„SyrianRevolution“. Photo: facebook
Überleben als Kunst
Was ist los – heute am Donnerstag? (1) Die Zeitungen sind – quasi im Vorfeld der NineEleven-Zeremonien – voll mit Auslotungen des „Arabischen Frühlings“. In der Berliner Zeitung wird eine Rede von Tahar Ben Jalloun veröffentlicht, die FAZ porträtiert den schönen Verlag für Literatur arabischer Schriftstellerinnen, wobei kurz der saudi-arabische Roman von Badfreya El-Beshr „Der Duft von Kaffee und Kardamon“ vorgestellt wird. In allen Romanen, die der palästinensische Pensionär Abdul-Rahman Alawi verlegt, geht es um den Kampf von Frauen um mehr „Freiraum“. Mit dem Westgenre „Roman“ wurde das „Individuum in den Mittelpunkt“ (der gesellschaftlichen Umstände) gestellt. Die FAZ schreibt: „An dem einzelnen Menschen kommt hier [im Orient] niemand vorbei.“ Soll wohl heißen: der Arabische Frühling, das ist ein Aufstand der Individuen („nonmovement“ nannte es 2010 der Iraner Asef Bayat) – in dem die Frauen die Avantgarde bilden, denn sie sind die am Unterdrücktesten. Ihrem kämpferischen „Realismus“ gegenüber neigen selbst die solidarischsten männlichen Autoren zum Märchenerzählen. So heute auch der ägyptische Journalist Wael El Semary im „Freitag“ – in dem er Al Quaida und Tahrir zusammendachte. In der taz wird anhand einer Studie aus einem pakistanischen „Thinktank“ der Frage nachgegangen: „Welche Ziele verfolgt Pakistans Elite in Afghanistan?“ Und in „Die Zeit“ findet sich ein Interview mit Arundhati Roy. An einer Stelle spricht sie von einem „Mittelklasse-Totalitarismus: Die kulturellen und ökonomischen Codes in Indien haben sich in den letzten 20 Jahren völlig verändert. Ein Beispiel ist der Bollywoodfilm. Im Bollywoodfilm sieht man keine armen Menschen mehr.“
Das trifft auch auf das derzeitige große Kulturprojekt „Über Lebenskunst“ in Berlin zu: es ist ein Mittelklasse-Event.
Die sonst eher leere Kongreßhalle – das Haus der Kulturen der Welt – mit seinem Betonsee und der Henry-Moore-Plastik davor sowie dem Cafégarten am Spreeufer dahinter, ist mit allerlei Geräten, An- und Einbauten und vor allem interessierten Zuschauern gerammelt voll. Es geht dort um „nachhaltige Lebenskunst“ von vorne bis hinten. Für 2,3 Millionen Euro von der Bundeskulturstiftung, zeigten Künstler aus aller Herren Länder, was in ihnen steckt – in puncto Klimaerwärmung, Biodiversität, Ökoanbau und Resterecycling.
Es geht dabei um strengsten Reduktionismus, aber anders als in den verhärmten Landkommunen früherer Jahrhunderte hedonistisch – mit Hightech und Technomusik und Teeniebubbler. „Streng“ das hieß: im Sinne des Gestalterischen. Es mußte schon gut aussehen: „Das gute Leben“ – um das es dann explizit in der Expertenkonferenz am Samstagabend ging. Diese schlugen sich erst einmal ein paar „Glücks“-Definitionen um die Ohren. Dabei führten sie bereits vor, wie man als Projektemacher, Politiker oder Professor und quasi persönlich in der Ökologiebewegung engagiert, ein gutes Leben führen und dabei auch noch glücklich sein kann. Jedenfalls taten sie so. Aber abgesehen davon wurde an keiner Stelle des seit 2010 laufenden Großprojekts „das Leben“ geklärt.
Und abgesehen auch davon ist die sogenannte Ökologiebewegung genau genommen ein „nonmovement“, wie der in Leiden lehrende Soziologe Asef Bayat das nicht nur im Hinblick auf die sozialen Veränderungen im Mittleren Osten nennt. Die „Ökologie“ ist ein konjunkturelles und damit mediales Massenphänomen. Ihre Sprecher – wie etwa der Wissenssoziologe Bruno Latour – versichern: Es geht nicht mehr um Ökonomie, sondern nur noch um die Ökologie (wobei er jedoch den Dualismus Kultur-Natur auflösen will). Und ihre Gegner – auf der „Achse der Guten“ z.B. – verbinden ihre Ablehnung der Windkraft lückenlos mit z.B. Anti-Islamismus. Verrückt! Die Spanne reicht vom Fundamentalismus bis zum Lifestyle.
Auf der anderen Seite verriet z.B. einer der „Glücks“-Experten auf der Konferenz über das gute Leben: „Es geht uns darum, ein unmittelbareres Verhältnis zur Welt zu bekommen.“ Und dieses stehe quer zur rapide fortschreitenden „Entverwirklichung unserer Lebenswelt.“
Das Großprojekt „Über Lebenskunst“ war selbstverständlich genkritisch eingestellt. Am Schönsten sahen in diesem Zusammenhang die von einer Künstlerin auf dem Henry-Moore-See liebevoll angelegten schwimmenden Salatbeete aus. Auf der Konferenz am Samstag wurde die „wahre Kunst“ dann auch eher in der (Wieder-)Herstellung des (ländlichen) Gemeineigentums gesehen – genauer gesagt: der „Common“ – ein US-Modewort im Zusammenhang des Hightech-Siegeszugs. (2)
Kurzum – und die elektronischen Konferenzschaltungen nach Brasilien und zu anderen „Schwellenländern“ bestätigten das Phänomen noch einmal: der „Globalisierungskritiker“ ist der kommende Mann bzw. die kommende Frau – und das schier global. „Wie kommen wir aber nun vom Wissen zum Handeln?“ Das war auch so eine Frage auf dem „Festival“ der Öko-Projektemacher. Aus Sao Paulo kam dazu der Hinweis auf das ökologisch vorbildliche Leben der Indigenen, verbunden mit einem Filmbeitrag über eine in „Echtzeit“ gerade in der Stadt stattfindende Indigenen-Demo gegen ein großes Staudammprojekt.
Während in Berlin zur selben Zeit die Fuck-Parade durch die Innenstadt zog – mit lautem Techno-Gedröhne. Die hinter den Boxen Hertanzenden kamen der Bundeskulturstiftungs-Antwort auf die berühmte Leninsche Frage „Was tun? Wie handeln?“ aber schon nahe: „künstlerisch und kreativ!“ Und „nachhaltig“ natürlich. Also weder wurde „das Leben“ diskutiert, noch wurde der Begriff „Gesellschaft“ problematisiert: Kann man ihn einfach ungeklärt voraussetzen? Gibt es „die Gesellschaft“ überhaupt noch? Sind wir nicht nur ein Haufen Sandkörner? wie Mao tse Tung schwante – und das vor allem durch die unermüdliche Tätigkeit der Kreativen und Künstler – diesen Ausgeburten des Individualismus seit der Renaissance?
Nun gut, das war eine Veranstaltung der jungen „Facebooker“, dazu kam dann aber auch noch ein Buch heraus „Über Lebenskunst“ – in dem 20 alte Intellektuelle – von Serres über John Berger bis zu Nuruudin Farah – ebenfalls über „Menschen“ (statt Klassen) utopisierten, in mehr oder weniger märchenhafter Form, wobei sie „Künstler, Architekten, Designer und Philosophen“ im Sinn hatten. Im Vorwort heißt es: „Wir setzen am Individuum an“.
Je älter ich werde, desto häufiger frage ich mich: Was ist das überhaupt – Leben? Die dafür quasi zuständige (neodarwinistische) Biologie fragt sich das schon lange nicht mehr: Sie ist nur noch an den „Algorithmen des Lebendigen“ interessiert, wie der Genetiker Francois Jacob es ausdrückte. Andere Naturwissenschaftler verstehen die Frage als Suche nach dem Ursprung des Lebens, den sie derzeit mit den ersten Bakterien vor etwa 3,8 Milliarden Jahren ansetzen. Dem russischen Biochemiker Wladimir Wernadsky zeigte sich das „Leben“ – selbst in der kleinsten Zelle – darin, dass es ständig Photonen abgibt, den Tod könnte man demnach als das Erlöschen einer Lichtquelle begreifen. Die sowjetische Erfindung des „Photomultipliers“ zur physikalischen Erforschung von „Neutrinos“ ermöglichte es, Wernadskys Vermutung zu beweisen. Neutrinos sind nahezu masselose Teilchen, die bei einer Kollision ein geladenes „Myon“ erzeugen, dass bei seinem Weiterflug die sogenannte Tscherenkow-Strahlung emittiert. Diese Photonen lassen sich mit Photomultipliern „angeln“ (u.a. im Baikalsee).
Wernadskys „Photonen“-Theorie erklärt nicht, was das Leben ist, sondern eher, wann es aufhört zu sein. Und die Theologie weicht – mit Aristoteles – der Frage aus, indem sie sich statt für das Belebte für das „Beseelte“ – sein Herkunft und Zukunft (bis hin ins „Jenseits“) interessiert. Die monotheistischen Religionen haben dabei das „Licht“ (und seine Quelle „Gott“) in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit gestellt. In ihren (Heiligen) Büchern wimmelt es von Licht-Beschreibungen, ganze Suren befassen sich nur damit. Mit Spinoza gelangte man (um 1660) jedoch bereits wieder an den Ausgangspunkt zurück: für ihn war „Gott“ in jeder Tomate – was lebt affiziert und wird affiziert.
Was lebt – revoltiert, bzw. was revoltiert lebt, konnte man dann mit dem Résistancekämpfer Albert Camus sagen. Die heideggerisierenden Französischdenker verwenden seitdem gerne den Begriff des „Seins“ – George Bataille schreibt in „Der heilige Eros“: „Ich betone die Tatsache, daß der Tod die Kontinuität des Seins, da sie am Ursprung der Wesen besteht, nicht angreift; die Kontinuität des Seins ist von ihm unabhängig: der Tod bringt sie, im Gegenteil, sogar an den Tag.“ Bataille geht hier so weit zu behaupten, dass es eigentlich (!) der Tod ist, der das Leben am Leben erhält. Geklärt ist damit nichts, nur dem Tod vielleicht der Schrecken genommen, mehr kann man nach Bataille aber auch nicht verlangen: „Ich glaube nicht, daß der Mensch Aussicht hat, Licht in die Situation zu bringen, bevor er nicht beherrscht, was ihn erschreckt. Nicht daß er auf eine Welt hoffen soll, in der es keinen Grund mehr für das Entsetzen gäbe, in die Erotik und der Tod auf die Ebene mechanischer Verkettungen gebracht würden. Aber der Mensch kann das, was ihn erschreckt, übersteigen, er kann ihm ins Gesicht sehen.“
Entsetzen darüber, dass „Erotik und Tod“ – bei Licht besehen – auf die „Ebene mechanischer Verkettungen gebracht würden“? Nein! Eher darüber, dass offensichtlich – auf der „Ebene mechanischer Verkettungen“ – das Leben nicht verstanden werden kann. Auch nicht, wenn wir stattdessen nun von einer Ebene „elektronischer Vernetzungen“ ausgehen. Vielleicht ist meine Frage auch einfach nur zu kindisch. Und auch ein empirischerer Spinozist als Spinoza hilft da nicht weiter – der Insektenforscher Maurice Maeterlinck z.B.: „Ich glaube nicht an Gott,“ sagte er, „ich sehe ihn jeden Tag“ – beim Beobachten von Insekten nämlich.
Und wenn wir andersherum versuchen, gewaltsam herauszufinden, was das Leben im Innersten zusammenhält? Früher hieß es: 1 Atom – 1 Gen: Ersteres wurde gespalten, um radioaktive Strahlung freizusetzen, letzteres wurde bestrahlt, um zu mutieren (in Berlin-Buch im Kaiser-Wilhelm-Institut von Weizsäcker und Timofejew-Ressowki z.B.). Das Atom zerfiel dabei letztendlich in „nahezu masselose Teilchen“ und das Gen in einen „Algorithmus“ – sogar in noch weniger: „Es ist nichts anderes als ein Konstrukt für die leichtere Organisation von Daten, es ist nicht mehr als ein X in einem Algorithmus, einem Kalkül. Aber außerhalb des Labors wird es dann zu einem Etwas, zu einem scheinbaren Ding mit einer wichtigen Bedeutung, mit Information für die Zukunft…über das sich anschaulich und umgangssprachlich reden lässt,“ so die Licht in diese „Konstruktion“ bringende Biologin Silja Samerski.
Ihr entgegnete in der Zeitschrift „Nature Biotechnology“ ein Berater von Biotech-Unternehmen namens Bains: „Die meisten Anstrengungen in der Forschung und in der biotechnologischen industriellen Entwicklung basieren auf der Idee, dass Gene die Grundlage des Lebens sind, dass die Doppelhelix die Ikone unseres Wissens ist und ein Gewinn für unser Zeitalter. Ein Gen, ein Enzym, ist zum Slogan der Industrie geworden…Kann das alles so falsch sein? Ich glaube schon, aber ich bin sicher, das macht nichts. Denn die Hauptsache ist, dass es funktioniert: Manchmal funktioniert es, aber aus den falschen Gründen, manchmal wird es mehr Schaden anrichten als Gutes tun…Aber die beobachtbare Wirkung ist unbestreitbar…Wir müssen nicht das Wesen der Erkenntnis verstehen, um die Werkzeuge zu erkennen…Inzwischen führen die Genom-Datenbanken, die geklonten Proteine und anderes Zubehör der funktionalen Genetik zu Werkzeugen, Produkten, Einsichten, Karrieren und Optionen an der Börse für uns alle.“
Das Leben nicht verstehen, sondern einfach neu schaffen. Und das funktioniert auch. Der Philosoph Vilem Flusser meinte dazu: Erschreckt nicht – „mit der Gentechnik beginnt die wahre Kunst. Erst mit ihr sind reproduktive Werke möglich“. Kann es tatsächlich sein, dass diese Entwicklung mit der malerischen Erfindung der „Zentralperspektive“ durch die ersten autonomen Künstler in der Renaisscane begann? Der russische Theologe und Algenforscher Pawel Florensky hat die „Zentralperspektive“ als „Maschine zur Vernichtung der Wirklichkeit“ bezeichnet. Ihr und auch den Bolschewiki gegenüber bestand er auf einem „synarchischen Feld“. In der Ikonenmalerei genauso wie im Sozialen. In diesem werden wir heute vielleicht nicht nur atomisiert (indidualisiert), sondern auch noch neutrinoisiert.
Die Neutrino-Experimente haben inzwischen Folgendes erbracht: Es gibt Neutrinos und Antineutrinos und sie haben einen Spin. Genauer gesagt: das Neutrino ist linkshändig. Die amerikanische Neutrino- Biographin Christine Sutton schreibt, es ähnelt „den Vampiren der Gruselromane: es hat kein Spiegelbild“. Inzwischen unterscheidet man mehrere Arten: Tauon-Neutrinos, Elektron-Neutrinos, Myon-Neutrinos. Dazwischen können sie auch noch oszillieren und sich mischen. Zudem lassen sich bei den einzelnen Arten verschiedene „Flavours“ und „Farben“ bzw. „Antifarben“ unterscheiden. Kurzum – so Christine Sutton: „Lewis Carroll hätte die Neutrinos bestimmt geliebt“. Man könnte in ihrem Fall vielleicht von einem bunten Leben sprechen, Aber dabei geht es auch wieder nur um die (ewige) Reproduktion der Gattung. Dr. med. Gottfried Benn hat diese Definition 1947 mit dem Satz abgetan: „Das Leben, das legen die sich so aus: ‚Die Eierstöcke sind die größten Philosophen‘.“ Nicht solch eine Lebensfunktion, sondern das Leben selbst sollten wir laut Nietzsche bejahen und es als Andauerndes begreifen, er ging dazu von dessen „ewiger Wiederkehr“ aus. Das zu Bejahende definierte er so: „Leben, das heißt fortwährend etwas von sich abstoßen…“
Wie das konkret aussehen könnte, wollte ich kürzlich empirisch herausfinden – und widmete mich dazu einige Tage lang Berlin-Touristen, indem ich ihnen – aus sicherer Entfernung – folgte. Im Ergebnis kam dabei heraus, dass sie die ganze Zeit so gut wie nichts abstießen, sondern im Gegenteil etwas aufsaugten: Sehenswürdigkeiten, fremdes Essen und Trinken, Straßentreiben, ungewöhnliches Aussehen von Passanten, Museen, Denkmäler etc.. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen,“ lautete ein Diktum von Adorno. Waren die Touristen im Falschen? Später folgte ich einer kleinen Gruppe in ein Musiklokal, dabei kamen zwei Touristinnen in ein Gespräch mit einheimischen Männern, diese überredeten sie, in ein anderens Lokal zu gehen, wo sie dann tanzten – sich dabei immer näher kamen und später küssten. Hatten sie sich verliebt? Aber die Liebe – das ist ein anderes Thema als das Leben, dachte ich anfänglich, bin mir aber inzwischen nicht mehr so sicher. Obwohl dabei früher oder später wieder die Reproduktion der Gattung ins Spiel kommt – und es dann nicht mehr um das einzelne Leben (um uns – Einzeller?) geht.
Schon Ludwig Feuerbach hatte gegenüber dem Rekurs auf Natur in dieser Frage zu bedenken gegeben: Unmittelbar aus der Natur sei noch nicht einmal ein Regierungsrat erklärbar (was Lenin als sehr „scharfsinnig“ bezeichnete). Der Naturforscher Lamarck hat dann stattdessen von den „Medien“ – „Les Milieux“ – geredet, die den Organismus „erregen“ – damit würde nicht zuletzt die Liebe das Leben am Leben erhalten. Aber Was wird da Womit erhalten – nachhaltig wohlmöglich noch?
Anmerkungen:
(1) Reuters meldet heute aus Syrien:
„Das syrische Regime geht ungeachtet internationaler Sanktionen weiter mit brutaler Härte gegen seine Gegner vor. Brennpunkt der Proteste ist die Stadt Homs. Dort seien auch 40 Soldaten desertiert und zu den Regimegegnern übergelaufen, sagte ein syrischer Aktivist im Libanon am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. Es habe heftige Schusswechsel zwischen den Deserteuren und regimetreuen Soldaten gegeben. Bei Einsätzen gegen Regimegegner haben syrische Sicherheitskräfte nach Angaben von Aktivisten am Mittwoch insgesamt bis zu 34 Menschen getötet.
Die meisten Opfer habe es in der Protesthochburg Homs gegeben. „Die syrischen Truppen benutzen Panzer, um Gebiete in ganz Homs zu beschießen, Scharfschützen, um Menschen zu töten, und Helikopter, um fliehende Demonstranten zu jagen“, sagte ein Mitglied der Oppositionsbewegung in Libanon. „Die Sicherheitskräfte töten die Verletzten an den Eingängen der Krankenhäuser in Homs“.“
Aus dem Jemen meldet dpa:
„Bei Kämpfen zwischen jemenitischen Regierungstruppen und mutmaßlichen Anhängern des Terrornetzwerks Al-Kaida sind Medienberichten zufolge im Süden des Jemen 25 Menschen getötet worden. Wie der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira am Donnerstag berichtete, fanden die Kämpfe in der Provinz Abyan statt, wo die Islamisten seit Beginn der Regierungskrise im Februar mehrere Orte eingenommen hätten. Bei den Toten handele es sich um 8 Soldaten und 17 mutmaßliche Terroristen.
In den vergangenen Wochen ist das Militär – teils unterstützt von US-Luftangriffen – wieder verstärkt gegen militante Islamisten im Süden des Landes vorgegangen. Nach Beginn der Massenproteste gegen Präsident Ali Abdullah Salih waren die Operationen deutlich zurückgefahren worden.
Für Freitag hat die Opposition erneut zu Massenprotesten gegen das Regime von Salih aufgerufen. Die Opposition solle in der Hauptstadt Sanaa und anderen Landesteilen auf den Straßen gegen die „Lügen des Regimes“ demonstrieren, lautete ein Aufruf.“
(2) Spätestens seit der Verleihung des Wirtschafts-Nobelpreises an die Allmende-Forscherin Eleonor Ostrom gibt es eine sich ausbreitende Diskussion über „Commons“ (Gemeineigentum) – vor allem unter den Internet-Surfern. Das im Netz gespeicherte Wissen soll allen zur Verfügung stehen, so will es die „Open-Source-Bewegung“. Dem Cyberspace-Juristen und Stanford-Professor Lawrence Lessig z.B. geht es darum, dass die Computertechnologie mit ihren Remix-Möglichkeiten zwar den Kulturschaffenden neue Freiheiten eingeräumt habe, die Copyright-Gesetze diese jedoch wieder einschränken – und deswegen geändert werden müssen, um nicht ähnlich wie zu Zeiten der Prohibition eine wachsende Zahl von Menschen zu kriminalisieren. Der „Krieg gegen die Piraten“ (Raubkopierer) sei „im Prinzip McCarthyismus: ‚Wer das Urheberrecht in Frage stellt, ist ein Kommunist!‘ so drückte sich neulich ein US-Politiker aus.“
Neben dieser neuen sich ausdehnenden virtuellen Allmende werden die realen Commons jedoch täglich reduziert – durch Privatisierung: in Afrika, Lateinamerika und Asien. In Europa gibt es sie kaum noch, wie bereits Karl Marx feststellte. Aber auch hier tut sich (nicht nur im Internet) was! Kürzlich feierten 32 Berliner Kollektivbetriebe ein Fest im Club „About Blank“, Elisabeth Voß stellte für den Verlag „AG Spak“ einen prall gefüllten Reader über Projekte der „Solidarischen Ökonomie“ zusammen, in Freiburg gründete sich eine „Garten-Coop“ mit 250 Mitgliedern, die Gründung von Genossenschaften wurde per Gesetz erleichtert, in Mecklenburg siedelte sich die europäische Landkooperativen-Initiative „Longo Mai“ an, die sich von Frankreich aus inzwischen bis nach Costa Rica und in die Ukraine ausgedehnt hat, und in Brandenburg gibt es seit einigen Jahren eine „Nichtkommerzielle Landwirtschaft“, die ihre Produkte gegen Mithilfe tauscht. Diese NKL, „Lokomotive Karlshof“ genannt, wirtschaftet auf Äckern, die eine Stiftung kaufte, um sie kostenlos an Kollektive weiter zu geben. Überhaupt gibt es entgegen den Prophezeiungen von Friedrich Engels eine wachsende Zahl von Menschen, die es (aus wirtschaftlicher Not – und primär in Osteuropa) wieder in die Landwirtschaft zurück treibt, wobei sie dann – vor allem in Russland – Produktions-Artels (Genossenschaften) gründen. Ähnliches passiert in der Mongolei, in der Gobi z.B.. In Ägypten schließen sich derzeit massenhaft Kleinbauern zu Einkaufs- und Vertriebsgenossenschaften zusammen. Und in Argentinien übernahmen die Arbeiter nach dem ökonomischen Zusammenbruch des Landes zig Fabriken, die sie jetzt in eigener Regie betreiben. In den Eidgenossenschaften Schweiz und Friesland werden größere Wirtschaftsprojekte seit jeher kollektiv betrieben. Dazwischen – in der BRD – gibt es immer mehr Gemeinden, die ihre Energieversorgung genossenschaftlich organisieren und eine wachsende Zahl von Dörfern, die kleine Supermärkte auf genossenschaftlicher Basis errichten. Man kann sagen: Zugleich mit der Atomisierung der Arbeiterklasse macht sich infolge der Deindustrialisierung und Temporalisierung von Jobs eine Kollektiv-Konjunktur bemerkbar. Für die „Facebook-Generation“ klingt schon das Wort „Kollektiv“ bzw. „Kollektivprojekt“ attraktiv – im Gegensatz zu „Genossenschaft“ und „Gewerkschaft“. Für die linken Beobachter dieser Entwicklung (z.B. in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift „Wildcat“) stellt sich bereits die Frage, inwieweit der Hang zur Kollektivbildung antikapitalistisch motiviert ist oder mindestens das Potential dazu hat. Es macht sie stutzig, dass es selbst im neoliberalen Politlager (der EU beispielsweise) Stimmen gibt, die Genossenschaftsempfehlungen aussprechen und – speziell für Osteuropa – entsprechende -Förderprogramme fordern. Sicher vor dem Hintergrund, durch derartige Selbsthilfe-Initiativen staatliche Sozialhilfen einzusparen. Die Propaganda für „Ich-AGs“ wurde bereits stillschweigend eingestellt, dafür stehen jetzt „Wir-eGs“ auf dem Programm. Und die universitäre Genossenschaftsforschung erlebt nach ihrem Niedergang (seit den späten Achtzigerjahren) erneut einen Aufschwung. Mit ihren BWL-„Spieltheorien“ ist sie jedoch nach wie vor primär an der marktwirtschaftlichen Effektivierung von Genossenschaften interessiert. Um die Mitarbeiter in diesen Kollektiven, ob sie sich darin umfassender entfalten können oder nicht, geht es ihnen in den seltensten Fällen. Dafür ist anscheinend die „Glücksforschung“ zuständig.
P.S.: 2011 hat die UNO zum Jahr der Genossenschaften erklärt, auch die taz-Genossenschaft beteiligt sich daran – mit einem Buch (im Westend-Verlag) über „Kollektive“.
„LibyanRevolution“. Photo: facebook