Die Phase des »Neoabsolutismus« – auf diesen Begriff haben sich die Historiker für die bürokratische Ära vor dem nächsten und entgültigen Aufschwung des Liberalismus im 19. Jahrhundert geeinigt. Es ist die grosse Epoche der aufstrebenden Presse, der kämpferischen Glossisten und der bissigen Satiriker. Das Wiener Gemeindeleben wird zum Übungsplatz einer energischen Schreibweise, weil sich das Bürgertum an die grossen Probleme der österreichischen Innenpolitik direkt noch nicht herantraut.
In der Epoche des Neoliberalismus kursieren eine Unmenge Gerüchte. Der Adel will angeblich im Staatsgefüge der Monarchie die Selbstverwaltung wiedererlangen, und das stimmt auch. Man schmiedet Pläne, feilt an Konzepten.
Dem Deutschen Rudolf GNEIST und dem Schriftsteller und Diplomaten Leopold ANDRIAN schwebt ein Self-Gouvernement nach englischem Muster vor. Gneist, politischer Jurist in der Bismarck-Zeit und Lehrer von Max WEBER favorisiert die Stadtverwaltung der City of London, weiters einen nachvollziehbaren Rechtsstaat und Verwaltungsgerichte. Gneist versteht Recht dabei als objektive Ordnung und das Beschwerderechte als Beitrags des Bürgers zu Erhalt dieser Ordnung. Die Menschen sollen dem Landesherren ihre wohlerworbene Ansprüche entgegenhalten und auf dem ordentlichen Gerichtsweg durchsetzen dürfen.
Gneists fortschrittliche Ideen wirken in Wien auf Hans PERNTHALER und Anton SCHMERLING ein. Auf der anderen Seite argumentiert Hugo PREUSS zugunsten einer grundsätzlichen und direkten Autonomie der freien Gemeinden gegenüber dem souveränen Staat.
In diesem historischen Augenblick nähert sich das erste Kapitel der Kleinen Wiener Stadtgeschichte seinem Ende. Nun geht die schwarze Periode der Habsburgerregie für die Stadt zu Ende. Denn auch wenn die Monarchie noch ein paar Jährchen hält, langsam wird auch dem Dümmsten klar, dass sich Wien dem politischen und industriellen Aufbruch im Westen Europas nicht mehr verschliessen kann.
Die Revolution von 1948, sie mag 1849 in Blut erstickt worden sein. Der katholische Journalist und deutsche Abgeordnete Robert BLUM mag an einem frühen Novembermorgen von habsburgischen Soldaten in der Brigittenau standrechtlich erschossen worden sei. Doch, wie er es am Richtplatz prophezeit hat, seine gleichmacherischen Ideen – die sind nicht mehr totzukriegen. Sie kommen jetzt nur über Umwege aufs politische Tapet.
So ein Umweg ist die materielle Lage. Die Stadterweiterung von 1857 hat ganz praktische Gründe: Wohnungsnot, das Steigen der Mietzinse und Raummangel für öffentliche Gebäude.
»Hoch! Vivat hoch, so hoch wie möglich!« jubelt der satirische Hans JÖRGEL von Gumpoldskirchen am 1. Mai dieses Jahres. Man tun gut daran, ihm die helle Begeisterung nicht abzukaufen. »Verketzert die gesunde Vernunft«, hiesst es nämlich weiter, »hüllt euch fest ein in den Mantel der Dummheit. Es begab sich in einer grossen Stadt, dass fühlbarer Mangel an Wohnungen eintrat. Was tat da der Gemeinderat um dieser Wohnungsnot zu steuern? Nichts, als das er Häuser niederreissen liess und gegen den Aufbau neuer nicht protestierte. Und siehe da, dieses Wenige oder vielmehr dieses Nichts genügte vollkommen. Die Leute aus der Stadt zogen in die Vorstädte, die Leute aus den Vorstädten zogen aufs Land, und die Leute vom Lande zogen in entferntere schöne Gegenden, die Quartiernnot aber fand ihr Ende. Auf diese Weise machte sich Alles und Jedes ganz von selbst, Zutat irgendwelcher Art wäre zum Überfluss gewesen. Hoch, vivat hoch die Gemeindevertretung von – Dings da!«
© Wolfgang Koch 2007
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