten Nutznießer. Schon dass jetzt jede Dumpfpostille und jeder Ödeldödelsender irgendwelche Ägypter zu Wort und Bild kommen läßt, hilft ihnen. Meine zwei derzeitigen „Praktis“ – beides „Pakis“ – gingen schon am 8. Tag des Kairoer Aufstands ganz anders, am 11. sprachen sie mich bisweilen bereits herrisch an – und am 17. Tag begrüßte ich sie auf einmal voller Hochachtung, ich wunderte mich über mich selbst. Aber als alter Revolutionsforscher, der ich mal war, sagte ich mir: Ehre wem Ehre gebührt. Eine Revolution in situ macht immer und von überall her Weltgeschichte. Ich sage nur Haiti.“

Die FAZ bespricht heute im Feuilleton fast ganzseitig die Eröffnung des „Museums für moderne arabische Kunst“ in Qatar. Im Politikteil wird zum Einen berichtet, dass das Kairoer Regime alle Faxe, Vorschläge und angedeuteten Drohungen von der EU und den  USA zurückweist: „Wir sind derzeit mit Innenpolitik beschäftigt,“ heißt es zur Begründung, und zum Anderen wird geschildert, dass Ägypten „am Tropf des Nils“ hängt – und „das könnten die Amerikaner politisch nutzen“. Das Paranoia-Szenario dafür stellt sich die FAZ folgendermaßen vor: Da Äthiopien, Uganda und Südsudan „verläßliche Stützpunkte amerikanischer Einflusspolitik“ sind und diese Länder jede Menge Nilstaudämme planen – zur Stromgewinnung, „kontrolliert Washington nunmehr den Nil, wenn man so will, und hat damit ein Druckmittel an die Hand bekommen, gegen das auch ein islamisches Ägypten kaum etwas auszurichten vermag.“ – Wenn man so will.

In der Jungen Welt befaßt sich heute die Kairo-Korrespondentin mit einigen  Organisatoren der Permanentbesetzung des Tahrir-Platzes und deren Meinung über die Medienpolitik auf beiden Seiten:

„‚Die Technik, Mobiltelefone, Computer, Internet sind in unserer Hand, niemand sagt uns was wir tun und lassen sollen, wir bestimmen unsere Freiheit‘. Scherif Mickawi ist seit dem 25. Januar bei der ägyptischen Revolution dabei, der 35jährige Flugzeugmechaniker und Jurastudent ist einer der Organisatoren auf dem Tahrir. Um die Bühne in einer Ecke des Platzes ist ein provisorischer Sicherheitszaun gezogen. Ein Komitee entscheidet, wer Durchsagen machen kann, dazwischen wird Musik gespielt. Er hat den Tahrir-Platz seit 18 Tagen nicht mehr verlassen. ‚Wenn jemand behauptet, die USA oder sonst ein Land würde diese Revolution steuern, ist das gelogen‘.

Der Vorwurf, die Proteste seien vom Ausland gesteuert, hält sich derweil hartnäckig in Ägypten. Beschuldigt werden die USA und Israel, aber auch die Hisbollah oder die Hamas, Iran oder Katar werden genannt. Vizepräsident Omar Suleiman wiederholt es bei jeder Gelegenheit, die staatlichen Medien verbreiten die offiziellen Vorwürfe und belegen sie mit Zeugenaussagen von Personen, die angeblich ‚in Katar von amerikanischen Juden im Internet geschult worden seien und gelernt hätten, wie sie das Regime stürzen sollten‘, sagt lachend die Jurastudentin Mayy, die ebenfalls zu den Organisatoren gehört.

Zweifel über den originär ägyptischen Ursprung der Proteste werden auch von diplomatischen Korrespondenzen geschürt, die Wikileaks veröffentlichte. Darin berichtet die US-Botschaft in Kairo von  Treffen mit Vertretern der Bewegung des 6. April, von angeblichen Diskussionen über Umsturzversuche und Fortbildungsprogramme für junge Ägypter in den USA. Die USA spielen diesen Vorwurf herunter.

Die Vorwürfe von Vizepräsident Omar Suleiman und anderen, die Proteste seien aus dem Ausland ferngesteuert, zeigten dagegen die ganze Widersprüchlichkeit und Hilflosigkeit des Regimes, sagt der Anwalt Hafez Abu Seada vom Vorstand des Ägyptischen Menschenrechtsvereins. ‚Einerseits drohen sie mit Putsch, Chaos und der Islamisierung Ägyptens, um sich als einzige Hüter von Ordnung und Stabilität bei den USA, Europa und Israel anzupreisen, andererseits beschuldigen sie gerade diese Staaten, die Revolution zu schüren‘.“

An den Rändern der ägyptischen Aufstandszentren wird wieder geschossen – dpa meldet um 16 Uhr 43:  „Sicherheitskräfte erschossen heute in der Provinzhauptstadt Al-Arisch auf dem nördlichen Sinai einen Demonstranten. Eine aufgebrachte Menge hätte eine Polizeiwache stürmen wollen und sei dabei mit Polizeikräften zusammengestoßen, berichteten Augenzeugen. Das Opfer, ein junger Mann, sei von Scharfschützen erschossen worden, die auf Dächern postiert waren. Wenige Stunden zuvor war es in Rafah, der Grenzstadt zum Gazastreifen, zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten gekommen, als die Demonstranten aus Vorfreude über einen möglichen Rücktritt Mubaraks in die Luft geschossen hatten. Bereits in der Nacht zuvor hatten Protestierende die Polizeiwachen in der Stadt angegriffen.“

Al Dschasira kündigt an: „Das ägyptische Militär will im Laufe des Tages eine weitere Erklärung abgeben.“ Zuvor hatte es dem Volk bereits lauthals „politische Reformen garantiert“ – und sein  Oberkommando versprochen, „den Weg zu freien und fairen Wahlen zu sichern, den Dauer-Ausnahmezustand aufzuheben, sobald es die Situation erlaube und dass kein „friedlicher Demonstrant“ Strafverfolgung zu fürchten habe.

Ägyptischer Soldat auf Patrouille im Phantasialand, Brühl. Photo: sueddeutsche.de


Soeben kommt über alle Nachrichtenagenturen die Meldung:  „Husni Mubarak tritt nach Angaben seines Stellvertreters zurück. Ein Militärrat solle die Amtsgeschäfte übernehmen, sagte Omar Suleiman.“ Erleichterung auf dem Tahrir-Platz – und bei der jungen taz-Korrespondentin. Unter der seltsamen Überschrift „Suleiman vier“ meldet dpa, dass der ägyptische Friedensnobelpreisträger El Baradei über BBC der Öffentlichkeit gestand: „Das ist der schönste Tag meines Lebens.“ Und dass die  EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton „Respekt für den Schritt Mubaraks“ äußerte. In einer weiteren dpa-meldung heißt es: „Merkel erleichtert!“

Die Kräfteverhältnisse haben sich damit erst einmal erheblich zu Ungunsten der Aufständischen verschoben. Freuen darf man sich aber natürlich trotzdem über diesen  Papyrrhus-Sieg – dpa meldet um 17 Uhr 30: „Mit Jubel und Siegesgesängen hat die ägyptische Opposition am Freitag den erzwungenen Rücktritt von Präsident Husni Mubarak gefeiert. Auf dem Tahrir-Platz tanzten und hüpften Hunderttausende Regimegegner unter ägyptischen Fahnen. ‚Das Volk hat das Regime gestürzt‘, skandierten sie.“ Die Zeit twittert: „Neuer starker Mann Ägyptens ist nun bis auf weiteres der bisherige Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi, der dem Obersten Militärrat vorsteht. Vor dem Präsidentenpalast in Kairo begrüßte Tantawi feiernde Demonstranten. In den von Wikileaks veröffentlichten US-Depeschen wird Tantawi bisweilen als ‚Mubarfaks Pudel‘  bezeichnet.“

Tahrir-Platz. Photo: Al Dschasira


Ich will es dabei nicht bewenden lassen – und zitiere auch noch die Süddeutsche Zeitung: „Schmerzliche Erkenntnis in Washington: Die Zeiten, in denen die USA von ihren Verbündeten Gefolgschaft erzwingen konnten, scheinen endgültig vorbei zu sein. Jahrzehntelang haben die USA Milliarden und Abermilliarden nach Ägypten gepumpt – doch jetzt erweist sich, dass die Supermacht ohne Einfluss ist.“ Man merkt dem Text des SZ-Autor an, wie ihn das freut, denn von ihm hat Mubarak nie auch nur einen Pfennig bekommen.

In der taz teilt ein Redakteur seiner Freundin Uschi am Handy mit: „Hier ist vielleicht was los, ich kann jetzt unmöglich weg… Was denn? fragst du. Mubarak ist zurückgetreten.“ Aus der taz-Raucherecke  kommt ein leises Bedauern: „Seit ich denken kann, gab es diesen Kinderwitz mit der Muh-Barrack. Er hinterlässt eine Lücke. Naja.“ (Revolutions-)Armes Deutschland!

Der Sender Al Dschasira hat sich am meisten für die Verbreitung des arabischen  Aufstands ins Zeug gelegt, aus seinem Kairo-„Live blog“ (sic), der von seinem Hauptquartier in Doha betreut wird, soll deswegen das letzte Wort hier für heute kommen:

„Ibrahim Sharqieh, of Doha Brookings Institute, tell us a lot needs to happen ‚before we can really call this a revolution‘.“

Tahrir-Platz. Photo: Al Dschasira

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https://blogs.taz.de/kairo-virus_-_chronik_seiner_ausbreitungeindaemmung_4/

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