vonHelmut Höge 15.02.2011

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Die Schlacht bei den Pyramiden, 1789. Photo: de.academic.ru


Überall wird im arabisch-islamischen Raum – bis in den Iran – gegen die dortigen Regime demonstriert. Zwar macht die taz heute mit der zynischen Überschrift „Tunesier, meidet Europa!“ auf, aber sonst hat sie sich an diesem grauen, kalten Dienstag ganz gut um „den arabischen Aufstand“ gekümmert.

Auf Seite 1 beginnt es mit einem Bericht über die Protestaktionen gegen das Regime im Iran. Wegen der Berlinale und zwei repressierten iranischen Regisseuren war der Iran schon in den Tagen davor Hauptthema der taz-Orientberichterstattung gewesen. Sie hatte ihre erste Ausgabe dazu sogar grün eingefärbt. Heute wird der Iran-Artikel   aber schon verbunden mit Berichten über die Entwicklung des Aufstands im Jemen – und über den „Tag des Zorns“ im Golfstaat Bahrain, von dessen Existenz ich bis dahin noch gar nichts gewußt hatte, geschweige denn, dass es dort eine „Facebook-Generation“ gibt, die jetzt – infiziert vom „Kairo-Virus“ – aufbegehrt. (1)

Der Iranbericht in der taz stammt von dem untadeligen SDS-Genossen Bahman Nirumand, der jetzt wohl ebenfalls nächtens Aufstands-Nachrichten aus dem nahen und doch so fernen Osten angelt – im Internet und per Telefon.

Eher Lustiges bzw. Menschlich-Allzumenschliches berichtet die taz aus dem Epizentrum des Aufstands – vom Kairoer Tahrir-Platz:

„Die Armee hatte zunächst die Kontrolle über den Tahrir-Platz, das Symbol der Bewegung, erlangt. Der Verkehr floss wieder. Doch dann marschierten hunderte Polizisten ungehindert dorthin und solidarisierten sich mit der Protestbewegung. Sie kamen teils in Uniform, teils in Zivil. „Wir und das Volk gehören zusammen“, riefen Polizisten in Sprechchören. Viele schwenkten die ägyptische Fahne. Mit der Solidaritätskundgebung sollten auch „die Märtyrer der Revolution“ geehrt werden, erklärten die Polizisten. Die meisten Ägypter betrachten die Polizei allerdings als Ausführungsorgan des alten verhassten Machtapparats.“ (Hinzugefügt sei, dass der „Tag der Revolte gegen Folter, Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit“ am Dienstag, 25. Januar, mit dem „Tag der Polizei“ zusammengefallen war, einem Feiertag zu Ehren der ägyptischen Sicherheitskräfte.

Der Oberste Militärrat rief in einem neuen Kommuniqué am Montag zum Ende der Proteste und der anhaltenden Streiks auf.

In Berlin warnte derweil der Bischof vor einer „Christenverfolgung“ in Ägypten. Wenn ich das richtig verstanden habe, verlangte er „Sicherheiten“ für sie. Auch das Wort „Verantwortung“ fiel glaube ich in seinem Kommunique. (2)

In dem „Roman aus Ägypten“ von Alaa al-Aswani: „Der Jakubijan-Bau“ heute Morgen lesend wunderte ich mich, dass dort in dem Kairoer Mietshaus, um dessen Bewohner es in dem 2010 veröffentlichten Buch geht, noch oder schon von „Projekten“ die Rede ist. Übersetzungsfehler? Mehrheitlich handelt es sich bei der Personnage des Romans um Mieter, die ihre beste Zeit, ihre Jugend, in den Fünfzigerjahren hatten, als sie sich  mit dem Schwung des Nasserschen Sozialismus persönlich vom Arbeiterkind zum Geschäftsmann aufschwangen. (3)

Der Aufstand von Kairo, 1808, Detail. Photo: reproarte.com


In Bahrain war der „Montag des Zorns“ so ausgegangen:

„Augenzeugenberichten zufolge setzten die Beamten Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten in der überwiegend von Schiiten bewohnten Ortschaft Newidrat im Südwesten des Golf-Königreichs ein. Mehrere Menschen seien verletzt worden. Erste Zusammenstöße gab es bereits am Sonntag in der Ortschaft Karsakan im Westen des Inselstaates. Die Regierung hatte bereits vergangene Woche versucht, die Opposition mit Zugeständnissen zu besänftigen. So versprach der Monarch jeder Familie umgerechnet rund 2.000 Euro und kündigte mehr Pressefreiheit an.“

AP meldete gestern nach taz-Redaktionsschluß – um 20 Uhr 14 noch:

„In der Hauptstadt Manama waren Polizisten gegen Demonstranten im Einsatz, die sich an einer Kundgebung ähnlich der Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo beteiligen wollten. Jugendgruppen und Menschenrechtsaktivisten in Bahrain hatten im Internet am Jahrestag der Verfassung von 2002 zu einer Großdemonstration nach dem Beispiel der Massenproteste in Ägypten aufgerufen.

Am Abend blockierten Polizeiwagen und andere Fahrzeuge die wichtigsten Straßen nach Manama. Etliche Geschäfte hatten aus Sorge vor möglicher Gewalt vorzeitig geschlossen.

In Diraz stoppte die Polizei einen Protestmarsch von mehreren hundert Menschen mit Tränengas und Gummigeschossen. In der überwiegend von Schiiten bewohnten Ortschaft Newidrat im Südwesten des Königreichs wurden bei einem Einsatz von Sicherheitskräften nach Angaben von Angehörigen mindestens 25 Menschen verletzt und mussten ärztlich behandelt werden. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit in Bahrain wirft der sunnitischen Führungsschicht Diskriminierung vor. In einem offenen Brief an König Hamad bin Isa al Chalifa verlangte das bahrainische Zentrum für Menschenrechte unter anderem die Auflösung der Sicherheitskräfte, die strafrechtliche Verfolgung von korrupten Beamten sowie die Freilassung von 450 inhaftierten Aktivisten und religiösen Anführern. Eine gewaltsame Niederschlagung der geplanten Massenproteste werde in „Chaos und Blutvergießen“ enden.“

Im Jemen „gingen zum vierten Mal in Folge tausende Menschen gegen Präsident Ali Abdullah Saleh auf die Straße. In der Hauptstadt Sanaa demonstrierten 2.000 Menschen; in der Industriestadt Tais kam es zu Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Salehs.“

Flucht nach Ägypten 1. Photo: schlesischesammlung.eu



Die am Wochenende von der taz-Kolumnistin Doris Akrap ins Leben gerufene Kampagne „Losgehen und Ägypter küssen“ – wurde in der heutigen taz-Ausgabe  von Jana Petersen leicht abgewandelt. Sie ging ebenfalls an den „Gaza-Streifen“ – den von arabischen Geschäftsleuten  dominierten Nordwest-Abschnitt der Neuköllner Sonnenallee, der laut Spiegel von zwielichtigen Gangs kontrollieret wird, wobei eine sich als Leibgarde für den semitunesischen Aggro-Rapper Bushido versteht. Dort diskutierte Jana Petersen jedoch nicht wie Doris Akrap mit einigen ihr näher bekannten Arabern in einem kleinen Imbiß über „den arabischen Aufstand und wie es weiter geht?“, sondern versuchte mit fremden Arabern im gutbesuchten „City Chicken“ ins Gespräch zu kommen, d.h. ihnen ihre Vorurteile vorzuhalten. Einen fragte die für „Körper/Genuss“ zuständige Sonntaz-Redakteurin laut ihrer Reportage „Von Hähnchen und Arabern“; „wie es ihm damit geht, dass der Blick des Westens auf die arabische Welt seit dem 11. September so offensichtlich von Angst und Hass geprägt war? „Schade, dass es so ist“ sagt Al-Ansi. Er glaube nicht daran, dass die Menschen hier wirklich so denken. „Es liegt an den Medien“, sagt er, „im Fernsehen sind sie immer gegen die Araber, gegen den Islam“.“

Sie fragt einen jungen Mann, der aus dem Libanon stammt: „Aber ist es nicht komisch, dass sich in Deutschland niemand dafür interessiert hat? Dass Westerwelle vor noch nicht mal einem Jahr noch lobende Worte für Mubarak gefunden hatte, ihn als einen „Mann von großer Weisheit, der die Zukunft fest im Blick hat“, bezeichnet hatte? Der Mann nickt. „In den arabischen Ländern wissen alle, wie dieses System funktioniert“, sagt er. „Jeder dort weiß es, seit Jahren, Jahrzehnten.“

Einen Tisch weiter sitzen die Tunesier Belgacem Shabani und Khaled Ben Ammar. Ben Ammar ist 32 Jahre alt, lebt seit drei Jahren in Deutschland, studiert Technische Informatik an der Beuth Hochschule in Berlin. Die tunesische Revolution kam für ihn überraschend. Freut es ihn, dass sich der Westen auf einmal mit den Arabern solidarisiert? Ben Ammar wird wütend. „Es geht um die Ehre“, ruft er, „wir wollen einfach normal leben! Die klauen das Geld nur, die Mächtigen. Alles, was der Westen geschickt hat. Dann lieber gar kein Geld!“ Aber hey, da kann doch ein bisschen Solidarität nicht schaden. „Es bringt nichts!“ ruft er. „Wir wollen keine Hilfe aus Deutschland!“ Aber es geht doch jetzt nicht um Geld, es geht um Gedanken! Ben Ammar will nichts davon wissen. „Wir können unser Problem selber lösen!“  Hat sich der Blick auf die arabische Welt gerade verändert? Er versteht die Frage nicht. Nun ja, 11. September, Angst, Feindbild Islam. „Was hat das mit uns zu tun?“, fragt er. „Wer hat denn vor Tunesiern Angst? Die Deutschen fahren doch alle in den Urlaub hin.“ Stimmt auch wieder. Kann die Demokratie in Tunesien funktionieren? „Hoffen wir es“, sagt er.

So oder so ähnlich sind dieser Tage die Gespräche mit in Deutschland lebenden Arabern, wenn man sie denn sucht – die Gespräche. Das ist leider nicht oft der Fall.  Es gibt eine große Scheu unter den hiesigen Linken, sich für diesen „arabischen Aufstand“ zu begeistern. Viele, darunter auch ich, haben völlig enthusiasmiert den Sturz des Schahs durch Ayatollah Chomeinis Aktivitäten – mittels der damals noch neuen Casettenrecordertechnik, wie Michel Foucault immer wieder betonte – begrüßt. Heraus kam dann etwas furchtbar Mittelalterliches an Gesellschaft – von hier aus gesehen (5). Man schämte sich fast, von der „iranischen Revolution begeistert gewesen zu sein.  Hinzu kam dann der wachsende Antiislamismus, verbunden mit Prosemitismus, feministischem Menschenrechtsdenken – und die eigene ökonomische Bedrängnis – Projektemacherei, Prekarisierung, Atomisierung…  Das gilt für uns – die Generation der harten Ideologien, wie Baudrillard sie nennt. Man könnte auch mediengeschichtlich von der Fernsehgeneration reden. Das wäre dann so zu verstehen, dass wir mit dem Vietnamkrieg im Fernsehen mitgegangen sind – die letzten Vertreter dieser „Protestgeneration“ landeten dann auch folgerichtig im „Dschungel-Camp“ (Rainer Langhans) und bei Springer (Thomas Schmidt). Hier herrscht also nun eher Skepsis gegenüber dem arabischen Aufstand, ähnlich wie bei den ehamls linken Pariser Medienphilosophen.

Nun tritt die „Facebook-Generation“ an – kraft „ihrer“ Elektronik,  die „Generation der weichen Ideologien (Öko, kritischer Konsumismus, Political Correctness, Neger nicht Dieter nennen usw.).  Sie kann sich durchaus für den arabischen Aufstand begeistern – wegen der Hightech-Kommunikation und dem mutigen Networking  schon allein. Dazu haben sie eine größere Nähe  als die „old school“ – leider zu allem Neoliberalen, und dass jetzt ohne Skrupel. Sie denken realistisch,pragmatisch. (4)

Früher sagten die Antikommunisten zu uns „Geht doch nach drüben!“ Heute sagt man das halb im Scherz zu den „Facebookern“ in der taz – und meint damit den Springer-Verlag auf der anderen Straßenseite. Das ist für die aber gar nicht mehr etwas Gemeines, sondern durchaus erstrebenswert, schon allein wegen des besseren Gehalts dort drüben. Es wimmelt dort bereits von ehemaligen taz-Mitarbeitern.

Flucht nach Ägypten 2. Photo: reproarte.com



Kurzum: Es hat bisher noch kein einziges nennenswertes „Teach-In“ (oder wie immer man das nennen will) zum arabischen Aufstand in der Stadt gegeben.  Das ist mehr als beschämend!  Dafür gab es gestern die vierte Veranstaltung seit dem Sommer 2010 über das Pamphlet der Pariser Gruppe Tiqqun: „Der kommende Aufstand“ (diesmal mit dem Nautilus-Verleger). Ist das nicht der Gipfel an Ignoranz? Der Aufstand droht in Kairo schon fast zerschlagen zu werden – und die diskutieren über einen poetischen Text, der von einem kommenden Aufstand handelt – und wie er zu händeln ist.  Es gibt auch keine Theater-Diskussionen – und sei es im Anschluß an irgendein Revolutionsstück, an denen es auf den deutschen Bühnen wirklich nicht mangelt. Z.B. nach einem Stück von Brecht, der das seinerzeit geradezu gefordert hat.

Die Junge Welt veröffentlicht heute einen Bericht aus Frankreich über den „Machtwechsel in Kairo“ – Machtvakuum oder Machtpatt wäre wahrscheinlich treffender gewesen. An einer Stelle heißt es in dem Artikel:

„Man kommt nicht umhin festzustellen, daß in den meisten Aufstandsbewegungen in Tunesien, Ägypten, Jordanien, Algerien oder Jemen, die Islamisten und die religiösen islamischen oder koptischen Hierarchien keine bestimmende Rolle gespielt haben. Eher haben sich die offiziellen Stellen in Ägypten die Rückkehr eines islamistischen Führers aus dem Exil gewünscht, und die »Muslimbrüder« waren anfangs sehr zurückhaltend, was die Unterstützung der Bewegung angeht. In Tunesien sind die Islamisten fast nicht in Erscheinung getreten, ganz wie in Algerien. Wenn die Zionisten behaupten, sie seien über das Wiederaufleben des islamistischen Umfelds beunruhigt, so ist dies in Wirklichkeit die Aufforderung, das alte Schreckgespenst hervorzuholen, das notfalls auch dort seine Dienste tun soll, wo – wer kann das schon wissen – sich wirkliche Revolutionäre an die Spitze der demokratischen Revolten zu setzen vermögen, was allerdings kaum geschehen dürfte.

Die bürgerliche demokratische Revolution, die im Maghreb und im Maschrek (arabisch für Osten, gemeint sind die Länder Ägypten, Palästina/Israel, Jordanien, Libanon, Syrien, Irak)ausgebrochen ist, kommt bei den früheren Kolonialmächten und bei den US-Amerikanern gut an. Dabei haben die Vereinigten Staaten schneller begriffen und begünstigen die Veränderungen: In Ägypten betreiben sie den Aufstieg ihres mutmaßlichen Kandidaten. Dieser selbsternannte Führer, der ihnen an der Spitze der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gedient hat, hat seinen »Plan des Machtwechsels« nicht dem revoltierenden und leidenden ägyptischen Volk vorgestellt, sondern der US-amerikanischen Botschafterin in Kairo, um ganz deutlich zu machen, wem er zu gefallen wünscht. Daß dieser Mann von den »Muslimbrüdern« gekürt wurde, kratzt die Militärs in Washington wenig, solange dieser Prätendent eine Politik des Kompromisses und der Verhandlungen mit Israel sowie der Unterstützung der mauschelnden Unterhändler der Behörde in Ramallah vertritt.“

An anderer Stelle meldet die Junge Welt:

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am Montag, sein Land hoffe darauf, bestehende Friedensverträge mit Ägypten zu stärken und weitere zu unterzeichnen. Im Zweifelsfall sei Israel aber »auf jede Möglichkeit vorbereitet«. In der arabischen Welt sei ein »Erdbeben« im Gange, sagte Netanjahu, er »hoffe das Beste«. Der Oberste Militärrat in Ägypten erklärte nach dem Rücktritt von Mubarak, alle bestehenden internationalen Verträge einhalten zu wollen. Der ägyptische Politiker Ayman Nur, Vertreter der liberal-säkularen Opposition, sagte dagegen laut israelischer Tageszeitung Haaretz, daß der Friedensvertrag von 1979 »vorbei« sei bzw. »zumindest« neu verhandelt werden müsse.“

Flucht nach Ägypten 3. Photo: reproarte.com



Die FAZ macht heute ebenso wie die taz mit einem Artikel über das „Drama“ der tunesischen „Boat-People“ in Italien auf. Was die FAZ über Tunesien schreibt: Eine „Diktatur im Stand-by-Modus“ könnte man auch für Ägypten geltend machen. Dort vermutet das Kapitalorgan, dass eine „Revolution nach Plan“ stattfand: „Die Initiatoren hatten sich zuvor mit Mitstreitern in Tunesien und einer Gruppe von erfahrenen Aktivisten in Serbien beraten – vor allem über das Internet. Sie folgten einer über lange Zeit entwickelten Strategie.“ Die neuen Medien spielten nach Meinung des FAZ-Autors „die zentrale Rolle.“ Auber „auch hier waren die islamistischen Muslimbrüder nicht auf der Höhe der Zeit,“ freut sich der Frankfurter. Und holt dann aus – bis zu den „Brotunruhen“ von 1977, um schließlich auf die „Facebooker“ zu kommen, die sich schon seit zwei Jahren austauschen – u.a. mit Leuten aus der serbischen Jugendbewegung Otpor, die wiederum vom US-Politologen Gene Sharp „inspiriert“ worden war. Und dieser kooperierte wahrscheinlich mit der CIA, denn es ging dabei um den Sturz von Milosevic. Dieser „Kampf“ wird hier von der taz begrüßt, von der Jungen Welt jedoch für voll verwerflich gehalten.

Der FAZ-Plan-Artikel endet mit dem Satz: „Nun teilen die ägyptischen Aktivisten über Facebook und andere neue Medien ihr Wissen mit Mitstreitern in Algerien, Lybien und Marokko, im Jemen und in Syrien – selbst im Iran.“ Und – so darf man heute hinzufügen: auf den Bahrain-Inseln. Zu dem FAZ-Plan-Artikel gibt es noch einen Kasten: „Ein serbisches Zentrum für den Export von Revolutionen“ Diese ewigen Partisanen können es einfach nicht lassen! Aus Otpor ging des serbische „Zentrum für angewandte gewaltfreie Aktion“ hervor, wo die ägyptischen Aktivisten dann Schulungskurse besuchten. In Kairo selbst besuchten sie laut der von Wikileak veröffentlichten  US-Botschafts-Post irgendwelche Medienkurse der CIA, die aber laut Auskunft der Botschaft harmloser Natur gewesen sein sollen.

Dass sich im FAZ-Feuilleton Necla Kelek mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die „aggressive Religionspolitik der Muslimverbände“ streitet – übergehe ich hier.

Über AFP kam gestern Nacht als letzte Meldung:

„Im Iran sind bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Oppositionsanhängern Medienangaben zufolge ein Mensch erschossen und mehrere weitere verletzt worden. Augenzeugen zufolge schoss die Polizei in Teheran Tränengas und Farbkugeln auf die Demonstranten, die einem Aufruf zu einer Solidaritätskundgebung mit den Protesten in Ägypten und Tunesien gefolgt waren. US-Außenministerin Hillary Clinton rief Irans Regierung zur Öffnung auf. Der Nachrichtenagentur Fars zufolge wurde in Teheran bei den Protesten ein Passant erschossen, mehrere weitere wurden verletzt. „Elemente des Aufruhrs“ und der „terroristischen Söldnergruppe“ der Volksmudschahedin hätten das Feuer auf Zivilisten eröffnet. Augenzeugen zufolge versammelten sich tausende Demonstranten in kleinen Gruppen nahe des Asadi-Platzes im Westen des Zentrums. In Anspielung auf Präsident Mahmud Ahmadinedschad riefen sie „Tod dem Diktator“. Einige setzten demnach Mülltonnen in Brand. Bei den Protesten, die wenige Tage nach den offiziellen Feiern zum 32. Jahrestag der Revolution 1979 stattfanden, handelte es sich um die größte Demonstration gegen die Regierung seit einem Jahr.“

Als erste Meldung von heute kam über AFP: „Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat sich enttäuscht über den gestürzten ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak geäußert. „Es schmerzt, wenn ein hoffnungsvoller Anfang so endet“. Genscher hat während seiner Amtszeit Mubarak oft und gerne besucht – in seiner Villa am Deutschenstrand bei Scharm El-Scheich, wo es eine Genscher-Bucht gibt, die bei auf Plattfischen spezialisierten Tauchern sehr beliebt ist. Derweil versucht das ägyptische Restregime angestrengt, an die 70 Milliarden, die Mubarak und einige seiner mit ihm Geschaßten im Ausland versteckt hat, heranzukommen. „Wichtige Gremien der EU wie der Finanzministerrat wollen bereits am heutigen Dienstag über die Kontenfrage beraten, auch die USA prüft das Einfrierfen der Konten von Mubarak-Vertrauten,“ meldet dpa.

Letzte dpa-Meldung: Die katholische französische Zeitung „La Croix“ schreibt heute über die Lage im Maghreb und im Nahen Osten:

„Tunesien und Ägypten haben sich noch nicht aus der Affäre gezogen. Die Flucht von Zine el Abidine Ben Ali vor einem Monat und der Rückzug von Husni Mubarak am vergangenen Freitag werden den meisten Bewohnern dieser Länder nur kurzen Halt geben. An den Ufern des Nils leben zwei von drei Menschen in den Tag hinein und ohne gesichertes Einkommen. In Tunesien hat sich die Not der Jugend am Wochenende mit der unerwarteten Ankunft von Tausenden Flüchtlingen auf der italienischen Insel Lampedusa manifestiert. Nach den provisorischen politischen Lösungen (…) gewinnt nun die Frage der Einkommen Dringlichkeit. In beiden Ländern waren es unter anderem die sozialen Bewegungen, die in den vergangenen fünf Jahren dazu beigetragen haben, die Stabilität der Regime zu schwächen. In Tunesien bremsen heute organisierte und spontane Streiks die Wirtschaft und unter den besonderes Benachteiligten beginnt der Zorn wieder zu wachsen.“

Flucht nach Ägypten 4. Photo: commons.wikimedia.org



Anmerkungen:

(1) „Aber den Namen Bahrain kennt man doch vom Formel 1 – Spektakel her,“ half mir Silvia Koerbl per Internet auf die Sprünge.  „Der Scheich an sich steht auf schnelle Sachen – Autos, Kamele, Rennpferde. Da liegt es nahe, den Formel 1 Zirkus dort auszutragen, zudem ist das Benzin verdammt billig an der Quelle. Und um den Kreis zu schließen, ich glaube Alkohol ist verboten in Bahrain. Halt stop! Stimmt nicht. Der umliegend angesiedelte Muslim fährt gern mal nach Bahrain, um dort ein alkoholhaltiges Erfrischungsgetränk zu sich zu nehmen.“

(2)  Weil Su Tiqqun sich gestern in Döhrings Prenzlauer Berg Kneipe „Luxor“ (früher „Luxus“) im Zusammenhang des „Anderen“ von Emmanuel Levinas für die „Verantwortung“ stark gemacht hatte, die ich eher für eine deutsche Untugend halte und lieber durch „Leidenschaft“ ersetzen würde, schickte sie mir heute per mail eine Aufdröselung des Begriffs „Verantwortung“. Der Text hat den Titel „Die Verantwortung im Niemandsland ihrer semantischen Selbstaufhebung“:

Was dem Franzosen die Ignorance ist des deutschen Verantwortung. Des deutschen Verantwortung ist nichts als ein verpatztes Eigentlich-war-ich-nie-dafür. Schon das Vorwörtchen, das ver- verheißt nichts gutes, es indiziert ein Verschwinden oder Zugrundegehen, ein Beseitigen oder Zugrunderichten, sobald die Vorsilbe ausgesprochen ist. „Es ist ver …“. Etwas Verachtendes, Abweisendes schwingt sich empor, eine negative Empfindung beginnt zu kribbeln und das folgende Lexem gibt nur noch die nähere Art des Verschwindens oder Verlierens preis. Die semantische Grundausausstattung der Silbe ver- ist eine Bewegung vom Sprechenden weg, ein Verlust auf der ganzen Linie.

Die Bedeutung des Begriffs Verantwortung ist demnach kaum mehr als eine Irreführung, ein allumfassendes Mißverständnis, das schon Jahrhunderte buckelt.

Dem Stammwort, dem Wort, steht gar eine Bedrohung voran: ant-: vor-, bzw. gegen-, denn Antwort ist Erwiderung gleich Gegenrede. Etymologisch läßt sich da nichts verstellen. Ant-wort ist nicht dafür sondern dagegen.

Somit erfüllt das deutsche Wort Verantwortung den Tatbestand eines gar nicht vorhandenen Handlungsbewußtseins, denn es hebt die Bereitschaft, für etwas grade zu stehen semantisch auf, es findet eine Demontage statt, die nicht nur ungreifbar etwas auflöst, sondern obendrein auch noch unmäßig auftritt, denn das Wort, der Stammhalter des Appositums, behauptet sich, obwohl es davor und schon verloren war, noch bevor es sein Wort geben konnte, denn es ist ja verant- !

Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als sich die Rechtsprechung zu verkomplizieren begann, kursiert die Bezeichnung Verantwortung und seit dieser Zeit schieben die Deutschen sich gegenseitig die Verantwortung in die Schuhe, sie verteidigen ihr schwindendes Wort vor dem Kadi, denn das verantwordinge bedeutete ursächlich Rechtfertigung und Verteidigung vor Gericht.

Die Ver-ant-wort-ung – eingekeilt zwischen drei Silben wird substantiell zur Farce, sie wird zum sich selbst entsagenden Vorgang. Verantwortung ist ein das Wort an sich beseitigender Prozeß, ein gegen-null-gerichtetes Wort, ein Wort also, das sozusagen keinerlei Bereitschaft hat, für sich selbst einzustehen. Es ist ein Nichtwort, eine Nichtung, denn es enthält keine Bereitschaft, für sein Handeln einzustehen, was die Verantwortung ja eigentlich tun soll. Die Bedeutung war also schon weg, bevor das Wortkompositum überhaupt beim Wort genommen werden konnte. Deswegen will sie auch keiner gehabt haben. Ich bin nicht verantwortlich, heißt es so gern. Ich bin nicht für dich verantwortlich, ja wie auch.

Für sich selbst verantwortlich sein, bedeutet, für niemanden verantwortlich sein, denn wem sollte man antworten, da die Antwort ja schon ver- ist, also verbraucht, verjammert, verachtet usw.

Wem sollte man eine Antwort geben, da die vorsilbe ver-, ja schon alles entfernt, wofür man sein könnte.

Verantwortung meint Rechtfertigung, Selbstbehauptung und Selbstverteidigung, aber doch nicht Verantwortung? Verantwortung ist kein Jawort, sie ist ein von vorn herein Wortbrüchiges, ein nie Gegebenes, ein Nie!

Die frz. responsabilité nimmt es da genauer. In ihr ist die eigentliche Bedeutung sogar enthalten. Responsabilité bezeichnet die Fähigkeit (abilité), etwas wieder- oder zurückzugeben, sie ist hervorgegangen aus dem Verb pondre : legen, werfen, zusammenschreiben. Respondre meint also, jemandem etwas zurückzulegen, sich rückwirkend zusammenzutun und darüberhinaus ist es ein An-sprechen aber kein Erwidern wie das deutsche Antworten. Pondre – das tönt schon ganz anders als antworten. Pondre das klingt schon fast nach Liebe.

Und seine weibliche Adjektivbildung vollbringt nahezu Unmögliches : pondéré meint Equilibré (ausgeglichen) des weiteren (synonym gebraucht) calme (ruhig) und im Engl. balanced, das sind doch schöne Wörter. Man stelle sich vor, die Responsabilité wäre nichts anderes als eine zurückgegebene Balance, Ruhe und Ausgeglichenheit an den anderen. Was für ein Geschenk. Ein asexueller Liebesakt sozusagen, ein letzter Rest Güte in einer ansonsten puristisch verzogenen Gesellschaft.

(3) Zu den Kairoer Vorderhaus-Projekten sei noch dies angemerkt:

Wir leben alle, so wurde 2008 gesagt, „in nachgesellschaftlichen Projektwelten“. Inzwischen arbeiten wir uns jedoch schon an „Postprojekten“ ab, d.h. es geht zurück vor die Zeit der Projektemacher. Zu den ersten gehörte einst neben dem 1646 geborenen Wilhelm Leibniz auch Daniel Defoe, der 1697 „Essays upon Projects“ veröffentlichte. Der Titel drückt bereits einen Übergang, einen Wechsel aus: Essay heißt im Französischen der Versuch. Und bevor das Zeitalter der „Projekte“ begann, ging es um Versuche – d.h. Erfahrung (experience) und Experiment. Und da müssen wir wieder hin. Laut Agamben ist Michel de Montaigne (1533 – 1592) der letzte Experimentierer, während „Don Quichotte“ (veröffentlicht 1605/1615) zu den ersten Projektemachern zählt, insofern hier bereits vom Autor Miguel de Cervantes die „Idee des Biographischen“ – des Lebensprojekts zum Tragen kommt. Explizit und bereits in kritischer Absicht ist davon dann die Rede in Goyas „Capricho 43“ (1796), wenn man hier der Interpretation des Politologen Wilhelm Hennis 1994 folgt: Er geht dabei vom Spanischen Original aus, wo „Sueno“  steht, das Schlaf und Traum bedeutet und spricht vom „Traum der Vernunft“ – womit Goyas Inscriptio laut Hennis auf „die spezifisch projektierende Vernunft“ anspielt: „Das Blatt steht damit in frappierender Parallele zum zweiten Teil des ‚Faust‘, in dem Goyas Generationskollege Goethe (Goya ist nur drei Jahre älter, stirbt vier Jahre vor ihm), ja den Magister und Alchemisten Doktor Faustus zu einem modernen Projektemacher avancieren läßt.“ Und so kommt Hennis zu dem Schluß:  „Es sind die Träume der Projekte schmiedenden Vernunft, die Ungeheuer produzieren.“

Im (vernünftigen) Experiment dagegen sammelt man Experiences: „Experiments are used by everyone, all the time; whether it’s testing the effects of a drug, or trying to make a new relationship work.“ (Wikipedia) Man spricht inzwischen auch von Drogen- bzw. Beziehungs-Experimenten, manche bezeichnen sogar ihr „Family-Project“ (heiraten und Kinder kriegen) als ein  „Experiment“. Das ist es auch, weil der Ausgang durchaus unklar ist – und  immer unklarer wird.  „Experimente sind aus Kostengründen oder unter ethischen Gesichtspunkten nicht immer machbar,“ heißt es bei Wikipedia. So weit sind wir auch bei der Familienplanung schon fast.

Aber so wie man diesen Plan heute notfalls mehrmals wiederholt, gehört es auch zum modernen Experiment, dass es wiederholbar sein muß. Kierkegaard schreibt in „Die Wiederholung“: Sie ist ein entscheidender Ausdruck für das, was ‚Erinnerung‘ bei den Griechen gewesen ist. Gleich wie diese also gelehrt haben, daß alles Erkennen ein Erinnern sei, ebenso wird die neuere Philosophie lehren, daß das ganze Leben eine Wiederholung ist. […] Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn wessen man sich erinnert, das ist gewesen, wird rücklings wiederholt; wohingegen die eigentliche Wiederholung sich der Sache vorlings erinnert. Daher macht die Wiederholung, falls sie möglich ist, den Menschen glücklich, indessen die Erinnerung ihn unglücklich macht, …“

Neben der Wiederholbarkeit braucht das  Experiment auch noch eine Interpretation seiner Ergebnisse. Diese  kommt laut Gilles Deleuze nach dem Experiment. Während das Experiment eine Erfahrung beinhaltet, in der wir uns (wieder) erschaffen, bestätigt uns die Interpretation gerade als das Unabänderliche, das „Meinungen über“ das Veränderliche äußert, „ohne der Intensität der Erfahrung zu unterliegen,“ wie es im „multitudes.samizdat.net“ heißt.

Es kommt natürlich vor, dass zwei mal das selbe Experiment unterschiedlich interpretiert wird. Im übrigen dient es einem bestimmten Zweck. Im Gegensatz dazu wird das Projekt – als „einmaliges Vorhaben“ (Wikipedia) vorab interpretiert und ist sich selbst Zweck genug.

In Alaa al-Aswanis Ronman „Der Jakubijan-Bau“ besteht eines der darin geschilderten Projekte darin, dass der Besitzer der Kairoer Kleiderladenkett „Glück und Licht“ per Annoncen allen Frauen versprach, ihnen „neue anständige Kleider mit dazugehörigem bunten Kopftuch zu schenken“, wenn sie dadfür zum Zeichen ihrer Aufrichtigkeit ihre alten ‚freizügigen‘ Kleider bei der Leitung des Ladens abgaben. Das Projekt „fördert die Verhüllung tausender von Frauen“. Es kam dann allerdings das Gerücht auf, dass der Ladenkettenbesitzer sein Geld im Heroinhandel verdiene – und das „islamische Projekt“ nur eine Geldwäschereifassade sei.

Über die Dialektik der Verschleierung der islamischen Frau im Bürgerkrieg  hat bereits Frantz Fanon in seinem Essay „Algerien legt den Schleier ab“ geschrieben – bezogen auf den dortigen Befreiungskampf:  In Algerien wurde der Schleier „erst abgetan und dann wieder angelegt“ – zu einem „Instrument der Tarnung umfunktioniert“.

Flucht nach Ägypten 5. Photo: familie-mai24.de



(4) Jean Baudrillard sagt über diesen Generationen-Gap Folgendes:

„Die Menschenrechte, die Dissidenz, der Antirassismus, die Ökologie, das sind die weichen Ideologien, easy, post coitum historicum, zum Gebrauch für eine leichtlebige Generation, die weder harte Ideologien noch radikale Philosophien kennt. Die Ideologie einer auch politisch neosentimentalen Generation, die den Altruismus, die Geselligkeit, die internationale Caritas und das individuelle Tremolo wiederentdeckt. Herzlichkeit, Solidarität, kosmopolitische Bewegtheit, pathetisches Multimedia: lauter weiche Werte, die man im Nietzscheanischen, marxistisch-freudianistischen (aber auch Rimbaudschen, Jarryschen und Situationistischen) Zeitalter verwarf. Diese neue Generation ist die der behüteten Kinder der Krise, während die vorangegangene die der verdammten Kinder der Geschichte war. Diese jungen, romantischen, herrischen und sentimentalen Leute finden gleichzeitig den Weg zur poetischen Pose des Herzens und zum Geschäft. Sie sind Zeitgenossen der neuen Unternehmer, sie sind wunderbare Medien-Idioten: transzendentaler Werbeidealismus. Dem Geld, den Modeströmungen, den Leistungskarrieren nahestehend, lauter von den harten Generationen verachtete Dinge. Weiche Immoralität, Sensibilität auf niedrigstem Niveau. Auch softer Ehrgeiz: eine Generation, der alles gelungen ist, die schon alles hat, die spielerisch Solidarität praktiziert, die nicht mehr die Stigmata der Klassenverwünschung an sich trägt. Das sind die europäischen Yuppies.“

(5) Anruf eines Herrn Majid: In Paris findet am 17.6. eine Demonstration statt – wegen der Menschenrechte im Iran, ob ich in ihrem Bus mitfahren wolle, für Unterkunft sei gesorgt. Nein, sage ich, keine Zeit. Warum er dabei überhaupt auf mich gekommen sei? Statt meine Frage zu beantworten, lädt Herr Majid mich in sein Büro in Mitte ein, um mir ein aus dem Iran geschmuggeltes Video vorzuführen. Wir verabreden uns für den übernächsten Tag. In der Zwischenzeit frage ich bei einigen Auslandsredaktionen nach, ob sie nicht Interesse hätten, sich statt meiner das Video anzukucken. Eine rät mir, ich solle erst mal herausfinden, um was für eine iranische Gruppen es sich dabei handele: „Wenn es die Mujaheddin sind, kannst du sie vergessen!“ Die andere Redaktion tippt auf den „Nationalen Befreiungsrat“ und will mit dieser Gruppe ebenfalls nichts zu tun haben. Mich verwundert diese Abwehr der Anliegen persischer Exilanten – und denke dabei an die wunderbaren iranischen Feministinnen in Frankfurt und Berlin. Gegen die von Chomeini aufgebaute Mullah-Herrschaft entwickelte sich dann – ebenfalls im Ausland – eine neue Widerstandsbewegung, die jetzt anscheinend mit Videotapes arbeitet…Eine dritte Auslandsredaktion rät mir, den Termin zu vergessen, um nicht in irgendwelche „islamisch-fundamentalistischen Gemengelagen“ reinzugeraten…

Sollte die Schweinepresse – von Spiegel bis Bild – sogar schon die linke Intelligenz völlig verblödet und paranoisiert haben? Und was hatte sie bereits in meinem Kopf bewirkt? Da ich in Kreuzberg wohne und die meisten meiner  türkisch-kurdischen und palästinensisch-arabischen Nachbarn inzwischen auch alle mehr oder weniger islamistisch geworden sind – ohne dass sich dadurch der Umgang zwischen uns groß geändert hätte, klingelte ich dann mit einer Art grimmiger Entschlossenheit an der Bürotür der iranischen Gruppe. Mir öffnete eine ältere Frau mit Kopftuch. Ich reichte ihr die Hand – woraufhin sie zurückwich: „Nein, das geht nicht!“ Dann wies sie mir einen Platz zu und legte ein Video ein. Es waren wackelnde Amateuraufnahmen aus Koranabad: Hunderte von Männern hinter Absperrgittern, davor rumfuhrwerkende und filmende Polizisten sowie vermummte Hilfspolizisten. Schließlich rollten drei LKWs auf einen freigehaltenen Platz. Sie waren mit Hebegeschirren ausgerüstet an denen blaue Seile baumelten. Dann wurde ein etwa Dreißigjähriger Mann mit verbundenen Augen herangeführt, dem man die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden hatte. Er redete laut. Mehrere Polizisten, darunter auch wohl derjenige, von dem das Video stammte, richteten ihre kleinen Kameras auf ihn.

Herr Majid, mit dem ich telefoniert hatte, kam herein, grüßte, setzte sich neben mich – und spulte dann das Band zurück, wobei er sich sehr erregte, obwohl er die Szene sicher schon zigmal gesehen hatte. Die Frau mit Kopftuch hatte sich derweil ein Wörterbuch geholt und erzählte mir: „Drei Männer sollen da gehenkt werden, die Mullahs haben erklärt, es handele sich um Schmuggler und Räuber. Das stimmt nicht: Es sind Politische. Der Mann im Bild sagt gerade, er sei unschuldig.“ Dann legten ihm einige Henker das Seil um den Hals. Das Bild löste sich auf, als man wieder etwas erkennen konnte, hing er bereits zehn Meter hoch über der Menge am Hebegeschirr – er  zuckte noch. In der darauffolgenden Einstellung sah man zwei weitere in der selben  Weise aufgehenkte Männer. Damit endete das Video.

Ich blieb noch sitzen. Herr Majid ging in die Küche und setzte Wasser auf, während die Frau mit Kopftuch mir vier Ausgaben der Zeitung „Iran Liberation“ in die Hand drückte. Ich steckte sie in meine Tasche. Man bot mir einen Tee an, ich lehnte dankend ab und stand auf, wobei ich der Frau quasi instinktiv erneut die Hand hinhielt. Sie wich abermals zurück und murmelte:  „Nein, das nicht!“ Ich verließ das Büro und trat auf die Straße. Die Sonne schien. Ich war erleichtert: wieder einmal einen Termin hinter mich gebracht zu haben! Aber so eine Fremdheit hatte ich noch nie erlebt: Konnte ich dabei überhaupt noch von Solidarität reden?

Dieses Erlebnis liegt nun schon einige Jahre zurück. Im vergangenen Jahr schnappte ich im Zusammenhang der  Ölkatastrophe im Golf von Mexiko die Meldung auf:

“Unterdessen bot der Iran den USA erneut Hilfe an. Es sei keine große Sache, das Leck am Bohrloch zu schließen, sagte ein hochrangiger Manager der nationalen iranischen Ölbohr-Gesellschaft.” Weder BP noch die US-Regierung äußerten sich zu diesem iranischen Hilfsangebot. Noch immer sitzt diesen WASP-Arschlöchern der Kolonialismus deep under their skin. Bedsonders in der Bodenschätze-Branche.

Flucht nach Ägypten 6. Photo: imagetours.de


Deutlich wird das sogar noch am Denken des linken anglophilen Publizisten Erich Kuby. 1951 veröffentlichte er in der Süddeutschen Zeitung eine Reportage  über die Übernahme der BP-Ölfelder im Iran durch den persischen Staat, d.h. die vom Premierminister Mohammad_Mossadegh damals eingeleitete Verstaatlichung der gesamten Ölindustrie des Landes. Die Überschrift seines Artikels lautete: “Uns gehört das Öl! schreien die Perser”

Kuby war im Juli 1951 nach Teheran geflogen, um über den “Hinauswurf” der Anglo Iranian Oil Companie (AIOC) in Abadan und die Verstaatlichung der persischen Ölindustrie zu berichten. 1989 nahm er diesen Text in eine Sammlung von Artikeln auf, die er zwischen 1946 und 1989 geschrieben hatte und die dann der BRD-Verlag Hanser sowie ein Jahr später der DDR-Verlag Volk und Welt unter dem Titel “Mein ärgerliches Vaterland” veröffentlichten.

Sein SZ-Artikel aus dem Jahr 1951 strotzt vor Arroganz gegenüber den zerlumpten und unausgebildeten persischen Arbeitern, die sich anheischig machen, die klugen, hochorganisierten Engländer an der Öltechnik abzulösen: “Es ist ein Proletariat gezüchtet worden, dem ein Knochen hingeworfen werden mußte. Dieser Knochen ist die Nationalisierung des Öls, und es ist Mussadeq wirklich gelungen, in dieser Frage das Volk vor seinen Karren zu spannen,” schreibt Kuby an einer Stelle, und an anderer: “Es ist in der Tat alles so, daß man sich fragt, ob man an den Folgen eines Hitzschlags verrückt geworden ist oder ob dies Wirklichkeit ist: hier ein kaum noch atmendes Werk, eine der größten, höchst organisierten und technisierten Verwirklichungen des Kapitalismus, dort Menschen, die darüber sprechen, als ob es sich darum handelt, einen Milchladen zu übernehmen…”

Gestern schrieb Bahman Nirumand in der taz:

„Hunderte von Demonstranten sind am Montag in der iranischen Hauptstadt Teheran einem Aufruf der beiden Oppositionspolitiker Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi zu einer Solidaritätsdemonstration mit den Aufständischen in Ägypten gefolgt. Auch in mehreren anderen Städten fanden Demonstrationen statt. Ab 15 Uhr Ortszeit setzten sie sich zum Meydan-e Asadi, dem Platz der Freiheit, in Bewegung. Wie von den Initiatoren geplant, trugen sie keine Transparente und riefen auch keine Parolen. Es sollte ein schweigender Protest werden. Im Laufe des Nachmittags kam es zu Auseinandersetzungen, als Polizisten mit Stöcken und Tränengas versuchten, die Demonstration aufzulösen.

Vorbeugend wurde ab Samstag Mussawis Haus abgeriegelt. Der Website kalameh.com zufolge wurden sämtliche Kontaktmöglichkeiten von Mussawi und seiner Frau Sahra Rahnaward nach außen unterbunden. Selbst ihr Handy-Empfang sei gestört. „Es sieht so aus, als ob diese neuen Einschränkungen Mussawi und seine Frau daran hindern sollen, an der Kundgebung teilzunehmen“, hieß es auf der Internetseite. Am Vorabend der Demonstrationen waren in Teheran und anderen Großstädten tausende Menschen auf die Dächer ihrer Häuser gestiegen und hatten bis in die späte Nacht hinein „Allahu akbar!“ (Gott ist groß) und „Nieder mit der Diktatur!“ gerufen. Die Aktion erinnert an die Anfänge der Revolution von 1979, die schließlich zum Sturz des Schahs führt. Auch bei den Unruhen nach der umstrittenen Präsidentenwahl im Juni 2009 wurde diese Aktion wochenlang wiederholt.“

AP meldet heute um 9 Uhr 28: Die iranische Polizei macht für die Gewalt die aus dem irakischen Exil agierende iranische Oppositionsgruppe „Volksmudschaheddin“ (MEK) verantwortlich.

Demnächst wird „Das Glühbirnenbuch“ von Berz/Krajewski/Höge wieder aufgelegt – vom Wiener Verlag Braumüller. Es geht darin primär um das Wirken des Internationalen Elektrokartells von den Zwanzigerjahren bis zum Herbst 1989, da es sich angeblich auflöste. An einer Stelle findet sich darin ein sarrazinistischer Gedanke des holländischen Schriftstellers  Harry Mulisch, den er während des Golfkriegs veröffentlichte:

„Nicht nur die Quantenmechanik, auch die klassische Mechanik liegt nicht im östlichen Erbgut begründet. Wenn sie irgendwo begründet liegt, dann stammt sie aus dem philosophisch-theologischen Erbgut derjenigen, die die klassische und die moderne Physik tatsächlich aufgestellt haben – und das sind wir, aus der westlichen Welt.“

An anderer Stelle des Glühbirnenbuchs findet sich ein Artikel von  Peter Krassa und Reinhard Habeck, die in den Grabkammern der Pyramiden forschten und nachwiesen, dass die Priester-Wissenschaftler des alten Ägypten „das Geheimnis der praktischen Anwendung von Elektrizität in Form von elektrischem Strom und Licht kannten – lange vor Edison.“

Was die zwei deutschen Ingenieure meinten herausgefunden zu haben, ist in Ägypten längst Volkswissen. Deswegen haben die ägyptischen Gerichte auch nie Edisons Patenpriorität auf sein Beleuchtungssytem anerkannt, wie Edison selbst in seinem Bericht „Meine vierzig Jahre Prozessiererei“ berichtete.

Wenn es in der Sure 24 heißt: “Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht ist gleich einer Nische, in der sich eine Lampe befindet: Die Lampe ist in einem Glas; das Glas gleich einem funkelnden Stern. Angezündet (wird die Lampe) von einem gesegneten Ölbaum, der weder östlich noch westlich ist, dessen Öl beinahe leuchten würde, auch wenn das Feuer es nicht berührte. Licht über Licht. Allah leitet zu Seinem Licht, wen Er will.” dann ähnelt das auf alle Fälle der Beschreibung des Glühbirnensystems und seiner Wirkung von Wolfgang Schivelbusch – in seiner “Geschichte der künstlichen Helligkeit – Lichtblicke“: „Der Glaszylinder, in dem die Flamme eingeschlossen war, präludierte den Glasmantel der Glühlampe; der Dochtmechanismus den Lichtschalter; die Flamme, die durch die erhöhte Sauerstoffzufuhr so sehr in ihrer Lichtintensität gesteigert war, den Glühfaden.“

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Ägyptische Kunst aus Bielefeld. Photo: aegyptischekunst.de

Apropos: Die taz bereitet gerade eine neue Kampagne zur Unterstützung des Kairoer Aufstands  vor. Die zentrale Parole dafür lautet – an die Adresse der Regierenden in Berlin: „Gebt die Nofretete an die Ägypter zurück!“ Gemeint ist die im Neuen Museum in Mitte stehende Büste der selbstbewußten Gattin des Erfinders des Monotheismus Pharao Echnaton.

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