vonHelmut Höge 24.05.2011

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Auch Aufstände haben anscheinend einen Biorythmus. So dauerte der algerische Generalstreik im Januar 1957 8 Tage und auch  die Aufstände in Algerien ab 1960 immer nur jeweils 8 Tage, weil die meisten Kämpfer Tagelöhner waren, die nicht länger auf Lohn verzichten konnten.

Der Spiegel schreibt über die jetzigen Arabischen Aufstände:

“Nach der Jasmin-Revolution in Tunesien und dem Sturz von Husni Mubarak in Ägypten sprang der Wunsch nach Reformen auf Libyen und andere Staaten der arabischen Welt über. Doch nun gerät die Protestbewegung ins Stocken.”

Auch die FAZ meint:

“Der erste Schwung der ‘Arabellion’ scheint erlahmt zu sein

Der Freiheitswille jener, die genug haben von ihren Dauer-Autokraten, wird trotzdem auf längere Sicht nicht nachlassen. Westliche Empathie und Unterstützung können zusätzlich dazu beitragen, dass der Wille, die alten Regime abzuschütteln, nicht erlahmt oder am Ende gar abstirbt.”

Begeistert ist dagegen der Madrider FAZ-Korrespondent von den jungen Protestierenden in Spanien:

“Spanien ist fasziniert von der Ernsthaftigkeit seiner Demonstranten. Denn nie zuvor wurde dort eine Utopie mit so viel Konsequenz öffentlich formuliert

Wie es weitergehen wird, ist offen, auch wenn es möglich ist, dass die Bewegung an Dampf verliert. Auf der Vollversammlung am Wochenende wurde beschlossen, das Camp eine weitere Woche zu halten, danach sollen die Versammlungen auch in andere Stadtteile Madrids getragen werden. Spanien schaut gebannt und fasziniert auf dieses Phänomen. Eine Utopie zu formulieren und mit dieser Konsequenz in die Öffentlichkeit zu tragen, das hat es in dreißig Jahren Demokratie nicht gegeben.”

Die Junge Welt übertitelte heute ihren Kommentar über den Aufstand in Libyen mit:

“Verrat als Vision

Der libysche Aufstand, der von den Aufständischen aus eigener Kraft nicht zu gewinnen ist, weshalb sie imperialistische Interventen ins Land gebeten haben, ist nicht Teil der arabischen Revolution, sondern der Beginn einer konterrevolutionären Gegenoffensive, die in Syrien ihre Fortsetzung finden könnte. In ihrem eigenen revolitionären Interesse müßte die arabische Straße aufstehen, um Libyen und seine legitime Führung zu verteidigen.”

Die Süddeutsche Zeitung nutzte gestern die schlechte Nachrichtenlage und ging ins Grundsätzliche:

“Das große Staunen des alten Kontinents: Niemand in Europa hatte mit dem Ausmaß der Aufstände in Tunesien, Ägypten oder Libyen gerechnet – weil wir immer noch am Bild vom fremden Orient mit seinen faulen, lüsternen und blutrünstigen Bewohnern hängen.

(…) Gewiss, viele Experten warnten seit langem vor der explosiven Mischung aus Jugendarbeitslosigkeit und Unterdrückung in den arabischen Staaten. Doch wurden die Forderungen der arabischen Jugend nach Arbeit, Demokratie und Menschenrechten nie wirklich ernst genommen. Haben wir Europäer nicht gedacht und erklärt, dass die Orientalen “noch nicht so weit” seien, dass sie – da ihnen das Zeitalter der Aufklärung fehle und ihre Religion ihnen das Denken verbiete – einfach nicht in der Lage seien, Demokratien aufzubauen?

Kurz: Haben wir es den Ägyptern, Tunesiern, Libyern und nun auch den Syrern ganz einfach nicht zugetraut, dass sie sich ernsthaft aus ihrer Unmündigkeit befreien wollen?

Der moderne Mensch in der arabischen Welt muss immer erst den Beweis antreten, dass er wirklich modern ist. Jemand bemerkte kürzlich, es sei auffällig, wie häufig in den Berichten über die ägyptische Revolution erwähnt wurde, dass die Straßen Kairos während der Unruhen so sauber geblieben und wie effizient die Organisatoren des Tahrir-Platzes gewesen seien. Hat man so etwas je über den Herbst 1989 in Deutschland gelesen? Haben die Flüchtlinge in der Prager Botschaft eigentlich ihren Müll entsorgt?”

Die taz macht wieder ihrem Ruf als Zentralorgan der Grünen alle Ehre und widmet sich der Ökologie in den islamischen Ländern:

Müll in Somalia, Satire in Marokko und Wassernot im Jordantal…

Gestern meldete die taz:

“In Saudi-Arabien sitzt eine Frau in Haft, weil sie Auto gefahren ist und das dokumentiert hat. Der Staat ist das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht fahren dürfen. Die Behörden nahmen Manal al-Scherif fest, nachdem sie ein Video ins Internet gestellt hatte, das sie hinter dem Steuer eines Pkws in Chobar zeigte. Das Arabische Netzwerk für Menschenrechtsinformationen bezeichnete dies als “klares Zeichen für den erschreckenden Umgang mit Menschenrechten in Saudi-Arabien”.”

Jürgen Kuttner schickte mir eine Mail über einen “Runden Tisch” in Zagreb, der dort kürzlich während des Filmfestivals Subversiv stattfand und an dem es über die Aufstände in aller Welt ging, nicht zuletzt in Kroatien selbst:

“New Emancipatory Struggles

Mit: David Harvey, István Mészáros, Slavoj Žižek, Samir Amin, Zygmunt Bauman. Moderator : Srećko Horvat

Pouring gasoline over his body and setting himself on fire in protest of the police confiscation of his fruits and vegetables, Mohamed Bouazizi, a street vendor, sparked a wave of massive protests which spread not only throughout Tunisia, but all over North Africa and the Middle East. In accordance with those events, the central round table discussion of the conference, ‘’New Emancipatory Struggles’’, questions the global power shift, but, above all, tries to emphasize the emancipation potentials of new people’s movements. All over the world, from the barricades in Athens to the mass protests in London, from the Indian Naxalites uprising to the Mexican Zapatistas, from the persevering resistance in Latin America to the new awakening of Africa, new emancipatory practices are being born which, in spite of geographical distances and some differences, still have the same marker and a common denominator. What, in this context, can we learn from Maghreb, and what are we to do?

This event is at the same time the promotion of the book “The Meaning of Maghreb” (Fraktura, Zagreb, 2011)

About the book:
It is still difficult to say what the precise meaning of Maghreb is, but one thing is certain: setting himself on fire, a Tunisian young man has sparked a wave of peoples’ protests which spread like fire throughout North Africa and the Middle East, giving everybody a lesson in true fight for democracy. On the other hand, the West has been advocating for decades the necessity of introducing ‘’democracy’’ in every corner of the world, at the same time doing everything in its power to prevent its development, even by unabashedly supporting dictatorial regimes. While many believed that Maghreb was just a site of a spontaneous and unorganized revolt soon to be extinguished, the perseverance of the Arab peoples points out to a change which could shake up the sleepy European continent. Unlike international diplomacy and geostrategic calculations, which have the preservation of the status quo as the main goal, most prominent contemporary intellectuals – from Slavoj Žižek and Alain Badiou to Antonio Negri and Tariq Ali to Samir Amin and Noam Chomsky –comment the events which seemingly have nothing to do with us in the book The Meaning of Maghreb. Through a series of trenchant and often heated discussions, as well as mutual disagreements and controversy, The Meaning of Maghreb offers an insight into changes which undoubtedly mark the beginning of a new era.

Auf dem Jemen meldet AP:

In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa haben Kämpfer eines mächtigen Stammes am Dienstag mehrere Ministerien sowie das Hauptquartier der Regierungspartei abgeriegelt. Nach Feuergefechten mit mindestens sechs Toten am Montag wurde zudem von weiteren Zusammenstößen zwischen Angehörigen des Haschid-Stammes und den Sicherheitskräften des Landes berichtet. Beobachter befürchten damit eine weitere Eskalation der seit drei Monaten anhaltenden Proteste gegen das Regime von Präsident Ali Abdullah Saleh.

Obwohl Saleh selbst Angehöriger des einflussreichen Haschid-Stammes ist, hatte sich dessen Anführer Scheich Sadek al Ahmar im März von dem Präsidenten losgesagt und sich dem Volksaufstand angeschlossen. Nachdem sich Saleh am Sonntag wiederholt geweigert hatte, ein Abkommen über einen Machtverzicht zu unterzeichnen, ließ al Ahmar seine Leute am Montag erstmals zu den Waffen greifen. Bei den Kämpfen in der Umgebung seines Hauses wurden Ärzten zufolge mindestens sechs Menschen getötet und 40 weitere verletzt.

Aus Pakistan meldet AP:

Pakistanische Soldaten haben einen von Taliban-Kämpfern angegriffenen Marinestützpunkt am Montag wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Die Aufständischen hatten die hochgesicherte Anlage in der Stadt Karachi 18 Stunden lang belagert. Sie töteten nach Behördenangaben zehn Sicherheitskräfte und zerstörten mindestens zwei von den USA zur Verfügung gestellte Überwachungsflugzeuge. Mindestens vier Angreifer seien getötet worden, zwei weitere seien womöglich geflohen, sagte der pakistanische Marinechef Nauman Bashir.

Die mit Handgranaten, Raketen und automatischen Waffen bewaffneten Aufständischen hatten den Marinestützpunkt Mehran am späten Sonntagabend (Ortszeit) im Dunkeln gestürmt, wie der pakistanische Innenminister Rehman Malik sagte. Die Angreifer hätten Leitern eingesetzt, um in die Einrichtung zu gelangen. Innen angekommen hätten sie sich in dem weitläufigen Komplex verteilt, Explosionen ausgelöst und sich versteckt.

Aus Tunesien meldet AFP:

Der während der Protestbewegung in Tunesien bekannt gewordene Blogger Slim Amamou hat die Übergangsregierung des Landes verlassen. “Ich bestätige, dass ich zurückgetreten bin”, schrieb der 33-Jährige, der nach dem Sturz von Präsident Zine el Abidine Ben Ali zum Staatssekretär für Jugend und Sport ernannt worden war, am Montag im Internet-Kurzbotschaftendienst Twitter. Der 33-jährige Blogger war in den letzten Tagen der Herrschaft Ben Alis festgenommen und als Oppositioneller auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt worden. Einen Tag vor Ben Alis Sturz am 14. Januar kam er frei.

Dem tunesischen Rundfunk sagte Amamou, seine Mission in der Übergangsregierung sei erfüllt. Die “wichtigste Sache” für das Land sei die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung, die bereits organisiert werde. Seine Mitwirkung in der Regierung sei deshalb nicht mehr nötig. Der Posten als Staatssekretär sei eine “wichtige, aber ermüdende Erfahrung” gewesen.

Im Zusammenhang des letzten Tsunamis sprachen einige Verschwörungstheoretiker von einem “Aufstand der Natur” bzw. davon, dass die “Natur zurückschlägt”. Aus Japan kommt heute folgende AP-Meldung:

“Nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima hat die Betreibergesellschaft Tepco Kernschmelzen in zwei weiteren Reaktoren eingeräumt. Das Unternehmen erklärte am Dienstag, die Brennstäbe in den Reaktoren 2 und 3 seien größtenteils geschmolzen. Bisher war nur von einer Kernschmelze in Reaktor 1 die Rede.”

Von einem “Aufstand der Natur” könnte man auch beim Sich-Verlieben sprechen. Noch eher jedoch vom “Aufstand” als der Bedingung wahrer Liebe. Verstanden als Aufhebung der Trennungen. Diesem “Problem” widmete sich zuletzt die Pariser Gruppe Tiqqun – in ihrer “Einführung in den Bürgerkrieg”. Aus dem Französischen wurden nun gerade zwei neue Bücher über die Liebe ins Deutsche übersetzt:

Bruno Latour: “Jubilieren”

Alain Badiou: “Lob der Liebe”

Über des Buch des letzteren schrieb Aram Lintzel in der taz:

Ekstase der Begegnung

Während meines Studiums Anfang der neunziger Jahre gab es zwei Wege, über die Liebe zu reflektieren: den französischen oder den westfälischen, mit Roland Barthes (Paris) oder mit Niklas Luhmann (Bielefeld), theoriepoetisch oder systemtheoretisch. Barthes’ “Fragmente einer Sprache der Liebe” und Luhmanns “Liebe als Passion” taugten als Zitatquellen, wenn es etwa darum ging, entsprechende soziale Szenarios mit Theorie-Atmosphäre auszustatten. Während die Luhmann-Zitierer aber eine coole Beobachterdistanz dokumentieren wollten (Liebe ist ein Kommunikationscode!), ging es den Barthes-Adepten darum, die Intensität ihrer leidenschaftlichen Verstrickung aufzuarbeiten (Liebe ist Bejahung!). Nachträglich wäre es interessant, zu wissen, was für Studentenlieben aus diesen beiden unvereinbaren Schulen hervorgegangen sind.

Längst ist diese Konfrontation in Vergessenheit geraten, nicht zuletzt, weil im Theoriebetrieb der nüchterne-sachliche Blick auf die Liebe triumphiert hat: Eva Illouz’ soziologische Analysen zum “Konsum der Romantik” kamen ebenso ohne Poesie und Pathos aus wie Harry G. Frankfurts analytisches Philosophieren über die “Gründe der Liebe”. Von der Lebenskunst-Ratgeberphilosophie eines Wilhelm Schmid ganz zu schweigen.

Aber nun schlägt Paris doch noch zurück, und zwar in Person von Alain Badiou. Soeben wurde sein Theorie-Bestseller “Éloge de l’amour” unter dem Titel “Lob der Liebe” ins Deutsche übersetzt. In dem schön zu lesenden Gespräch mit Nicolas Truong geht Badiou ähnlich wie seinerzeit Barthes davon aus, dass die Liebe bedroht ist, einerseits vom Egoismus, andererseits von einem Sicherheitsdenken, das sich in Partnersuchprogrammen zeige. Gegen diese doppelte Bedrohung setzt Badiou sein philosophisches Konzept des Ereignisses: “Die Liebe beginnt immer mit einer Begegnung. Und dieser Begegnung verleihe ich in gewisser Weise den metaphysischen Status eines Ereignisses, das heißt, den Status von etwas, das nicht ins unmittelbare Gesetz der Dinge hineinpasst.”

Badiou interessiert sich wie einst Barthes für die “Ekstase der Begegnung”, aber auch für das, was aus ihr auf lange Sicht folgt. Seine zentrale Frage ist: Wie treu sind wir dem Ereignis gegenüber? Liebe beginne zwar immer “mit der absoluten Kontingenz und dem absoluten Zufall der Begegnung”, doch dieser Zufall müsse “zu einem bestimmten Zeitpunkt fixiert werden”. Es zeige sich so, dass im Ereignis der Liebe eine universelle Wahrheit schlummere, Badiou sagt: “Ein scheinbar unbedeutendes Ereignis, das jedoch in Wirklichkeit ein radikales Ereignis des mikroskopischen Lebens ist, trägt in seiner Hartnäckigkeit und in seiner Dauer eine universelle Bedeutung in sich.”

Der Kommunist Badiou erkennt darin so etwas wie ein gesellschafts- und kapitalismuskritisches Potenzial, denn Liebe sei der Gegenbeweis zur neoliberalen Egoismus-Unterstellung und aufgrund ihres Ereignischarakters “subversiv und dem Gesetz fremd”. Doch obwohl Badious amouröser Universalismus der Liebe eine kritische Aufgabe mitgibt, politisiert er sie keineswegs komplett durch, sondern gesteht ihr eine relative Autonomie zu. In seiner Ereignistheorie bleibt ein Rest, der nicht im Politischen oder Sozialen aufgeht. Zweisamkeitszweifler dürften allerdings monieren, dass Badiou von der “Bühne der zwei” redet und die stabile und “fixierte” Paarbeziehung als Liebesinstitution privilegiert. Hätte man diesen Neokonservatismus von einem Neokommunisten erwartet?

Daneben geht angesichts Badious liberaler Trennung zwischen privatem Liebesraum und öffentlichen Angelegenheiten jedoch ein Angriff des geschätzten Kollegen Micha Brumlik. Vor einiger Zeit bezeichnete Brumlik an dieser Stelle Alain Badiou als den “totalitärsten und menschenfeindlichsten Philosophen, der derzeit wirkt”. Wer Badious intellektuell überaus zärtliches Buch liest, fragt sich, was Brumlik gemeint haben könnte. Etwa den oft wohlfeil angefeindeten Lebensstil-“Totalitarismus” der jungen Eltern aus den Prenzlauer Bergen der Republik? Denn wenn man so will, liefert Badious “Lob der Liebe” denen einen Überbau, die die Neue Bürgerlichkeit wie die Vorbotin eines “minimalen Kommunismus” – so Badiou über die Liebe – aussehen lassen könnten.

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