Es sagt ja schon viel aus über das viel zu kalte Land, aus dem ich stamme, dass es über einen „Bundesadler“ verfügt. Groß soll es sein, imposant, ausspähend, ehrfurchtgebietend, all so was eben, das Nationaltier. Nichts gegen Adler persönlich, aber eine Nation, die sich so einen Greif als Wappen- und Symboltier aussucht (und es dann aber unverzüglich mehr oder weniger ausrottet), der sollte man ruhig sehr misstrauisch begegnen. Puerto Rico hat ein anderes Nationaltier. Einen Frosch. Und zwar ausgerechnet einen kleinen, unscheinbaren, braunen Frosch, den man so gut wie nie zu Gesicht bekommt. „coquí“ wird das sympathische Tierchen genannt, und es entstammt der Gattung Eleutherodactylus. Kaum ein Mensch auf der Welt beachtet überhaupt die Existenz von Eleutherodactylus, obwohl es sich um die artenreichste Wirbeltiergattung überhaupt handelt, aber die Puerto-Ricaner, die machen den coquí zu ihrem Nationalfrosch. Und zwar richtig. Es gibt coquí-Flaggen, coquí-Aufkleber, coquí-Stofftiere, coquí-Tassen, CDs mit coquí-Gepfeife und Bücher mit coquí-Geschichten. Eine besonders Schöne geht so:
Warum die coquís überall auf Puerto Rico anzutreffen sind
Im Urwald von Puerto Rico lebte einst ein unauffälliger, kleiner, brauner Frosch. Der war sehr allein und fühlte sich einsam. Da kam ihm die Idee, nach Artgenossen zu suchen. Da er aber so klein und unauffällig war, konnte er kaum über das Laub auf dem Boden gucken und andere Frösche erspähen, und so rief er, so laut er konnte. Das war erstaunlich laut, und es klang ein bisschen wie das Pfeifen eines Vogels. Andere kleine braune Frösche, die auch einsam waren, hörten ihn, freuten sich, dass sie nicht mehr allein waren, und antworteten, so laut sie konnten. Von da an hörte man überall im Wald in jeder Nacht ihre Rufe: „co-quí!“, „co-quí!“
Im Urwald lebten aber auch Papageien. Und anders als die Frösche, waren diese am Tag wach und schliefen in der Nacht. „Was ist denn das für ein Lärm“, ärgerten sich die Papageien, „und was sind das für komische Vögel, die mitten in der Nacht pfeifen? So was macht doch kein ordentlicher Vogel!“ Und weil sie immer entnervter wurden, begannen sie, nach den Störenfrieden zu suchen und schrien in der Nacht: „Seid endlich still, ihr Schreihälse!“ Da erschraken die kleinen Frösche und flüchteten aus dem Wald in ein benachbartes Bauernhaus. Dort fühlten sie sich schnell sehr wohl und riefen wieder in jeder Nacht. Da sie aber sehr laut waren, hörten die Papageien sie immer noch, störten sich an dem Lärm und begannen erneut, die merkwürdigen Vögel zu suchen. Wieder erschraken die Frösche, und rasch beschlossen sie, lieber in ein Dorf umzuziehen. Doch auch aus dem Dorf drangen ihre nächtlichen Rufe bis in den Wald, wo sie den Papageien den Schlaf raubten und diese erzürnten. Da hüpften die Frösche in die große Stadt. In der war es ohnehin so laut, dass ihre Rufe niemand störten, nicht einmal die Papageien. Die saßen nun nachts im Urwald und konnten immer noch nicht schlafen. Denn sie fühlten sich plötzlich einsam und verlassen. Ihnen fehlte etwas. Ihnen fehlten die gewohnten Rufe: „co-quí!“, „co-quí“. Da begannen die Papageien erneut, nach den seltsamen Vögeln zu suchen, um sie zu bitten, zurück zu ihnen in den Wald zu kommen. Sie flogen über die ganze Insel und riefen: „Bitte, kommt zurück!“ Die Frösche hörten das und berieten sich. Einigen gefiel es so gut in der Stadt, dass sie unbedingt dort bleiben wollten. Andere sehnten sich zurück nach dem Dorf oder dem Bauernhof. Und wieder andere freuten sich, endlich wieder in den Urwald gehen zu können. Die Papageien staunten nicht schlecht, als sie sahen, wie eine ganze Reihe Frösche zu ihnen in den Wald hüpfte: „Ihr seid ja gar keine Vögel! Kein Wunder, dass ihr nachts ruft und nicht am Tage, so wie wir! Entschuldigt, wenn wir euch erschreckt haben!“ Und die Frösche verziehen den Papageien, und seither erklingt ihr lautes Pfeifen überall auf Puerto Rico, in den Urwäldern, auf dem Land, in den Dörfern und in der großen Stadt.