vonHelmut Höge 16.02.2011

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El Alamein – gestern. Photo: missionmodels.com

El Alamein – heute. Photo: hausconrin.de

1978 veröffentlichte der palästinensische Literaturwissenschaftler Edward W. Said ein an Michel Foucaults Wissensanalysen geschultes Buch über den „Orientalismus“. Es war nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit dem Bild der Araber im Westen, wie sie seiner Meinung z.B. auch Karl Marx sah, als der über die französischen Kleinbauern schrieb: „Sie können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten werden.“ Dieses Zitat stellte  Said seiner Studie voran.

In ihrer „Einführung“ heißt es: „Mir stellt sich also der Zusammenhang von Wissen und Macht, der ‚den Orientalen‘ erst gebiert und gleichzeitig in gewissem Sinne als Mensch auslöscht, nicht in erster Linie als ein akademisches, sondern als ein intellektuelles Problem  dar. “

2003 schrieb Said in einem neuen „Vorwort“: „25 Jahre nach dem Erscheinen von „Orientalismus“ wirft das Buch heute erneut die Frage auf, ob der moderne Imperialismus je geendet hat oder ob er im Orient seit Napoleons Einmarsch in Ägypten vor zwei Jahrhunderten andauert.“

In bezug auf den Widerstand dagegen heißt es dort: „Heute kommt uns das enorm ermutigende demokratische Umfeld des Internets zugute, das allen Nutzern in Formen offensteht, die sich frühere Generationen von Tyrannen und Inquisitoren niemals hätten träumen lassen.“

Der Wiener „Falter“ interviewte kürzlich den Berliner Orientalisten und Ägypten-Experten Asiem El Difraoui. Auf die Frage, wie in Tunesien und Ägypten eine „kritische Masse zusammengekommen“ sei, antwortete er:

„Ein wichtiger Aspekt scheint mir, dass die Jugend so extrem ‚connected‘ ist. 80 Prozent der Ägypter haben ein Handy. Das brachte die Jungen in die Moderne. Sie konnten endlich frei kommunizieren und dadurch ein Stück Privatsphäre gewinnen. Wo es keinen echten Freiraum gibt, dort wird der virtuelle zum Lebensraum erklärt. Die Kombination zwischen der allgemeinen Frustration und der Möglichkeit, auf einmal breitflächig zu kommunizieren, hat zur Explosion geführt.“

In der Jungen Welt stellt der Politologe und Westwiderstands-Experte Peter Grottian Überlegungen zu „Stuttgart 21“ an:

„In Stuttgart wird ein Erfolg vermutlich ungleich schwerer zu erringen sein als am 19.2. in Dresden mit dem Widerstand gegen die Neonazis. Es spricht inzwischen einiges dafür, daß nach der Landtagswahl am 27. März entweder Schwarz-Gelb weiterregieren kann oder daß Schwarz-Grün nach langen Koalitionsverhandlungen ein »Stuttgart 21 plus«, also ein Weiter-so beim Bau des Tiefbahnhofs nach Art des Geißlerschen Schlichterspruchs, beschließt. Das heißt: Nach einer Beruhigungsphase werden die Arbeiten fortgesetzt. Und dann kommt die eigentliche Nagelprobe für den faszinierend breiten Stuttgarter Widerstand. Dabei sollte auf den massenhaften Lernprozessen der sozialen Bewegungen aufgebaut werden. Da sind zum ersten die zahllosen Akte zivilen Ungehorsams in Dresden und Gorleben. Daß 4000 oder 5000 vorwiegend jüngere Leute »schottern« und drohenden Strafanzeigen trotzen – von solchen Protestformen ist bei Bankenbesetzungen, Bildungsstreiks und Sozialprotesten bislang wenig bis nichts zu sehen. Die zunehmende Selbstverständlichkeit solcher Widerstandsformen zeigt aber einen Lernprozeß, der mit den Protesten gegen das Treffen der G-8-Staaten in Heiligendamm im Juni 2007 begonnen hat. Ziviler Ungehorsam ist nicht mehr nur Radikalität flotter Sprüche, sondern das Salz in der reichlich öden Suppe der Demokratie. Deshalb auch der massenhafte Puderzucker der Herrschenden für den Protest, die mappuszerknirschten, guttenbergischedlen und leyenhaften Rettungsversuche der repräsentativen Demokratie.

Ein zweiter wichtiger Lernprozeß ist vor allem in Gorleben zu beobachten: das Wachsen von Toleranz und Respekt vor sehr unterschiedlicher Radikalität. In den Großzelten der Aktivisten im Wendland wurden Ende 2010 die einzelnen am nächsten Tag geplanten Aktionen vorgestellt. Das »Schottern«, die Blockaden der Straßenkreuzungen, die Behinderungen des Castorzuges, die geheimnisvollen »Sonderaktionen« von Greenpeace – alles das wurde jeweils als ermutigend aufgenommen und akzeptiert. Von der bei früheren Protesten oft zu beobachtenden Konkurrenz um die »richtige« Strategie war nichts zu spüren. Diese noch nicht bei allen sozialen Bewegungen angekommene Toleranz hat das Zeug zu einer neuen Qualität.

In Stuttgart wird es bald eine Bewährungsprobe für diese neue Solidarität geben. Die Mappus-Strategie wird nach einer gewonnenen Wahl darauf hinauslaufen, die Protestbewegung zu spalten. Deshalb ist in Stuttgart eine ernsthafte Debatte über die notwendige Toleranz gegenüber radikalen Protestformen fällig. Die Fixierung auf die Landtagswahl und ein mögliches Ende der CDU-Herrschaft ist blauäugig. Zum erfolgreichen »Schwabenstreich« müßte vielmehr eine selbstbewußte Bürgerabstimmung über S21 und K21 kommen – und symbolisch ein »Stuttgart-Schwur«: eine gemeinsame Festlegung auf Gewaltlosigkeit und zivilen Ungehorsam gleichermaßen. Dann könnte sich der Widerstand in bester Verfassung zeigen, und selbst ein Ministerpräsident Stefan Mappus müßte einsehen: Stuttgart21 ist zwar machbar, aber nicht durchsetzbar. Er wäre dann ein würdiger Nachfolger Lothar Späths, der das AKW Whyl wollte, aber nicht durchsetzen konnte.“

Ebenfalls in der Jungen Welt setzt der Kommentator Werner Pirker in bezug auf Ägypten seine Hoffnungen nun auf die „verzweifelten Unterschichten“, die „der demokratischen Wertegemeinschaft im Westen den Spaß an der Revolution, die sie sich so bunt ausgemalt hat, noch gründlich verderben werden“.

In der FAZ wiederholt der Feuilletonchef heute noch einmal ganzseitig seine Kritik von vorgestern an den sogenannten „Islamkritikern“, die er auch „Kiezsoziologen“ nennt, weil sie kühn einen Bogen von gewaltbereiten Jugendlichen in Moabit über einen Moschee-Neubau in Köln-Wahn bis zu den Taliban in Kandara schlagen. Und daraus folgern, dass es für uns Abendländer schon fast 5 nach 12 ist. Namentlich genannt werden die Islamalarmisten Ralph Giordano, Alice Schwarzer und Henryk Broder, Sarrazin und Heinsohn sind schon nicht mehr der Kritik würdig. „Muslime können keine Demokraten werden. Das redet uns die Islamkritik ein.“

Vielleicht haben auch diese Meldungen von gestern noch etwas zu bedeuten:

“In der neuen ‘C.H.Beck Geschichte Europas’ bläst keiner mehr die Abendlandstrompete” heißt es im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.

Im Politikteil ist die Rede davon, dass der konservative Präsident Kolumbiens eine Wende nach links gemacht hat und sich nun als “versöhnlicher Sozialpolitiker” profiliert. Hugo Chavez bezeichnet er als seinen “neuen besten Freund”.

Afp meldete um 8 Uhr 46: “USA wollen sich für Freiheiten im Internet einsetzen. ‘Wir sind überzeugt, dass ein offenes Internet langfristig Frieden, Fortschritt und Wohlstand fördert’, heißt es in vorab veröffentlichten Auszügen aus einer Rede, die Hillary Clinton am Dienstag in Washington halten soll.”


Griechenland nicht zu vergessen:

„Sämtliche S-Bahnen, U-Bahnen und alle Busse wurden gestern für 24 Stunden bestreikt. Die Streiks legten den öffentlichen Nahverkehr in der griechischen Hauptstadt komplett lahm.

Die Streikenden protestieren gegen Sparmaßnahmen in ihren Betrieben, die nach Schätzungen ihrer Gewerkschaften zu Lohnkürzungen von bis zu 25 Prozent bei den Beschäftigten der Bus- und U-Bahn-Betriebe führen werde. Zudem sollen die verschiedenartigen Nahverkehrsunternehmen zusammengelegt werden. Die Regierung will damit die Defizite dieser Betriebe senken.“

Ägypten:

Die Berliner Zeitung berichtete gestern über die Demonstrationen der streikenden Polizisten auf dem Kairoer Tahrir-Platz: “Der Seitenwechsel von ehemaligen Unterstützern des Mubarak-Regimes führt mittlerweile in Ägypten zu einer Debatte, wie man mit solchen Überläufern umgeht.”

„Auch vier Tage nach dem Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak bleibt das Land unruhig. Bei Zusammenstößen mit aus den Gefängnissen entlaufenen Kriminellen wurden an drei verschiedenen Orten insgesamt sechs Menschen getötet und 80 weitere verletzt. Das berichtete die Tageszeitung “Al-Masri al-Youm” am Dienstag.

Das Regime hatte Ende Januar, auf dem Höhepunkt der Unruhen und Proteste, die zur Abdankung Mubaraks führten, die Gefängnisse geöffnet. Tausende Insassen, unter ihnen verurteilte Mörder und Diebe, waren dabei entkommen.

Allein in der nördlichen Hafenstadt Port Said seien vier Kriminelle bei Bandenkriegen ums Leben gekommen, heißt es in dem Zeitungsbericht. 65 weitere Bandenmitglieder wurden bei den Kämpfen in der Innenstadt verletzt. Die Lage war so chaotisch, dass der Gouverneur der Provinz Said, Mustafa Abdel-Latif, seinen Amtssitz provisorisch in eine Feriensiedlung außerhalb der Stadt verlegte. Zudem forderte er die Armee an, um gegen die Unruhen einzuschreiten.

In der oberägyptischen Stadt Minia wurden zwei Kriminelle getötet und elf weitere verletzt, als sie mit der Polizei in der Stadt zusammenstießen. Die Banden hatten versucht, das städtische Gefängnis zu stürmen und die Gefangenen zu befreien. In Beni Sueif, 150 Kilometer südlich von Kairo, plünderten Kriminelle ein Lagerhaus und setzten es in Brand. Nach einem Feuergefecht nahm die Polizei fünf Plünderer fest.“

Die FAZ veröffentlicht heute ein schönes Interview mit dem ägyptischen Schriftsteller Khaled al-Khamissi, der gerade

ein Buch über Kairoer Taxifahrer veröffentlichte.Sie sind durchweg arm und ungebildet,. aber tragen laut Khaled al-Khamissi „ein Weltverständnis in sich, das tiefer geht als dass der Professoren.“

In dem FAZ-Interview konstatiert er – vier Tage nach dem Aufstand, dass sich „etwas in der Psyche der Ägypter verändert hat.  Die Revolution hat die ägyptische Seele zum Leuchten gebracht.“

Zum hundertsten Mal muß er sodann dem FAZ-Interviewer erklären, warum der Westen Ägypten belogen und betrogen hat und dass die Muslimbrüder eher eine westliche Paranoiaprojektion sind als eine Bedrohung für Ägypten:

„Ich bin mit französischen Filmteams durch Kairo gelaufen. Wenn sie unter 2000 Gesichtern eines mit einem langen Bart gesehen haben, filmten sie dieses, nicht die 1999 anderen. Der Westen sucht diese Bilder. Aber sie sind eine Verzerrung der Wirklichkeit.“

AFP meldet heute: „Nach dem Strom tunesischer Bootsflüchtlinge haben sich auch ägyptische Flüchtlinge über das Mittelmeer auf den Weg nach Italien gemacht. Zwei Boote mit Migranten seien am Dienstag in Sizilien angekommen, sagte eine Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) der Nachrichtenagentur AFP. Ein Boot habe etwa 60, das andere etwa 30 Menschen befördert.“

Und dpa: „Die ägyptische Zentralbank hat am Mittwoch die Beschäftigten des Finanzsektors aufgefordert, ihre Streiks und Ausstände zu beenden. Sie sollten wieder zur Arbeit gehen und „die Stabilität der Volkswirtschaft gewährleisten“, hieß es in dem Aufruf. Nach dem Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak am letzten Freitag sind landesweit in vielen Banken Arbeitskonflikte ausgebrochen. Die Mitarbeiter protestierten vor allem gegen die angebliche Korruption und Unfähigkeit ihrer Spitzenmanager.“

Bahrain:

„Im Golfstaat Bahrain ist es bei der Beerdigung eines jungen Demonstranten zu neuen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Die Beamten gingen am Dienstag mit Tränengas gegen die Teilnehmer der Trauerprozession vor, wie Augenzeugen berichteten. Der 22-Jährige war am Vortag bei Zusammenstößen am sogenannten “Tag des Zorns” getötet worden. Er hatte an einer Protestkundgebung gegen die Regierung teilgenommen, als Sicherheitskräfte gegen das Aufbegehren in den schiitischen Teilen des arabischen Königreiches vorgingen. Bahrain ist ein Saudi-Arabien vorgelagerter Inselstaat, der von einer sunnitischen Oberschicht regiert wird. Die Mehrheit der Bevölkerung ist aber schiitisch.

Nach Angaben der schiitischen Opposition in Bahrain starb am Dienstag ein weiterer Demonstrant. Es war zunächst unklar, ob er am selben Tag getötet wurde oder seinen Verletzungen vom Montag erlag. Der Fernsehsender Al-Dschasira berichtete, der Demonstrant sei bei der Trauerfeier für das andere Todesopfer getötet worden. In Bahrain hatten Oppositionsgruppen nach ägyptischem und tunesischem Vorbild über die Online-Netze Twitter und Facebook zu den Protesten vom Montag aufgerufen. Politische Beobachter befürchten ein Übergreifen der Proteste auf den weltgrößten Ölexporteur Saudi- Arabien, sollten sich die Demonstrationen in Bahrain ausweiten.

Innenminister Raschid bin Abdulla al Chalifa erklärte in einer Stellungnahme sein “aufrichtiges Beileid und tiefe Sympathie” für die Familie des getöteten 21-Jährigen. Der Minister versprach umfassende Ermittlungen zu dem Fall. Sollte sich zeigen, dass übermäßige Gewalt gegen die Demonstranten angewandt worden sei, werde Anklage erhoben, sagte Al Chalifa.

Die größte Oppositionsbewegung in Bahrain, Al Wefak, verurteilte das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten und erklärte zugleich, dass das Ziel der Proteste nicht die Absetzung des herrschenden Regimes sei. Gefordert werde lediglich eine demokratische Öffnung des politischen Systems sowie mehr Einfluss für das Parlament.

Das kleine Emirat, nicht größer als die Stadt New York, ist als Sitz der 5. Flotte der US-Marine insbesondere für die USA von Bedeutung. Etwa 70 Prozent der rund 525.000 Einwohner des Landes sind Schiiten. Nach der Festnahme schiitischer Aktivisten war es bereits im vergangenen Jahr zu Zusammenstößen gekommen.“

Heute melden die Nachrichtenagenturen:

09:27 pl 4 Großbritannien/Pressestimmen/Bahrain/Unruhen/
„Times“: Bahrain hat Einfluss auf Saudi Arabien
08:24 pl 4 Bahrain/Proteste
Tausende Demonstranten in Bahrain setzen Proteste fort –

etöteten Demonstranten

05:31 OVR 3 BAHRAIN/USA/PROTESTE
USA äußern sich besorgt über Gewalt bei Protesten in Bahrain
?" 8. von 8 Treffern ArTime:16.02.11 1228; Stich:Bahrain 955 Alle in Liste
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Jemen:

Im Jemen haben sich auch am Dienstag Gegner und Anhänger von Präsident Ali Abdullah Saleh Straßenschlachten geliefert. Nach Angaben eines Reuters-Reporters zogen rund 1000 Regierungsgegner in der Hauptstadt Sanaa Richtung Präsidentenpalast, wurden aber von Bereitschaftspolizei in Seitenstraßen abgedrängt. Dort trafen sie auf Hunderte Anhänger des Präsidenten. Beide Gruppen gingen mit Knüppeln und Steinen aufeinander los. Mindestens vier Regierungsgegner wurden dabei verletzt.

Heute wurden die Proteste fortgesetzt, erneut gab es Verletzte unter den Demonstranten. Al Dschasira meldet:

„Protests in Yemen are spiralling out of control as they enter their sixth consecutive day, with pro-democracy protesters and government loyalists clashing in Sanaa, the capital. Despite thousands of police being deployed across the city, dozens of students demanding the president’s ouster clashed with government supporters at Sanaa university on Wednesday.

Demonstrators were set upon by hundreds of loyalists armed with batons, stones and daggers, shortly after they set off from the university towards al-Sabiine square. Some protesters fled while others hurled stones, and clashes later spread to the university campus. Police fired warning shots in an attempt to disperse the crowds after being unable to keep the two sides apart.

Military ties between the US and Saleh’s administration have grown stronger in recent months, as the country struggles with the increasing militancy of a secessionist movement in the south, as well as unrest provoked by rising food prices, unemployment reaching 40 per cent – and demands for human rights to be recognised. The US is shortly to embark on a $75 Million project to train Yemen’s counterterrorism unit, US officials say.“

Algerien:

Der algerische Außenminister Mourad Medelci hat die Proteste gegen die Regierung als Aktionen einer kleinen Minderheit abgetan. Dem französischen Radiosender Europe 1 sagte er am Montag, Algerien sei nicht Tunesien oder Ägypten. Der für kommendes Wochenende geplante Protestmarsch in der Hauptstadt Algier werde ebenso wenig Zulauf haben wie der vom Samstag.

„Medelci erklärte zudem, der seit 19 Jahren geltende Ausnahmezustand werde in den kommenden Tagen aufgehoben. Der Ausnahmezustand war 1992 verhängt worden, als das nordafrikanische Land in einem Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Regierungstruppen zu versinken drohte.

Rund 26.000 Bereitschaftspolizisten hatten am Wochenende in Algier Stellung bezogen, um eine Kundgebung zu verhindern. Nach Angaben der Organisatoren war es aber etwa 10.000 Menschen gelungen, die Barrikaden zu überwinden und sich im Stadtzentrum zu versammeln, bevor die Menschenmenge von Sicherheitskräften aufgelöst wurde. Die Demonstranten forderten den Rücktritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika.

Die konservative Pariser Zeitung “Le Figaro” schreibt heute: “Nach Tunesien und Ägypten kann der Fall Algeriens nicht unbeachtet bleiben. Auch dort ist Unzufriedenheit weit verbreitet. Sie wird von Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Menschen, und von Wohnungsnot genährt. Die sozialen Revolten gibt es aber nicht erst seit heute. Sie sind zahlreich, chronisch und (…) verursachen gewalttätige Ausschreitungen. Gleichzeitig bleiben sie allerdings sehr fragmentarisch. Zwischen der aufsässigen Jugend und einer weitgehend verkrusteten Opposition herrscht gegenseitiges Misstrauen. Es gelingt nicht, die soziale Unzufriedenheit in politischen Protest zu übersetzen. Dies kann sich ändern. Aber bis heute profitieren die Machthaber von dieser Spaltung, um ein System ohne Zukunftsperspektiven am Leben zu erhalten.”

Heute demonstrierten in Algier wieder Zehntausende.

Libyen:

Al Dschasira meldet heute:  Protesters have clashed with police and government supporters in the eastern Libyan city of Benghazi, reports say. Demonstrators gathered in the early hours of Wednesday morning in front of police headquarters and chanted slogans against the „corrupt rulers of the country“, Al Jazeera’s sources said. Police fired tear gas and violently dispersed protesters, the sources said without providing further details.

The online edition of Libya’s privately-owned Quryna newspaper, which is based in Benghazi, said the protesters were armed with petrol bombs and threw stones. According to the newspaper, 14 people were injured in the clashes, including three demonstrators and 10 security officials.

In a telephone interview with Al Jazeera, Idris Al-Mesmari, a Libyan novelist and writer, said that security officials in civilian clothes came and dispersed protesters by using tear gas, batons and hot water. Al-Mesmari was arrested hours after the interview, unconfirmed reports say.

Libyan state television reported that rallies were taking place all over the country early this morning “in support of the rule of the people by the people”.

Der ägyptische Blogger hat das letzte Wort: „Mohammed Maree, an Egyptian blogger, said „Gaddafi’s regime has not listened to such pleas and continues to treat the Libyan people with lead and fire. This is why we announce our solidarity with the Libyan people and the families of the martyrs until the criminals are punished.“

Dpa tickert um 16 Uhr: „Revolutionsvirus infiziert Libyer – Gaddafi kennt aber kein Pardon.

Nach den Volksaufständen in Tunesien und Ägypten regt sich nun auch in Libyen Protest. In der Stadt Bengasi, wo viele Gegner von Staatschef Muammar al-Gaddafi leben, wurden bei Zusammenstößen zwischen Anti-Regierungs-Demonstranten, Polizisten und Gaddafi-Anhängern in der Nacht zum Mittwoch 38 Menschen verletzt. Das meldeten libysche Medien. Im Internet wurden Amateurvideos veröffentlicht, auf denen im Dunkeln Hunderte von Männern und Frauen zu sehen sind, die rufen: „Das Volk will den Sturz des Regimes“ und „Gaddafi, raus, raus!“.

Aus regierungsnahen Kreisen hieß es, bei den Demonstranten habe es sich um „15 junge Menschen“ gehandelt. Außerdem berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Jana über nächtliche Kundgebungen von Gaddafi-Anhängern in den Städten Tripolis, Bengasi und Sebha, bei denen der Slogan „Gott und Muammar und Libyen und sonst gar nichts“ skandiert wurde.

Nach Medienberichten warfen die Demonstranten in Bengasi Steine auf die Polizei, die den Protest binnen einer Stunde mit Wasserwerfern und Knüppeln beendete. Demonstranten zerstörten auf einem Platz ein großes Porträt von Oberst Gaddafi. Dabei riefen sie „Gott ist groß“. Aus Kreisen der Exil-Opposition hieß es, die meisten Verletzten seien Polizisten. „Der Druck der Straße ist groß, in Libyen wird es genauso ablaufen wie in Tunesien und Ägypten“, sagte Abdulhamid Salim al-Haasi, ein Sprecher des libyschen Exil-Oppositionsbündnisses NCLO mit Sitz in London. Er rief die libysche Jugend auf, „friedlich“ zu demonstrieren und nicht die direkte Konfrontation mit der Staatsmacht zu suchen.

Im sozialen Netzwerk Facebook gibt es einen Aufruf zu Großdemonstrationen in allen libyschen Städten an diesem Donnerstag. Die Kundgebungen sollen an die Ereignisse des 17. Februar 2006 erinnern. Damals war in Bengasi aus einer Demonstration gegen die Mohammed-Karikaturen eine Protestaktion gegen die libysche Führung geworden, die von der Polizei beendet worden war. Es gab damals Tote und Verletzte. Kundgebungen, die nicht vom Regime organisiert werden, sind in Libyen, wo Revolutionsführer Gaddafi seit 1969 herrscht, extrem selten.

Aus Regierungskreisen hieß es, am Mittwoch seien 110 Häftlinge aus dem Gefängnis Buslim freigelassen worden. Im vergangenen Jahr waren auf Betreiben von Gaddafis Sohn Seif al-Islam bereits 250 „geläuterte Islamisten“ aus der Haft entlassen worden.“


Marokko:

“Nach Aufständen in mehreren nordafrikanischen Ländern erhöht Marokko die Subventionen für Grundnahrungsmittel. Die Regierung werde die Zuschüsse im laufenden Jahr fast verdoppeln, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Map am Dienstag. Der Haushaltsposten für Subventionen von 17 Milliarden Dirham (umgerechnet 1,5 Milliarden Euro) solle um weitere 15 Milliarden Dirham erhöht werden. Steigende Lebensmittelpreise waren einer der Gründe für die Proteste in Tunesien und Ägypten, unter deren Druck die Präsidenten beider Länder zurücktreten mussten.

Grundbedarf wie Zucker, Mehl und Gas zum Kochen werden in Marokko massiv subventioniert. Ohne die Zuschüsse wäre etwa der Brotpreis mindestens doppelt so hoch. Im Januar versprach die Regierung, Grundnahrungsmittel unter allen Umständen bezahlbar zu halten, auch wenn der Anstieg der Weltmarktpreise für Lebensmittel und Öl die öffentlichen Finanzen stark belasten sollte. Missernten und Spekulationsgeschäfte haben die Preise für Getreide in den vergangenen Monaten in die Höhe getrieben.”

Syrien:

Wegen Spionage ist eine 19 Jahre alte Bloggerin in Syrien zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Gerichtsverfahren gegen Tal al Mallohi, die bereits seit Dezember 2009 festgehalten wird, fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In ihrem Blog schrieb die junge Frau vor allem über das Leid der Palästinenser. Neben internationalen Menschenrechtsgruppen hatten sich auch die USA für ihre Freilassung eingesetzt.

Al Mallohi habe einen fremden Staat kontaktiert und geheime Informationen weitergegeben, erklärte ein Gewährsmann aus dem Umfeld des Gerichts am Montag. Sie hätte 15 Jahre Haft verdient gehabt, wegen ihres Alters sei die Strafe aber geringer ausgefallen. Um welchen fremden Staat es sich laut Anklage handelt, sagte der Gewährsmann nicht.

Die syrische Zeitung “Al-Watan” hatte im Oktober behauptet, die Bloggerin habe für die US-Botschaft in Kairo spioniert. Die in den USA ansässige Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch zitierte Al Mallohis Eltern im vergangenen Jahr mit den Worten, die 19-Jährige gehöre keiner politischen Gruppe an.

Das war gestern. Heute wird aus Syrien gemeldet:

„Die syrischen Behörden haben nach Angaben von Menschenrechtsgruppen einen Anfang des Monats verhafteten Regierungsgegner freigelassen. Ghassan al Nadschdschar, der Mitte 70 sei, sei wegen gesundheitlicher Probleme entlassen worden, teilten neun syrische Menschenrechtsgruppen am Mittwoch mit.

Al Nadschdschar leitet eine kleine Gruppe namens Islamische Demokratische Strömung. Er wurde am 2. Februar in seinem Haus in der nordsyrischen Stadt Aleppo verhaftet, weil er zu einer Demonstration gegen die Regierung aufgerufen hatte.“

Irak:

Mehrere hundert Iraker haben am Montag gegen Korruption und unzureichende staatliche Leistungen protestiert. Die Demonstranten in Bagdad forderten die Regierung zu Reformen und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf. Viele von ihnen trugen – als Verweis auf den Valentinstag – Plakate mit dem Bild eines gebrochenen roten Herzens bei sich. Die Proteste richteten sich auch gegen die anhaltende Wasser- und Stromknappheit im Land. Für den 25. Februar kündigten die Organisatoren eine Großdemonstration an.

Hunderte Menschen verlangten vor dem Sitz der Provinzregierung im nordirakischen Kirkuk die Entlassung bestechlicher Beamter, berichteten Augenzeugen. In Falludscha, 70 Kilometer westlich von Bagdad, protestierten mehrere hundert Bürger auch gegen die aus ihrer Sicht willkürlichen Verhaftungen.

Sudan:

Nach Kämpfen mit mindestens drei Toten haben im Sudan mehrere Hundert Menschen Zuflucht in einem Stützpunkt der Vereinten Nationen gesucht. Wie die Behörden am Montag mitteilten, war es am Samstag in der umstrittenen Stadt Abyei nach einem “Missverständnis” zu einem kurzen Gefecht zwischen Sicherheitskräften des Nordens und des Südens gekommen. Ein wütender Mob habe anschließend drei Menschen aus dem Nordteil des Landes getötet und mindestens sieben weitere verletzt.

„Der Südsudan wirft Khartum Unterstützung von Rebellenführer vor – Mehr als 200 Tote bei Kämpfen.“

Afghanistan:

Bei einem Selbstmordanschlag auf ein Einkaufszentrum in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind am Montag zwei Menschen getötet worden. Der Attentäter zündete seinen Sprengsatz vor dem Eingang des “Kabul City Center” und riss zwei Wachleute mit in den Tod, wie das Innenministerium mitteilte. Zwei weitere Menschen wurden verletzt. In dem Komplex ist auch ein häufig von Ausländern besuchtes Vier-Sterne-Hotel, das “Safi Landmark”, untergebracht.

2 fitte Einschleichjournalisten aus dem Westen wollen in Kandara – vor Ort quasi – festgestellt haben, dass die Verbindung zwischen Taliban und Al Quaida doch nicht so dicke ist, wie von anderen Islamspezialisten aus der Ferne bisher immer beobachtet worden war.  Die deutschen Sitzredakteure machten daraus heute: „Zwist unter Waffenbrüdern“. Ach, dieser Journalismus – was für ein Drecksjob!

Das IWF empfiehlt die Abwicklung der afghanischen Kabul Bank. Die EU-Polizisten wollen mehr Personal für ihre „Afghanistan-Mission“.

Israel:

Die Stadtverwaltung in Jerusalem hat am Montag einen Schritt zum Bau von 120 neuen Wohnungen in Ostjerusalem gebilligt. Das Projekt wurde vom Planungskomitee diskutiert und soll nun der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Die Wohnungen sollen in Ramot entstehen, wo bereits rund 50.000 Israelis leben.

Das Projekt wird nach Behördenangaben von Privatunternehmen vorangetrieben, muss aber von der Stadt gebilligt werden. Die Palästinenser beanspruchen das 1967 von Israel eingenommene Ostjerusalem als Hauptstadt für einen künftigen eigenen Staat.

Iran:

“Nach den jüngsten Demonstrationen der Opposition in Iran haben iranische Parlamentsabgeordneter die Todesstrafe für führende Oppositionelle gefordert. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Irna vom Dienstag riefen die Abgeordneten: “Tod für Mussawi, Karrubi und Chatami.” Parlamentspräsident Ali Laridschani kündigte an, ein Ausschuss werde den “Verlauf der Krawalle” aufklären.”

Die Regierung dreht nun vollends den Spieß um – und ruft die Bevölkerung für Freitag zu Protesten gegen die Opposition auf.

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DVBP225
0040 O
13:41 rP 4 Iran/Präsident/Regierung/Opposition/Proteste

Tunesien:

“Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) lehnt eine Aufnahme tunesischer Flüchtlinge in Deutschland ab. Trittin plädiert für ihre Aufnahme. “Wir müssen dafür sorgen, dass die Flüchtlinge in ihren Heimatländern Perspektiven bekommen und den Demokratisierungsprozess nachhaltig stützen”, sagte Schünemann der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag in Hannover.” Ein Bischof Weber fordert Wirtschaftshilfe für Tunesien.

Saudi-Arabien:

Der saudi-arabische König Abdullah kann auf ein Polster von über 400 Milliarden Dollar aus dem Ölgeschäft zurückgreifen, um einen Volksaufstand wie in Ägypten oder Tunesien zu verhindern. Doch der alternde Monarch wird nach Einschätzung von Analysten auch kaum um Reformen herumkommen, wenn er angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Probleme Dissidenten im Zaun halten will. So müsse das Königshaus etwa gegen die hohe Arbeitslosigkeit angehen und dem Wunsch junger Saudis nach Meinungsfreiheit nachkommen.

Auf Internet-Plattformen wie Twitter nehmen Beschwerden über korrupte Beamten zu. Nach Überschwemmungen in der zweitgrößten Stadt Dschidda mit mindestens zehn Toten wurde in Zeitungsartikeln offen über die Bestechlichkeit von Beamten geklagt. Zudem gründeten Islamisten in der vergangenen Woche eine Oppositionspartei, ein Tabubruch in Saudi-Arabien. Der Druck für politische Veränderungen nimmt also zu.

Eine Frau in Saudi-Arabien hat ihren Gatten entmannt, weil er eine Zweitfrau nehmen wollte. Nach saudischen Medienberichten vom Dienstag trennte die Frau aus dem Großraum Riad seinen Penis mit einem Küchenmesser ab, während er schlief. Der verletzte Ehemann wurde erst in ein Krankenhaus gebracht und dann in eine Spezialklinik. Er überlebte. Gegen die Frau, die ihren Mann wiederholt gebeten hatte, auf eine zweite Ehe zu verzichten, wird inzwischen ermittelt.

Der Fall wirbelte in Saudi-Arabien reichlich Staub auf. Viele Männer forderten die Todesstrafe für die Ehefrau. Einige Frauen erklärten dagegen, sie hofften, dass die Tat andere Ehemänner dazu bringen würde, zweimal nachzudenken, bevor sie ein zweites, drittes oder viertes Mal heiraten. In Saudi-Arabien dürfen Männer nach islamischem Recht bis zu vier Ehefrauen gleichzeitig haben.

Palästina:

Im Schatten der dramatischen Ereignisse in Tunis und Kairo blieb es in Ramallah ziemlich ruhig. Kleinere Demonstrationsversuche von jungen Palästinensern in Solidarität mit dem ägyptischen Volksaufstand wurden von der Polizei der Palästinensischen Autonomieregierung rasch mit Knüppeln auseinandergetrieben, denn – so hieß es – ungenehmigte Spontandemonstrationen “würden lediglich Chaos verursachen”.

Immerhin ließ man nach dem Sturz Mubaraks ein paar Hundert Palästinenser unbehelligt auf dem zentralen Manara-Platz in Ramallah feiern.

Auch in Gaza hat der Funken aus Tunis und Kairo noch nicht gezündet. Das Hamas-Regime erlaubte zwar Sit-ins, doch Demonstrationen, die aus der Kontrolle hätten geraten können, waren ebenfalls nicht gerne gesehen.

Somalia:

“Die Piraten vor der Küste Somalias werden immer frecher!” (online-news)

Allgemein gesagt:

„Unruhen in Nordafrika haben weitreichende Folgen für Tourismus. Reisebuchungen nach Tunesien und Ägypten brechen ein. Die ägyptische Übergangsregierung bittet das Ausland um Hilfe.“ (AFP)

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https://blogs.taz.de/kairo-virus_chronik_seiner_ausbreitungeindaemmung_9/

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