Photo: kleinezeitung.at.:“Saudi-Arabien: eine 18-jährige Muslimin – die dritte von links – gewann eine Miss-Wahl, ohne ihren Körper oder auch nur ihr Gesicht zu zeigen” Eigentlich ist das ziemlich fortschrittlich. Wir haben jedenfalls früher an den Unis auch immer alle Seminarscheine bekommen – ohne anwesend gewesen zu sein. Und hier geht es bloß um Haut zeigen. Als die Bolschewiki in den 20er- und 30er-Jahren im Zuge der Bolschewisierung des sowjetischen Orients und der Befreiung der islamischen Frauen eine “Entschleierungs”-Kampagne durchführten, geschah dies u.a. mit Hinweis auf die Gesundheitsschädlichkdeit der Hautverschleierung, was einige eilfertige Mediziner flugs mit Zahlen über die größere Anfälligkeit der verschleierten Frauen für Rachitis unterfütterten. Umgekehrt werden natürlich auch die islamischen Ge- und Verbote inzwischen mehr und mehr “wissenschaftlich” flankiert.
AP:
“Nicht einmal zwei Jahre nach seiner Einweihung droht das Burdsch Chalifa in Dubai seinen Superlativ als höchster Wolkenkratzer der Welt schon wieder zu verlieren: Saudi-Arabien will den Emiratsnachbarn mit einem spektakulären Turm übertrumpfen. Der Kingdom Tower soll mehr als 1.000 Meter hoch werden und auf einer Fläche von etwa 500.000 Quadratmetern ein Four-Seasons-Hotel, Luxuswohnungen und Büros beherbergen. Mit dem Bau des Prestigeprojektes am Rande der Hafenstadt Dschidda am Roten Meer beauftragte die Investmentfirma von Prinz Alwalid bin Talal, Kingdom Holding (KHC), die saudische Bin-Laden-Gruppe.
Saudi-Arabien plant mehrere neue Megastädte, deren Bau zehntausende Arbeitsplätze schaffen soll. Das Land gab zudem etliche Milliarden Dollar für eine neue Universität mit den Schwerpunkten Technologie und Wissenschaften aus, die einmal zum Entwicklungszentrum der Golfregion werden und deren Abhängigkeit von ausländischen Facharbeitern reduzieren soll.”
Zur Erinnerung:
Der Streit um den geplanten Stuttgart-21-Bahnhof geht in die nächste Runde: Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus hält kleine Veränderungen an der Architektur des Neubaus für denkbar. “Ich stehe weiter zu dem Projekt, aber wenn Veränderungen gewünscht sind, dann ist das für mich kein K.-o.-Kriterium”, sagte Mappus in der saudischen Hafenstadt Dschidda während seiner knapp sechstägigen Delegationsreise durch Saudi-Arabien und Katar. (SZ)
Die Bundesregierung will ihr Projekt “Polizeiausbildung in Saudi-Arabien ” überprüfen. (dpa)
Die saudiarabische Regierung hat deutsche Unternehmen aufgerufen, mehr in Saudi-Arabien zu investieren. Saudi-Arabien sei mit der Präsenz der Deutschen nicht zufrieden, sagte der Chef der Investitionsbehörde Saiga, Prinz Abdullah bin Faisal bin Turki Al Saud, dem Handelsblatt.
Und prompt tanzten sie dort alle an – aus Politik und Wirtschaft und würdigten die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Saudi-Arabien sowie das gute Geschäftsklima in diesem Morgenland. (taz)
AP:
“Die SPD verschärft ihre Angriffe auf die Außenpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung. “Das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien ist eine katastrophale Entscheidung”, sagte die frühere Bundesentwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul der “Berliner Zeitung” (Montagausgabe) laut Vorabbericht. Damit werde nur ein autoritäres, despotisches System unterstützt.
Die SPD-Abgeordnete sagte, eine Politik dieser Art sei das genaue Gegenteil dessen, was die schwarz-gelbe Bundesregierung öffentlich über den demokratischen Aufbruch in der arabischen Welt erkläre. “Da soll Außenminister Westerwelle mal erklären, warum er in Kairo sagt, er unterstütze die Demokratiebewegung in Ägypten, im Geheimen aber der Panzerlieferung an Saudi-Arabien zustimmt”, sagte Wieczorek-Zeul. “Über Jahrzehnte hinweg sind Kampfpanzerlieferungen an Saudi-Arabien abgelehnt worden, aus gutem Grund: Sie widersprechen den geltenden Waffenexportrichtlinien”.”
Waffenbenamungen:
“Unsere” großen Waffen haben Tierartnamen und die großen Tiere im Zoo Menschennamen: “Knut” z.B.. Die Panzer der Bundeswehr heißen: Leopard, Jaguar, Luchs, Fuchs, Dachs, Marder, Wiesel…Der erste nach dem Krieg wieder von einem deutschen Rüstungskonzern (Krauss-Maffei) gebaute Kampfpanzer wurde 1965 vom Verteidigungsminister auf den Namen “Leopard” getauft. Bei der gewollten Verbindung des Namens mit dem damit bezeichneten Tier wird auf dessen “Gefährlichkeit” für den Menschen abgehoben, allerdings macht sich dabei eine absteigende Linie bemerkbar: Die Bundeswehr-Panzer werden immer kleiner – vom Großraubtier zum Kleinraubtier. Während die Entwicklung zuvor genau anders herum verlief: vom “Panther” über den “Tiger” zum “Königstiger” (der jedoch erst Ende 1944 zum Einsatz kam – zu spät quasi, wenn man dem WKZwo-Fanzine “Der Panzerfahrer” glauben darf). Warum haben die deutschen Panzer eigentlich Tiernamen und die sowjetischen zumeist die – abgekürzten – Namen ihrer Chefkonstrukteure bzw. Oberbefehlshaber? Wurden diese Leute vielleicht als ebenso gefährlich wie die großen Raubtiere eingeschätzt? Handelt es sich etwa auch im – an sich doch sehr agnostischen – Sozialismus um einen Fall von Namensmagie im 20. und 21. Jahrhundert?
Der berühmteste, im Traktorenwerk von Charkow hergestellte Panzer – “der beste Panzer der Welt,” laut Feldmarschall Ewald von Kleist, hieß “T 34” (er wurde in über 50 Länder exportiert): T steht für “Tank” (Panzer) und die 34 zeigt das Konstruktionsjahr an. Dem Chefingenieur, Koschkin, war es gelungen, seinen Verteidigungskommissar Kliment Voroschilow zu überreden, den Panzer nicht nach ihm zu benennen. – So wie man es dann z.B. bei dem inzwischen weltweit eingesetzten Sturmgewehr AK 47 tat: A steht hier für Awtomat und K für den Waffeningenieur Michail Timofejewitsch Kalaschnikow, der das Gewehr 1947 entwickelte – was er inzwischen sehr bedauert. Er lebt noch immer in der Stadt der Waffenfabriken Ischewsk im Ural, wo man ihm und seinem “Bestseller” nach 1990 ein Museum nebst Denkmal errichtete. 1937 benannte man einen neuentwickelten Panzer nach dem Verteidigungskommissar Kliment Voroschilow: “KV 1”. Zwei Jahre später ging ein Panzer namens SMK – benannt nach Sergius Mironovitch Kirov – in Serie. Der populäre Erste Sekretär der Leningrader KP Kirov war 1934 ermordet worden, angeblich im Auftrag von Stalin, der den Mord dann zum Anlaß für seine “Großen Säuberungen” nahm. 1943 kam in der Panzerschlacht bei Kursk erstmalig der Panzer “IS 2” zum Einsatz – benannt nach Iosef Stalin (der “Nummer 1”). Der erste sowjetische Raketenwerfer wurde nach der Angebeteten in dem alten Liebeslied – “Katjuscha” – benannt, was die Koseform von Katja (bzw. Katharina) ist. Der ehemalige Rotarmist Wladimir Kaminer, dessen Großvater in der Schlacht um Kursk fiel, urteilt über diese Namensmagie: “Waffen mit menschlichen Namen sind erfolgreicher als solche mit Tiernamen – sie sind menschlicher.” Noch magischer geht es bei den sowieso zur Zauberei neigenden Moslems zu, und da wieder besonders bei den der Märtyrerei nicht abgeneigten Schiiten: Im Iran fand gerade ein großes Manöver statt, dass man “Prophet 6” nannte. Dabei wurden einige iranische Kurz- und Langstrecken-Raketen getestet. Sie heißen “Shahab” (Meteor), “Tondar” (Sturm) und “Fateh” (Eroberer). Daneben gibt es noch Raketen des Typs “Zelzal” (Shooting Star), Fadschr (Morgenröte), Qiam (Aufstand) und Safire Omid (Botschafter der Hoffnung). Wobei es sich z.T. um Weiterentwicklungen von chinesischen bzw. nordkoreanischen Raketen handelt. Ähnliches gilt für die irakische Rakete namens Al-Samoud (Standhaftigkeit).
Die Amerikaner sind zwar der “Moderne” verpflichtet, aber auch nicht ganz ohne – Magie: Ihre Raketen heißen u.a. Thor (germanischer Gott), Jupiter (römischer Gott), Poseidon und Atlas (griechischer Gott bzw. Titan).
Die Sowjets nannten ihre erste Rakete “Gorodomlya”. Das war der Name einer Insel im Seliger-See bei Leningrad, wohin man die 150 eingefangenen deutschen Raketentechniker aus Peenemünde befohlen hatte, damit sie beim Bau der ersten sowjetischen Rakete halfen. Die nächste Rakete – ohne die Deutschen gebaut – hieß dann programmatisch: “Start”, die übernächste: “Semjorka” (Siebenchen auf Russisch – die Trägerrakete mit der Gagarin flog). Später kamen u.a. die Raketen “Dnjepr” und “Angara” dazu – benannt nach einem südrussischen und einem sibirischen Fluß. Nach dem Zerfall der Sowjetunion näherte sich Russland magisch den Amerikanern an – und benannte eine seiner neuen Raketen nach dem griechischen Kriegsgott “Ares”.
“Sputnikschock nennt man die politisch-gesellschaftliche Reaktion in den USA und Westeuropa auf den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten ‘Sputnik 1’ 1957 durch die Sowjetunion,” heißt es bei Wikipedia. In der Folgezeit wurde nicht nur technologisch aufgeholt, sondern auch der “raumfahrttechnische Nachwuchs” gefördert – die so genannten “Rocketboys”. Hierzulande gab es die “Hermann-Oberth-Gesellschaft” – benannt nach einem “Raketenpionier”, der noch als “Veteran der Weltraumeroberung” in Peenemünde mitgearbeitet hatte, wo unter der Führung von Wernher von Braun erstmalig Langstreckenraketen als Angriffswaffen gebaut wurden. Diese nannten sie erst “Aggregat 1,2,3,4” und dann “V” (Vergeltungswaffe), ebenfalls fortlaufend numeriert – wobei sie jedoch bei Kriegsende nur bis 2 kamen.
Die in den Werkstätten der “Hermann-Oberth-Gesellschaft” in Bremen von jugendlichen “Raketenfreaks” entwickelten bis zu fünf Meter langen Pulverraketen durften laut Alliierten-Beschluß nur auf französischen Militärübungsplätzen abgeschossen werden. Sie bekamen vorher “natürlich” auch Namen – meist von berühmten Film-Stars: “Jane”, “Brigitte”, “Rita” usw.. Das war insofern angemessen, als Raketen – entgegen dem Anschein ihrer phallischen Form – weiblichen Geschlechts sind und zum Anderen auf die Sterne abzielen. Die Hermann-Oberth-Gesellschaft gibt es nicht mehr, vor ein paar Jahren hat Bremen noch einmal versucht, seine – inzwischen großteils arbeitslose – Jugend für den Raketenbau zu begeistern: In Zusammenarbeit mit dem europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS, der seit 1979 die Weltraumrakete “Ariane” baut (benannt nach einer griechischen Göttin, die Theseus half, den Minotaurus zu besiegen), entstand dort 2004 auf dem Gelände einer in Konkurs gegangenen Werft ein “Weltraumerlebnispark”, den man “Space-Park” nannte und wo die interessierte Jugend fortan um eine echte “Ariane 4” herum Techno tanzen sollte. Das 700 Millionen Euro “Projekt” ging jedoch schon im ersten Eventjahr pleite: Die “Raketenfreaks” waren immer weniger geworden, aber es gibt sie noch! “Am Dienstag lass ich meine selbsgebaute Rakete starten. Ich bräuchte dazu aber noch einen Namen. Hat jemand eine Idee?” fragte neulich z.B. “Simonko” – auf der Studentenplattform “physikerboard”. Ihm wurde geraten, in den US-Filmen “Stars Wars” und “Star Trek” nach einem passenden Wort zu suchen.
Damit dürfte hier vielleicht klar geworden sein: Im “Fakt” steckt mindestens ebenso viel “Fetisch” wie im “Fetisch” Fakten. Auch das “gesichertste Wissen” unterliegt Glaubensfragen. Der Wissenssoziologe Bruno Latour schlägt deswegen vor, zwischen “Fakt” und “Fetisch” bewußt nicht mehr zu trennen und – ganz vormodern – das aus beiden Begriffen zusammengesetzte (französische) Wort “Faitiche” stattdessen zu verwenden. In den benamten, mitunter sogar getauften und gesegneten Waffen haben wir bereits beides in einem: Ein faktisches Element (Geschoß) und ein drohendes (Zaubermittel). In Teilen Afrikas gab und gibt es Guerillagruppen, sie nennen sich übrigens nicht selten “Leopardenmenschen”, die sich mit Fetischen und Keuschheitsgelübde gegen die Geschosse ihrer Gegner schützen. Meist vergeblich “natürlich”, wie man hier seit der Aufklärung sagt. Aber auch unsere europäischen Vornamen sind derart übercodiert: “Helmut” (Heller Mut), Siegfried (Erst siegen, dann Frieden), Armin (Der heldische Cherusker), Nadja, Ljuba, Vera (Hoffnung, Liebe, Glaube).
P.S.: Je rationeller die Namen der russisch-sowjetischen Waffen wurden, desto magischer oder poetischer wurden die Namen der Gefängnisse: “Seemanns Schweigen” (in Moskau), “Schlüsselburg” (in Leningrad/Petersburg), “Weißer Schwan” und “Schwarzer Schwan” (in Pjatigorsk)
P.P.S.: Ulrike Stamm setzt sich in ihrer Studie “Der Orient der Frauen – Reiseberichte deutschsprachiger Autorinnen im frühen 19. Jahrhundert” auch mit den Autorennamen der reisenden und schriftstellernden Frauen auseinander:
Zusammengefaßt läßt sich sagen, dass sie noch Probleme damit hatten, ihre zur Veröffentlichung bestimmten Texte mit ihrem eigenen Namen zu unterschreiben – obwohl das Reisen ihnen sowohl “Legitimation” als auch “Anlass” dafür bietet. Außerdem “gilt für sie allemal das im Zeitalter des englischen Imperialismus geprägte Bonmot ‘The east is carreer”, was die um 1900 in Tunis und Algerien herumreisende junge Russin Isabelle Eberhard sofort begriff. Sie nahm jedoch nach Übertritt zum Islam einen arabischen Namen an. Und ähnlich wie einige andere den Orient erkundende europäische Autorinnen verkleidete sie sich dort als Beduine. Ihre so gewonnenen Eindrücke veröffentlichte sie jedoch nicht in arabischen, sondern in französischsprachigen Zeitungen Algeriens und Frankreichs. Und obwohl sie Arabisch konnte, schrieb sie daneben auch noch auf Russisch – eine Kultur, so meinte sie, die der arabischen näher stand als die mitteleuropäische.
Financial Times Deutschland:
Auf die Frage, ob sie sich selbst als “Aktivistin” sehe, kommt Najla Hariri merklich ins Zaudern: “Mmh, na ja, ich weiß nicht, schon irgendwie. Es geht ja nicht anders.” Die 45-jährige Hausfrau mit fünf Kindern war vor sechs Wochen sie eine der ersten in Saudi-Arabien, die gegen das Fahrverbot für Frauen verstoßen hat.
“Mein Fahrer hat gekündigt und ich musste dringend meinen Sohn zur Schule bringen. Das war kein Protest, sondern einfach Notwendigkeit,” sagt sie. Heute twittert sie (2.500 Follower) über die Forderung, Frauen ans Steuer zu lassen und sagt: “Das Internet ist der einzige Ort, an dem wir die Probleme unseres Landes diskutieren können.”
Hariri ist eine von einer schnell wachsenden Zahl von Internet-Aktivistinnen in Saudi Arabien. Von der freien Entscheidung, den Ehemann wählen zu dürfen, über eine Kampagne, den Kindern saudischer Frauen mit ausländischen Ehemännern die Staatsbürgerschaft zu gewähren, bis zur Freilassung politischer Gefangener gibt es fast im Wochentakt eine neue Kampagnen im Internet.
Gerade war es ein Boykott der größten Molkerei des Landes, die den Preis der Zwei-Liter-Flasche Milch von sieben auf acht Riyal angehoben hat. Auf Facebook und Twitter kuriserten Fotos von Regalen mit unverkaufter Milch. Das Köngishaus reagiert inzwischen empfindlich auf solche Kampagnen. Kaum eine Woche später verabschiedete das Ministerium für Handel und Industrie eine Direktive, die Molkereien vor Preiserhöhungen warnt. Zähneknirschend musste die einem Prinzen gehörende Firma einen Rückzieher machen.
“Wir leben in einem Land, in dem zehn Millionen junge Leute mit dem Internet aufgewachsen sind,” sagt die Wirtschaftsberaterin Reem Assad. “Diese Kampagnen stellen die Zukunft dar, und wir haben erst den Anfang gesehen.”
2008 startete Assad eine Facebook-Kampagne, die Frauen zum Boykott von Unterwäschegeschäften aufrief. In Saudi-Arabien wird eine strikte Trennung der Geschlechter praktiziert. Weil Frauen mit Männern in Kontakt kommen könnten, dürfen sie nicht im Einzelhandel arbeiten. Frauen müssen deshalb ihre Körbchengröße mit Männern diskutieren, so dass viele im konservativ-religiösen Lager die Kampagne unterstützten.
Im Juni erließ König Abdullah ein Dekret, nach dem Einzelhändler in Wäschegeschäften nur noch Verkäuferinnen beschäftigen dürfen. Das wird weitreichende Folgen haben. Das Ministerium für Arbeit geht davon aus, dass 1,5 Millionen Stellen für Frauen im Kleider-Einzelhandel notwendig sind. Saudi Arabien sei ein sehr konservatives Land, sagt Reem Assad, in dem politischer Protest keine Tradition habe. Sie geht jedoch davon aus, das sich das bald ändern werde: “Es gibt kein Zurück mehr. Irgendwann werden wir auch Leute auf der Straße sehen.” Denn manchmal hat man den Eindruck, dass Politik in Saudi Arabien im Internet stattfindet, nicht aber in der wirklichen Welt.
“In Saudi Arabien an die Öffentlichkeit zu gehen, ist eine Entscheidung, die dein ganzes Leben verändert,” sagt die Bloggerin Eman Al Najafi. “Schauen Sie sich die Frauen an, die 1990 gegen das Fahrverbot demonstriert haben. Sie haben noch heute unter den Folgen zu leiden. Nur eine hat heute eine führende Position inne.” Al Najafi bloggt in Englisch und ist eine der Sprecherinnen der Kampagne gegen das Fahrverbot für Frauen.
Ursprünglich war das Internet für die Kampagnen der Reformer reserviert, aber inzwischen haben es auch die Religiös-Konservativen für sich entdeckt. Der Geistliche Scheich Ahmed Al Youssef zum Beispiel twittert dort über den rechten Pfad des Propheten (13.000+ Followers). Einen Namen hat er sich gemacht, als er 2008 die erste saudische Universität kritisierte, an der ein paar Dutzend Frauen und Männer gemeinsam studierten. Prompt wurde er aus dem Rat der Obersten Geistlichen entlassen, dem höchsten religiösen Gremium, das Fatwas veröffentlicht. Anfang Juni kritisierte er in einem You-Tube-Video die willkürlichen Verhaftungen in Saudi Arabien und wurde festgenommen. Nach mehreren Anschlägen wurden seit 2003 mehr als 11.500 Al-Qaida-Verdächtige inhaftiert. Natürlich haben die Anhänger des Scheichs sofort eine Facebook-Gruppe gegründet, die seine Freilassung fordert.
Die “Jungle World” widmete Saudi-Arabien am 21.Juli einen Heft-Schwerpunkt. Jörn Schulz schrieb einen Text mit dem Titel:
“Der unsichtbare Aufstand”
Zu einem König gehört eine Königin. Abdullah von Saudi-Arabien kann nach Angaben der meisten Experten vier Königinnen vorweisen, andere Schätzungen sprechen ihm sogar 30 Gemahlinnen zu. Genau weiß das außerhalb des Königshauses kaum jemand, denn saudische Monarchen legen Wert auf Diskretion. Die Frage, ob bei einem Staatsbankett im Ausland vier oder 30 Plätze für die First Ladies freigehalten werden müssen, stellt sich ohnehin nicht, weil die Damen zu Hause bleiben müssen.
Anonym bleiben auch Dina, LaMars und Dareen aus der Hafenstadt Jeddah, die andere Vorstellungen von höfischen Umgangsformen haben. »The Accolade« (der Ritterschlag), die von ihnen gegründete erste Frauenband Saudi-Arabiens, hat mehrere Songs im Internet veröffentlicht, doch die Musikerinnen müssen unsichtbar bleiben. Die Band wurde nach einem Gemälde Edmund Blair Leightons benannt, das einen knienden Krieger zeigt, der von einer gekrönten Dame den Ritterschlag erhält. »Ich mochte das Gemälde, weil es eine Frau zeigt, die mit einem Mann zufrieden ist«, sagte Dina der New York Times. In Saudi-Arabien haben die meisten Frauen dazu wenig Anlass. Wenn sie Glück haben, ermöglicht ihnen ihr Mahram, der männliche Vormund, der sie in der Öffentlichkeit begleiten muss, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Es ist daher allzu schmeichelhaft, wenn das saudische System als mittelalterlich bezeichnet wird. Viemehr kann der Rückgriff auf Mittelalterliches – wie im Iran, wo Dissidenten sich der mehr als 600 Jahre alten Poesie von Hafez bedienen – eine subversive Herausforderung für ein Regime sein, das seinen Untertanen strengere Vorschriften macht als die Kalifen der Vergangenheit und diese Regeln mit den Mitteln eines modernen Überwachungs- und Polizeistaats durchsetzen kann.
Der Wahhabismus, die saudische Staatsdoktin, war ursprünglich die Ideologie einer vorkolonialen fundamentalistischen Bewegung, die gegen alle angeblichen Abweichungen vom Islam kämpfte. Der Prediger Mohammed Ibn Abd al-Wahhab verbündete sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Mohammed Ibn Saud, der die Stadt Diriyya beherrschte. Nach zahlreichen Kämpfen konnten die Sauds den größten Teil der Arabischen Halbinsel erobern, 1932 wurde das Königreich Saudi-Arabien ausgerufen.
Die religiöse Legitimation ist essentiell für den König, dessen wichtigster Titel »Hüter der beiden heiligen Stätten« (nämlich der Pilgerorte Mekka und Medina) ist. Die Staatsdoktrin bewahrt die wahhabitische Intoleranz, die sich ebenso gegen die diskriminierte schiitische Minderheit wie gegen die Nachlässigkeit sunnitischer Saudis bei der Erfüllung religiöser Pflichten richtet. Als unentbehrliche Verbündete der Monarchie genießen die Geistlichen Privilegien, sie bilden die einzige relativ unabhängige institutionalisierte Gruppe in Saudi-Arabien. Doch die politische und ökonomische Macht monopolisiert das Königshaus.
Dessen innere Struktur ist ein gut gehütetes Geheimnis. Etwa 100 der schätzungswesie 7 000 Prinzen gelten als Angehörige eines »inneren Kreises« der Mächtigen. Dank Wikileaks weiß man zwar, dass bei Partys der Prinzen oft ein selbstgebrannter, Sadiqi (mein Freund) genannter Schnaps gereicht wird, doch wie politische Entscheidungen getroffen werden, ist nicht bekannt. Ebenso geheimnisvoll ist die Ökonomie. Mit einem Staatsanteil von schätzungsweise 70 Prozent dürfte Saudi-Arabien nach Nordkorea und Kuba am weitesten von den Idealen des Wirtschaftsliberalismus entfernt sein, doch da die Monarchie den Ölreichtum im Einklang mit westlichen Interessen verwaltet, gilt dies als eine zu respektierende kulturelle Eigenart.
Eine Trennung zwischen dem Staatsbudget und dem Vermögen der Sauds gibt es nicht. Über den Staatskonzern Aramco kontrolliert das Königshaus die Öleinnahmen, im Rahmen einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds stellte sich heraus, dass etwa 20 Prozent des Profits dem Haushalt vorenthalten werden. Dieses Geld dient dem Unterhalt der Prinzen, aber auch der Finanzierung außenpolitischer Projekte (siehe Seite 5). Rechenschaft muss der König nicht ablegen, es gibt kein Parlament, und die Sharia gilt als Ersatz für eine Verfassung.
Die saudische Monarchie präsentiert sich mit folkloristischen Darbietungen wie dem Säbeltanz der Prinzen bewusst traditionalistisch. Doch das Regime ähnelt eher modernen Diktaturen wie dem poststalinistischen Regime Nordkoreas, das ebenfalls dem Prinzip der Erbfolge huldigt. Bereits der ursprüngliche Wahhabismus war antitraditionalistisch, er wendete sich auch gegen den »Volksglauben« der Beduinen. Die heute gültige Staatsdoktrin dient, ähnlich der nordkoreanischen Juche-Ideologie, der Kontrolle der Bevölkerung, sie soll Uniformität erzwingen. Die Religionspolizei jeden Verstoß gegen Kleidungsvorschriften und andere Regeln ahnden zu lassen, ist keine Schrulle eines wunderlichen Monarchen, sondern eine notwendige Maßnahme zur Einschüchterung der Bevölkerung.
Auch die Entrechtung der Frauen ist das Produkt einer modernen Diktatur. »Unsere Omas durften auch Kamele reiten«, sagte Wajeha al-Huwaider (Jungle World 39/07), die im Jahr 2007 zu den Initiatorinnen einer Protestkampagne gegen das Fahrverbot für Frauen gehörte. Das ist keine romantisierende Nostalgie, denn nomadische Stammesgesellschaften sind zwar patriarchal, aber wegen der langen Abwesenheit der das Vieh hütenden oder Handel treibenden Männer gezwungen, den Frauen eine gewisse Selbständigkeit zuzugestehen. In der nun überwiegend urbanen saudischen Gesellschaft hingegen gilt es als ihre Aufgabe, die Männer zu versorgen und die Kinder im Geiste der wahhabitischen Staatsdoktrin zu erziehen. Als Dienstkleidung ist die Abaya vorgeschrieben, ein schwarzer Umhang mit Gesichtsschleier, der die regional unterschiedlichen Trachten ablöste. Die Religionspolizei achtet darauf, dass die Uniformität nicht durch Stickereien oder andere Verzierungen durchbrochen wird.
Viele Frauen vor allem aus den ärmeren Bevölkerungsschichten sind werktätig, mit kaum mehr als zehn Prozent ist die Frauenerwerbsquote jedoch weiterhin sehr niedrig. Es gibt auch Unternehmerinnen, der United Nation Development Report schätzte im Jahr 2005 ihre Zahl auf 20 000 bis 40 000. Einige wurden sogar in repräsentative Gremien der Geschäftswelt gewählt, selbst zur Arbeit fahren dürfen auch sie nicht.
Insbesondere die Situation der Frauen zeigt, dass die Monarchie zum Hindernis nicht nur für die gesellschaftliche Modernisierung, sondern auch für die Entfaltung der Produktivkräfte geworden ist. Das klientelistische Regime behindert den sozialen Aufstieg, vor allem für Angehörige der schiitischen Minderheit, letztlich aber für jeden, der keine guten Verbindungen zum Königshaus hat. Es geht für viele Saudis dabei nicht um die Frage, ob man sich eine weitere Yacht leisten kann. Der »reiche Ölscheich« ist ein Klischee. Es gibt auch Slums in Saudi-Arabien, die Arbeitslosigkeit wird auf mehr als 20 Prozent geschätzt, und Hatoon al-Fasi von der King Saud University errechnete im Jahr 2008, dass 30 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.
Wie in anderen arabischen Staaten ist es derzeit jedoch vor allem die politische Unterdrückung, die Unmut erregt, und die einst auch in Saudi-Arabien einflussreiche islamistische Bewegung scheint keine bedeutende Rolle mehr zu spielen. Immer weniger sind die Saudis bereit, den erzwungenen Stumpfsinn zu ertragen. In der vergleichsweise liberal regierten Hafenstadt Jeddah gibt es neben »The Accolade« zahleiche Hip-Hopper und Graffiti-Künstler. Wer das Pech hat, anderswo zu leben, behilft sich mit dem Internet und den ins Land geschmuggelten Kulturgütern. Dazu gehören auch Romane, häufig von saudischen Frauen verfasst, aber wegen der Zensur im Ausland gedruckt. Verbotene Liebe und häusliche Gewalt sind die populärsten Themen.
Die kulturelle Dissidenz ist nicht das einzige Anzeichen für den wachsenden Unmut. Bei einer von Mansoor Moaddel geleiteten Untersuchung über die Wertvorstellungen im Nahen Osten stellte sich im Jahr 2003 heraus, dass mehr als zwei Drittel der Saudis die Demokratie für die beste Regierungsform halten und nur 28 Prozent wöchentlich einen Gottesdienst besuchen – ein weit geringerer Prozentsatz als in den USA oder Ägypten. Bereits damals verfassten saudische Intellektuelle Petitionen an den König, die Reformforderungen wurden jedoch vorsichtig formuliert.
Das hat sich seit den Revolutionen in Tunesien und Ägypten geändert. So fordert die Facebook-Gruppe »The people want to reform the government« unter anderem freie Wahlen, die Ausarbeitung einer Verfassung, die Menschen- und Bürgerrechte garantiert, sowie explizit auch die Gleichberechtigung der Frauen. Einige Gruppen der Demokratiebewegung riefen auch zu Protesten auf. Abgesehen von kleineren Demonstrationen in schiitischen Gebieten blieb es jedoch ruhig. Die Saudis müssen mit ähnlich harter Repression rechnen wie Syrer und Libyer, nicht umsonst hat der König in Deutschland nicht irgendwelche Leopard-Panzer, sondern das für die Aufstandsbekämpfung ausgerüstete Modell 2A7+ bestellt.
Bei der von Saudi-Arabien geführten Militärintervention des Golfkooperationsrats (GCC) zur Niederschlagung der Revolte im Bahrain begnügte man sich mit der Entsendung von gepanzerten Mannschaftswagen, für die Bekämpfung unbewaffneter Demonstranten genügt auch ein schweres Maschinengewehr. In einigen der kleineren Golfmonarchien mussten die Herrscher bereits Zugeständnisse machen, die Aufständischen in Bahrain etwa konnten an die Erfolge der Proteste in den neunziger Jahren anknüpfen, bei denen einige Reformen erkämpft wurden. Abdulrahman bin Hamad al-Attiyah, der Generalsekretär des GCC, begründete die Intervention in Bahrain mit dem »gemeinsamen Schicksals, das die Mitgliedsstaaten verbindet«.
Eine Demokratisierung in den kleineren Golfmonarchien würde die Macht des saudischen Königshauses bedrohen. Sollte andererseits die saudische Monarchie stürzen, würden die anderen Golfmonarchen sich nicht mehr lange auf dem Thron halten können. Auch den säkularen Demokratiebewegungen in anderen arabischen Ländern würde es helfen, wenn die saudische Unterstützung für ihre islamistischen Gegner entfiele.
An Überraschungen hat es in der arabischen Welt in den vergangenen Monaten nicht gemangelt. Noch aber beschränken sich die Proteste in Saudi-Arabien auf kleinere Aktionen. Im Juni begann die Kampagne »Women2Drive«, Frauen widersetzen sich dem Fahrverbot. Das klingt harmlos, ist aber ebenso revolutionär wie das Handeln von Rosa Parks, als sie sich am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama, in den für Weiße reservierten Teil eines Busses setzte. Derzeit bilden Frauen am Steuer und an der Gitarre die Avantgarde der Protestbewegung. Die Männer müssen sich ihren Ritterschlag erst noch verdienen.
Al Dschasira mailt: Zur Niederschlagung der Revolten in Syrien wurden iranische Killer herangezogen, zur Niederschlagung des Aufstands in Bahrain wurden nicht nur Truppen aus Saudi-Arabien ins Ländle geholt, sondern auch welche aus Pakistan:
“In March, as a government crackdown on pro-democracy protestors intensified in Bahrain, curious advertisements started appearing in Pakistani media.
“Urgent requirement – manpower for Bahrain National Guard,” said one.
“For service in Bahrain National Guard, the following categories of people with previous army and police experience are urgently needed,” said another, with “previous experience” and “urgent need” underscored.
The categories included: former army drill instructors, anti-riot instructors, retired military police, and former army cooks.
In the following two months, on the back of visits to Islamabad by senior Saudi and Bahraini officials, sources say at least 2,500 former servicemen were recruited by Bahrainis and brought to Manama, increasing the size of their national guard and riot police by as much as 50 per cent.
“We know that continued airplanes are coming to Bahrain and bringing soldiers from Pakistan,” Nabeel Rajab, president of the Bahrain Centre for Human Rights, told Al Jazeera.
“We do not know the exact number, but we know that it is much more than 1,500 or 2,000 people.”
Recruited into the special forces, the national guard, and the riot police, the Pakistani citizens are tasked with suppressing Shia protesters that are reportedly demanding equal rights after years of alleged oppression at the hands of the royal family, part of Bahrain’s Sunni minority.
“Our own Shia cannot join the security forces, but the government recruits from abroad,” said Rajab.
On the ground in Pakistan, the recruitments were handled by the Fauji Foundation, one of the largest conglomerates in the country with close ties to the Pakistani military. In addition to the Overseas Employment Services, which is tasked with providing job opportunities for retired military personnel, the foundation owns large cereal and gas companies, sugar mills, security firms, as well as hospitals and universities.
Photos: Peter Oeltze von Lobenthal, sein Kommentar dazu: Die zwei sind von meiner letzten Reise nach Bahrain im März 2009. In dem Dorf Alawi, mit ausschließlich schiitischen Bewohnern, war am Vortag ein Polizeijeep angezündet worden. Die Graffittis gaben mir Rätsel auf, denn zwei der drei Gesichter sahen Ayman al-Zawahiri ähnlich, mittig dann so etwas wie Osama Bin Laden. Eigentlich stehen die Schiiten sonst nicht auf die Salafisten à la AlQueda.
Oliver M. Piecha schrieb in der “Jungle World” über den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran:
Der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi wiegelte freundlich lächelnd ab. Zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gebe es keine größeren Probleme, sagte er Ende Juni am Rande einer offiziellen Konferenz, die dem »Globalen Kampf gegen den Terrorismus« gewidmet war. Die beiden Regierungen unterschieden sich nur wenig in ihrem Blick auf regionale Entwicklungen, man müsse sich bloß einmal zusammensetzen, um einige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.
Salehis freundliche Worte verwundern ein wenig. Zwar stellt er mit seinem vergleichsweise moderaten Gebaren und einer etwas diplomatischeren Wortwahl so ziemlich das letzte international überhaupt noch vorzeigbare Mitglied der Regierung Präsident Mahmoud Ahmadinejads dar. Für das Poltern ist er nicht zuständig, aber immerhin hat Saudi-Arabien gerade öffentlich angekündigt, dass man alles tun werde, um die Islamische Republik Iran zu ruinieren und dass man deren wachsendem Einfluss in der Region auch militärisch entgegenzutreten gedenke.
Die kriegerische Botschaft überbrachte der saudische Prinz Turki al-Faisal, lange Jahre Geheimdienstchef, dann Botschafter in Großbritannien und den USA. Er hielt Anfang Juni vor mutmaßlich hochrangigen Aufklärungsoffizieren der Nato auf einem britischen Luftwaffenstützpunkt eine Rede, deren Text vielleicht nicht ganz unabsichtlich an das Wall Street Journal und dann an den Guardian übermittelt wurde. Adressiert war die Warnung allerdings nicht an den Iran, sondern an die USA und in zweiter Linie an Europa.
Denn zwischen Saudi-Arabien und dem Iran sind die Verhältnisse im Grunde schon seit der Machtübernahme Ayatollah Khomeinis im Jahr 1979 klar. Man hasst einander und hat sich Todfeindschaft geschworen. Allerdings droht diese schon Jahrzehnte währende Auseinandersetzung um die Vormachtstellung im Nahen Osten angesichts des »arabischen Frühlings« nun zu eskalieren.
Turki al-Faisal, einer der wenigen im Westen mit prononcierten Stellungnahmen öffentlich in Erscheinung tretenden Angehörigen des inneren Machtzirkels Saudi-Arabiens, wählte jedenfalls eine deutliche Sprache für seine Botschaft. Man werde, falls der Iran die Entwicklung nuklearer Waffen weiter vorantreibe, nachziehen müssen. Saudi-Arabien werde nun seine gesamten ökonomischen, diplomatischen und sicherheitspolitischen Bemühungen darauf konzentrieren, die regionalen Ambitionen des iranischen Regimes abzuwehren. Verletzbar sei der Iran, ein »Papiertiger mit Stahlklauen«, vor allem im Ölsektor.
In zwei jüngst erschienenen Kommentaren in der Washington Post hatten Turki al-Faisal und ein Mitarbeiter des saudischen Think Tanks, dem der Prinz vorsteht, die neue Strategie des Königsreichs bereits angekündigt. Man verstehe sich als regionales Machtzentrum, ja als »einzige Energie-Supermacht der Welt« und als »Wiege des Islam«, die weltweit die meisten Muslime symbolisch zu vereinen vermöge. Dazu gehören aber nicht, so wird man im Sinne der Saudis ergänzen können, die aus ihrer Sicht häretischen Schiiten, deren ebenso selbstmandatierte Repräsentanten im Iran sitzen. Man plane auch ein »Special Forces Command«, um nach US-Vorbild die saudischen Eliteeinheiten schnell im Ausland einsetzen zu können.
Die Macht über das Öl setzt das saudische Königreich wie angekündigt bereits gegen den Iran ein. Auf der letzten Opec-Konferenz konnte man sich Anfang Juni erwartungsgemäß nicht auf die von den Saudis zur Senkung des Ölpreises geforderte Produktionsausweitung einigen, gegen die sich der Iran, unterstützt etwa von dem aus saudischer Sicht nun dem »schiitischen Lager« angehörenden Irak, vehement wehrt. Das iranische Regime, unter immensem ökonomischen Druck wegen der Sanktionen und faktisch gelähmt durch den Streit zwischen den Fraktionen des religiösen Führers Ali Khamenei und den Mannen Ahmadinejads, braucht viel Geld.
Allein die permanenten Stützungskäufe, ohne die die iranische Währung kaum noch Wert hätte, verschlingen Unsummen. Während die maroden Förderanlagen des Iran, denen es an Ersatzteilen wie Investitionen mangelt, immer weniger Öl liefern, kündigt Saudi-Arabien an, jeden Produktionsausfall im Iran umgehend ausgleichen zu können. Zu dieser Strategie des Wirtschaftskriegs gehörte die der Opec-Sitzung direkt folgende Freigabe von Notfallreserven durch die USA und die Internationale Energiebehörde, die dazu führte, dass der Ölpreis umgehend sank, aber auch die direkte Abwerbung von Käufern iranischen Öls durch die Saudis zur Folge hatte.
Diese haben Indien angeboten, dessen Lieferverträge mit dem Iran zu ersetzen. Die Angelegenheit ist besonders brisant, da es wegen der Sanktionen gegen das iranische Bankensystem für das Regime immer schwerer wird, Geld für geliefertes Öl zu erhalten. Anfang des Jahres wurde beschlossen, dass die Lieferungen an Indien von der in Hamburg ansässigen, aber dem Iran gehörenden Europäisch-Iranischen Handelsbank (EIH) abgewickelt werden sollten. Das Geschäft wurde offenbar von der Bundesregierung gedeckt, die sich Ende Mai allerdings plötzlich doch noch entschloss, der Anwendung der EU-Sanktionen auf die Bank zuzustimmen.
Es wird nun offensichtlich ernst für das iranische Regime. Wenn Transaktionswege versperrt und Kunden weggelockt werden, dann fehlt irgendwann das Geld, um den Laden am Laufen zu halten, von hilfsbedürftigen Klienten und Verbündeten wie der Hizbollah, der Hamas oder dem ebenfalls arg bedrängten syrischen Regime ganz zu schweigen.
Den »Kalten Krieg am Golf« führen Saudi-Arabien und die Islamische Republik Iran bereits seit Jahrzehnten. Zuletzt hatten die von Wikileaks veröffentlichten amerikanischen Diplomatendepeschen eindrücklich belegt, dass die Saudis die USA immer wieder zu härteren, auch militärischen Maßnahmen gegen den Iran gedrängt hatten. Das Königshaus hätte wohl auch bei einer israelischen Militäraktion gegen das iranische Atomprogramm wohlwollend zugesehen.
Nun aber will das saudische Regime nicht mehr darauf warten, dass andere etwas tun. Aus der Sicht des Königshauses drängt die Zeit, die Umwälzungen in der Region sind zu tiefgreifend, man sieht sich und die verbündeten Golfmonarchien bedroht. Neu ist somit nicht nur die Unverblümtheit, mit der das Vorgehen gegen den Iran öffentlich angekündigt wird, auch die programmatische Feststellung, dass man militärische Interventionen in der Region künftig als Option saudischer Politik anzusehen habe, bedeutet einen Bruch mit Jahrzehnten der Öldiplomatie.
Diese Änderung der Strategie deutete sich bereits vor anderthalb Jahren an, als noch lange vor dem »arabischen Frühling« zuerst die saudische Luftwaffe, dann aber auch Bodentruppen gegen schiitische Aufständische im Nordjemen zum Einsatz kamen. Die notdürftig als Bruderschaftshilfe des Golfkooperationsrates deklarierte Invasion in Bahrain zur Niederschlagung der Demokratiebewegung im März dieses Jahres war ein folgerichtiger Schritt.
Die gleichzeitige Aufnahme der Königreiche Jordanien und Marokko in den Golfkooperationsrat sollte unterstreichen, dass Saudi-Arabien, wenn es auch Diktatoren wie Hosni Mubarak und Ben Ali nicht halten konnte, in den arabischen Monarchien keine grundsätzliche demokratische Änderung dulden will. Die jüngst verkündete schnelle Heirat eines bahrainischen Königssohns mit einer saudischen Prinzessin gibt dem Programm zur Erhaltung des Status quo – oder dessen, was davon übriggeblieben ist – noch etwas archaisches Flair.
Dass sich Saudi-Arabien als Hort der Reaktion geriert und zur Offensive gegen den »arabischen Frühling« wie auch den Iran – und damit gegen die ungeliebten schiitischen Bevölkerungsgruppen, ob im Libanon oder im Irak, die sowohl die panarabische wie die sunnitische Vorherrschaft abgeschüttelt haben – übergeht, ist allerdings kein Zeichen von Stärke. Dass der angeblich so mächtige Golfstaat in den vergangenen Wochen von ein paar Dutzend Frauen, die einfach beschlossen hatten, sich ans Steuer eines Autos zu setzen, in Schwierigkeiten gebracht werden konnte, spricht nicht für besondere Souveränität. Ebenso wie ihre iranischen Gegner sind die Herren mit den schmucken Kopftüchern längst eher Getriebene.
Bernhard Schmid schrieb in der Jungle World über die Beziehungen der USA und der EU-Staaten zu Saudi-Arabien:
Beim Frühlingserwachen flüchtete sich der französische Premierminister François Fillon in den tiefsten Winter. Soeben war Ägyptens Präsident Hosni Mubarak durch Massenproteste zum Rücktritt gezwungen worden. Drei Wochen zuvor hatte sich der tunesische Potentat Zine el-Abidine Ben Ali ins Exil nach Saudi-Arabien geflüchtet. Auf der halben Welt begann man vom »arabischen Frühling« zu sprechen, da beeilte sich der französische Regierungschef dorthin zu gelangen, wo dieser Frühling am fernsten war – nach Saudi-Arabien.
Am 12. Februar, keine 24 Stunden nach Mubaraks Rücktritt, besuchte der französische Premier zunächst den atomgetriebenen französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle vor der saudischen Küste. Dieser nahm zu dem Zeitpunkt an einem gemeinsamen Manöver mit den Streitkräften Saudi-Arabiens im Roten Meer teil. Später am Tag unterhielt sich Fillon mit dem saudischen Kronprinzen und Verteidigungsminister, Sultan ben Abdel Aziz. König Abdullah befand sich gerade in medizinischer Behandlung in einer marokkanischen Klinik.
Saudi-Arabien ist das mächtigste Bollwerk der Reaktion in der Region. Dass Fillon als erster französischer Premierminister seit 1994 sich gerade zu diesem Zeitpunkt in dem monarchisch regierten Wüstenstaat aufhielt, war ein klares Signal: Nach dem Sturz Ben Alis und Mubaraks werden Verbündete gesucht, die dem Treiben der Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern Einhalt gebieten können, wie es Saudi-Arabien im März mit der Truppenentsendung nach Bahrain tat. Frankreich hatte zuvor die Präsidentengarde und die Bereitschaftspolizei in Bahrain ausgebildet, kündigte jedoch am 18. Februar, kurz nach Ausbruch der Massenproteste, an, diese Aktivität einzustellen. Am selben Tag hatte auch Großbritannien angekündigt, seine Verträge über die Lieferung von »Sicherheitsmaterial« mit Bahrain einzufrieren. »Die Bindungen zwischen Frankreich und Saudi-Arabien haben sich verstärkt«, erklärte Fillon auf einer Pressekonferenz anlässlich seines Besuchs, »auf politischer Ebene drückt sich diese Partnerschaft durch sehr enge Abstimmungen bezüglich des regionalen Kontextes aus.« Gleichzeitig warb er für ein milliardenschweres Schnellbahnprojekt für die Strecke Jeddah-Mekka-Medina, an dem die französische Bahngesellschaft SNCF beteiligt ist.
Wichtiger noch als Frankreich ist für die saudischen Monarchie jedoch die Partnerschaft mit den USA, und dies seit dem »Quincy-Pakt«, der im Februar 1945 von Präsident Theodor Roosevelt und König Abdel Aziz ibn Saud unterzeichnet wurde. Dem Abkommen zufolge zählen die Stabilität Saudi-Arabiens und der gesamten Arabischen Halbinsel sowie die regionale Führungsrolle des Königreichs zu den »vitalen Interessen« der USA. Die wirtschaftliche Elite Saudi-Arabiens hat außerdem rund 600 Milliarden Dollar in den USA angelegt. Infolge des Anwachsens einer inneren islamistischen Opposition, die den fundamentalistischen Anspruch des Regimes für bare Münze nimmt, hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten seit dem 11. September 2001 jedoch zeitweilig getrübt. Vor diesem Hintergrund schlossen die USA im Dezember 2002 ein Verteidigungsabkommen mit Katar, infolge dessen vor dem Angriff auf den Irak ein Großteil der in der Region stationierten US-Truppen dorthin verlagert wurde. Nichtsdestotrotz sind die USA bislang nie ernsthaft von ihrer Unterstützung des saudischen Königshauses abgewichen. Im März dieses Jahres sprach die US-Administration allerdings eine, wenn auch folgenlose Warnung aus, das Demonstrationsrecht müsse auch in Saudi-Arabien gewährleistet werden.
Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer Umfrage des Instituts Zogby International für die Arab American Institute Foundation über das Ansehen der USA in der arabischen Bevölkerung. Demnach genießt die US-Politik derzeit in Saudi-Arabien mit Abstand die höchste Popularität. Sofern man den Ergebnissen der Befragung Glauben schenken kann, waren die USA in den Jahren 2008, dem letzten Jahr von George W. Bushs Präsidentschaft, und 2009, nach dem Amtsantritt von Barack Obama, in Marokko oder in Ägypten wesentlich beliebter als in Saudi-Arabien. Doch heute hat sich das Verhältnis umgekehrt.
Ursache dafür ist, dass die arabischsprachigen Bevölkerungen unterschiedliche Erwartungen an den neuen US-Präsidenten stellten, die auf unterschiedliche Weise enttäuscht worden sind. In der Mehrzahl der arabischsprachigen Länder erhofften sich die meisten Befragten vom neuen US-Staatsoberhaupt eine Verringerung des Abstands zwischen Nord und Süd, eine »gerechte Lösung des Palästina-Problems« oder »eine Beendigung des Kriegs im Irak«.
In der jüngsten Umfrage wird Obama vor allem vorgeworfen, dass sich unter seiner Administration die Position der Palästinenser im Nahost-Konflikt nicht verbessert habe. Außerdem haben demnach die Einrichtung eines Flugverbots über Libyen und die Tötung von Ussama bin Laden dazu beigetragen, dass das Ansehen von Obama bei der arabischen Bevölkerung gesunken ist. Die Mehrheit der Saudis, die an der Umfrage teilnahmen, interessiert sich hingegen für ein anderes Thema: Die Unterstützung der arabischen Golfstaaten durch den Westen bei der Eindämmung der regionalen Machtbestrebungen des Iran.
Noch ein weiterer Jungle World Artikel von Oliver M. Piecha – über
“Stress im Golfclub”
Es waren nur einige Hundert Menschen, die an einem Freitag Mitte Juli in Amman, der Hauptstadt des Königsreichs Jordanien, demonstrierten, zumindest offiziell. Und dazu noch in zwei Gruppen: auf der einen Seite die Reformbewegung, auf der anderen die Anhänger der Regierung. Offiziell gab es nur ein Dutzend Verletzte, darunter zwar bemerkenswert viele Journalisten, aber für die Verhältnisse des »arabischen Frühlings« und angesichts der fortgesetzten Massaker in Syrien war die jordanische Straßenschlacht, wie ihr Ergebnis auch immer aussehen mochte, ein verhaltener Protest.
Die Regierung Saudi-Arabiens in Riad wird dennoch alarmiert gewesen sein. Sie fürchtet bei jeder Meldung über Unruhen in den arabischen Hauptstädten das Nahen des eigenen Untergangs. Alles, was sich nach Veränderung anhört, kann nur eine Bedrohung sein.
Der »arabische Frühling« kann aus Sicht des saudischen Königshauses unter verschiedenen Perspektiven wahrgenommen werden. Da ist der politische und gesellschaftliche Wandel, den man fatalerweise nicht hat verhindern können, vor allem in Tunesien und Ägypten, deren Diktatoren bis zuletzt von Saudi-Arabien unterstützt wurden. Man hat das zähneknirschend akzeptiert, aber nun gilt es, unter allen Umständen zu verhindern, dass dieser Wandel weitere Staaten erfasst. Wobei hier die saudische Politik bereits auf Widersprüche stößt, vor allem in Hinblick auf Syrien.
Im Falle der vergleichsweise moderaten Königreiche Jordanien und Marokko, die die Aufnahme im Golfkooperationsrat beantragt haben, versuchen die Saudis, dem Wandel durch Stabilisierung und eine engere Bindung an die Golfstaaten Einhalt zu gebieten. Die beiden relativ armen Monarchien sollen im Golfkooperationsrat in einen Club der Reichen aufgenommen werden, die Auswirkungen auf ihr Reformpotential dürften dabei eher negativ sein. Zu viel Wandel wird Saudi-Arabien dort nicht zulassen wollen. Jordanien hat den Golfstaaten zwei Dinge anzubieten: eine vergleichsweise hohe innere Stabilität und gut ausgebildete Sicherheitskräfte. Durch dei Aufnahme Marokkos hoffen die Saudis wiederum, Einfluss auf die Entwicklung des Maghreb zu nehmen, um eine Entwicklung wie in Tunesien zu vermeiden.
Das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Syrien ist noch komplexer. Die Saudis streiten zwar mit Syrien um Einfluss im Libanon und bekämpfen den syrischen Herrscher Baschar al-Assad als Statthalter des Iran. Ein Umsturz in Syrien, der den gesamten Nahen Osten endgültig destabilisieren würde, wäre jedoch eine zu große Bedrohung. Die Saudis sind Gefangene ihrer eigenen Sicherheitspolitik. Man kennt seine Feinde, aber man hat bisher auch mit ihnen gelebt, und was würde danach kommen? Jede Veränderung des Status quo im alten Nahen Osten ist gefährlich. Denn die greisen Herrscher aus dem Hause ibn Saud sind selbst das Produkt und die Garanten dieses Status quo.
Die schnelle Ankündigung der Golfmonarchien im Mai, den Beitrittgesuchen Jordaniens und Marokkos zum Golfkooperationsrat stattgeben zu wollen, obwohl die beiden Länder eindeutig nicht am Persischen Golf liegen, war so überhastet wie taktisch durchschaubar. Praktisch wird die Integration der beiden Monarchien in den exklusiven Golfclub sowieso einige Zeit dauern, und wer weiß schon, was in der Region bis dahin noch alles passiert. Der Golfkooperationsrat selbst ist auch keine monolithische Organisation, und die Einführung einer gemeinsamen Währung nach Art des Euro ist nicht zuletzt wegen interner Differenzen nie über Absichtserklärungen hinausgekommen. Wird die Aufnahme Jordaniens und Marokkos überhaupt auf viel mehr hinauslaufen, als auf Finanzhilfen im Austausch gegen das Versprechen, Reformen nicht zu weit zu treiben? Aber kann man mit Ölgeld wirklich die Zukunft kaufen?
Derzeit pumpen die saudischen Herrscher ihre vom hohen Ölpreis gesponserten Überschüsse in das brodelnde Meer des arabischen Umbruchs. Sie finanzieren offenbar islamistische Parteien in Ägypten oder Tunesien, stellen Kredite und Hilfen für Ägypten bereit und investieren in die eigene Aufrüstung – die deutschen Leopard-Panzer sind dabei nur eine propagandistische Aktion. Die saudischen Herrscher mühen sich per Scheckbuchdiplomatie, als die maßgebliche arabische Regionalmacht wahrgenommen zu werden. Denn es geht schließlich um alles.
Keinen Schritt wollen die Saudis zurückweichen. Den Iran gilt es, in die Schranken zu weisen, den Machtgewinn der Schiiten im Libanon und im Irak müssen sie bekämpfen und die demokratischen Aufstände in Bahrain unterdrücken. Unter dem Label der brüderlichen Hilfe des Golfkooperationsrates sind die Saudis daher über den Festlandsdamm in das kleine Königreich eingefallen. Schließlich hat Saudi-Arabien selbst schiitische Minderheiten im Osten des Landes, die den Anspruch der reinen, gnadenlosen salafistisch-wahhabitischen Lehre ideologisch wie praktisch stören.
An der Südgrenze des Königreichs ist zudem mit dem Jemen gerade der bevölkerungsreichste Staat der Golfhalbinsel auf dem Weg in den Status eines failed state. Gerade dort waren die saudischen Interventionsversuche bislang gescheitert. Seit Jahrzehnten herrschen im Jemen archaische Strukturen, doch das Einkaufen von Stämmen als Verbündete hat nur nichts geändert: Wenn der Jemen kippt, liegt eine sehr lange Wüstengrenze offen. Wenn es eines Beweises für das Scheitern der saudischen Stammesdiplomatie bedurft hätte, hier im Jemen tritt dieses Scheitern offen zu Tage.
Für die Saudis heißt es also: überall noch mehr zahlen, schmieren, unterdrücken, den Wandel blockieren und Unhaltbares kurzfristig irgendwie stabilisieren. Die Aufgabe der saudischen Herrscher lässt sich in der Tat gerade mit dem beruhigenden Wort »Stabilisierung« umschreiben, mit dem die Bundesregierung ihre Panzerlieferung zu legitimieren sucht. Nur ist es die Stabilisierung eines Erdbebengebiets. Keine gute Voraussetzung, um sich über einen epochalen Umbruch hinwegzuretten. Die saudische Gesellschaft leidet zudem an sämtlichen Übeln der Region, auch wenn hier wesentlich mehr Geld als anderswo zur Verfügung steht, um die Konflikte zu überdecken. Aber wie anderswo im Nahen Osten lebt auch zwischen Jeddah und Riad eine vorwiegend junge Bevölkerung, deren Arbeitslosenrate irgendwo zwischen 20 und 40 Prozent liegt, die keinerlei politische Partizipation genießt und genau weiß, wie es im Westen aussieht – hier spielen die vielen saudischen Stipendiaten, die für viel Geld ins Ausland geschickt werden, eine wichtige Rolle.
Auch wenn das saudische Königshaus nicht gerade kurz vor dem Sturz steht, auch wenn die saudische Gesellschaft so konservativ wie nur irgendein Alptraum eines westlichen Islamkritikers sein mag: Saudi-Arabien steht unter Druck. Die herrschenden wahhabitischen Gerontokraten mögen eine Führungsrolle im Nahen Osten beanspruchen und sich als Stabilitätsfaktor gerieren. Allein die Realität ist gegen sie. Der König selbst ist nahe der 90 und zu aller Verwunderung immer noch am Leben, wenn auch nur noch im Rollstuhl beweglich. Immerhin hat er Anfang des Jahres schnell 36 Milliarden US-Dollar für Staatsangestellte, Studenten und andere unsichere Kantonisten angekündigt.
Assad, Ben Ali und Mubarak handelten ähnlich, nur wussten alle, dass sie das Geld gar nicht hatten. Der Kronprinz, Prinz Sultan, ist 87 Jahre alt und leidet vermutlich an Alzheimer, während der dritte in der Thronfolge, Prinz Nayef, mit juvenilen 78 Jahren seine Krebstherapien eher in der Schweiz absolviert. Von diesem Triumvirat soll gar das Wohl des Westens abhängen, wie einige Kommentatoren anlässlich des deutschen Panzerdeals nicht müde wurden zu betonen? Die Demonstranten in Amman und anderswo im Nahen Osten sind ganz sicher anderer Meinung.
Die FAZ interviewte den saudischen Blogger Ahmed al Omran: “Die Arabellion inspiriert auch die Saudis”. U.a. meinte al Omran:
Es gibt einige Gründe, warum es in Saudi-Arabien keinen Volksaufstand gibt. Zum einen fehlt den Saudis das politische Bewusstsein, das Menschen in anderen Teilen der Region haben. Saudi-Arabien ist ein sehr junger Staat. Das Land war nie eine Kolonie. Es musste niemals durch irgendeine Art Unabhängigkeitskrieg gehen. Deshalb gibt es keine Zivilgesellschaft, keine politische Traditionen, keine Wahlen, keine politischen Parteien. So wissen die Saudis nicht viel von Rechten, die ihnen eigentlich zustehen müssten. Ihnen wurde über viele Jahre hinweg gelehrt, dass Saudi-Arabien der perfekte islamische Staat sei. Jetzt beobachten sie den Aufruhr in den Nachbarländern, und das inspiriert sie. Aber Saudi-Arabien hat viel Geld, mit dem es um sich werfen kann. Als die Regierung im Frühjahr nervös wurde, verteilte sie Geldgeschenke und andere finanzielle Hilfen an die Menschen in Höhe von insgesamt 135 Milliarden Dollar. Die Strategie, die Leute auf diese Art und Weise zu befrieden, ist – so wie es aussieht – vorerst gelungen.
(…) Es gibt es sehr viele Beschränkungen. Doch das Recht der freien Meinungsäußerung hat sich in den letzten fünf, sechs Jahren seit der Machtübernahme durch König Abdullah ausgeweitet. Die saudischen Medien berichten heute immer öfter über Dinge, die früher tabu waren, wie das religiöse Establishment, Religionsfreiheit und Frauenrechte. Aber die Medien sind nach wie vor nicht so frei wie in anderen Ländern.
(…) Von den rund 26 Millionen Einwohnern Saudi-Arabiens nutzen zwischen 30 und 40 Prozent das Netz. Aber diese Zahlen sind sehr ungenau. Viele Menschen, die keinen festen Internet-Zugang haben, nutzen auch oft das Netz. Es gibt auch immer mehr Menschen, die Smart Phones benutzen und so auf die Informationen im Internet zugreifen können. Man muss auch daran denken, dass 60 Prozent der Bevölkerung jünger als 30 Jahre alt ist. Dieser Bevölkerungsteil ist sehr stark mit dem Internet verbunden. Sie sind als digitale Nutzer groß geworden, sie sind mit dem Internet aufgewachsen. Das Internet ist ein wichtiger Teil in ihrem Leben. Und viele von ihnen üben dort die Dinge, die sie im realen Leben nicht tun können, wie politische Partizipation oder Beziehungen zwischen Mann und Frau.
(…) Ich denke nicht, dass die Saudis in naher Zukunft auf die Straße gehen werden. Danach sieht es im Moment nicht aus. Auch hat die Regierung noch die Chance, ähnlich wie in Marokko Reformen einzuleiten. Ein Beispiel ist die Öffnung der König Abdullah Universität für Wissenschaft und Forschung auch für Frauen. Es ist die erste Bildungseinrichtung in Saudi-Arabien, in der Männer und Frauen zusammen studieren können, nebeneinander sitzen und miteinander arbeiten. Das hat der König ermöglicht. Es war seine Idee.
(…) Ich habe viele Freunde, die in Amerika studiert haben und dann zurückgegangen sind. Und wenn ich mit ihnen rede, sind sie alle sehr frustriert. Sie haben sozusagen einen umgekehrten Kulturschock durchlebt. Aber wenn alle Leute, die Wandel und Reformen wollen, aus Frust das Land verlassen, dann wird sich niemals etwas ändern.
“arabnews.com” meldet aus Dschidda:
A Shoura Council member has called for changing some of the articles of the Labor Law and forming a national committee to combat unemployment in the country. Maj. Gen. Muhammad Abusaq, a member of the council’s security committee, said measures should be taken to cut the number of expatriate workers and reduce their impact on the Kingdom’s demography. He cited the lack of a minimum salary as one of the reasons for growing unemployment among Saudis as expatriates offer their services to private companies for lower wages, thus reducing the chances of citizens to get work.
Literatur (nicht besonders erhebend):
“Der zerrissene Schleier: Mein Leben in Saudi-Arabien” von Carmen Bin Laden
“Die Frauen des Wüstenpalasts: Meine Jahre im arabischen Harem” von Phyllis Ellis
“Die Girls von Riad” von Rajaa Alsanea