vonWolfgang Koch 14.02.2008

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Die Ablösung der Stadt Wien von Niederösterreich, beschlossen 1920, ausgeführt 1922, hat weitreichende Folgen:

FINANZAUTONOMIE – Der Status als selbstständiges Bundesland ermöglichst Wien die freie Entscheidungen über die Einführung von Steuern und Abgaben. Die Grundvoraussetzung für neue kommunale Gestaltungsmöglichkeiten.

FINANZAUSGLEICH – Seine Stellung als Land und Gemeinde bringt Wien beim Finanzausgleich mit den Ländern doppeltes Geld ein. Damit werden die Errungenschaft des Roten Wiens noch leichter finanzierbar.

GEBIETSSTAGNATION – Die gleichzeitig versäumte Stadterweiterung beeinflusst die Entwicklung auf das nachhaltigste. Der Planungsforscher Wilfried Posch nennt das Versäumnis »die folgenschwerste Entscheidung in der tausendjährigen Geschichte Wiens«.

ZERSPLITTERUNG – Niederösterreich erleidet durch die Trennung grosse finanzielle Verluste. Ohne Hauptstadt gedeiht ein eifersüchtiger Viertelpatriotismus, von dem sich das Land erst fünfzig Jahre später erholen wird.

Zu den langfristigen Folgen der verhinderten Gebietserweiterung gehört, dass in Wien noch heute vielfach nach den Regeln der Gründerzeit gebaut wird. Bis 1921 besteht die politische Absicht das Wohnbauprogramm der Stadt Wien fast gänzlich in Form von Siedlungen abzuwickeln. Davon bleiben langfristig nur die festgelegten Kleingarten- und Siedlungszonen. Der Anteil der Wohnungen in Siedlungen sinkt bald wieder gegenüber dem in Geschossbauten.

Die unmittelbare Folge ist, dass das von der Gartenstadtbewegung favorisierte Reihenhaus und der Flachbau der neuen monumentalen Richtung des Städtebaus unterliegt. »Das Wohnschloss als Ausdruck der Gesinnung der gesinnungslos gewordenen Kleinbürger war nicht zu überwinden«, bilanziert Posch 1976.

Aber nicht nur Wien verwandelt sich zum Experimentierfeld für eine raumgliedernde Architektur. Auch andere Städte tun es in diesen Jahren. Das graue Madgeburg zum Beispiel wird 1921 dank einer mitreissenden Kampagne Bruno Tauts im Handumdrehen bunt wie ein Legoland.

Der historische Deal der roten WienerInnen mit den schwarzen Niederösterreich hat noch eine finstere Schlagseite. Denn das vordergründige Ziel der Aktion gelingt nicht. Das innerösterreichische Zerwürfnis schmilzt nicht kontinuierlich, sondern wächst trotz der fürsorglichen Trennung der Länderinteressen. Auf diese Weise kann der »Kleinstaat wider Willen« die Los-von-Wien-Stimmung nicht mehr abschütteln; an dieser bestimmenden Atmosphäre der Ersten Republik wird letztlich der Parlamentarismus entzweibrechen.

Wie unwohl sich die neuen Österreicher in ihrer Haut fühlen, zeigt ein Ereignis im Land an der Salzach. Bei einer im Mai 1921 abgehaltenen Volksabstimmung sprechen sich 93.546 Salzburger und Salzburgerinnen für den Anschluss an Deutsche Reichs aus; nur 877 stimmen mit Nein für Österreich.

© Wolfgang Koch 2008
next: MO

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kleine-wiener-stadtgeschichte-31/

aktuell auf taz.de

kommentare