vonWolfgang Koch 15.10.2007

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1890 fallen die Linienwälle, aus den Vororten werden die Bezirke 11 und 19. Der Stadtumfang springt von 37,9 auf 63 Kilometer, also auf beinahe das Doppelte; die Bodenfläche vergrössert sich von 5.540 auf 17.812 Hektar und das Wien der 525.220 Köpfe erreicht nun 1.365 000 Einwohner, davon 90.000 Untermieter und 86.000 Bettgeher.

Die Macht verteilt sich in Wien anders als in deutschen Grossstädten. Beim grossen Nachbarn schränkt die Bürokratisierung die Kontrolle der Kommunalbeamten ein, was für bayrische und preussische Bürgermeister einen Machtzuwachs bedeutet. Der Wiener Bürgermeister hingegen ist ein lokaler Parteiführer und kein Berufsbeamter.

Der Verlust der Liberalen lässt Schlimmes hinsichtlich der Gemeindeautonomie befürchten. »Vom heutigen Tag angefangen«, schreibt die NFP am 2. April 1895, »gibt es in der Politik eine brennende Wiener Frage, welche nicht von der liberalen Partei im Gemeinderathe, sondern nur von der Regierung gelöst werden kann. Das Kabinett muss sich darüber klar werden, ob ein bedeutsames, ja überragendes Interesse damit verknüpft ist, dass die grimmigsten Feinde des Staatsgrundgesetzes, die politischen Brandstifter, die Vertreter des Rassenhasses und die gewaltigsten Leidenschaften in Wien ans Ruder greifen, um namenloses Unheil über die Residenz des Kaisers heraufzubeschwören.«

So gereizt klingt der Ton in den Parteidisputen. Die Fortschrittspartei wird von ihren Gegnern als »judenliberal« apostrophiert. Nach Neuwahlen im September verfügen die Antiliberalen bereits über eine Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat.

Und noch eine Zahl aus dem Jahr 1895: Vom Gesamt der direkten Steuern, die die Stadt Wien in der Höhe von 106 Millionen Kronen aufzubringen hatte, bezahlt die Innere Stadt allein über 43 Millionen; 1910 werden es 83 von 214 Millionen sein. Damit verläuft der Prozess der Citybildung innerhalb Wiens extrem positiv.

Die Geheimzahl des Weissen Wien lautet übrigens: Neunzehn. Ein Gesetz vom 19. Dezember 1890 gliedert die Stadt in 19 Bezirke. Im April 1897 schliesst sich eine Gruppe von 19 jüngeren Künstlern zu einem neuen Bund namens Secession zusammen. Die jungen Maler protestieren gegen die akademische Enge und verlassen die Künstlerhausvereinigung. Sie pfeifen auf die geschäftlichen Rücksichten des Kunstbetriebs und wollen etwas »Echtes« schaffen.

© Wolfgang Koch 2007
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