vonHelmut Höge 06.06.2011

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Den Antikolonialismus nicht übertreiben!

Der islamistische Angriff auf das World Trade Center USA bewog die Herausgeber der deutschen „Zeitschrift für europäisches Denken: Merkur“ eindeutig Stellung zu beziehen. „Der Merkur macht mobil“ titelte die FAZ daraufhin. Seitdem ist diese Zeitschrift immer reaktionärer geworden. In der Berliner Zeitung bemüht sich heute ihr Herausgeber, der Ästhetikprofessor Karl Heinz Bohrer, seine Wendung zur „Kriegstreiberei“ zu erklären: „Unsere Editorials galten im Grunde nur einer Frage: Nämlich der, dass eine, nennen wir es arabische Form der Kulturkritik am Westen nichts mit einer Kulturkritik im Adornoschen Sinn zu tun hat. Wir haben uns, zweifellos mit einer gewissen Kälte, von einer Sentimentalität  des intellektuellen Umarmens distanziert…“ Der Mitherausgeber des „Merkur“, Kurt Scheel, Autor des Buches „Die Freunde und die Feinde des Islam“, ergänzte Karl Heinz Bohrers Infragestellung eines „aggressiven Panislamismus“: „Eine bestimmte Form von sentimentalem Antikolonialismus und Antiimperialismus spielen wir nicht mit.“

Auch die Allarabischen Aufstände zehn Jahre später haben die zwei Europäischen Denker nicht irre werden lassen, versichert Bohrer: „Plötzlich wurden gewisse Sehnsüchte kulturkritisch-utopischen Denkens, die sich im Abseits befanden [„die müde gewordene deutsche Linke“], durch die Lunte dieser neuen Aggression der arabischen jungen Männer entfacht. Man dachte: Hey, wir haben ja ein neues Motiv. Gegen den alten Feind Amerika, gegen den Kapitalismus haben wir eine neue Munition. Genau das aber haben wir nicht akzeptiert.“

Als der Merkur 2003 mit einem Band „Kapitalismus oder Barbarei“ herauskam, hatte er endgültig seinen Frieden mit dem hiesigen Schweinesystem gemacht. Bei der Vorstellung des Sonderheftes im Stuttgarter Literaturhaus wurden die Herausgeber dafür ausgebuht – „zum Teil mit erstaunlichem Hass“. Wenn das schon ein solches Merkurheft schafft, was soll man dann zu den gemeinsamen Anstrengungen des Westens sagen, der seit der Französischen Revolution bzw. seit Napoleon ununterbrochen „die Araber“ demütigt?

Kurt Scheel meint: „Es ging nach 2001 darum, sich der Grundlagen der westlichen Zivilisation zu vergewissern….Der Araber als der neue edle Wilde, das kommt für uns nicht in Frage. Bei aller Kritik und Selbstkritik, für die wir ja in Europa berühmt sind: Es gibt ein paar Dinge, die wir ernst nehmen müssen, und das sind Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und – wenn man ehrlich mit sich ist – auch Kapitalismus. Es gibt weltweit nun einmal keine freiheitliche Gesellschaft, die nicht kapitalistisch ist.“

Der Merkur ahnte „instinktiv“ bestimmte kapitalistische Tendenzen voraus: Noch vor dem 11.September gab er z.B. ein Doppelheft mit dem Titel „Nach Gott fragen“ heraus: „Wir haben also Reliosität thematisiert, ehe sie zu einer gesellschaftspolitischen Hauptsache wurde.“ Daneben „haben wir es immer auch als Chance verstanden, gezielt elitär zu sein.“ In diesem Zusammenhang ließen sie z.B. in einem ihrer Hefte die Kritik des palästinensischen Literaturwissenschaftlers Edward Said am Araberbild des Westens, von Said „Orientalismus“ genannt, von einem Orientalisten verreißen. Das Interview der Berliner Zeitung mit den beiden scheidenden  Merkur-Hausgebern hat den Titel: „Kein Sinn für edle Wilde“.

Sowohl die Zeitung als auch die Merkur-Macher kommen demnach nicht umhin, mehr und mehr öffentliche Angelegenheiten in den Fokus der Arabischen Aufstände zu stellen, egal, ob man sie bejaht oder bedauert. Das ist eigentlich das ganze Geheimnis einer Revolution. Der Heidelberger Arzt Erich Wulff hat das in seinem Buch „Vietnamesische Lehrjahre“ von Hué aus geschildert: Am Anfang war der „Vietkong“ fast ein Phantom, aber nach und nach nahmen immer mehr Leute aus seiner Umgebung in Hué Kontakt mit der Befreiungsfront auf, die irgendwo „da draußen“ auf dem Land bzw. im Dschungel war. Sie „beschafften Informationen oder transportierten Medikamente ins Maquis“. Die „befreite Zone“ war bald nur noch 10 Kilometer von Hué entfernt. „Das Maquis war nicht mehr, wie 1964, ein Kuriosum, wo man seine Neugierde befriedigte. Es wurde immer mehr zum geistigen, politischen und organisatorischen Zentrum für die Orientierung der Menschen in der Stadt“. Ähnliches passiert nun auch mit dem „Kairo-Virus“, wenn es „dem Westen“ nicht gelingt, rechtzeitig ein wirksames Gegenmittel auf den Markt zu schmeißen.

Die FAZ ging – wie oben erwähnt – bereits 2001 auf Distanz zur „Zeitschrift für Europäisches Denken“, gleichzeitig verschob sie, der Konjunktur folgend, ihren Konservativismus aufs Religiöse. Ihr heutiger Leitkommentar befaßt sich mit dem zu Ende gegangenen Kirchentag in Dresden:

„Zweifelsohne hat der Kirchentag im Laufe der Jahrzehnte dazu beigetragen, Verkrustungen in der evangelischen Kirche aufzubrechen. Aber er hat eben auch geistige und geistliche Verheerungen befördert.“

Ich würde eher von Verirrungen sprechen, dafür spricht, dass die taz ihre tägliche Kirchentagsberichterstattung heuer als Camp-Report aufzog – wie zuvor bereits die Grand Prix d’Eurovision-Begleitung. Über den Kirchentag in Berlin schrieb die taz 2008:

„Der „große Sprung“ von der Bedürfnisbefriedigung zur Begehrnissteigerung hat längst auch die Kirchen erfaßt, die nicht mehr nur mit dem Sexappeal des Buddhismus liebäugeln, sondern selbst in die Offensive gehen – und z.B. den diesjährigen Kirchentag wie eine Love-Parade organisierten. Inhaltlich wurde dazu auf einer Freibühne mit der Pariser Pornographin Catherine Millet und zwei Theologen über den „Kampf ums Glück“ diskutiert.  Zuvor las man ein Kapitel aus ihrem Buch „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ laut vor: „Jacques‘ Eier klatschten gegen meinen Arsch…Nachdem er in mir abgespritzt hatte, zuckte er noch drei mal…“ usw.. Donnernder Applaus des Publikums im Messe-Sommergarten. Der evangelische Theologe setzte später noch ein Kapitelchen von einem männlichen Pornographen drauf, in dem dieser den dicken Zellulitis-Hintern  seiner Geliebten über alle Maßen pries. Noch mehr Applaus!

Die „Kampf ums Glück“-Debatte begann etwas einsilbig mit drei Sportler-Interviews. Ein Basketballer von Alba meinte: „Das Glück ist der Sieg, aber es ist sehr kurz, am nächsten Tag kämpft man schon wieder für die nächste Meisterschaft“, aber die Mannschaft ändere sich interessanterweise immer wieder, „weil viele eingekauft oder auch verkauft werden“. Für einen sich selbst über Sponsoren vermarktenden Profi-„Treppensteiger“ bestand das Glück darin,  ganz oben in den Hochhäusern anzukommen „und einen Blick über Manhattan“ zu werfen. Auch ein Bergsteiger sprach dann vom puren  „Gipfelglück“. Seiner Meinung nach setze es sich aus „Leistung plus Umstände, Wetter z.B., und Risikoprickeln“ zusammen, wobei es schon einen Unterschied mache, „ob man  einen 4000er oder einen 6000er besteigt“. Für Catherine Millet bestand dann jedoch darin – ob sie sich nun von 4000 oder von 6000 Männern „stopfen“ lasse – gerade nicht das Glück, das nichts mit Höhepunkten oder sexueller Befreiung zu tun habe: „Ich wollte dieser Utopie meine  reale Sexualität gegenüberstellen, im übrigen suche ich nicht das Glück, sondern das Vergnügen. Und da hatte ich es, sehr liberal-katholisch erzogen, möglicherweise leichter als andere: Ich bin schon ohne Tabus auf die Welt gekommen!“

Der evangelische Pfarrer war ein begeisterter Millet-Leser, weil sie die christlich aufgeladene Sexualität „entstresst“ habe. Als „Entstressungstheoretiker“ ging er so weit, daß er am Ende gar ein Loblied auf den „langweiligen Liebhaber“ sang. Die katholische Theologin gab dem gegenüber der Pariser Pornographin contra: 1. seien ihre Schilderungen ein „alter Hut“, weil Millet  es stets vorziehe, „passiv von den Männern genommen zu werden“; dabei gehe es heute eher um eine „Entwicklung bzw. Kultivierung des weiblichen Begehrens“, 2. waren ihr die Schilderungen zu oberflächlich, denn die „Authentizität ist ja auch bereits normiert“ und 3. sei Millets Aufspaltung „in Körper und Seele“, wobei sie sich auch noch auf den Katholizismus berufe („ich identifiziere mich nicht mit meinem Körper, der nur eine Hülle ist“), theologisch kaum mehr haltbar – wenn nicht sogar falsch. Der evangelische Theologe pflichtete ihr da bei und wollte ebenfalls beim Ficken nicht gerne geistig außen vor bleiben, meinte jedoch gegenüber der Katholin noch einmal betonen zu müssen: „Das Leiden sollte man nicht zu hoch hängen. Glück hat etwas mit Seelenfrieden und nicht so viel mit Euphorie zu tun“. Die Pornographin sah das wiederum ähnlich: „Der körperliche Kontakt war für mich bloß der einfachste Zugang zu den Anderen“. Die Katholin bestand aber darauf, daß dieser „Kontakt“ ein „Mysterium“ sei. Dazu assoziierte der Evangele sogleich: „Ekstase, Religion, Nähe“. Für Millet bedeutete Nähe aber nur „Vertrauen – auch und gerade in kurzen Begegnungen, in denen man vielleicht sogar freier“ sei.

Bei dieser Kirchentags-Großveranstaltung kam das kollektive Glück nur noch in der „Mannschaft“ bzw.  im „Gruppensex“ und die Gesellschaft (le social)  als „Gangbang“ vor. Insofern lieferte er die Theorie zur Berliner Umzugspraxis, die in Wahrheit eine Neolibertinage als Wirtschaftsfaktor ist und der Standortsicherung dient.“

Dem FAZ-Leitkommentator hat auf dem diesjährigen Kirchentag anderes gestört:

„Dass die Rituale des Kirchentags Elemente der diffusen Welt- und Naturfrömmigkeit in sich aufnehmen, ist für sich genommen kein Schaden…Zur Schwierigkeit für das evangelische Christentum wird diese Tendenz allerdings dort, wo sie hinausgreift über das, was mit dem fragwürdigen Begriff der Spiritualität bezeichnet wird: auf die Bereiche also, wo Frömmigkeit in Form von Theologie reflektiert wird oder als private Moral und politische Beteiligung auf das Handeln ausgerichtet ist.

Die Gottesrede hat an Prägnanz eingebüßt. Die Kraft des Evangeliums, das die Menschen in ihren Ängsten und in ihrer Schuld anspricht, mit der sie durchs Leben gehen und über die sie eben nicht offen sprechen wollen, wird in Predigten nur selten erfahrbar.“

Gerade hat der Wissenssoziologe in seinem neuesten Buch über die Religion: „Jubilieren“ das Gegenteil bewiesen: „Die Welt hat ‚den Glauben verloren‘ heißt es. Nein, der ‚Glaube‘ hat die Welt verloren.“ Er will mit seiner Studie sehen, „ob die Maschine, die Religionsmühle, nicht doch zu reparieren ist“. Darum geht es auch dem FAZ-Kommentator. Dennoch weiß der „Agnostiker“ Latour „sehr wohl, es gibt keine Form gemeinschaftlichen Lebens mehr, kein allgemein akzeptiertes Sprachspiel, das ermöglichen würde, die Liebeserfahrung hinreichend zu erweitern, um nicht mehr von dem Mikrovolk der Verliebten zu sprechen, die immer ‚allein auf der Welt‘ sind, sondern von der virtuellen großen Nation derer, die endlich realisieren, was ihre Vorläufer meinten, als sie die Heiligen Schriften lasen, als sie sie verfaßten.“

Im Gegensatz zu Latour bedauert der FAZ-Kommentator das Fading-Away des Wortes Gott:

„An diese Stelle tritt eine appellative Trivialmoral sowie der Jargon menschlicher Nähe. Da soll man sich dann „dazu eingeladen fühlen“, „einander in Würde zu begegnen“ oder auch „miteinander umzugehen“, was, natürlich, ausschließlich „achtsam“ zu erfolgen habe. Kann das standhalten, wenn die Stürme des Lebens wüten? Die Sprache des Glaubens kann sehr einfach sein. Es ist nicht nötig, Bildungsbürger zu sein, um sie zu beherrschen. Banal aber darf diese Sprache nie werden.“

Sie ist aber nun mal „banal“ geworden, deswegen meint Latour: Vor allem darf man nicht „glauben“, wenn man über Religion sprechen will.

Die somalische Schriftstellerin Ayaan Hirsi Ali hat das auf feministische Weise vorgemacht – in ihrer Autobiographie „Mein Leben, meine Freiheit“ (siehe dazu die gestrige blog-eintragung).

Die Berliner Zeitung vermeldet heute, dass die Ägyptische Revolution auch die Außenpolitik verändert hat:

Diese wird nun von „Bürgerdiplomaten“ flankiert, wenn nicht vorangetrieben. In Äthiopien  hat eines dieser „Kollektive“ bereits einen ersten Erfolg erzielt: Es gelang ihr, den „Kalten Krieg am Nil“ um die Verteilung des Wassers zu beenden – Äthiopien verhängte bereits einen Baustopp für den  umstrittenen Staudamm. Ein anderes Kollektiv von „Bürgerdiplomaten“ hat sich ein weiteres Kollektiv auf den Weg nach Iran gemacht, um auch diesen „Kalten Krieg“ seit der iranischen Revolution zu beenden.

Die Bürgerdiplomatie ist eine amerikanische Erfindung:

Um dem von US-Präsident Reagan forcierten Kalten Krieg entgegenzuwirken, kam 1982 auf Betreiben der „Citizen Diplomacy“-Bewegung eine „Telebrücke“  zwischen Moskau und San Francisco zustande: Zwei Rockbands – hier und dort – versuchten trotz einer Realzeit-Differenz von 2,5 Sekunden zusammen zu spielen. Und es gab eine Diskussion zwischen amerikanischen und sowjetischen Studenten. Der Berliner Autor Wladimir Kaminer, der am 5. September 1982, als sie stattfand, noch Schüler in Moskau war, sah diese Veranstaltung im Fernsehen: „Das Gespräch ging nicht wirklich voran. Die erfolgreichen Ernten und die Fortschritte im Maschinenbau interessierten die amerikanischen Freunde nicht, stattdessen kamen sie gleich zur Sache. Ein großer Blonder in einem Holzfällerhemd wollte wissen, wie es mit dem Sex in der Sowjetunion sei. Unsere Antwort auf diese hinterhältige Frage kam von einer molligen Dame mit einer komplizierten Frisur: ‚Bei uns in der Sowjetunion gibt es keinen Sex‘.“

Kaminer meint, sich erinnern zu können, dass sie „…im Fernsehen“ hinzufügen wollte, dies sei jedoch durch das brüllende Gelächter der Amerikaner vereitelt worden. Tatsache ist jedoch, dass es keinen Sex im Sozialismus gibt. Neben vielen anderen hat der  kommunistische Psychoanalytiker Wilhelm Reich bis hin zu seinen Faschismus-Studien immer wieder herausgearbeitet, dass und wie unsere Sexualität im Kapitalismus zugerichtet wird: Eine Gesellschaft, die die „biologische Ur- und Grundfunktion ächtet, die der Mensch mit allem Lebendigen gemeinsam hat“, schafft es seiner Meinung nach allenfalls bis zur Pornographie, aber nicht zur Erfassung biologischer Funktionen für die Freiheit.“ Und Sex ist Pornographie. Sex sells. Es ist der Kern des Konsumismus. Der mit diesem – im Sozialismus – verschwindet, indem er dem Wunsch nach Aufhebung aller Trennungen im Spiel mit der Differenz weicht. Der Philosoph Gilles Deleuze gibt zu bedenken, dass dieser Wunsch dabei durchaus auch der Lust in die Quere kommen kann.

Die Nachrichtenagenturen melden heute aus den islamischen Aufstandsgebieten:

1.In der jemenitischen Hauptstadt feiern die Aufständischen noch immer die Flucht des Staatspräsidenten in ein saudi-arabisches Krankenhaus. (AP) Der Tahrirplatz in Sanaa heißt jetzt nicht mehr Platz der Befreiung, sondern der Veränderung.

2. Regierungstruppen und Aufständische haben sich im Westen Libyens heftige Gefechte geliefert. Eine deutsche Mitarbeiterin der Organisation Ärzte ohne Grenzen, die im Krankenhaus der Stadt Al-Sintan Hilfe leistet, sagte, am Montag seien in der Stadt zwei Zivilisten ums Leben gekommen, als eine Rakete ein Haus traf. Die Regimegegner meldeten Kämpfe auch aus Al-Sawija und aus einem Gebiet nahe der Grenze zu Tunesien. (dpa)

3. In Syrien geht die Staatsmacht immer härter gegen die ihr beharrlich trotzenden Demonstranten vor. Menschenrechtler erklärten am Wochenende, allein am Freitag hätten Sicherheitskräfte mindestens 70 Zivilisten getötet. Der Tag gehörte damit zu jenen mit den meisten Opfern seit Beginn des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad vor elf Wochen. Mindestens 60 Demonstranten starben allein in der Stadt Hama. Am Samstag trugen dort laut einem Oppositionellen Hunderttausende die Opfer zu Grabe. „Die Wut in der Stadt ist sehr groß“, sagte der Mann. „Die Menschen werden niemals Ruhe geben oder sich einschüchtern lassen.“

In der Nacht zum Sonntag schossen Assad-Getreue auf rund 7000 Demonstranten, die in der ostsyrischen Stadt Deir al-Sor eine Statue von Assads verstorbenen Vater Hafes umstürzen wollten. Zahlreiche Menschen wurden Anwohnern zufolge verletzt.

In Hama hatte Assads Vater als Präsident des Landes 1982 einen islamistischen Aufstand niederschlagen lassen. Dabei wurden bis zu 30.000 Menschen getötet. Die jüngsten Proteste für demokratische Reformen reißen trotz der Freilassung Hunderter politischer Gefangener im Zuge einer Amnestie nicht ab.

Außer in Hama starben auch in anderen Landesteilen Demonstranten: Sieben Menschen seien in Rastan im Zentrum des Landes getötet worden, teilte eine weitere Menschenrechtsorganisation mit. Die Stadt wird seit Sonntag vergangener Woche von Panzern belagert. Zudem wurden auch in der nordwestlichen Provinz Idlib zwei Menschen und in Damaskus eine Person getötet. (Reuters)

4. Die Gewalt im Irak nimmt wieder zu. Unbekannte feuerten am Montag eine Rakete auf einen Militärstützpunkt am Flughafen von Bagdad und töteten fünf US-Soldaten. Das US-Militärkommando im Irak bestätigte den Tod der Soldaten, nannte jedoch keine Details. Die letzten US-Truppen sollen Ende dieses Jahres das Land verlassen.

In der nördlichen Stadt Tikrit tötete ein Selbstmordattentäter elf Soldaten. 19 Menschen wurden nach Informationen aus Sicherheitskreisen verletzt, als er sich mit einer Autobombe an einer Straßensperre vor einer Wohnsiedlung in die Luft sprengte, die von Politikern und hochrangigen Staatsdienern bewohnt wird. (AP)

5. Bei drei US-Drohnenangriffen sind im Nordwesten Pakistans insgesamt mindestens 18 mutmaßliche Aufständische getötet worden. Alle Angriffe ereigneten sich am Montagmorgen im Bezirk Süd-Waziristan an der Grenze zu Afghanistan. Dort war erst am Freitag bei einem US-Drohnenangriff vermutlich der El-Kaida-Führer Ilyas Kashmiri getötet worden, wie von amtlicher pakistanischer Seite verlautete.

Die USA stellen inzwischen nach einer Umfrage für mehr als ein Drittel der Pakistaner die größte Bedrohung der südasiatischen Atommacht dar. Amerika wird damit in der nicht repräsentativen Befragung von 500 Pakistanern durch die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) als gefährlicher wahrgenommen als die Wirtschaftskrise, der Terrorismus oder der Erzfeind Indien. (dpa)

6. Mehrere tausend Jugendliche haben in Marokko erneut tiefgreifende politische Reformen gefordert. Im Gegensatz zu vorherigen Sonntagskundgebungen schritten die Sicherheitskräfte nach Angaben eines AFP-Reporters diesmal nicht ein und ließen einen Demonstrationszug unter anderem in Casablanca zu. „Wir demonstrieren, um eine wirkliche Demokratie zu fordern“, sagte Achmed Mediani von der Bewegung des 20. Februar. Sie hat sich nach dem Tag der ersten Proteste in Marokko benannt, ihr gehören vor allem Jugendliche an.

Auch in der Hauptstadt Rabat sowie in Tanger im Norden des Landes habe es am Sonntag friedliche Protestzüge gegeben, berichteten Teilnehmer. An den drei Wochenenden zuvor war die Polizei noch gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen. (AFP)

7. Rund fünf Wochen vor der Unabhängigkeit des Südsudans nehmen die Spannungen in der Grenzregion zum Norden weiter zu. Die Vereinten Nationen untersuchen nach Informationen des britischen Senders BBC die Hintergründe der jüngsten Kämpfe in der Region Süd-Kordofan. Die Gefechte brachen am Wochenende aus, nachdem Bewaffnete eine Polizeistation in der Hauptstadt des Bundesstaates, Kadugli, gestürmt und Waffen erbeutet hatten.

Seit dem Referendum im Januar, in dem sich 99 Prozent der Südsudanesen für die Unabhängigkeit aussprachen, nehmen die Spannungen zu. Am 9. Juli wird der ölreiche Südsudan offiziell unabhängig, der vorwiegend die Heimat von Christen und Anhängern afrikanischer Religionen ist, während der Norden islamisch-arabisch geprägt ist. (epd)

8. Die nigerianische Polizei hat 32 Mädchen befreit, die zur Schwangerschaft gezwungen worden sein sollen, um die Babys anschließend zu verkaufen. Die Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren seien bei der Erstürmung eines Gebäudes in der Stadt Aba im Südosten Nigerias befreit worden, sagte der Polizeichef der Provinz Abia, Bala Hassan, am Mittwoch. Der Besitzer des Hauses werde verhört. Zeugen würden ihm vorwerfen, Kinder unter anderem für religiöse Rituale zu verkaufen.

Derzeit würden in nigerianischen Gerichten zahlreiche ähnliche Fälle verhandelt, sagte Hassan. Einige der Mädchen sagten der Polizei, für ihre Babys seien ihnen umgerechnet zwischen 110 und 130 Euro geboten worden. Nach Angaben der nationalen Behörde zum Kampf gegen Menschenhandel (NAPTIP) werden Babys dann für das Zehn- bis 30-fache weiterverkauft.

Vor drei Jahren hatte die nigerianische Polizei ein ganzes Netzwerk solcher Häuser aufgedeckt, die in der örtlichen Presse als „Babyfabriken“ oder „Babyfarms“ bezeichnet werden. Im Westen Afrikas ist Menschenhandel weit verbreitet, Kinder werden unter anderem für Arbeit auf Feldern, in Minen, in Fabriken oder im Haushalt verkauft. Einige werden auch zur Prostitution gezwungen, in einzelnen Fällen sollen sie auch in Ritualen schwarzer Magie gefoltert oder getötet worden sein. Laut NAPTIP kommt es auch immer wieder zu illegalen Adoptionen. Der UNESCO zufolge ist der Menschenhandel in Nigeria nach Wirtschaftsbetrug und Drogenhandel das dritthäufigste Verbrechen. (AFP)

9. Polizisten in Malaysia haben 30 mutmaßlichen Prostituierten bei einer Razzia mit einem Filzstift zur Wiedererkennung Kreuze auf die Stirn gemalt und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Malaysische Zeitungen veröffentlichten am Freitag Bilder von 29 Chinesinnen und einer Vietnamesin mit Kreuzen auf Stirn und Dekolleté nach einer Aktion der Polizei in einem Nachtclub auf der Insel Penang. Die Menschenrechtsgruppe EMPOWER zeigte sich empört. Die Aufgabe der Polizei sei es, Ermittlungen einzuleiten und nicht, „diese Frauen in aller Öffentlichkeit zu demütigen“, erklärte die Organisation am Samstag. Zudem sei fragwürdig, weshalb die mutmaßlichen Kunden und Zuhälter nicht so behandelt worden seien. (AFP)

10. Ein Alevit sagte mir gestern im alevitischen Kulturzentrum: „Wir haben doch die Türkei überhaupt gemacht – Tourismus und Alkohol. Ohne das gäbe es die Türkei heute gar nicht mehr.“ AFP meldet heute aus der Türkei:

„Die Zahl der Todesopfer des jüngsten Skandals um gepanschten Alkohol in der Türkei hat sich auf vier erhöht. Ein 28-jähriger Russe sei in einer Klinik im westtürkischen Denizli gestorben, meldeten türkische Medien am Montag. Wie die anderen Opfer hatte er an einem Bootsausflug im südwesttürkischen Bodrum teilgenommen, bei dem Ende Mai gepanschter Alkohol ausgeschenkt worden war.

Erst vor zwei Jahren hatten drei deutsche Berufsschüler bei einem Türkei-Urlaub gepanschten Alkohol getrunken und waren daran gestorben. Mangelhafte Kontrollen und hohe Steuern auf Alkohol sorgen nach Meinung von Experten für einen florierenden Schwarzmarkt für gepanschten Schnaps.“

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