Freitagsgebet in Kairo. Beobachter teilen mit, dass in den letzten Jahren immer mehr Männer mit einem Hühnerauge auf der Stirn im Strassenbild auftauchten, was darauf hindeutete, dass sie zunehmend inbrünstiger beteten. Nebenbeibemerkt: Selbst hartnäckige Kritiker des Glaubens gehen nicht so weit zu behaupten, dass die Kraft eines Gebets im Quadrat seiner Entfernung abnimmt. Photo: nachrichten.de
Jürgen Habermas hat heute in der FAZ, die von einer „Arabellion“ redet, seine Laudatio auf seinen Japanischübersetzer, den Sozialphilosophen Kenichi Mishima, veröffentlicht, den die FAZ und auch wohl Habermas als „einen der wichtigsten Impulsgeber für den interkulturellen Diskurs zwischen Asien und Europa“ bezeichnen. An einer Stelle heißt es dort:
„Den japanischen Okzidentalismus begreift Mishima als Reflex der Unterworfenen auf die Projektionen eines Siegers, der sich in einem bornierten Selbstverständnis verschanzt: ‚Die von den Europäern bezwungenen Menschen neigen dazu, sich selbst mit den mal falsch, mal richtig, imitierten europäischen Augen einzuschätzen’…
Den geheimen Maßstab für Mishimas Untersuchungen bildet die Überzeugung, dass wir aus dem Schatten des Kolonialismus erst wirklich heraustreten, wenn sich ein reziprokes Verständnis für die jeweils andere Moderne und für deren unvertrauten kulturellen Hintergrund einspielt.“
Obwohl heute am Freitag der arabische Raum brodeln soll – vor zorn, wurde noch nicht viel von dort gemeldet, wahrscheinlich erst nach den Freitagsgebeten, aber ich weiß nicht, wann die zu Ende sind…
In seinem taz-blog „arabesken“ schreibt Karim El-Gawhary heute:
„Es geht Alles so rasend schnell. Soll man heute nach Bahrain blicken, wo die Toten von gestern begraben werden und sich die Begräbnisfeiern wahrscheinlich zu einem neuen Höhepunkt der Demonstrationen gegen den König entwickeln werden. Schon gestern nachdem der Lulu Platz, der Platz der Perle, brutal geräumt worden war, wanderte der Protest einfach in die Krankenhäuser weiter…
Oder soll man nach Libyen schauen, wo Gaddafi versucht den Aufstand unter Ausschluss der Öffentlichkeit niederzuschlagen, indem er Polizei, bezahlte Schläger und eine SMS aussendet, die die Menschen warnt gegen das Regime auf die Straße zu gehen, weil scharf geschossen wird. Auch hier werden die heutigen Freitagsgebete ein wichtiger Indikator sein, wie es weitergeht.
Die Antwort der Regime ist überall gleich: sie setzten ihren Sicherheitsapparat als einzige Antwort ein und versuchen die Menschen einzuschüchtern. Die wiederherum versuchen auf der Straße die kritische Masse zu erreichen, um dem Sicherheitsapparat widerstehen zu können. Selbst in Syrien hat es inzwischen angefangen…“
Die Nachrichtenagenturen meldeten bisher:
Über eine Million Menschen haben in Kairo auf dem zentralen Tahrir-Platz an den Freitagsgebeten teilgenommen. Dabei wurden die Militärherrscher zu zügigen Reformen aufgefordert. Genau eine Woche nach dem Rücktritt von Präsident Husni Mubarak folgten die Demonstranten einem Aufruf der Demokratiebewegung, den „Freitag des Sieges“ feiern. Augenzeugen berichteten von einer entspannten und fröhlichen Stimmung. Es wurde damit gerechnet, dass nach dem Mittagsgebet am Freitag weitere Zehntausende Menschen zum Tahrir-Platz strömen. „Wir wollen den Druck auf das Militär aufrechterhalten“, sagte ein Aktivist der Nachrichtenagentur dpa.
Im Golfstaat Bahrain versammelten sich am Freitag rund 15000 Menschen zu „Märtyrer-Begräbnissen“ – der Beisetzung von drei getöteten Demonstranten. Gleichzeitig formierten sich in der Hauptstadt Manama zwei kleinere Demonstrationszüge von Regimegegnern und Anhängern des Königshauses
In der bahrainischen Hauptstadt Manama war eine weitere Trauerfeier für einen vierten Toten am Nachmittag geplant. Er war ebenfalls ums Leben gekommen, als die Sicherheitskräfte in der Nacht zum Donnerstag das Lager der zumeist schlafenden Demonstranten auf dem zentralen Lulu-Platz in Manama stürmten. In Manama sind inzwischen Panzer aufgefahren, auf dem Platz sind Soldaten im Einsatz, die neue Proteste verhindern sollen.
In Libyen waren nach Angaben aus Oppositionskreisen am Vortag landesweit etwa 45 Menschen von den Sicherheitskräften getötet worden. Auf Amateurvideos, die von Demonstranten ins Netz gestellt wurden, waren mehrere Leichen junger Männer zu sehen. Andere Aufnahmen zeigten Hunderte Demonstranten, die in der Mittelmeerstadt Tobruk ein Denkmal für das von Gaddafi verfasste „Grüne Buch“ niederrissen, in dem der Revolutionsführer einst sein politisches Programm formuliert hatte. Gaddafi will nun einen seiner Söhne ins Zentrum des Aufstandes schicken. Die libysche Zeitung „Al-Watan“ meldete am Freitag, Al-Saadi al-Gaddafi (37), der international bisher vor allem als Spieler bei italienischen Fußballvereinen aufgefallen war, solle nach Bengasi im Osten des Landes umziehen, um dort einen Aktionsplan zur Verbesserung der Infrastruktur umzusetzen.
Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern der neuen Regierung in Jordanien sind am Freitag in der Hauptstadt Amman zehn Demonstranten verletzt worden. Augenzeugen berichteten, die Polizei sei nicht eingeschritten. Nach diesen Angaben protestieren Hunderte von Gläubigen nach dem Gebet in der Al-Hussein-Moschee gegen die Regierung von Maruf Bachit, die König Abdullah II. Anfang des Monats eingesetzt hatte. Sie wurden von Anhängern des Königs und von Straßenhändlern vor der Moschee mit Stöcken attackiert.“
Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Uhlau gab zu Protokoll: „Tunesien war letztlich eine Überraschung“.
Der englische Geheimdienstler T.E. Lawrence (von Arabien) schrieb schon 1926 – in „Die sieben Säulen der Weisheit“:
„Das Wissen über die Machtverhältnisse der arabischsprachigen Völker und die Landesnatur führte zu der Schlußfolgerung, dass der Ausbruch einer solchen Rebellion begrüßenswert wäre, und bot sogar konkrete Hinweise auf ihre Abläufe und Methoden… Gleichwohl kam der Aufstand des Scherifs von Mekka für die meisten mehr oder weniger überraschend.“
Neben einem Bericht über die streikenden Arbeiterinnen in den staatlichen Textilfabriken von Mahall al Kubra durckte die FAZ ein Interview mit dem von ihr so genannten geistigen Urheber der Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten ab – den US-Politologen und Direktor der amerikanischen Albert Einstein Institution Gene Sharp, dessen Buch – „Von der Diktatur zur Demokratie“, das er 1993 für die Burma-Initiative von George Soros schrieb, zum Leitfaden für die Schulungen der serbischen Jugendbewegung Otpor wurde. Diese Truppe, die sich jetzt „Zentrum für gewaltlosen Widerstand“ nennt, wird ebenfalls von George Soros finanziell unterstützt. Sie soll bewaffnet mit dem Buch des Harvard-Professors Sharp auch die ukrainische Jugendorganisation Pora und die Rosenrevolutionäre in Georgien geschult haben. Harvard – das ist sozusagen der Think-Tank der CIA. Aber Sharp bleibt bescheiden:
„Meine Schriften mögen den Protestierenden in Ägypten nützlich gewesen sein. Aber natürlich gebührt den Aktivisten das Lob, nicht mir…Das Wichtigste ist, dass die Ägypter sehr früh ihre Angst überwunden haben. Das ist eine erstaunliche Transformation für Leute, die jahrzehntelang unterdrückt worden sind…Dass Demonstranten versuchen, den zentralen Platz der Hauptstadt zu besetzen, gehört zum Standardrepertoire. Am Ende kommt es nicht so sehr auf einzelne Methode an, der Gesamtplan muß stimmen. Eine Revolution muß generalstabsmäßig vorbereitet werden. Die Aufständischen dürfen sich nicht von kurzzeitigen Veränderungen zu Kurzschlußhandlungen hinreißen lassen. Die Revolution in Ägypten war von langer Hand gerplant, wie mir scheint. In Tunesien haben sich die Proteste dagegen spontaner ausgebreitet.“ von der Provinz aus.
Die Windschutzscheibe von Polizeiautos mit Farbe zu besprühen – wie in Kairo geschehen ist laut Sharp „keine der 198 Methoden, die ich in meinen Büchern empfehle, ich würde sie jedoch nicht als Gewalt bezeichnen.“ Das iranische Regime könnte seiner Meinung nach als nächstes stürzen. Und das Internet bezeichnet er als ein „gutes Werkzeug“, er selbst sei im übrigen kein „Werkzeug – der amerikanischen Regierung“.
Die US-Chefin des preußischen Albert Einstein Forums, Susan Neiman, hat ebenfalls eine „Art Gebrauchsanleitung“ für politisches Handeln veröffentlicht:
„Im Kern geht es der Autorin darum, moralische Belange wieder zum Gegenstand und Antrieb der Politik zu machen,“ schreibt der FAZ-Rezensent, dem das Buch zu langatmig und wirr – „Von Sodom bis Abu Ghraib“ – ist. Ansonsten hat er anscheinend nichts gegen eine Stärkung der Moral in der Politik einzuwenden.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an Michel Foucault, der seine Recherchen gerne als „Werkzeugkasten“ bezeichnete bzw. zur Verfügung stellte. Über die Moral äußerte er sich einmal im Kontext des Begriffs der Freundschaft – die das genaue Gegenteil von bürgerlicher Politik ist:
Er definierte die Freundschaft als “die Summe all der Dinge, über die man einander Freude und Lust bereiten kann”. Und in bezug auf seine bzw. die Homosexualität meinte er: “Das Ziel, auf das die Entwicklung der Homosexualität hinausläuft, ist das Problem der Freundschaft.” Das gilt auch für die Entwicklung der Heterosexualität.
Dieses “Problem” stellte er in den Horizont einer “Ethik – “als einer Form, die man seinem Verhalten und seinem Leben zu geben hat”. An anderer Stelle spricht er von der notwendigen “Suche nach Existenzstilen – mit möglichst großen Unterschieden untereinander”. Notwendig deswegen, weil die bisherige “Suche nach einer Form von Moral, die für alle annehmbar wäre – in dem Sinne, dass alle sich dem zu unterwerfen hätten,” sich als eine “Katastrophe” darstellte. Statt “Ethik” könnte man hierbei auch von “Praxis der Freiheit” reden: Einerseits ist “die Freiheit die ontologische Bedingung der Ethik”, andererseits ist die “Ethik die reflektierte Form, die die Freiheit annimmt”. Und dabei kann man eben auch von “Existenzstil” oder “Lebenskunst” sprechen. “Was mich erstaunt, ist, dass in unserer Gesellschaft die Kunst nur noch eine Beziehung mit den Objekten und nicht mit den Individuen oder mit dem Leben hat, und auch, dass die Kunst ein spezialisierter Bereich ist, der Bereich von Experten, nämlich den Künstlern. Aber könnte nicht das Leben eines jedes Individuums ein Kunstwerk sein?”
In Tadschikistan hat der Präsident seine Geheimdienste angewiesen, die Moscheen stärker zu überwachen, damit die „Extremisten“ dort den Jugendlichen keine „Gehirnwäsche“ verpassen. Auch die tadschikische „Partei der islamischen Wiedergeburt“ ist dafür, die „Extremisten – namentlich die aus Saudi-Arabien importierten sunnitischen „Salafiten“ – zu verbieten.
Kurdistans berühmtester Sänger – Sivan Perwer – wagt die Rückkehr in die Türkei“. Hoffentlich muß man jetzt nicht auch sofort eine Freilassungskampagne wie für den Schriftsteller Doghan Akhanli beginnen, der ebenfalls die Rückkehr in die Türkei wagte und gleich ins Gefängnis kam. Er schreibt jetzt ein Buch über die vielen jungen Kuden, die er dort im Gefängnis traf.
Im SZ-Feuilleton lobt ein Autor die „Streitschrift wider die Islamkritik“ des FAZ-Feuilletonchefs als ein „Meisterwerk der Aufklärung“. Das ist jetzt aber übertrieben.
In mehreren arabischen Staaten sind die Sicherheitskräfte weiter mit Gewalt gegen protestierende Oppositionsanhänger vorgegangen, meldete AFPum 17 Uhr 25 :
„Im Jemen wurden bei Angriffen auf Demonstranten am Freitag mindestens vier Menschen getötet, in Bahrain schossen Sicherheitskräfte auf Teilnehmer einer Kundgebung und verletzten dutzende Menschen. Dagegen feierten die Menschen in Ägypten den Sturz von Staatschef Husni Mubarak vor einer Woche.
In der jemenitischen Stadt Taes warfen Unbekannte eine Granate mitten in die Menge von Demonstranten, nach Angaben von Sanitätern starben zwei Menschen, 27 weitere wurden verletzt. Ein Augenzeuge sagte der Nachrichtenagentur AFP telefonisch, er habe ein Behördenfahrzeug gesehen, aus dem eine Granate abgeschossen worden sei, bevor die Insassen Schüsse in die Luft abgegeben hätten. In der Stadt Aden starben nach Angaben von Ärzten zwei Menschen, als Sicherheitskräfte eine Demonstration auflösten. Auch in anderen Städten des Landes wurden Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern der Führung verletzt.
Bei einer Oppositionskundgebung in Manama, der Hauptstadt von Bahrain, eröffnete die Polizei das Feuer auf die Demonstranten. Dabei wurden dutzende Menschen verletzt, wie ein AFP-Fotograf berichtete. Es war die erste Kundgebung in dem Land, seit bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten in der Nacht zum Donnerstag vier Menschen getötet worden waren. Tausende Schiiten wohnten nahe von Manama der Beisetzung der vier Todesopfer bei.
Nach tagelangen Protesten gegen den libyschen Herrscher Muammar Gaddafi drohen dessen Gefolgsleute nun mit massiver Gewalt gegen Oppositionelle. Die Revolutionskomitees erklärten, weitere Demonstrationen würden mit „harter“ Gewalt beantwortet. In Benghazi, der zweitgrößten Stadt des Landes, nahmen tausende Menschen an der Beisetzung von am Vortag getöteten Demonstranten teil. Seit Dienstag wurden bei den Protesten laut Human Rights Watch mindestens 24 Menschen durch Sicherheitskräfte getötet.
Im Iran folgten zehntausende Regierungsanhänger einem Aufruf von Präsident Mahmud Ahmadinedschad und demonstrierten in aufgeheizter Stimmung gegen die Opposition. Die vor der Teheraner Universität versammelte Menge rief Todesdrohungen gegen die Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karubi: „Tod Mussawi, Tod Karubi“. Geistliche nutzten das Freitagsgebet zu Anfeindungen der Regierungsgegner.
Eine Woche nach dem Sturz von Staatschef Mubarak forderten hunderttausende Ägypter auf dem Tahrir-Platz in Kairo demokratische Reformen ein. Die Menge feierte das Ende der 30-jährigen Herrschaft Mubaraks und gedachte der mehr als 360 Menschen, die bei den Protesten gegen den Machthaber starben. „Das ist eine Party. Wir sind froh, Mubarak ist weg“, sagte ein Demonstrant.“
Die Nachrichtenagentur dpa meldete um 16 Uhr 50:
„Deutschlands erster Imam-Ausbilder Mouhanad Khorchide beklagt die zögerliche Rolle des Islams bei den Umwälzungen in den arabischen Ländern. „Wo ist der Beitrag des Islam, damit diese Ungerechtigkeiten ein Ende haben?“, sagte Khorchide dem „Westfalen- Blatt“ (Samstag). Der Wissenschaftler soll bald die ersten Imame an deutschen Hochschulen ausbilden.
„Wieso trägt die Religion, beispielsweise in Saudi-Arabien, nicht zu Veränderungen bei, obwohl dort Tag und Nacht von Religion gesprochen wird?“ Dort werde eine falsch verstandene Religion propagiert. Sie legitimiere lediglich die bestehenden Verhältnisse, kritisierte Khorchide. Er hoffe, die Proteste in den arabischen Ländern führten auch zu einer Erneuerung des Islams. Die Menschen gingen zwar auf die Straße, um politische und soziale Reformen herbeizuführen. ‚Ich hoffe aber, dass sie den Wunsch nach Veränderung in das Bild ihrer Religion aufnehmen‘.“
Moderne Moschee in Köln. Photo: fact-fiction.net