(aus der taz, im September 2006)
In Sachsenhausen hat er vor ehemaligen Lagerhäftlingen gelesen und im Osten in den sogenannten „national befreiten Zonen“: Serdar Somuncu. Bekannt geworden ist er durch seine provokante Lesung aus Hitlers „Mein Kampf“. Dafür und für seine Performance von Goebbels‘ „Wollt ihr den totalen Krieg“ erhielt er 2004 den „Prix Pantheon“.
Serdar Somuncu ist noch einmal mit seinem Programm „Hitler Kebab“ unterwegs, bevor er in eine Kreativpause geht. Ein Gespräch über die Beleidigung von Landsleuten, rassistische Opas und das Fieber, das der Name „Hitler“ immer noch entfacht.
Kennen Sie immer noch die angespannte Aufregung, wenn Sie den Namen „Hitler“ hören?
Nein, aber das kannte ich auch früher nicht. Meine Haltung zu Hitler ist die gleiche wie zu jeder anderen Rolle auch. Wenn ich von der Bühne gehe, wird die Marionette wieder in den Kasten gelegt, und das war’s.
Sie behaupten aber, dass die meisten Deutschen dieses Gefühl kennen. Eine Angst, gepaart mit Nervenkitzel, ein fiebriges Warten, bis das Wort endlich fällt.
Die Zuschauer haben tatsächlich diesen Nervenkitzel. Leider. Dieser Respekt, den Hitler dadurch bekommt, den verdienen seine Opfer. Es ist noch eine Menge Arbeit zu leisten, um das zu ändern. Nehmen Sie zum Beispiel die Debatten um die letzte Weltmeisterschaft. Hinter dem Gerede über Fahnen und Nationalhymne steckte so viel Unsicherheit, da sind wir keinen Schritt weitergekommen. Ich finde eher, es ist einen Schritt zurückgegangen.
Aber gerade für diese WM wurde Deutschland doch gelobt, etwa für den entspannten Umgang mit ausländischen Besuchern.
Das habe ich von Anfang an nicht geglaubt. Weil ich das deutsche Gespenst kenne. Und in der Tat: Nach dem WM-Aus haben sich viele extrem italienfeindlich verhalten. Ich habe manchmal das Gefühl, die Deutschen spielen nicht, um zu gewinnen, sondern um zu besiegen.
Einem amerikanischen Journalisten haben Sie empfohlen, das Wort „Hitler“ laut auszusprechen, als er gerade auf dem Kölner Hauptbahnhof stand. Er hat sich dann doch nicht getraut.
Weil er Angst hatte, etwas falsch zu machen. Dieses Gefühl ist gekoppelt mit der Angst, entdeckt zu werden bei etwas, das man nicht denken darf. Es gibt ja diese angeblichen Denkverbote über den Nationalsozialismus, über Hitler, wie sie von Rechtsextremen kritisiert werden, die sich dann zu Verfechtern einer nicht existenten Demokratie aufschwingen. Wenn Sie in der Straßenbahn stecken und laut „Hitler“ rufen, werden das auch die Leute um sie herum unangenehm finden. Und deshalb ist auch eine satirische Auseinandersetzung mit Hitler sehr heikel. Man hat es beim Film „Das Leben ist schön“ gesehen, der auch dieses Tabu berührt hat. Die Zuschauer verwechseln das Lachen über Hitler mit dem Lachen über die Opfer.
Aus diesem Grund haben Sie jahrelang aus Hitlers „Mein Kampf“ gelesen, später aus Goebbels‘ „Sportpalastrede“, Ihr aktuelles Programm heißt „Hitler Kebab“. Den Typus Nazi umschreiben Sie als eine Art Steinzeitmensch mit Artikulationsschwierigkeiten. Wozu die Verharmlosung?
Ich will nicht verharmlosen. Es geht mir darum, Nazi-Ideologie nicht zu überhöhen – ein idiotisches staatliches Verbot des Buches „Mein Kampf“ tut das. Die Denkstrukturen der Nazis sind nicht so ausgefeilt, wie die Leute glauben. Man sieht es an der parlamentarischen Arbeit, an der die Nazis schnell scheitern. Es sind andere Dinge, die mich aufregen. Wie die Nazi-Ideologie in den Köpfen verankert ist. Während der WM habe ich erlebt, wie Freunde von mir in der Wir-Form über Deutschland gesprochen haben, da ist mir schlecht geworden. Der Vater eines Freundes will nicht in mein Auto steigen, weil es einem Türken gehört. Besoffene Menschen in Bierzelten, die von „Kanaken“ reden. Darüber kann ich nur lachen. Ich lache mit verärgertem Unterton. Es macht mich aggressiv, wenn 30 Nazis in meine Vorstellung kommen, die „Deutschland“ nicht mal buchstabieren können. Ich sehe keinen Grund, stolz zu sein auf etwas, das man nicht besser kann als jemand anderes. Ich wollte mich selbst auch nie zum Underdog machen, um Lacher zu erheischen. In „Hitler Kebab“ gehe ich sehr aggressiv mit türkischen und deutschen Zuschauern um. Ich will wissen, ob meine Landsleute in der Lage sind, das zu ertragen.
Sind sie’s?
Jetzt bekomme ich immer noch Drohbriefe, nur diesmal von Türken. Daran sieht man, dass Leute, die Toleranz fordern, selbst sehr intolerant sein können.
Sie provozieren gern. Keine Angst davor, dass die Sache Ihnen entgleiten könnte?
Es stärkt meinen Widerstand wenn ich sehe, dass Leute mich hindern wollen. Man hat diverse Ängste auf der Bühne, aber man lernt, damit umzugehen. Für mich gehört dazu auch der Umgang mit Nazis. Manchmal gehe ich ein hohes Risiko ein, weil ich auch an Orten spiele, wo mein Humor nicht verstanden wird. In Potsdam bin ich mit einer schusssicheren Weste aufgetreten. Aber ich verlange Humor. Ich will herausfinden, wo die Zuschauer ihre Grenzen haben. Nur so kann ich Denkfreiheiten finden.
Wenn der Hitler Sie nicht schreckt: Gibt es ein Wort, das auszusprechen Ihnen Probleme macht?
Vielleicht das Wort „Nein“
Das Gespräch führte Andrea Mertes