„Film Socialism“ von Jean-Luc Godard. Photo: cinemadrome.yuku.com
„Film Socialism“ von Jean-Luc Godard. Photo: meinkino.ch
Selbstaufklärung und -medikamentierung via Facebook und Twitter
„Mit den randomisierten kontrollierten Studien finden wir nicht zwangsläufig das Richtige für unsere individuellen Patienten, wir mitteln damit nur ihre individuellen Differenzen,“ mit diesem Satz des „weltweit führenden“ Krebsforschers Volker Diehl, den dieser in seinem Referat auf dem Europäischen Kongreß für integrative Medizin äußerte, charakterisierte die FAZ in ihrem heutigen Kongreßbericht „Tugendhafte Medizin“ die schon fast gelungene Synthese (Vereinnahmung) von alternativer Medizin und Schulmedizin. In der Tat scheuen sich immer weniger Ärzte, den einen oder anderen ihrer Patienten auch schon mal zu einer Hexe oder einem Heiler bzw. Homöopathen zu schicken. Im übrigen haben sich die Patienten selbst angewöhnt, nicht nur einer Diagnose zu vertrauen. Kontrolle ist besser als Vertrauen – der Glaube an den Arzt weicht dem Wissen über das, was man im weitesten Sinne sein „Leben“ nennt. Der Patient wird mündig, dazu tragen nicht zuletzt die vielen Internetforen bei, in denen die „User“ ihre körperlichen und psychischen Leiden diskutieren. Die Schulmedizin in Verein mit den Pharmakonzernen und den Genforschungsinstituten bemüht sich mit Formeln wie „Nicht die Krankheit, sondern den Kranken heilen“ und „maßgeschneiderten Medikamenten“ da mitzuhalten, u.a. indem sie in diesen Patientenforen mitdiskutiert und auch schon mal die eine oder andere Selbsthilfsgruppe finanziert – aus wohlverstandenem Profitinteresse. „Gibt es demnach also womöglich sogar eine moralische Pflicht, alternative Heilkünste zu fördern?“ fragt sich die FAZ und zitiert abschließend noch einmal Professor Diehl: „…hören wir auf unsere Patienten!“ („individuelle Patienten“?!) Was die FAZ mit einem „Das war ein starkes Signal.“ quittiert. Solche „Signale“ hört man unterdes auch aus Kairo, Athen, Madrid, London und…
In Zürich randalierte Mitte September die Jugend an zwei Wochenenden – spätestens als die Polizei einschritt. Die NZZ verdammt zwar ihre „rätselhafte“ Randale, höhnt über ihre wesentlichen Begriffe – wie „Nichtkommerzielle Freiräume“, „ungestörte Partys“ (in der Innenstadt), “ „reclaim the street“, „action“ und „fun“, „clash“ und „thrills“, gibt ferner auch zu, dass „Aggression“ nun mal zum Menschsein, besonders des „Jungen-Mädchen“ (Tiqqun), gehört, wobei die zu seiner „Beruhigung“ einschreitende Polizei „oft erst recht zur Eskalation“ beiträgt, weil aber diese ganzen „Jungen-Mädchen“ sich via Facebook und Twitter zusammengefunden hatten, sieht die NZZ dabei dann doch noch eine „Gemeinsamkeit“ mit den „arabischen Revolutionen“ – allerdings sei dies auch wohl das einzige was die protestantischen „Jungen-Mädchen“ des Okzidents (Zürich, Innenstadt) mit denen des islamischen Orients gemeinsam hätten.
Im FAZ-Feuilleton analysiert der Wagnerianer Mathias Mayer die Oper „Lohengrin“, in der mit der Ankunft des „Schwanenritters“ eine romantische Liebe bzw. Liebe zur Romantik anhebt, die jedoch am „Frageverbot“ (romantisch) scheitert. Dieses Frageverbot hat aber nun laut Mayer „nicht nur eine aufklärungskritische Komponente“, sondern auch noch eine – nicht religiöse sondern ästhetische: Elsa hat nicht die erforderliche Kraft des Glaubens und stellt am Ende die verbotene Frage. „Sie verliert damit den geliebten Mann, zugleich aber gewinnt sie an Wissen“. Es „geht dieser Oper um das Verhältnis von Wissen und Glauben“. Illustriert ist diese FAZ-Lohengrin-Interpretation mit einem Photo vom Bühnenbild in Bayreuth: Man sieht den „fertigen Schwan“ und drumherum drei Kostüm- bzw. Bühnenbildner. Die FAZ-Rußland-Korrespondentin hat dazu – zum Verhältnis von Leiden, Kunst und Aufklärung – einen Artikel über die Leningrader Blockade 1941/42 durch die Deutschen beigesteuert: „Wie Leningrad während der Blockade im Zweiten Weltkrieg Hitlers Armee mit Beethoven abwehrte“ heißt der Text, der mit einem Photo garniert ist, das Dimitri Schostakowitsch zeigt – während der Belagerung Leningrads: Er steht mit einem Feuerwehrhelm und in Uniform auf dem Dach eines Leningrader Wohnhauses.
Die taz titelte heute „Demokratiebewegung unter Schock“ über einen Artikel von Juliane Schumacher aus Kairo:
„Das ägyptische Militär weist zwei Tage nach dem tödlichen Angriff auf hauptsächlich koptische Demonstranten alle Verantwortung von sich. „Die Soldaten haben nie auf Protestierende geschossen, sie hatten nicht einmal Patronen“, sagte General Ismail Osman, Mitglied des herrschenden Militärrats.
Am Sonntag waren bei dem Angriff des Militärs auf eine Demonstration und anschließenden Straßenschlachten mindestens 27 Menschen ums Leben gekommen, rund 400 wurden verletzt. Ob es, wie zuvor behauptet, auch Tote aufseiten des Militärs gab, ist unklar. Der Militärrat weigert sich, darüber Auskunft zu geben.
In einer Reaktion auf den „schwarzen Sonntag“ trat am Dienstag der Finanzminister und stellvertretende Regierungschef Hazem al-Bablawy aus Protest zurück. Laut einem Pressebericht machte er in einem Schreiben an Premierminister Essam Scharaf und das Kabinett für die Vorfälle verantwortlich und forderte sie ebenfalls zum Rücktritt auf. Seitens des Militärrats lag zunächst keine Reaktion vor.
Unterdessen reichte eine Gruppe von Menschenrechtsorganisationen bei der Staatsanwaltschaft Klage gegen den Informationsminister Osama Heikal wegen Volksverhetzung ein. Dies bezieht sich auf die Berichterstattung des staatlichen Fernsehns sowie Aufrufe, bewaffnet auf die Straße zu gehen und die Armee gegen „christliche Extremisten“ zu unterstützen.
Die Demokratiebewegung in Ägypten steht weiterhin unter Schock. Im Internet tauchten neue Videos auf, die zeigen, wie Soldaten von Fahrzeugen aus in fliehende Menschen feuern oder mit Panzerfahrzeugen in die Menge rasen. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Soldat sich brüstet, einen Demonstranten erschossen zu haben, und bejubelt wird.
Aktivisten und die liberale Presse sehen den Tag als endgültigen Bruch zwischen Volk und Militär an. „Kann das Militär sich je wieder brüsten, während der Revolution nicht aufs eigene Volk geschossen zu haben?“, fragt Karima Kamal in der englischen Onlineausgabe der Zeitung Al-Masr Al-Youm. „Oder hat das nur für Muslime gegolten?“ Der Journalist Abdel-Rahman Hussein schreibt: „Ja, es gibt Diskriminierung gegenüber Christen. Aber hier geht es darum, dass die ägyptische Armee grundlos und kaltblütig Zivilisten tötet – am Tag, mitten in Kairo“.“
AP berichtet u.a.heute u.a.über die Rolle der Staats-Medien während des Massakers in Kairo:
„Auch gegen das Staatsfernsehen richtet sich der wütende Vorwurf, bei der Niederschlagung einer Demonstration von Christen am Sonntagabend zu Gewalt aufgehetzt zu haben.
In den Tagen danach wurden im Staatsfernsehen angeblich verletzte Soldaten interviewt, die angaben, dass die Demonstranten das Feuer eröffneten. Augenzeugen bestritten dagegen, dass die Demonstranten Schusswaffen gehabt hätten.
„Das Fernsehen wurde als Werkzeug dafür benutzt, Sektierertum und Hass auf andere Religionen anzustacheln“, sagt Hassan. „Das ist das erste Mal in ihrer Geschichte, dass die staatlichen Medien diese Rolle spielen. Die Aufrufe im Fernsehen haben die Gewalt angeheizt und die Zahl der Opfer erhöht.“ Auch Mitarbeiter des Staatssenders verurteilten die Berichterstattung. „Ich schäme mich, beim Fernsehen zu arbeiten. Das ägyptische Fernsehen ruft zum Bürgerkrieg zwischen Christen und Muslimen auf. Das ägyptische Fernsehen hat bewiesen, dass es der Sklave jedes beliebigen Herren ist“, klagte eine Moderatorin auf Facebook.“
Im taz-Feuilleton kommt anonym ein Student aus Damaskus/Syrien zu Wort, der „wie viele Oppositionelle zwei Profile auf Facebook hat – eines für die harmlosen Gespräche und eines für die Revolte“. Das Email-Interview mit ihm führte Alissa Starodub:
„Ich hoffe, die Internetverbindung wird halten. Die Geheimdienste haben in unserem Gebiet eben das Netz für fünf Stunden lahmgelegt. Das machen sie immer, wenn sie dort gerade eine Aktivität von unserer Seite vermuten. Reißt die Verbindung, so können wir nicht aufs Telefon ausweichen, denn das Telefonnetz und der Mobilfunk werden abgehört.
Es ist gefährlich, sich gegen das Regime in meinem Land zu äußern, deshalb kann ich meinen wahren Namen nicht nennen. Mohammed ist der in Syrien am weitesten verbreitete männliche Vorname. So möchte ich genannt werden. Mohammed, der Patriot. Mit einem Smiley dahinter, bitte.
Früher fanden bestimmte Gespräche in der Öffentlichkeit nur im Flüsterton statt. Seit Mitte März haben vergleichsweise viele Menschen angefangen, auf Facebook zu veröffentlichen, was sie wirklich denken: Baschar al-Assad, der Präsident, muss weg. Die meisten von uns haben zwei Profile, ein scheinbar echtes für die harmlose Kommunikation und ein anderes für die Rebellion.
Die Zahl derer, die auf unserer Seite, der Seite der Demonstranten, sind, wächst. Die Menschen haben mehr Vertrauen in die Zukunft. Seit dem Beginn des Arabischen Frühlings ist das eine wirklich große Veränderung unseres Zustandes.
Nachdem zu Beginn der Unruhen klar wurde, dass die Facebook-Seite „The Syrian Revolution 2011“ und eine andere Seite von den Geheimdiensten beobachtet wird, weil dort vereinbarte Treffen von Demonstranten im Vorfeld von der Polizei verhindert wurden, hatten die Menschen zunächst gänzlich aufgehört, Facebook zu benutzen, um sich für den Protest gegen die Regierung zu organisieren. Wir wussten schon zuvor, dass unsere Onlineaktivität in Syrien kontrolliert wird, aber jetzt wurde uns bewusst, dass Geheimdienstler sich ebenfalls falsche Facebook-Profile zugelegt haben, um das Treiben auf der Seite zu beobachten. Die Protestbewegung organisiert sich dennoch hauptsächlich über Facebook. Twitter wird hier eher weniger benutzt. Nicht viele Syrier haben Internet und noch weniger davon auf ihrem Handy.
Seit dem Beginn der Revolutionsbewegung hat jeder Freitag auf Facebook einen Namen. Es hat angefangen, als jemand, der an den Protesterhebungen teilnahm, an einem Freitag dort Videos von einer Demonstration und ihrer Niederschlagung durch die Exekutive hochgeladen hat. Dieser Freitag wurde nach dem ersten Opfer des tunesischen Aufstands benannt. Später erhielten die Freitage Namen wie „Freitag der Befreiung“ oder „Der Freitag, an dem es kein Zurück mehr gibt“. Auf der Seite stehen auch Informationen darüber, was passiert ist, und die Namen der aufgeflogenen Spione der Geheimdienste werden dort veröffentlicht. Auch liest man dort die Namen derer, die vom Militär bei Demonstrationen getötet wurden, wo Hilfe gebraucht wird.
Die öffentliche Diskussion über den Regimewechsel wird durch die vielen Verhaftungen gelähmt und dadurch, dass viele Menschen Angst haben, sich zu äußern. Viele sind durch die Gegenpropaganda der Regierung im Netz eingeschüchtert – denn deren Anhänger sind auch auf Facebook.
Die Menschen, die sich nicht trauen, hinter der Revolution zu stehen, obwohl sie eigentlich auf unserer Seite sind, sollen sich schämen. Es werden vor allem sehr junge Menschen sein, die bald wieder auf die Straße gehen. Ich habe auf al-Dschasira Videos von 15- bis 18-jährigen Demonstranten gesehen. Seit einigen Wochen haben die Schulen angefangen und das neue Semester an den Universitäten hat ebenfalls begonnen. Das wird, so hoffen ich und meine Freunde, einen Wendepunkt herbeiführen. Denn seit wir wieder an Schulen und Unis versammelt sind, können wir uns besser organisieren, um Straßen und Plätze zu besetzen.
Die Organisation von Protesten gegen Assad läuft schon jetzt über Facebook. Es werden Treffpunkte veröffentlicht und Tipps, wie man sich vor dem Militär schützen könnte. Wir machen auch Informationen, wie man Proxies benutzt – das sind Zwischenstationen im Netz, mit denen sich die eigene IP-Adresse verschleiern lässt, so dass man anonym surfen kann -, möglichst vielen zugänglich. Wenn wir auf Facebook Veranstaltungen für unsere Treffpunkte kreieren, versuchen wir, möglichst viel über Codewörter zu kommunizieren, die sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiten.
Wir schreiben zum Beispiel, dass wir unser Mitgefühl mit den Opfern von Fukushima zeigen wollen, dabei sprechen wir eigentlich von unserer Trauer über eine niedergeschlagene Demonstration in Hama. Assad wurde lange Zeit wegen seinem langen Hals „die Giraffe“ genannt, die Regierung waren „die Anderen“, wenn wir posten, dass wir auf eine Party gehen, heißt das, „wir gehen demonstrieren“, und uns selbst nannten wir eine Zeit lang auch „die Spione“, um die Verwirrung komplett zu machen.
Über die Codes haben wir es lange Zeit geschafft, uns an einem Treffpunkt anonym zu verabreden, und jeder von uns trug ein Kleidungsstück in einer bestimmten Farbe, zum Beispiel Weiß, um zu zeigen, dass wir gegen das Regime sind. Es kamen Menschen verschiedener Altersgruppen zu diesen stillen Treffen. Eines Tages wurden einige von uns bei einer solchen Aktion verhaftet. Einer kam zurück mit einem Messer im Bauch. Wenn man heutzutage von der Polizei festgenommen wird, zwingen sie uns, sich bei Facebook einzuloggen, um zu sehen, ob man dort bei der Protestbewegung aktiv ist. Wir öffnen natürlich nur unsere ungeschützten Profile.
Zu den Menschen in den Protesthochburgen Hama und Homs haben wir spärlichen Kontakt. Hier in Damaskus ist es vergleichsweise ruhig, denn es ist die von Assad am meisten kontrollierte Stadt. Alle Regierungsgebäude sind hier. Doch bald wird es auch hier kochen, glaube ich. Wenn das Militär sich entlang der konfessionellen Linie zwischen Aleviten und Sunniten spaltet, werden die Kräfteverhältnisse neu verteilt. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie, denn in dieser Revolutionsbewegung gibt es keine Anführer und auch keine Diskussion darüber, was nach der Revolution passieren soll. Klar ist nur eins, nämlich das Assad gehen soll, weil er ein Schlächter ist. Ich habe in den letzten Monaten viel zu oft darüber diskutiert, warum ich das glaube. Ich muss jetzt handeln.“
Dpa berichtet heute aus Syrien:
Im Zentrum von Damaskus haben am Mittwoch mehrere tausend Menschen für das Regime von Präsident Baschar al-Assad und gegen „Einmischung von außen“ demonstriert. Die Teilnehmer der Kundgebung riefen Parolen gegen den vor anderthalb Wochen in Istanbul gegründeten syrischen Nationalrat, in dem Oppositionelle und Protestkomitees zusammengeschlossen sind. Zudem ließen sie Russland und China hochleben.
Die beiden Veto-Mächte hatten in der Vorwoche eine Resolution des UN-Sicherheitsrates verhindert, die das Assad-Regime wegen der blutigen Unterdrückung der monatelangen Proteste verurteilen wollte.
Während die Behörden am Mittwoch behaupteten, es habe sich um eine „spontane Demonstration“ gehandelt, berichteten Betroffene, dass Mitarbeiter des öffentlichen Sektors zur Teilnahme verpflichtet worden seien.
Die Arabische Liga beriet indes in Kairo über die Lage in Syrien. Es sei „bedauerlich“, dass die Spirale der Gewalt bis heute nicht gestoppt sei, sagte anschließend der Generalsekretär der Organisation, Nabil al-Arabi. Die Liga sei bereit, zwischen der syrischen Regierung und der Opposition zu „vermitteln“. Dass ihr Generalsekretär dabei auch Kontakte zum syrischen Nationalrat unterhalte, sei „normal“, fügte Al-Arabi hinzu.
Die im Nationalrat vertretenen Gruppierungen suchen allerdings keinen „Dialog“ mit dem Assad-Regime, das immer wieder auf ihre friedlichen Demonstrationen schießen lässt, sondern verlangt dessen Rücktritt. Deit Beginn der Proteste in diesem März fielen der Gewalt in Syrien nach UN-Angaben rund 2900 Menschen zum Opfer.
Aus Libyen berichtet die Nachrichtenagentur:
Die seit Wochen andauernden Kämpfe in der libyschen Stadt Sirte nähern sich ihrem Ende. 80 Prozent der Stadt würden nun von den Milizen des Übergangsrates kontrolliert, meldete der Fernsehsender BBC am Mittwoch. Milizionäre würden das Zentrum der Geburtsstadt des ehemaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi Haus für Haus durchkämmen, berichtete ein Reporter der britischen Tageszeitung „Guardian“. Dabei würden sie auf bedeutend weniger Widerstand der Gaddafi-Anhänger stoßen als in den Tagen zuvor.
Auch seien keine nennenswerten Gruppen von Gaddafi-Getreuen mehr zu beobachten. Immer wieder würden sich Gaddafi-Kämpfer ergeben oder sie würden von den Milizen gefangen genommen, teilte der Reporter in der Internet-Ausgabe des „Guardian“ mit. In den Tagen zuvor hatten die Milizen des Übergangsrats in schweren und verlustreichen Kämpfen die wichtigsten strategischen Positionen der Gaddafi-Streitkräfte eingenommen, darunter ein Konferenzzentrum, das ihnen als Kommandozentrale gedient hatte.
Sirte und die Wüstenstadt Bani Walid sind die letzten Bastionen der bewaffneten Anhänger des im August gestürzten Machthabers. Der Ex-Diktator ist seitdem untergetaucht. Gelegentlich meldet er sich in Audio-Botschaften zu Wort, die von einem kleinen syrisch-irakischen Fernsehsender ausgestrahlt werden. Darin versucht er seine Anhänger, mit Durchhalteparolen bei der Stange zu halten.
Aus Irak meldet dpa:
Bei einer Serie von Anschlägen und Aktionen der Sicherheitskräfte sind am Mittwoch in Bagdad mindestens 31 Menschen ums Leben gekommen. Zwei Selbstmordattentäter und drei Autobomben töteten nach Angaben des Innenministeriums mindestens 21 Menschen. Etwa 60 weitere seien verletzt worden, hieß es. Die Bomben detonierten etwa zeitgleich in verschiedenen Stadtvierteln. Die Anschlagsziele waren eine Straßensperre vor dem Innenministerium, drei Polizeiwachen und ein Polizeikonvoi.
Ein Sprecher des Innenministeriums sagte im staatlichen Fernsehen, die Sicherheitskräfte hätten anschließend an den verschiedenen Tatorten insgesamt sechs mutmaßliche Terroristen erschossen.
Aus dem Iran und aus den USA berichtet AP:
Der geistliche Führer des Irans prognostiziert den USA angesichts der wachsenden Proteste an der New Yorker Wall Street ein Ende des Kapitalismus. Die Vereinigten Staaten steckten mitten in der Krise, weil „dem amerikanischen Volk das korrupte Fundament offengelegt wurde“, sagte Ayatollah Ali Chamenei am Mittwoch auf einer Kundgebung in der westiranischen Stadt Kermanschah vor Zehntausenden Anhängern.
Die US-Regierung könne die Protestbewegung nicht stoppen, erklärte Chamenei. Der Widerstand werde so stark zunehmen, dass er schließlich „das kapitalistische System und den Westen stürzen wird.“ Die Welt stehe vor einer historischen Wende, sagte Chamenei. Seine Rede wurde live im staatlichen Fernsehen übertragen.
Die Bewegung Occupy Wall Street (Besetzt die Wall Street) entstand im vergangenen Monat in New York und weitete sich inzwischen auf andere Städte aus. Sie richtet sich gegen die Macht der Banken.
Das Internet-Forum „gulli.com“ berichtet aus New York:
„Die Operation „Occupy Wall Street“ des Hacker- und Aktivistenkollektivs Anonymous hält weiter an. Erneut haben Unbekannte private Daten von berühmten Bankern des amerikanischen Finanzviertels ins Netz gestellt. Die Angreifer bezeichnen den Schritt als Vergeltungsaktion für die Verhaftung von Demonstranten in New York.
Betroffen ist der Chef der New York-Community Bank, Joseph Ficalora sowie Kerry Killinger, der die Washington Mutual Bank bis zu ihrem Zusammenbruch 2008 leitete. Wie „Golem“ berichtet, stellte die Anonymous-Splittergruppe C@b!n Cr3w die Informationen der beiden Personen ins Netz. Betroffenen sind Mobiltelefonnummern, Anschriften und Bezüge. Allerdings sind Daten aus dem Leak zum Teil zehn Jahre alt, was ihre Aktualität infrage stellt.
Anonymous droht für jede Verhaftung eines Demonstranten in der Wall Street weitere Daten über bedeutende Personen der New Yorker Finanzwelt zu veröffentlichen. Dort wurden bei Protesten bereits zu Beginn der Aktion am 2. September rund 700 US-Bürger von der Exekutive festgesetzt. Von Polizeigewalt war zu diesem Zeitpunkt keine Rede.
Die C@b!n Cr3w machte erst kürzlich auf sich aufmerksam, als sie die persönlichen Daten eines Polizisten publizierte, der eine Demonstrantin mit Pfefferspray attackiert haben soll. Der Chef von JP Morgan Chase und der von Goldman-Sachs zählen auch bereits zu den Opfern der Hacktivisten.
Inwiefern die Aktionen der Gruppe ihr Ziel erreichen, scheint fraglich. Die Androhung weitere private Daten von Bänkern zu veröffentlichen, dürfte für die Exekutive auf der Straße kein Grund für eine schonende Behandlung von Demonstranten sein.
Das Wall Street Journal (WSJ) berichtete gestern unterdes von einer misslungenen DDoS-Attacke auf die Webseite der New Yorker Börse. So habe Anonymous die Webseite des Stock Exchange mit etlichen Computern attackiert, schlussendlich aber nur eine schwache Überlastung der Server erreicht. Die Webserver sollen nach WSJ-Angaben weiterhin uneingeschränkt zur Verfügung gestanden haben.“
Auf einem der vielen deutschen Internetseiten dazu heißt es:
Seit einigen Wochen protestieren die US-Bürger nicht nur in New York, aber an der Wallstreet fing alles an: “Occupy Wall Street” – “Besetzt die Wall Street!” heißt das Motto. Inzwischen haben sich Tausende US-Bürger angeschlossen – Aktivisten, Schüler, Gewerkschafter, Mieter und Rentner.
All jene, die letztendlich rein gar nichts von den Banken-Geschäften haben und zu den 99% gehören, die die Zocker auch noch über Steuergelder fianzieren dürfen.
Occupy Demos nicht nur in Frankfurt, Berlin und Hamburg…
Am 15. Oktober 2011 werden Menschen aus der ganzen Welt auf die Straßen und Plätze gehen. (In Berlin am Neptunbrunnen) Von Amerika bis Asien, von Afrika bis Europa protestieren die Menschen, um ihre Rechte einzufordern und eine wahre Demokratie zu verlangen. Es ist Zeit, daß wir uns alle einem globalen, gewaltfreien Protest anschließen.
Siehe auch Global Revolution Livestream
Die Junge Welt interviewte den algerischen Schriftsteller Boualem Sansal über die Situation in seinem Land:
Warum ist der arabische Frühling, der in Tunesien so hoffnungsvoll begonnen hat, in Algerien gescheitert – obgleich die algerische Jugend im Februar viele Anstrengungen unternommen hatte, um den Protest auf die Straße zu tragen?
Nicht nur im Februar sind junge Leute in Algerien auf die Straße gegangen, sondern immer wieder und überall im Land gehen ständig Gruppen auf die Straße und rebellieren. Viele sind arbeitslos und sehen keinerlei Perspektive mehr. Sie sind wütend und schmeißen deshalb Steine und zertrümmern Schaufenster. Wir, Schriftsteller, Rechtsanwälte, Intellektuelle, Leute aus Gewerkschaften sowie Menschen- und Frauenrechtsorganisationen, haben versucht, mit ihnen gemeinsam friedlichen, politischen Protest auf die Beine zu stellen. Damit man nicht sagt »das sind ja nur Randalierer«, und so die Polizeiknüppel und Inhaftierungen nach außen rechtfertigt.
Auf welche Weise wurde der Widerstand in Schach gehalten?
Das Regime Bouteflikas spielt auf allen Klaviaturen. Sie schicken agents provocateurs, die selber zerstören und andere zur Gewalt anheizen. Sie schleusen ihre Leute in fortschrittliche Organisationen ein, um diese zu bespitzeln. So fällt es dem Regime leicht, Proteste zu unterdrücken. Sie wissen im vorhinein, wer wo wann rebellieren will, und wirken entgegen: Hier eine Pro-Bouteflika-Demo organisiert, dort Regierungskritiker mit Polizeigewalt niedergeschlagen oder mit Intrigen jedes Aufbegehren im Keim erstickt. Polizei und Militär sind hochgerüstet. An einem Tag im Februar sahen wir uns plötzlich mit nur 2000 Demonstranten von 35000 Polizisten umringt! Sie manipulieren einflußreiche Persönlichkeiten, beispielsweise Imame an der Spitze großer Moscheen oder Professoren und Dozenten an den Universitäten. Algerien ist durch die Erdölproduktion ein reiches Land; die Eliten sind wohlhabend. Sie verteilen Geld an die richtigen Stellen, um ihren Einfluß geltend zu machen, wenn es darauf ankommt. Sie lassen Gerüchte und Unwahrheiten in die Welt setzen, in meinem Fall etwa: »Sansal ist ein Staatsfeind, er ist mit den Kolonialisten gut Freund.« Sie säen Mißtrauen. Das hat Folgen: Geht eine Gruppe auf die Straße, und wir kennen sie nicht, könnte das eine Falle aus Regierungskreisen sein, um weitere Regierungskritiker hinter dem Ofen hervorzulocken. Anschließend provoziert man Krawalle, um sie festzunehmen. So funktioniert eine Diktatur; überall sitzen Leute, die den Unterdrückungsapparat stützen.
Sie selber opponieren offen gegen das Regime Bouteflika und gegen ranghohe Militärs, die es schützen. Sie sind Religionskritiker insbesondere des Islam und setzen sich für Frauenrechte ein. Es ist anzunehmen, daß Sie aufgrund dessen nicht wirklich gut in Algerien leben. Warum wohnen Sie trotzdem im Küstenort Bourmerdés, nahe Algier, und haben sich nicht wie andere Schriftsteller-Kollegen ins Exil nach Frankreich begeben?
Ich bleibe; sollen sie doch gehen. Ich will dieses Land verändern, in dem es viele bunte, lebendige, oppositionelle Bewegungen gibt. Ich bin der Meinung, daß uns Europa dabei nicht helfen kann, selbst wenn man es wollte. Wir müssen dies selber im eigenen Land hinkriegen. Allerdings bin ich sauer, wenn sich ausländische Regierungen einzig für den Erdölpreis interessieren, mit Bouteflika schmusen und gezielt wegschauen, wenn sein Regime Menschenrechte mit Füßen tritt.
2006 haben Sie in »einem zornigen und hoffnungsvollen Brief« an ihre Landsleute offen zur Rebellion aufgerufen und formuliert: Algerien zähle zu den »unfreien, korrumpierten, bürokratischen, desorganisierten, instabilen, gefährlichen Staaten, mit denen man keinen Umgang pflegt«. Hatte das unangenehme Folgen für Sie?
Nein, das Bouteflika-Regime selber macht sich sowieso in solchen Fällen die Hände nicht schmutzig. Dazu sind sie zu schlau. Sie sagen, Sansal ist nur ein Schriftsteller, er ist allein. Lassen wir ihn doch schimpfen und kritisieren. Nach außen wirkt das wie Demokratie. Schaut her: Er lebt hier und kann alles sagen. Es gibt ein algerisches Sprichwort: »Der Hund bellt, aber die Karawane zieht weiter.« Das ist ihre Strategie. Freilich hat man mich bereits 2003 aus dem algerischen Ministerium für Industrie und Umstrukturierung hinausgeschmissen, wo ich als hoher Beamter tätig war. Ich hatte dementsprechend wenig Geld, weil ein Schriftsteller schlecht verdient. Meine Bücher wurden verboten, kursierten aber trotzdem. Einige Buchhändler haben sie sogar absichtlich in ihre Schaufenster gestellt, um so Kunden anzuziehen. Polizisten, die daran vorbeigehen, merken das kaum– viele von ihnen lesen überhaupt keine Bücher.
Wie steht es um die Meinungs- und Pressefreiheit in Algerien?
Mit Leuten, die internationale Beziehungen zu Menschenrechtsgruppen pflegen und sich organisieren, springt das Regime anders um als mit intellektuellen Einzelgängern. Aber Oppositionelle werden nicht einfach von Polizisten oder Militärs umgelegt. Sie kommen bei einem islamistischen Überfall um oder einem Autounfall. Keiner weiß anschließend, wer es war– die Ordnungskräfte schauen tatenlos zu.
Womit wir bei Religionskritik und Ihrem Eintreten für Frauenemanzipation wären. Beides äußern Sie in einem Land, in dem Fundamentalisten auf offener Straße einer Frau gegenüber Todesdrohungen aussprechen, etwa weil sie ihre Augen nicht auf den Boden senkt. Nicht nur religiöse Fanatiker, auch der Staat ist Frauen gegenüber repressiv. Nach Anbruch der Dunkelheit trauen sich Frauen in ländlichen Gegenden kaum mehr auf die Straße. Weil sie wissen: Würden Sie im Fall einer Belästigung oder Vergewaltigung die Polizei rufen, würde sie nicht kommen. Es hieße dann nur: »Selbst schuld, warum bleibst du nicht zu Hause«. Haben Sie wegen Ihrer freiheitlichen Einstellung Probleme?
Faschistische Gesellschaften lassen der Religion meist freien Lauf, weil ihrer beider Ziele sehr ähnlich sind. Freie Meinungsäußerung will man einschränken, ebenso wie sexuelle Freiheiten, seien es die der Homosexuellen oder Frauen, letzteren wird eine untergeordnete Stellung zugeschrieben. Diktaturen profitieren vom Terror der Islamisten, darum läßt man sie gewähren. Ständige Bedrohungen und Überfälle bringen Unruhe in die Gesellschaft und machen Menschen ängstlich. Das ist im Sinn des Regimes. Denn sie trauen sich dann nicht mehr, demokratische Rechte einzufordern. Bouteflika erinnert gern an die algerische Revolution 1988, der nach drei Jahren Demokratie ein zermürbender Bürgerkrieg folgte, mit Versuchen radikaler Islamisten, mit Gewalt an die Macht zu gelangen. »Das wollt ihr doch nicht!« – mit dieser Drohung hält das Regime Widerständige in Schach.
Begünstigt also der autoritäre Staat arabischer Prägung den Terror radikal-religiöser Kräfte?
Es ist eine gefährliche Gemengelage, wenn es in einer nachrevolutionären Zeit eine große Menge von Islamisten gibt, die den säkularen Staat ablehnen und einen Staat fordern, in der die Scharia das Recht vorgibt. Diese Gefahr herrscht in Tunesien, Ägypten, Libyen und allen anderen arabischen Staaten. Das Prinzip ist immer gleich: Die Diktaturen hatten sich des Terrors durch islamische Fundamentalisten bedient. Sie sind die einzigen, denen die Möglichkeit gegeben wurde, sich zu organisieren. Neue demokratische Protestbewegungen hingegen sind in viele kleine Parteien zersplittert und befinden sich erst im Aufbau: Kommunisten, Sozialisten und Liberale, die einen kapitalistischen Staat nach westlichem Vorbild wollen. Sie streiten miteinander, statt zunächst zusammen gegen Diktatur und religiösen Wahn vorzugehen. Tunesien steht jetzt ebenfalls genau vor diesen Problemen, wie wir sie nach unserer kurzen Phase der Demokratie hatten.
Ihr Roman »Das Dorf des Deutschen« verkettet die Geschichte islamischen Terrors mit der des deutschen Holocaust – was auf einer wahren Geschichte beruht. Ein deutscher SS-Mann ist nach dem Zweiten Weltkrieg in einem kleinen algerischen Dorf untergetaucht. Was denken Sie über die Deutschen heute?
Viele haben ihre faschistische Vergangenheit noch im Bewußtsein – was gut ist. Die Form des industriellen Völkermords in Form von systematischer Tötung von Juden und Andersdenkenden in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern, ist einzigartig in der Weltgeschichte. Derzeit gibt es eine ökonomische Krise in Deutschland, sicherlich auch Korruption. Man drückt die Preise für Rohstoffe und Bodenschätze der armen Länder und stürzt diese somit weiter ins wirtschaftliche Elend. Deutschland ist aber demokratisch, weil es offenen Austausch mit anderen europäischen Staaten pflegt, zum Beispiel Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien.
Anläßlich der Premiere seines neuen „Film Socialism“ interviewte Katja Nekodemus für „Die Zeit“ Jean-Luc Godard. Dieser hat weder Internet noch Mobilfunk:
Die Zeit: Schauen Sie denn (wenigstens) fern?
Godard: Selten. Manchmal. Tierfilme auf der BBC, in denen Menschen Monate damit verbringen, um einem Käfer oder einer Haselmaus nachzustellen.
– Was ist Ihr nächstes Filmprojekt?
– Die Geschichte eines Paares, das sich sehr gut versteht. Und das sich besser versteht, sobald es einen Hund hat. (Der Arbeitstitel des Films lautet: „Adieu au langage“)
– Im Drehbuch sind ja bereits Photos…Und da ist auch ein Hund…
– Das ist unser Hund.
– Welche Rasse?
– Keine Rasse.
– Verstehen auch Sie und Ihre Frau sich besser, seit Sie den Hund haben?
– Nun, er tut uns gut.
– Weil sie manchmal über den Hund miteinander kommunizieren?
– Sehr oft sogar. Sehen Sie, ich brauche wirklich kein Mobiltelefon.