vonHelmut Höge 15.02.2011

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Als der Schriftsteller Landolf Scherzer seine Ausstieg aus dem Kulturbetrieb im Kreise seiner thüringischen Verwandtschaft bekannt gab, fiel so manchem ein Stein vom Herzen.


Begreift  man den „Kairo-Virus“ als eine Krankheit, die vor allem die „Facebook-Generation“ befällt, dann hat hier bereits die literarische Auseinandersetzung damit begonnen – u.a. in zwei neuen Büchern, in denen die „old school“ der Schriftsteller sich wegen den mit und von der „new Facebook school“ durchgesetzten Kommunikations- und Marketingmethoden  resigniert aus dem Kulturbetrieb zurückzieht. Weitere Rückzieher sind zu erwarten.

Für die Zeitung Prenzlauer Berg „Konnektör“, die von Bert Papenfuß herausgegeben wird, habe ich die beiden Romane gerade rezensiert:

1. „Lust will Ewigkeit!“(Inschrift auf dem Grabstein von Friedrich Nietzsche)

Der Männerwitz im Berlinroman. Es  ist ein trauriges Buch. Vielleicht das letzte des Autors. Der als Westberliner Krimischriftsteller bekannte „ky“, der eigentlich Horst Bosetzky heißt und dieses Pseudonym wegen seines Professorenjobs an der Fachhochschule für Verwaltung annahm, hat den Roman „Rumbalotte“ im  Herbst 2010 veröffentlicht. Etwa zur selben Zeit, als Mareille Fellien und Bert Papenfuß ihre Schankwirtschaft „Rumbalotte continua“ eröffneten. Zuvor hatte Papenfuß bereits sechs Bücher mit diesem Titel im Rhön-Verlag von Peter Engstler publiziert. Die Kneipe im Prenzlauer Berg war somit quasi eine Fortsetzung dieser Reihe.

Die  Rezensentin des „Freitag“ deutete aus dem Namen/Titel, den sie als „lautpoetisches Geschmeide“ bezeichnete, zum Einen die militante italienische Organisation „Lotta Continua“ heraus und zum Anderen einen „blöden Witz“ – den man sich googeln könne. Bei dem Wort handelt es sich um eine ähnlich pseudonyme Abkürzung wie das „ky“ von Bosetzky. Zum ersten Mal habe ich die dazugehörige Geschichte von Thomas Kapielski gehört, der überhaupt gut Witze erzählen kann.

Drei Matrosen haben sich ihren Schwanz tätowieren lassen und wollen nun wissen, wer den Schönsten und Größten hat. Der eine hat sich „Ich liebe Dich, Eva“ drauf schreiben lassen, der zweite „Alles Fotzen ausser Mutti“ und der dritte „Rumbalotte“. Die beiden ersten lachen über dieses kurze Wort. Als sein Schwanz erigiert wird daraus  jedoch „Ruhm und Ehre der baltischen Rotbanner-Flotte“. Dank Kapielski, so darf man vielleicht sagen, wurde aus diesem auf einer Galeriesitzung bei Jes Petersen in der Goethestraße zum ersten Mal in Westberlin aufgetauchten „blöden Witz“ ein Gesamtberliner „Urban Tale“ – bis hin zu dem Roman von Horst Bosetzky jetzt.

Es geht darin um einen älteren Schriftsteller, dessen letztes Buch, das in einem Wilmersdorfer Kleinverlag erschien, wie Blei in den Regalen des Buchhandels liegt. Und dieses Alterswerk heißt „Rumbalotte“, was „sich auf einem vor Jahren aktuellen Witz ableitet“, wie der Autor auf einer Lesung in der Stadtbibliothek von Emden erklärt (auf Seite 19): „Kommt ein alter Mann zum Urologen, und der liest auf dem geschrumpelten Penis seines Patienten mit Erstaunen das Wort ‚Rumbalotte‘. Gefragt, was das zu bedeuten habe, antwortet der alte Mann, er sei früher Matrose gewesen und da habe man sich auf den aufgerichteten Penis voller Stolz ‚Ruhm und Ehre der baltischen Flotte‘ tätowieren lassen.“

Der Autor des Romans, der diesen Witz dem Publikum erzählt, und sich anschließend wundert, dass es „so gar keine Reaktion“ zeigt, heißt Henry Lakenreisser. Und sein Protagonist, den er später „aus Frust alle Buchhandlungen  abfackeln“ läßt, in denen seine Bücher nicht zu finden sind, heißt Sixtus Tenhagen. Lakenreisser befindet sich auf einer Lesereise, die ihn bis nach Stendal führt. Je spürbarer das allgemeine Desinteresse an seinem Roman  „Rumbalotte“ ist, desto öfter phantasiert er sich als begehrter Erfolgsschriftsteller.


Der Dichter Volker Braun hat nach Jahrzehnten der Zeilen- und Reim-Schinderei endlich den Absprung geschafft: Seit Jahresbeginn ist er in dem von ihm so oft besungenen  Braunkohletagebau tätig – vorerst allerdings nur auf einer befristeten  MAE-Stelle. Auf unserem Photo trägt er bereits einen Blaumann und wird gerade vom Lausitzer Intelligenzler- und Industrie-Photographen Lorenz Kienzle abgelichtet.


Das ist schon die halbe Story. Der Roman hat 323 Seiten. In der zweiten Hälfte schafft es Lakenreisser jedoch, dieser Scheißsituation, da er fast nur noch Einkünfte aus Lesungen bezieht und in einer kleinen Wohnung in Wilmersdorf haust (wo auch Horst Bosetzky lebt), etwas Positives abzugewinnen: Er begreift sein langsames Absinken in die Altersarmut als eine gleichsam buddhistische Einübung in Demut. Sein kämpferisches, „agressives Ich“ hat er „ausgelagert“, wie er in einer seiner phantasierten Medienauftritte seinem „inneren Reporter“ erklärt: „Es heißt Sixtus Tenhagen und begeht in ‚Rumbalotte‘ die Taten, deren Begehung ich mir selber versage.“

Vielleicht sollte man an dieser Stelle einschieben, dass der Autor dieses Romans im Roman im Roman, Horst Bosetzky, 1938 in Berlin geboren wurde und nach dem Krieg, ebenso wie  Thomas Kapielski, die später sogenannte „Rütli-Schule“ in Neukölln besuchte. Nach dem Abitur studierte er an der FU Psychologie (Kapielski Geographie). Bosetzky veröffentlichte 33 wissenschaftliche Arbeiten, 1973 z.B. eine „Über das Ausmaß von Entfremdung in der Öffentlichen Verwaltung“. Darüberhinaus schrieb er noch 18 Romane und Familiensaga sowie bis jetzt 38 Krimis, von denen einige verfilmt wurden. Ein Rezensent nannte ihn einmal den „Erfinder des Soziokrimis“ – das deutsche Pendant zu den Krimis der schwedischen Autoren Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Horst Bosetzky war lange Jahre Vorsitzender des „Syndikats“ – der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Daneben ist er ein großer Fontane-Kenner (u.a. veröffentlichte er ein Sachbuch mit dem Titel „Mord und Totschlag bei Fontane“), außerdem hegt er eine große Leidenschaft für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), davon zeugen weitere acht Bücher.

Der ÖPNV spielt auch noch für Henry  Lakenreisser in Bosetzkys neuestem Roman „Rumbalotte“ eine große Rolle – vor allem die Wilmersdorfer U-Bahnhöfe. Wir erfahren auf diese Weise, wann sie gebaut wurden und wie sie in etwa aussehen. Sein Protagonist Lakenreisser war, bevor er 1969 anfing, Psychologie zu studieren, Zugbegleiter und Fahrer bei der U-Bahn, diese langjährige Erfahrung verarbeitete er in seinem Roman „Am Ende des Tunnels“. Mit dieser „Literatur aus der Arbeitswelt“ begann 1977 seine Schriftstellerlaufbahn. Auch seine damalige Freundin, Simona, arbeitete bei der BVG. Sie trennte sich jedoch von ihm, als er begann, sich von dem gemeinsamen Milieu weg zu bewegen – hin zur   schöpferischen Intelligenz. Zu diesem Zweck wurde er Mitglied des Schriftstellerverbandes, in dem er später einmal um den Vorsitz kandidierte.

Als Hans-Christoph Buch seiner Nichte versprach, nie wieder eine Schreibmaschine anzurühren, fiel sie ihm spontan um den Hals.

Zwar gibt es in den letzten Autorenjahren von Lakenreisser neben ein paar weiteren Drehern am alten „Rumbalotte“-Witz noch einige Zoten und zwei neuere Zonen-Witze (von denen ich einen nicht verstehe), aber erst einmal ziehen sich die „Akte seiner Abwertung“ in die Länge:

Die junge Lektorin seines Kleinverlags nörgelt an Lakenreissers neuem Manuskript herum. Eine ebenfalls noch junge Literaturkritikerin schreibt einen „fürchterlichen Verriss“: „Alles an ‚Rumbalotte‘ ist geschmacklos, angefangen von der detaillierten Schilderung des schrumpeligen Penis eines alternden Mannes…“ Während einer Signierstunde in einer Weddinger Großbuchhandlung findet sich nur noch „ein einziger Käufer, ein pensionierter Fregattenkapitän, der glaubte, ‚Rumbalotte‘ handele von den Kriegsabenteuern eines Matrosen.“

Dann taucht auch noch seine Ex-Frau Brigitte dort im Laden auf. Sie hatten 1967 geheiratet. Damals arbeitete sie als Bibliothekarin in der Amerika-Gedenkbibliothek und er immer noch bei der BVG. Sie war überrascht von seiner Bildung und er hoffte, von ihr „befruchtet“ zu werden. 1976 ließen sie sich scheiden. Als Brigitte den Stapel mit seinen Büchern sieht und den Titel liest, fragt sie: „War denn diese Rumbalotte nun meine Vorgängerin oder Nachfolgerin?“ Weder noch, sagt er bloß. „Verstehe, du warst ja schon immer ein lausiger Tänzer. Und wenn du etwas gar nicht beherrscht hast, dann war es die Rumba. Die Rumbalotte ist aber eine Tänzerin, ja?“ Er druckst herum.

Der Technodichter Rainald Goetz hat nach einem Hörsturz alles hingeschmissen und sich an den äußersten Zipfel Irlands zurückgezogen, wo er auf den Spuren von Heinrich Böll wandert. Der Photograph, der ihn zufällig am Kiosk traf, hätte ihn – mit Glatze und in weißem Hemd – beinahe nicht wiedererkannt.

Dieser Witz-Dreh geht auf Heinz van Nouhuys zurück, der in den Siebzigerjahren Chefredakteur von Bild-Berlin war und sich in den Achtzigerjahren in München mit einem französischen Erotikmagazin und Enzensbergers „Transatlantik“ selbständig machte: Eine  zahme Version von Jörg Schröders Porno-/Kampf-Literatur-Verlag „März“, der etwa zur selben Zeit in Konkurs ging. Über das Bildzeitung-Kapitel in seinem Leben berichtete Nouhuys: Einmal war seine Westberliner Redaktion für den Aufmacher auf Seite 1 zuständig (die Lokalredaktionen wechselten sich damals ab). Aber an dem Tag passierte nichts, gar nichts. Unerbittlich näherte sich der Redaktionsschluß. Da kam wie zum Hohn die Meldung über den Ticker: „Im Elisabethkrankenhaus starb heute Morgen die Rentnerin Lotte Wischnewski. Die 74jährige war eine leidenschaftliche Tänzerin, bis zuletzt besuchte sie regelmäßig das Ballhaus Moabit.“ Nouhuys und seine Bild-Mannen fassten sich in ihrer Verzweiflung ein Herz – und titelten: „Rumba-Lottes letzter Tanz“

In Bosetzkys Roman geht es aber so weiter, dass er seiner Ex-Frau erklärt: „Rumbalotte ist die Besitzerin einer Tanzschule. Und mit dem Mann, den sie liebt, wird sie Weltmeisterin bei den lateinamerikanischen Tänzen. Bei der Rumba bekommt sie die Höchstnote. Doch dann stirbt er.“ Brigitte glaubt ihm nicht, sie überfliegt den Klappentext – dann lacht sie schallend. „Mensch, bei dir hätte Ruhm und Ehre der baltischen Flotte nicht mal zur Hälfte raufgepasst,“ sagt sie – und kauft das Buch: „Das ist bestimmt autobiographisch, das muß ich unbedingt lesen.“

Auf einer Veranstaltung in einem Gymnasium wird Lakenreisser von der Lehrerin gefragt: „Werden Sie nun aus Ihrem Werk ‚Rummmellotte‘ vorlesen?“

„‚Rammellotte, wenn ich Sie verbessern darf…‘ Lakenreisser hatte sich entschlossen, diesen Auftritt als Farce zu nehmen und nicht als Tragödie.“ Als ein Schüler ihn fragt, was er denn mit dem Schreiben verdiene, antwortet Lakenreisser: „‚Bei der Rammellotte habe ich für die erste Auflage 100.000 Euro bekommen‘. In Wirklichkeit waren es gerade einmal 1500 gewesen.“

Auch an Sarkasmus fehlt es Lakenreisser nicht: So posiert er, der sich permanent „entwertet“ fühlt, für ein Autorenporträt des lokalen Fernsehsenders (das allerdings nie ausgestrahlt wird) vor einem „Entwerter“ – auf dem U-Bahnhof Innsbrucker Platz.

Und als ihn sein Sohn, der als „Kosmopolit“, in Pankow lebt und  „auf alle herabsieht, die ‚locals‘ sind“, fragt, ob er einen „Fußballroman“ geschrieben habe, weil er sich so gut mit den Berliner Vereinen vor den Kriegen auskennt, sagt Lakenreisser: „Ja, weißt du das nicht? ‚Rumbalatte‘. Bei meinem Verein tanzen sie immer Rumba, wenn einer den Ball an die Latte bekommt.“

Karl-Markus Gauß trat aus dem Pen-Club und aus allen anderen Schriftsteller-Verbänden aus und unternahm fortan lange Spaziergänge mit seinem Hund im Wienerwald.

Als nächstes trifft er auf eine entfernte Verwandte, die früher als Amtsärztin in der Fürsorge für Geschlechtskranke arbeitete: „Deine Rumbalotte ist wirklich herrlich!“ sagt sie. „Was ich damals für verschrumpelte Penisse gesehen habe! Die Männer waren ja so verschüchtert, wenn sie mit ihrem Tripper zu mir gekommen sind. Bei denen hätte nicht mal Rumbalotte draufgepasst.“

Lakenreissers Prekarisierungsschicksal nimmt eine jähe Wendung, als Bosetzky plötzlich Matthias Pint (sic), den Sohn eines inzwischen verstorbenen Westberliner „Bordellkönigs“, einführt, der – anders als der Zuhälter und CDUler Otto Schwanz (1940 – 2003) – schwer unter seinem Namen und seiner Herkunft leidet – und deswegen in psychotherapeutischer Behandlung ist. Lakenreisser trifft diesen reichen Pint auf der Leipziger Buchmesse, wo er ihm erklärt, wofür das Wort „Rumbalotte“ steht. Pint versteht ihn nicht, er hasst sowieso „Witze dieser Art“. „Ich darf Ihnen die Sache mit dem verschrumpelten Penis einmal erklären,“ läßt Lakenreisser nicht locker. Wieder zu Hause diskutiert Pint mit seiner Therapeutin über das Buch und fragt sie, ob es neben dem Penisneid auch einen Muschineid gäbe. „Bei Transsexuellen vielleicht“, meint sie, „oder bei Männern mit dem Rumbalotte-Syndrom.“

Dies ist ein leicht abgewandelter Witz von Woody Allen aus seinem Film „Zelig“, in dem dieser seiner Therapeutin erzählt, warum er sich wegen des „Penisneids“, den er auch und vor allem bei Männern diagnostizierte, mit Freud zerstritten habe.

Pint erläutert seiner Therapeutin die Idee, Lakenreisser und seinen Roman ganz groß rauszubringen. Die Psychologin ist sich sicher: Pint „will wie sein Vater mit Hilfe der Sexualität prominent werden – jedoch in sublimierter Form: über die Literatur.“ Dazu mietet dieser das Renaissance-Theater  – für ein „Lakenreisser-Event“. Der Autor will ihn da nicht bremsen. Ein Motto hat Pint dafür auch schon gefunden: „‚Die Länge macht es nicht allein! Henry Lakenreissers ‚Rumbalotte‘ und andere Kunst rund um den Penis‘. So muß man heute Literatur verkaufen.“ Lakenreisser „ahnte nichts von Pints psychischen Problemen und den wahren Motiven seines Handelns.“ Aber er spürt schon bald seine „Aufwertung“, die er als einen „Prozess der natürlichen Anreicherung“ begreift. Sogar zuvor abgelehnte Erzählungen werden ihm aus den Händen gerissen. Pint ist hingegen erstaunt, dass man mit „nicht einmal 20.000 Euro“ in zwei Monaten jemanden in der „kulturellen Szene Berlins vom Nobody zu einem Star“ machen kann.

Um noch einen drauf zu setzen, überredet er Lakenreisser wenig später, auch noch seinen wirklichen Penis aus Werbegründen ins Spiel zu bringen: „Einmal erigiert mit der Inschrift ‚Ruhm und Ehre der baltischen Flotte‘ – und einmal abgeschlafft mit ‚Rumbalotte‘.“ Der Autor ist einverstanden, bekommt dann jedoch nackt und im Beisein des Photographen, der auch noch zur Eile drängt, Erektionsprobleme. Er bekommt keine „Rumbalatte“, wie Bosetzky erklärt, der diese Szene geradezu genüßlich ausgemalt hat. Auch mit einem amerikanischen Erotikmagazin auf der Toilette funktioniert es zunächst nicht, und dann bereitet die lange Inschrift Schwierigkeiten, sie muß im Schriftbild genau so aussehen wie die kurze. Lakenreisser arbeitet dabei mit einem blauen Filzstift. Die beiden Versionen sollen auf Plakate nebeneinander gestellt werden – und für Kontroversen sorgen. Als der Photograph ihm rät, einen Porno zu schreiben, dann werde er schon einen hoch kriegen, klappt es endlich. Im ersten Anlauf sogar zu gut, weil Lakenreisser beim Schreiben sofort einen Orgasmus bekommt – und erst mal pausieren muß. Als der Literatur-Skandal da ist, verkauft sich sein Roman „Rumbalotte“ tatsächlich wie blöd, auch sein Erstling „Licht am Ende des Tunnels“ zieht wieder an. Und die Interview-Anfragen häufen sich. „Auf diese Weise beflügelt“ schreibt er plötzlich besser als je zuvor.

In einer Talkshow kommt er mit einer „Peniskalebasse aus Neuguinea“ und führt sie andeutungsweise vor. Gegenüber der Literaturkritikerin, die ihn einst verrissen hat und nun im Auftrag von Pint seine Biographie schreiben soll, kann er es sich nicht verkneifen zu sagen: „Was hab ich immer gesagt? Die Rumbalott‘ in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Sie will zunächst nur einige „harte Fakten“ von ihm erfahren. „Bei mir gibt es keine harten Fakten, dachte er – jedenfalls nicht, wenn ich dich vor mir habe.“

In Bremen legten sämtliche Mitglieder der Hörfunk-Autorengemeinschaft die Arbeit für immer nieder – mit der Begründung: „Radio Bremen ist doch auch bloß noch ein blöder Ödeldödelsender.“

Als er erfährt, dass sein „Rumbalotte“-Roman nun auch noch verfilmt werden soll, fühlt Lakenreisser sich, als würde er schweben. Auch Pint hat bald seinen Vater „an Bekanntheit weit überflügelt“. Es gab natürlich Buchhändler, die den ganzen „Rumbalotte“-Hype nicht mitmachten – sogar in Wilmersdorf, worüber sich Lakenreisser besonders ärgert. Pint drängt ihn unterdes zu weiteren werbewirksamen Maßnahmen. Als ein Wilmersdorfer Buchladen mitsamt seinem Inhaber, der nichts von Lakenreissers Werken wissen wollte, in Flammen aufgeht, kommt er prompt als Täter in Verdacht – und wird kurzzeitig inhaftiert. Pint hatte mit Erfolg eine Belohnung von 10.000 Euro ausgesetzt – zur Ergreifung des wahren Brandstifters. Nun verlangt er von Lakenreisser, für das Jubiläum seiner PR-Firma auf die Schnelle eine Geschichte, die der Autor auf der Feier vorlesen soll. Er weigert sich. Auf der letzten Sitzung des Schriftstellerverbandes hatte ihn bereits jemand als „Pints Medien-Clown“ bezeichnet. Als Pint ihn nun drängt, mit der Bemerkung „Ohne mich wärst du doch ein Nichts“ – ist Schluß! Lakenreisser will von Pint nichts mehr wissen. Er beschimpft ihn als „dreckigen kleinen Promifledderer“ – und fährt erst einmal in die Uckermark, wo er sich an einem kleinen Fluß niederläßt und über seinen kürzlich erschienenen historischen Roman über einen Preußenkönig nachdenkt, der sich nicht gut verkauft. Auf Anraten von Pint hätte er auch in diesem Buch einige Penisgeschichten einarbeiten sollen. Die Idee dazu hatte Lakenreisser ihm selbst nahegebracht – mit einem Aufsatz des 2008 verstorbenen H.D. Kittsteiner über das geheimnisvolle Komma im Wort „Sans, Souci“ am Potsdamer Schloß – das der „Viadrina“-Historiker mit „Ohne Rütchen“ übersetzt hatte, was deswegen Sinn machte, weil Friedrich der Große wegen einer Geschlechtskrankheit, die er sich 1739 zugezogen hatte, der Penis amputiert worden war.

Lakenreisser sollte diese Geschichte auswalzen und in seinen historischen Roman einbauen, Pint wollte, das er quasi eine Fortsetzung seines Erfolgsromans schreibe: „Wir brauchen den großen Coup“ – den „direkten Anschluß an Rumbalotte, an unser bestes Stück,“ hatte er zu Lakenreisser gemeint.

Während dieser noch am Ufer sitzt und grübelt, kommt eine Wandergruppe aus Berlin vorbei. Die ersten erkennen in ihm bereits den bekannten Schriftsteller, sie rufen ihm von einer Brücke aus zu, er solle aufpassen, dass die Fische „ihm nicht die Rumbalatte abbeißen“. Eine alte Angst von Männern im Wasser und eine neuerliche Verzotung des Romantitels. Da ist aber auch noch eine Frau in der Wandergruppe. Es ist Simona – seine alte U-Bahnliebe.  Lakenreisser begrüßt sie und schließt sich ihr an. Sie gehen in ein nahes Restaurant. Dort erfährt er: Sie hat zwei Kinder, ist geschieden und hat inzwischen als Betriebsrätin bei Ver.di Karriere gemacht. Die beiden verlieben sich erneut – obwohl er Schriftsteller ist und sie sich mit so einem eigentlich nicht einlassen wollte. „Und jetzt?“ fragt er. „Lieber wäre es mir schon,“ gesteht sie ihm, „wenn du wieder im Führerstand eines U-Bahnzuges sitzen würdest.“

Und so geschieht es dann auch (auf den letzten beiden Seiten). „Seine Rumbalotte war ein wunderschöner Kick gewesen, aber nicht das große Glück.“ Lakenreisser nimmt seinen „Abschied vom Schreiben“ und tritt aus dem Schriftstellerverband aus. Er habe unter „narzistischer Unersättlichkeit“ gelitten, aber davon sei er nun geheilt, teilt er dem Leiter der Geschäftsstelle per Mail mit. Schon bald sitzt er wieder im Führerstand einer U-Bahn. Vom Honorar, das er mit seinem Erfolgsroman verdiente, erwerben Simona und er ein Wochenendhäuschen in der Uckermark – am Lübbesee, dazu noch ein kleines Motorboot, das Lakenreisser auf den Namen „Rumbalotte“ tauft.

Das ist das letzte Mal, das dieses Wort auftaucht. Zum Schluß heiraten die beiden. Als die junge  Literaturkritikerin davon erfährt, findet sie das aber nun wirklich zu dicke – zu „trivial“. (1)

Mathias Frings kehrte Deutschland endgültig den Rücken – und zog zu seinen Freunden nach Ägypten.

2. „Weitermachen!“ (Inschrift auf dem Grabstein von Herbert Marcuse auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof)

Der Frauenwitz im Berlinroman. Noch ein Aussteiger-Buch. Und wieder geht es um einen Schriftsteller, der nicht mehr ganz jung ist und manchmal sogar schon ganz schön alt aussieht. Die haben aber auch immer Probleme!

In diesem Fall  handelt es sich um die Hauptperson in Silvia Bovenschens neuem Roman: „Wie geht es Georg Laub?“ Und so viel darf man vielleicht vorwegnehmen: Nie ging es ihm besser! Wenn man auch nicht genau weiß, wo er jetzt lebt und womit er sein Geld verdient. Abgesehen davon mutet es seltsam an, dass immer mehr „Aussteiger“, „Drop-Outs“ wie sie in den Sechzigerjahren hießen, die in den Siebzigerjahren alle als Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller oder Journalisten wieder einstiegen –  weswegen in den Achtzigerjahren der FDP-Partisanenforscher Rolf Schroers extra eine „Künstlersozialkasse“ (KSK) für sie gründete, nun plötzlich auch da wieder aussteigen wollen. So als hätten sie alle das Diktum von Francis Bacon beherzigt: „Bedenke, dass die Jahre vergehen, und achte darauf, nicht immerfort das gleiche zu tun!“ Da die Schriftsteller bereits in reifem Alten sind, scheinen sie gleichzeitig von ihrer Unsterblichkeit überzeugt zu sein. Oder geht das einfach allen so, dass sie ab einem bestimmten Alter noch einmal neu anfangen möchten. „Ihm war das Mißgeschick passiert, alt geworden zu sein, bevor er 30 wurde,“ mit dieser Begründung zwang man einmal einen Genossen zum Ausstieg aus der „Situationistischen Internationale“. Ähnliches thematisierte Bertolt  Brecht in seinem Lehrstück „Die Maßnahme“, nur das das Mißgeschick des Genossen hier seine allzu große „Menschlichkeit“ war. Und um diese wieder zu erlangen, durch Ausstieg aus dem „Kulturbetrieb“, der sich sowieso gerade (elektronisch) wandelt, wodurch man auch zum Ausstieg gezwungen werden könnte, darum geht es sowohl in dem Roman „Rumbalotte“ von Horst Bosetzky als auch in dem von Silvia Bovenschen über den Schriftsteller „Georg Laub“.

„Die Produktivität der Künstler resultiert aus ihrer Fähigkeit, sich den wechselnden geistigen Strömungen anzupassen – aus ihrer moralischen Verkommenheit,“ meinte der FAZ-Herausgeber Joachim Fest einmal. Er plagiierte damit einen 1950 nach New York emigrierten Künstler. Aber egal, haben Bosetzky und Bovenschen vielleicht einen neuen Trend (unter den Kulturschaffenden) gewittert, den sie nun mit ihren letzten Romanen zugleich auch noch verstärken – nach Art einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung?

Silvia Bovenschens Hauptfigur Georg Laub errang seine Schriftstellererfolge in Frankfurt am Main. Irgendwann ließen die Verkaufszahlen seiner Bücher aber immer mehr zu wünschen übrig. Auch zu Lesungen wurde er immer seltener eingeladen. Seine etwas hohle, aber ungebrochen karrieristische Frau verließ ihn. Laub zog nach Berlin – in ein von seiner Tante geerbtes heruntergekommenes kleines Haus – und schickte sich in eine schleichende Prekarisierung; mehr noch, er kam ihr mit einer Theorie der „Verkargung“ entgegen: „einer nahezu kultischen Bedürfnislosigkeit“.

So weit ähnelt „Georg Laub“  der Hauptfigur von  Horst Bosetzky in dessen Roman „Rumbalotte“. Wenn es sich dabei um Trivialliteratur handelt, dann muß man Silvia Bovenschens Roman „mit seiner heiteren Leichtigkeit der Intelligenz“ (FAZ) zur Hochliteratur zählen. Abgesehen davon gilt für beide Hauptfiguren Novalis‘ Vermutung: „Abwärts treibt der Sinn.“ Die heute in Berlin lebende Frankfurter Adornostudentin und Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen schrieb ihren Roman – ebenso wie Bosetzky seinen – aus reinem Vergnügen. Beide müssen Nichts mehr produzieren, sie sind sozusagen aus dem Schneider, aber das Schreiben (und Lesen) ist ihnen zur wichtigsten Lebensäußerung geworden.

Nach ihrem letzten Kalifornien-Buch versprach Christa Wolf ihrem Mann, es nun aber wirklich genug sein zu lassen. Da kam Freude auf.

Als Georg Laub in seiner Hütte Besuch von einem Freund aus Frankfurt bekommt, ein Bühnen- und Filmausstatter, erklärt er ihm: Sein Schreiben war „pseudokosmopolitische Überheblichkeit“ und die dazugehörige „Coolness“ mache „kalt“ auf Dauer, werde immer idiotischer und unerträglicher. Und selbst die Beziehung zu seiner Frau war reines „Paardesign – Show, Klischee“. Laubs alter Freund verabschiedet sich irritiert, so eine „exotische Verliererrhetorik“ will er sich nicht anhören. Aber auch Laub ist nach dem Besuch unzufrieden: „Das sah nicht aus wie der totale Bruch, den ich gewollt hatte.“ Wenn er sich an früher erinnerte, „dann war es immer Party. Jeder angesoffen  oder zugekokst, jeder in der Positur maßloser Selbstherlichkeit. Stakato-Gespräche getaktet durch eintreffende Mails oder SMS-Nachrichten.“ Kurzum: „Georg Laub fühlte sich durch den Besuch seines Feundes geradezu beschmutzt.“

Sein neues Berliner Milieu, bestehend aus einer Kneipe und einigen Kleinhändlern in der Nachbarschaft, kommt ihm weitaus unverkrampfter vor. Der Freund aus alten Tagen wollte Georg Laub eigentlich nur dazu überreden, an der Verfilmung eines seiner Romane mit zu wirken – vergeblich. Laub hatte aufgehört zu schreiben. „Dieses ganze Hauskonzert der Buchgemütlichkeit intoniert von Verlag, Buchhandel und Feuilleton wird früher oder später sowieso digital zum Verstummen gebracht werden.“ Aber eines Tage bekommt er anonym ein Manuskript zugeschickt. Er soll es nicht begutachten oder an einen Verlag weiterreichen, sondern als Teil eines Spiel ansehen, dass ihn dann in einer Art Schnitzjagd zu mehreren Orten bringt – u.a. in das Café Lau, in eine Bank und in das Funkhaus Nalepastrasse. Jedesmal erwartet ihn dort eine „diffuse Bedrohung“. Im Café Lau wird seine Demutspolitik lautstark als eine weitere Pose kritisiert. Lauf verläßt fluchtartig das Lokal. Später schaltet er den Fernseher in seiner Bruchbude an. Beim Einblick in die Lebens- und Herrschgewohnheiten einiger Ölscheichs, die „eine archaische Despotie nahtlos mit digitaler Machttechnik“ verbanden, wird ihm, dem „Netzphobiker“, klar, dass er „in ihrer Welt nicht vorgesehen war. Er und seinesgleichen waren gelöscht.“ Auslaufmodelle. „Aber jetzt mal im Ernst: Wäre es schade um ihn? Was hätte er der neuen Welt entgegenzusetzen? War zukünftig noch ein Raum zwischen diesen Daseinsformen?“

Laub sucht ein neues Fernsehprogramm. „Ranking, wohin man auch schaltete. Schwachsinnig hierarchisierter Schwachsinn.“ Er fängt wieder mit dem Rauchen an. Aber er tut gleichzeitig auch was für sein Äußeres: Bringt seine Klamotten in die Reinigung, schneidet seine Fingernägel und geht zum Friseur, woraus sich ein kurzes  Liebesabenteuer mit der  Friseurin ergibt. Der Schriftsteller Laub hatte sich „als kultivierten, ja überfeinerten Liebhaber“ begriffen und das auch in seinen Romanen durchblicken lassen. Neuerdings träumt er jedoch davon, die Mieterin, die in der Etage über ihn wohnt, im dunklen Hausflur „primitiv zu ficken“.

Wieder bekommt er ein anonymes Schreiben, wieder läßt er sich darauf ein, den Anweisungen zu folgen und findet sich daraufhin im Keller einer Bank wieder, wo er sich anhören muß: „Deine neue Demut nützt dir nichts. Verlaß dein beschissenes Haus, und zwar subito.“ Erneut strebt er „der rettenden Tür zu.“ Zu Hause findet er eine Nachricht: „Du bist nicht einer, der einem anderen helfen kann.“

Auf einmal fühlt Georg Laub sich nicht gut und geht zum Arzt, der gleich nebenan seine Praxis hat. Zum Glück, fällt ihm dabei ein, ist er noch nicht bei der KSK versichert, sondern immer noch Privatpatient (die KSK ist nur für Künstler in einer bestimmten Honorarspanne da). „Er wirkt panisch, hektisch, fiebrig, hysterisch, delirierend.“ Seine Ex-Frau rückt an, Laub macht aber nicht auf, sie schimpft: „Das ist doch auch nur so ein Kitsch, sich zum Einsiedler zu stilisieren.“

Laub läßt sich mit einem weiteren anonymen Schreiben aus seinem Haus locken – in das Funkhaus Nalepastrasse, wo ihm eine dünne Frau gesteht: „Nie war ein Jubel in mir. Nie war ein Saft in mir. Nie war eine Lust in mir. Nur für kurze Wege reicht die Energie. Eine kleine Energie. (…) Zart verlöschen möcht ich. Bis dahin lehn ich mich an starke…Ich such und brauch die Näh der Riesen. Bin Parasit aus Not und Schwäche.“ Aber sie hat ein „fadendünnes Mitleid“ mit ihm – Laub. „Und, das bedenke: der, den ich, die Schwächste unter den Schwachen, fadendünn bemitleide, der ist wirklich arm dran.“

In Laubs Stammkneipe diskutieren sie derweil über den Hitzetod der Erde infolge zunehmender Sonnenwärme, was in etwa 500 Millionen Jahren der Fall sein wird. Dann ist alles endgültig aus. Die anonyme Schnitzeljäger enttarnen sich bei ihm im Haus als eine vierköpfige „mobile Künstlergruppe“  („Theater ist, wo wir sind“), die ihn deswegen in ihr Spiel einbezogen haben, weil sie wollen, dass er Texte für sie schreibt, er lehnt jedoch entschieden ab. Seine Ruhelosigkeit weitet sich bald zur Schlaflosigkeit. „Eine vorübergehende Übersichtlichkeit hatte er zurückgewinnen, ein milchiges Vergessen ermöglichen wollen, vielleicht sogar eine Selbstvergessenheit – auch um Raum für Neues zu schaffen. Für einen neuen Georg Laub? Aber das Getriebe hatte ihn nicht vergessen. Das war offensichtlich.“ Und das er in das ererbte schreckliche Haus gezogen war, kam ihm nun wie das „Unternehmen eines halbherzigen Schwächlings“ vor. „Ja, wenn er seinen Namen geändert und den Kontinent gewechselt, die Spuren sorgfältig gelöscht hätte…“

Als Ursula Krechel in ihrem Pensionszimmer im Engadin den Brief las, war sie aber doch erstaunt, dass Suhrkamp ihre Demission  so leicht hinnahm.

Er stellt erschreckt fest, dass er bald eine Brille braucht. Im Nachlaß seiner verstorbenen Tante, die er sehr gemocht hat, findet er einen Abschiedsbrief von ihr an ihn: „Es bedrückt mich,“ heißt es darin, „dass mit mir der letzte deiner Verwandtschaft gehen wird. Das ist eine besondere Einsamkeit, unterschätze sie nicht. Du wirst aus ihr wieder herauskriechen müssen.“

Sie hatte seine letzten Bücher nicht mehr gemocht, weswegen er sich schließlich von ihr abgewandt hatte. Ausgerechnet er, der so ambitioniert gegen die „allgemeine Verblödung“, den „grassierenden Unernst“ und die „Boulevardisierung der Kunst“, die sich über das „kumpelhafte Internetgeplapper“ ausbreitet, zu Felde gezogen war, nahm plötzlich „Verkaufskalküle“ auf, indem er zunehmend „frivoler“ schrieb – der „frivolen Zeit angemessen“. Jetzt dachte er: „Ja, wenn das letzte Buch wenigstens ein Erfolg gewesen wäre. Aber korrupt und trotzdem erfolglos, das war wirklich erbärmlich,“ oder – wie seine Ex-Frau sagen würde: „Das geht ja gar nicht.“

Sie besucht ihn noch einmal – und versucht ihn zu einer Zusammenarbeit mit ihr an einem Lifestyle-Magazin zu überreden: „Wir waren ein gutes Team und könnten es wieder werden.“ „Quatsch, wir waren Fassade.“ „Ach ja, und deine Existenz hier in diesem verkeimten Loch? Was soll das sein? Das wahre, das eigentliche, das echte Leben?“

Egal, Georg Laub wollte von ihrer Idee nichts wissen. Aber er wußte jetzt langsam: Er mußte das Haus verlassen. Das tat er dann auch – und verschwand. Lediglich bei Facebook tauchte er noch auf – als Suchmeldung. Diese war jedoch so „geil“, dass daraus ein Internet-„running gag“ wurde. Überall wollte man ihn gesehen haben – in Japan und sogar auf den Lofoten. „Bald schon gab es die Wortschöpfung ‚verlauben'“ – für verschwinden bzw. „diffus auf dem Globus irrlichtern“. Das „Verlauben“ ähnelte dem Verschwinden der Kämpfer im einstigen Maji-Maji-Aufstand in Ostafrika, die sich angeblich bei Gefahr in Bäume und ihre Dörfer in Wälder verwandeln konnten. Das sogenannte „Wald-Werden“, das auch schon die schottischen Aufständischen bei  Shakespeare kannten. Im US-Spaßraum „Internet“ ähnelte das „Verlauben“ freilich eher dem mit der Landung der Alliierten nach Europa gelangten Graffitispruch „Kilroy was here“ (siehe dazu den entsprechenden Eintrag bei Wikipedia).

Nach dem ganzen rumänischen IM-Rummel hatte Herta Müller endgültig die Schnauze voll: Sie zog wieder ihren Arztkittel an und eröffnete eine kleine HNO-Praxis in Moabit.

In Georg Laubs Stammkneipe war man sich einig: „Die Verkargung, die unaufrichtige Unauffälligkeit, eine Lebensform, zu der auch das kaputte Häuschen gehörte. Das ist ihm nicht gut bekommen.“ Laub hatte unterdes sein Haus für 20.000 Euro verkauft und konnte „überall und nirgendwo sein. Wir alle werden zukünftig überall und nirgendwo sein. Das ist die neue digitale Zeit.“

Aber irgendwann wurden die Gespräche über den so plötzlich aufgetauchten und dann wieder verschwundenen Ex-Schriftsteller seltener. Und dann fiel auch die Truppe in seiner Stammkneipe auseinander: die  eine zog nach München, ein anderer fand endlich eine Freundin. Laub war jedoch nicht ganz verschwunden, er befand sich in „nahe liegender Ferne“ – ähnlich wie Bosetzkys Protagonist, der sich in die Uckermark zurückzog – „an den Saum eines Gewässers, in dem sich der Himmel spiegelte.“

Dort führte Laub anscheinend Selbstgespräche – Selbstkritik: „In der Liebe lag meine Begabung nicht.“ „Wie schade.“ „Ja.“ „Und wen hast du geliebt, wirklich geliebt?“ „Meine erste Liebe, ich habe sie verraten.“ „Warum?“ „Angst.“ Auch seine Tante verriet er. Und seine späteren Beziehungen gerieten schnell in eine „vereinbarte emotionale Bedeutungslosigkeit. Ich bin kein Risiko mehr eingegangen.“ „Und die Musik, die Literatur?“ „Auch hier lauerte Verrat. (…) Ich war süchtig nach Bewunderung, und dort, wo ich sie nicht bekam, wurde ich frostig. Die meisten Fallgruben liegen im eigenen Charakter.“

Vielleicht gilt das besonders für Männer, aber auch Frauen haben eine Falle: Silvia Bovenschen gab kürzlich dem Spiegel als „Mitbegründerin der Frauenbewegung“ ein Interview. Darin wurde sie gefragt, was sie davon halte, dass die Ministerin Schröder die Frauenquote für eine „Kapitulation der Politik“ halte und von Frauen erwarte, dass jede für sich kämpfe, für die eigene Gehaltserhöhung. Frauen müssten „tougher werden“. Silvia Bovenschen antwortete darauf: „Das ist das amerikanische Modell: Wie und warum auch immer ich in der Scheiße sitze, es ist jedenfalls selbstverschuldet.“ Außerdem wollen Frauen Kinder haben, das ist auch ihr gutes Recht. „Aber Kinder sind die Falle.“

Ihr Roman „Wie geht es Georg Laub?“ endet mit einem letzten kurzen Blick auf die 9 Nebenfiguren, aber auch der verschwundene Georg Laub taucht noch einmal – von weitem – kurz auf: „Er ist in Begleitung.“ Man kann diese zweite Person  nicht genau erkennen. „Wo geht er hin? Man kann es nicht wissen.“

Nachdem Cora Stephan sich ein zweites Bauernhäuschen zugelegt hatte, kam sie auf die Idee, sich zukünfig ganz dem Vermakeln  ländlicher Immobilien zu widmen.

Anmerkungen:

(1)  Ebenfalls trivial und von zotigem Humor getragen ist die Andekdotensammlung „RumBalotte. Geschmunzeltes maritim“ von Dieter Flohr und Jark Herbert. Ersterer ist Journalist und veröffentlichte u.a. vier Bücher über die „Volksmarine“. Letzterer war Kapitän und publizierte zuvor „Seemannsgarn“ in der Betriebszeitung „Voll voraus“ der Deutschen Seereederei (DSR) Rostock, außerdem ist er noch Autor der „Bordgeschichten“ (Auszüge aus Tagebüchern ehemaliger DSR-Seeleute) und „Geschichten aus der Seekiste“ (2009). In ihrem 2004 veröffentlichten Witzbuch „RumBalotte“ kaschieren die flotten Seemansanekdoten nur das elende Leben auf den Handels- und Kriegs-Schiffen vornehmlich der DDR, aber auch der Bundesmarine. Im Vorwort ist von echter Kameradschaft auf See und ähnlich verlogenem Scheiß die Rede. Auf Seite 16 ist der (sowjetische) Witz mit dem „Ruhm und Ehre der baltischen Rotbannerflotte“ abgedruckt. Mit dem einzigen Unterschied, dass hier das Wort „RumBalotte“ mit großem „B“ geschrieben wird.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass es neben der Prenzlauer Berg Dichterkneipe „Rumbalotte“ auch noch eine Sportkneipe mit Biergarten namens „Rumbalotte“ gibt – in 30926 Seelze, Wunstorferstr 35. Sie firmiert auch als „Pizzeria Rumbalotte“ mit Lieferservice und Online-Bestellung sowie als „Bistro“ bzw. „Imbiß Rumbalotte“.  In der Kneipe finden Dartturniere statt, u.a. spielen dort der „DC Outlaws“ und der Dartverein „Tomahawks“, auch der Verband christlicher Pfadfinder und Pfadfinderinnen trifft sich dort – u.a. zu seinem „Sommerfest“. Seelze nennt sich „Die Stadt mit Schwung“, sie liegt halbwegs zwischen Hannover und Neustadt am Rübenberge – im Calenberger Land.

Nich unerwähnt bleiben soll außerdem eine finnische  Motorjacht namens „Rumbalotte“, Heimathafen Espoo Marjaranta. Das Boot gehört dem Deutsch-Finnischen Ehepaar Ulla und Mike – er lebt seit 1970 in Finnland. Beide sind seit Januar 2008 in Pension – und schippern seitdem durchs Mittelmeer, im letzten Sommer waren sie in Griechenland/Italien.

Und dann gibt es noch eine Straßenbahn in Leipzig, die „Rumba-Lotte“ genannt wird. Dazu heißt es auf der Nahverkehrs-Webseite: „Die Stadtrundfahrten mit dem „Offenen Leipziger“ im Sommer wurden begeistert angenommen. Jetzt hat der  Gotha-Wagen „Rumba-Lotte“ den Offenen Leipziger abgelöst. Allerdings fährt Rumbo-Lotte nicht mehr auf sechs, sondern nur noch auf drei Routen. Schließlich wird es ja auch früher dunkel. Abfahrt ist immer noch samstags an der Haltestelle „Thomaskirche“.

Und es gibt auch noch einen Autor, der sich „Rumbalotte“ nennt und im „Freierforum“ seine Pufferlebnisse veröffentlicht. Er wird dort auch als „Realuser“ bezeichnet, was immer das heißen mag. Ein weiterer Autor, der sich „Rumbalotte“ nennt, veröffentlicht im internet-forum „tweakpc.de“ – seine Texte – z.B. diesen: „Hi, so nu hab ich endlich meine Teile bekommen und die Kiste zusammengeschraubt. Habe den E4300 momentan auf 2,7 Ghz laufen. Wird gerade mit Prime95 getestet. Was ich wissen will: Im Taskmanager von XP wird unter Prozesse nur 1x Prime95.exe aufgeführt. Habe aber schon Screenshots gesehen, da waren 2 Primes zu sehen. Wird bei mir nur ein Kern ausgelastet? Wie bekomme ich Prime dazu, beide Kerne zu knechten?“ Solche Texte können wir Präinternet-Autoren in der Tat nicht mehr verstehen/verknusern. Wer soll da geknechtet werden?

Nachdem sie ihr Manuskript verbrannt hatte, indem sie den Freundschaftsbegriff bei Facebook auseinander genommen hatte, ging Elfriede Jelinek auf eine Hochwiese und überlegte sich einen neuen Broterwerb.

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